The Lyric and the Vocal Element in Instrumental Music of the Nineteenth Century

16.–18.9.2016

Narodowy Instytut Fryderyka Chopina Warszawa/Radziejowice

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Tagungsprogramm


Stephan Lewandowski


Vom 16.–18. September 2016 fand in Radziejowice, ca. 45 km südöstlich von Warschau gelegen, die diesjährige Konferenz des Nationalen Fryderyk-Chopin-Instituts (Narodowy Instytut Fryderyka Chopina) statt, die sich dem »lyrischen und vokalen Element in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts« widmete. Die Tagungen des Instituts konzentrieren sich hauptsächlich auf Fryderyk Chopin und seine Werke. Es soll aber ebenfalls erforscht werden, auf welche Art und bis zu welchem Grad Aspekte Chopinʼschen Komponierens auch im Schaffen anderer KomponistInnen des 19. Jahrhunderts präsent sind.

KollegInnen aus den Bereichen Musikwissenschaft und Musiktheorie von drei Kontinenten trafen sich am ersten Tag der Veranstaltung vor dem Chopin-Institut in Warschau, um von dort aus zunächst gemeinsam nach Radziejowice zu fahren, einem kleinen, pittoresken Städtchen mit einem Schloss und großer Parkanlage, das als geradezu exquisiter Tagungsort diente.

Die Vortragsreihe wurde eröffnet mit Beiträgen der keynote speaker Mieczysław Tomaszewski (Krakau), Kenneth Hamilton (Cardiff) und David Rowland (Milton Keynes und Cambridge), die sich der Thematik der Konferenz auf drei unterschiedliche Zugangsweisen näherten. Tomaszewskis Vortrag gründete auf der These, im Zeitalter der Romantik als der Ära des (Kunst-)Liedes entfalte sich die Verbindung von Wort bzw. Literatur und Musik im Vollbesitz ihrer Kraft und Ausdrucksstärke. Anhand zahlreicher Musikbeispiele von Mendelssohn Bartholdy, Grieg, Schumann, Brahms, Chopin u.a. verfolgte er diese These, wobei drei Kategorien instrumentaler Lyrizismen herauskristallisiert wurden: (1) die Komposition instrumentaler Werke nach bestehenden vokalen Vorlagen unter Auslassung des Textes, (2) die Imitation der Struktur und/oder des Charakters vokaler Kompositionen in Instrumentalwerken und (3) die Komposition eigenständiger instrumentaler Werke nach Textvorlagen. Kenneth Hamiltons sich anschließender Vortrag stellte aufführungspraktische Aspekte von Klavierwerken von Chopin, Field, Liszt und Alkan in den Mittelpunkt. Hamilton verdeutlichte anhand zahlreicher Musikbeispiele, wie Elemente der vokalen Aufführungspraxis, einschließlich des Operngesangs, nicht nur instrumental imitiert wurden, sondern auch formgebend wirkten, so etwa in Chopins Nocturnes, aber auch in Liszts Opernfantasien. David Rowland schließlich näherte sich dem Konferenzthema aus der Perspektive des Klavierbaus im 19. Jahrhundert. Er stellte heraus, welche spezifischen klangtechnischen Eigenschaften Klavierfabrikate in unterschiedlichen Ländern Europas zur damaligen Zeit besaßen und wie daraus mögliche Präferenzen zeitgenössischer Komponisten hinsichtlich der melodischen Gestaltung und der Satztechnik entstanden.

Den zweiten Kongresstag eröffnete Irena Poniatowska (Warschau), die in ihrem Vortrag Hinweise zur Aufführungspraxis Chopin’scher Klavierwerke in französischen und deutschen historischen Klavierschulen thematisierte. Sie ging besonders auf die Frage ein, wie das Problem zu lösen ist, auf einem in bautechnischer Hinsicht perkussiven Instrument instrumentale Gesanglichkeit zu erreichen. Der anschließende Beitrag von Kristen Strandberg (Crawfordsville/Indiana) untersuchte die Technik des Violinspiels Mitte des 19. Jahrhunderts und verdeutlichte dabei vornehmlich anhand französischer Traktate, dass das Erreichen eines der menschlichen Stimme möglichst nahekommenden Klanges eines der wesentlichsten Ziele zur damaligen Zeit gewesen sei.

In der Vormittagssektion folgten Beiträge von Agnieszka Chwiłek (Warschau), Nikita Mamedov (Baton Rouge/Louisiana) und Stephan Lewandowski (Weimar), die sich allesamt mit kompositionstechnischen Aspekten befassten. Während sich Chwiłek auf die Suche nach der Entstehung des melodischen Stils in frühen Kompositionen Robert Schumanns begab, demonstrierte Mamedov anhand ausgewählter Analysen Heinrich Schenkers der Chopin-Etüden opp. 10 und 25, wie Chopins poetische Melodik und ihre begleitende, zumeist virtuose Hintergrundkulisse ineinander greifen. Lewandowski versuchte Verbindungen zwischen der musiktheoretischen Lehre Adolph Bernhard Marx’ und der kompositorischen Praxis seines Freundes Felix Mendelssohn Bartholdy aufzuzeigen.

Zbigniew Granat (Rochester/New York) wies zu Beginn der nachfolgenden Sektion auf ein verborgenes Programm in Chopins Prélude op. 28/2 in a-Moll hin. Seine analytischen Ausführungen gründeten dabei auf der These, dass motivische Verwandtschaften zwischen dem Klavierstück und diversen Schubertliedern bestünden. Anschließend präsentierte Charris Efthimiou (Graz) eine Analyse von Franz Liszts Faust-Sinfonie, in welcher er Liszts Instrumentationstechnik, speziell verdeutlicht anhand wiederkehrender lyrischer Motive (der Charaktere Faust, Gretchen und Mephistopheles), detailliert untersuchte.

Nach einer Mittagspause wurde der zweite Teil des längsten Konferenztages eingeleitet durch Wojciech Nowiks (Warschau) Beitrag zu Chopins Nocturne op. 48/1 in c-Moll. Nowik betonte die herausragende Stellung dieser Nocturne im Vergleich zu ihren Schwesterwerken in Bezug auf ihren symbolischen Gehalt, der weit über die üblichen Topoi einer Nachtmusik hinausgehe und Anklänge an weitere vokale, sakrale sowie symphonische Genres (Marsch, Hymnus, Choral und Rhapsodie) enthalte. Dasselbe Klavierstück wurde nachfolgend von Lauri Suurpää (Helsinki) aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Seine Analyse basierte auf der Annahme, kontrastierende, diversen Arientypen der italienischen Oper entlehnte musikalische Charaktere würden in op. 48/1 aufeinandertreffen, sich abwechseln und miteinander konkurrieren und dadurch formbildend wirken. Meghan Chamberlain (Toronto) schloss die Nachmittagssektion mit Gedanken zu Chopins Nocturne op. 15/1 in F-Dur, die sich um Chopins Briefwechsel mit dem Widmungsträger der Trois Nocturnes op. 15, Ferdinand Hiller, und dessen möglicherweise zumindest partiell homoerotisch zu deutende Inhalte drehten.

Welche Eindrücke Franz Liszt und Fryderyk Chopin von Besuchen der Pariser Grand Opéra sowie des Théâtre-Italien mitnahmen und in ihre Kompositionen einfließen ließen, erfragte zu Beginn der Schlusssektion Bruno Moysan (Paris). Erwähnt wurden dabei nicht nur Transkriptionen und Variationswerke über Themen, die der Opernwelt entstammen, sondern auch harmonische Verbindungen sowie der Aspekt des Dramaturgischen in Instrumentalwerken beider Komponisten. Es schloss sich ein Vortrag von Silvia del Zoppo (Mailand) an, in dem die Chopin-Rezeption in wenig bekannter italienischer Instrumentalmusik, so etwa in Kompositionen von Alfonso Rendano (1853–1931), Francesco Sangalli (1820–1892), Giovanni Rinaldi (1840–1895) u.a. beleuchtet wurde. Magdalena Oliferko (Bern/Warschau) schließlich befasste sich mit dem Hexameron, einer Gemeinschaftskomposition von Liszt, Sigismund Thalberg, Johann Peter Pixis, Henri Herz, Carl Czerny und Chopin aus dem Jahre 1837, das aus sieben Variationen über ein Thema aus der Bellini-Oper I puritani besteht, umrahmt von einer Introduktion und einem Finale. Oliferko deutete darauf hin, dass das Werk als instrumentale Di-Bravura-Arie einerseits, als Repräsentation der unterschiedlichen Charaktere der beteiligten Komponisten aus tiefenpsychologischer Perspektive andererseits angesehen werden könne.

Den dritten und letzten Kongresstag eröffnete Michael Pecak (Gent), der nach Korrespondenzen zwischen polnischer Sprache und Melodik in diversen Kompositionen Chopins suchte, wobei er sich auf Josef Elsners Traktate zu Metrum und Rhythmus der polnischen Sprache bezog. Einen ähnlichen Aspekt beleuchtete Risa Matsuos (Tokyo/Warschau) nachfolgender Vortrag, in welchem sie Einflüssen polnischer Lyrik auf die Form der Chopin’schen Balladen nachging.

In der abschließenden Sektion sprach zunächst der in Polen sehr bekannte Musikwissenschaftler, Musikschriftsteller und Aphoristiker Krzysztof Bilica über den „polnischen Melos an der Donau“. Sein Thema drehte sich um eine ihm zufolge erstmalig von Heinrich Christoph Koch im Versuch einer Anleitung zur Composition (1782–93) erwähnte Kadenzform, die als typisch für polnische Volks- und Kunstmusik angesehen werden könne. Ein Vortrag von Wojciech Marchwica, Direktor des Nationalen Chopin-Instituts, schloss sich an. Marchwica referierte über die sehr populäre Oper Siedem razy jeden (1804) von Joseph Elsner, dem einstigen Lehrer Chopins an der Warschauer Universität. Er verfolgte nach, wie mit Hilfe der Publikation und dem gezielten Marketing von Spielbänden, die leicht spielbare Bearbeitungen von beliebten Opernmelodien enthielten, ein Repertoire an unmittelbar vokal inspirierter Instrumentalmusik entstand. Jeremy Coleman (London) schließlich thematisierte Anspielungen auf den Belcanto in Chopins Melodiegestaltung im Kontext von Klaviertranskriptionen italienischer Opernmelodien zwischen 1830 und 1860.

Nach einer Abschlussdiskussion begaben sich die TeilnehmerInnen auf den Heimweg. Für einige Gäste wurde am Folgetag ein Ausflug nach Zelazowa Wola, dem Geburtsort Chopins, ermöglicht, um das dortige Museum zu besichtigen.

Nicht zuletzt Dank der unermüdlichen Arbeit des Organisationsteams, das ständig um einen reibungslosen Ablauf und das Wohl der Tagungsgäste bemüht war, wird die Tagung in äußerst positiver Erinnerung bleiben. Zu erwähnen bleibt noch, dass die Veranstaltung lediglich den Auftakt zu einer ganzen Serie jährlich stattfindender Konferenzen bildete, deren Themen bis 2020 bereits feststehen. Im kommenden Jahr wird sich die vom 1.–3. September wiederum in Radziejowice stattfindende Tagung um das Thema »Barocke Traditionen in der Musik der Romantiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts« drehen. Hierfür wurde bereits eine intensive Zusammenarbeit mit dem Leipziger Bach-Archiv begonnen.