Utopian Listening: The Late Electroacoustic Music of Luigi Nono

International Conference/Workshop/Concerts

12.3.–26.3.2016

Tufts University, Medford, MA, in Kooperation mit der Harvard University, Cambridge, MA

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Tagungsprogramm


Margarethe Maierhofer-Lischka


Luigi Nono gilt zwar innerhalb der europäischen zeitgenössischen Musik als wichtige Größe, wird in den USA aber so gut wie nicht rezipiert. Das mag einerseits an seiner politischen Ausrichtung liegen, die im Land des Turbokapitalismus nicht auf viel Wohlwollen stieß, wie es ein Kritiker 1965 anlässlich einer Amerikareise des Venezianers schrieb – Nono sei »too occupied with values other than music«. Auf der anderen Seite sperrt sich das vielschichtige Werk Nonos, das vom äußerst Leisen, Zarten bis hin zu Harschem und Geräuschhaftem in der Tradition der musique concrète reicht, gegen eine Einteilung in Kategorien und lässt sich oft nicht einfach in Standard-Konzertprogramme integrieren.

Ein gewissen Unbehagen gegenüber Nono und seinem ästhetisch-ethischen Sendungsbewusstsein ist durchaus auch in der amerikanischen Forschung zu fühlen. Die erste Welle der wissenschaftlichen Rezeption nach Nonos Tod ging in den 1990er Jahren von Europa, vor allem von Italien und Deutschland aus, den beiden Ländern, in denen Nonos Wirken zu seinen Lebzeiten am deutlichsten zu spüren war. Diese erste ForscherInnengeneration leistete gründliche dokumentarische Aufarbeitung, so etwa mit der Gesamtausgabe von Nonos Schriften und grundlegenden Studien zu den wichtigsten Werken und Entwicklungen, aber zeichnete dabei ein dualistisches Bild: Entweder wurde der Sozialist Nono oder der verklärt-hölderlinhafte Prophet der Stille und des Leisen im Spätwerk hervorgehoben. Nun, fast zwanzig Jahre später, zeichnet sich ein vorsichtiger Paradigmenwechsel ab. Die nächste Generation von ForscherInnen und InterpretInnen wagt sich an Nonos Werk und beginnt bekannte Praktiken und Diskurse zu hinterfragen.

Unter dem Titel Utopian Listening: The Late Electroacoustic Music of Luigi Nono fand im März 2016 an der Tufts University in Medford, Boston, als Koproduktion mit der Harvard University, eine Konferenz statt, die das erklärte Ziel verfolgte, den Diskurs um Luigi Nono neu anzufachen und Weiterentwicklungen der Nono-Exegese zu bündeln. Dabei wurde insbesondere das Spätwerk des Komponisten, namentlich die in Zusammenarbeit mit dem SWR-Experimentalstudio Freiburg entstandenen Werke für Instrumente, Stimmen und Live-Elektronik, fokussiert. Das Format der Konferenz präsentierte sich bewusst diskussions- und praxisorientiert. So nahmen Roundtables, Posterpräsentationen und Workshops sowie ein reiches musikalisches Konzertangebot einen wichtigen Stellenwert im Programm ein. Hinzu traten drei Paper-Sessions, die zu den Themen »Winds of Change«, »Prometeo« und »Technologies of Sound and Ink« schwerpunktmäßig Annäherungen an verschiedene Bereiche des Nono'schen Spätwerks der 1980er Jahre präsentierten.

Mit Blick ins Konferenzprogramm versprach die Tagung eine interessante Personenkonstellation: Während mit Friedemann Sallis, Joseph Auner, Anne Shreffler und Carola Nielinger-Vakil einige etablierte Persönlichkeiten der US-amerikanischen Musikforschung vertreten waren, wirkte aus dem europäischen Umfeld vorwiegend eine junge Generation von ForscherInnen mit. Außerdem sehr präsent waren VertreterInnen aus dem italienischen Kreis um Luigi Nono und das Archivio Luigi Nono in Venedig, die noch in direktem Kontakt mit Nono gestanden hatten, darunter Nuria Schönberg-Nono, Veniero Rizzardi, Angela Ida de Benedictis, Alvise Vidolin und Gianmario Borio. Man darf allerdings fragen, warum zu einer Konferenz, die sich mit Nonos Spätwerk und insbesondere mit dessen live-elektronischen Anteilen beschäftigt, außer Dorothee Schabert (Tonmeisterin des SWR und Aufnahmeleiterin mehrerer CD-Produktionen des Prometeo) kein Vertreter des Freiburger Experimentalstudios geladen worden war. Auch wenn sich der Diskurs insgesamt als sehr offen und divers präsentierte, ist diese Personenkonstellation ein stummer Hinweis auf eine Herausforderung, an der sich die Forschung zu Nono (aber auch zu weiteren KomponistInnen seiner Generation) bis heute abarbeitet.

Selbstverständlich nahm und nimmt die Generation der ZeitzeugInnen, die in direktem Kontakt mit Nono standen, einen wichtigen Platz im Diskurs ein. Dies war auch bei dieser Tagung in der Gestaltung der Keynotes, Sessions und Roundtables deutlich zu spüren. Dennoch wurde und wird dadurch die Diskussion um Nono und sein Werk stark in bereits bekannte Bahnen gelenkt, was eine offene Annäherung an Neuinterpretationen von Nonos Musik und Ästhetik auch einschränken kann. Der bisherige Diskurs um die Ästhetik von Nonos Spätwerk definierte sich sehr über dessen Beziehung zu Massimo Cacciari, wodurch eine ästhetisch-philosophische Grundlinie der Rezeption (vor allem in Berufung auf Cacciaris Walter-Benjamin-Exegese) vorgegeben wurde. Dieser Perspektive wurde auch in Utopian Listening, vorwiegend im Diskurs um Prometeo, Raum gegeben, so etwa im Vortrag von Carola Nielinger-Vakil zu Cacciaris Erinnerungs-Begriff und in der Analyse Pauline Driesens der Isola 3/4/5 aus Prometeo. Im Gegensatz dazu präsentierte der Beitrag von Joseph Auner im Roundtable 3 (»Technology and the Creative Process«) einen Ansatz, Nonos Musik aus der Perspektive von Bill Nichols' The Work of Culture in the Age of Cybernetic Systems (1988) neu im Kontext der Medien- und Technologiedebatte seiner Zeit zu verstehen.

Auf Nonos Faszination für neue Technologien bezogen sich in dieser Tagung eine ganze Reihe Präsentationen, die sich mit dem Einsatz computergestützter Analysemethoden und dem Einfluss digitaler und medialer Ästhetik hinsichtlich Nonos Werke befassten (darunter die Beiträge von Christopher de Laurenti, Luigi Pizzaleo und Tim Sullivan). Auch wenn Spektralanalysen und Klangpartituren besonders für Nonos späte live-elektronische Werke eine interessante visuelle Dimension der Analyse darstellen können, schwang in diesem Diskurs dennoch auch Unsicherheit mit, inwieweit neue technische Methoden wirklich fundierten Erkenntnisgewinn bringen. Diese Frage wird wahrscheinlich erst eine zukünftige Forschergeneration beantworten können.

Ein zusätzlicher Fokus dieser Konferenz neben der Debatte um elektronische Klänge und Werkzeuge ergab sich durch mehrere Präsentationen zu Con Luigi Dallapiccola (1979), ein Werk, das bisher am Rande des Nono'schen Spätwerks nicht allzuviel Beachtung in der Forschung erhalten hat. Gerade durch die Analysen und Kontextualisierungen durch Jamuna Samuel, Anton Vishio und Pauline Driesen wurde klar, dass Con Luigi Dallapiccola mehr Bedeutung für Nonos Spätwerk hat als bislang angenommen. Nicht nur verwendet Nono auch hier Elektronik (wenn auch noch nicht in Form von Live-Transformationen). Durch die musikalische Referenz an Luigi Dallapiccolas Oper Il Prigioniero, die sich dem auch von Nono bereits in Intolleranza 1960 behandelten Thema ›Freiheit‹ widmet, ist Con Luigi Dallapiccola auf der Metaebene eine politische Botschaft eingeschrieben. Außerdem zeigt der Opernbezug, verbunden mit der quasi szenischen Instrumentation aus einem schieren ›Wald‹ an Schlaginstrumenten, dass in Nonos Musik auch im Instrumentalen theatrale Komponenten stark mitgedacht sind. Berücksichtigt man, dass Con Luigi Dallapiccola als kompositorisches Material in Prometeo einging, ergeben sich neue Perspektiven auf die politische und theatrale Dimension dieses späten Opus magnum.

Ein weiteres Phänomen, das den Diskurs um Nonos Musik prägt, ist eine stark personengebundene Aufführungspraxis, die von den InterpretInnen der Uraufführungen großteils bis heute gepflegt und in quasi mündlicher Tradition weitergegeben wird. Darin gleicht die Nono-Interpretation der Situation der Musik Karlheinz Stockhausens, der ebenfalls eng mit spezialisierten InterpretInnen zusammenarbeitete, die bis heute federführend an Neuinterpretationen mitwirken. Diese Gebundenheit aufzubrechen, um einer neuen Generation von InstrumentalistInnen weltweit einen eigenen Zugang zu Nonos Werken, besonders zu denjenigen mit Elektronik, zu ermöglichen, das war eines der erklärten Ziele dieser Tagung. So wurden in mehreren Konzerten fast alle repräsentativen Werke mit Live-Elektronik aus Nonos spätem Schaffen von US-amerikanischen InterpretInnen dargeboten, von …sofferte onde serene… (1976) für Klavier und Tonband, La lontananza nostalgica utopica futura (1988) für Solovioline und Tonband über das atmende klarsein (1981) für Chor, Bassflöte und Elektronik bis hin zu A Pierre, dell'azzurro silenzio, inquietum (1985) für Kontrabassklarinette, Kontrabassflöte und Elektronik und dem Post-prae-ludium n. 1 per Donau (1987) für Tuba und Elektronik. In den aufführungspraktischen Workshops kamen die beteiligten MusikerInnen ausführlich zu Wort. Es zeigte sich, dass in der jungen MusikerInnengeneration ein großes Interesse an Nonos Musik vorhanden ist. Die durchweg hohe Qualität der Aufführungen belegte, dass auch gerade im Bereich der Live-Elektronik eine fundierte Interpretation möglich ist, ohne sich ganz auf die Expertise ausgewiesener Nono-SpezialinterpretInnen zu verlassen. Um eine weitere Aufführbarkeit bestimmter Werke in Zukunft überhaupt zu sichern, muss sich die Tradition gegenüber neuen Technologien und neuen ProtagonistInnen öffnen. Im Gegenzug dazu kann die Aufführungspraxis gerade der elektronischen Parts vom Schritt ins digitale Zeitalter, durch neue Interfaces und Methoden, sehr profitieren.

Was ebenfalls im Zuge der Tagung zum Ausdruck kam, war die Tatsache, dass Nonos spätes Werk abseits des rein musikalischen Interesses stark räumlich-inszenatorische Züge trägt. Eine Öffnung der Diskussion, die bislang sehr musikwissenschaftlich dominiert war, hin zu einem interdisziplinären Ansatz, der auch Perspektiven der Inszenierung und des Theaters, der Architektur und Medienforschung mit einbezieht, wurde in ein paar Beiträgen angedeutet, so etwa in Cynthia Brownes Studie zur neuesten Aufführung des Prometeo in Duisburg sowie in der künstlerisch-installativen Auseinandersetzung Arch-i-pelago, die im Rahmen der Konferenz gezeigt wurde. (Die Installation, die den Tagungsort mit einer visuell-klanglichen Hommage an Luigi Nono bereicherte, war vom Wentworth Institute Graduate Architecture Program unter Leitung von John Stephen Ellis gestaltet worden.) Es bleibt für weitere Forschungen zu Luigi Nono dennoch festzuhalten, dass der ästhetische, mediale und inhaltliche Reichtum dieses Œuvres noch lange nicht ausschöpfend behandelt ist. Man darf auf einen facettenreichen Tagungsband und weitere Diskussionen gespannt sein.