6. Treffen der Arbeitsgemeinschaft Klavierpraxis
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main
1.3.2024
Sascha Hünermund
Am 1. März 2024 kam die AG Klavierpraxis zu ihrem 6. Treffen zusammen, wie in den Jahren zuvor in den Räumen der HfMDK Frankfurt. Ein bereits für Oktober 2023 angesetztes Treffen hatte aufgrund zahlreicher Krankmeldungen abgesagt werden müssen, und so war die Freude bei allen Teilnehmenden groß, nach der seit dem 5. Treffen im Oktober 2022 vergangenen Zeit wieder in fachlichen Austausch treten zu können.
Die AG umfasst mittlerweile 28 Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und wächst stetig. Wir sind zudem bemüht, in unserer AG den FLINTA*-Anteil deutlich zu erhöhen. An unserem Treffen nahmen 12 Personen teil, was dem Schnitt der letzten Jahre entsprach. Da viele Themen auf dem Programm standen, ging es nach einer kurzen Eröffnung und einem Rückblick auf das letzte Treffen auch schon los. Der folgende Bericht greift teils auf Formulierungen in den eingereichten Abstracts zurück.
Christiane Michel-Ostertun (Herford) eröffnete unser 6. Treffen mit einem Vortrag über Kreativitätsübungen für den Einstieg in die Improvisation. Sie berichtete von drei verschiedenen, von ihr erarbeiteten Einstiegen: 1. kleinen freien Stücken, die aus nur einem Intervall gebildet werden, 2. einem vorgegebenen Tonvorrat für kurze Improvisationen, 3. Ciacona-Bässen für einen Einstieg in die barocke Klangwelt. Anhand dieser Vorgaben lassen sich, so die Referentin, möglichst viele musikalische Parameter erarbeiten, und es kann geübt werden, die Balance zwischen Inhalt und Länge der Improvisation zu halten. Eine fruchtbare Diskussionsrunde schloss sich an.
»Von der Volksliedmelodie zum Kunstlied« war der Titel des nächsten, von Johannes Wogram (Dresden, Berlin) gehaltenen Vortrags. Für seinen Unterricht im Schulpraktischen Klavierspiel hat Wogram ein Baukastenprinzip entworfen, nach welchem harmonische sowie rhythmische Fragmente aus einem Kunstlied herausgelöst und einer Volksliedmelodie an passenden Stellen hinzugefügt werden können. Wie der vorherige Vortrag war auch dieser ein toller praxisnaher Input für uns Lehrende, die wir von diesem AG-Treffen wieder etliche neue Ideen für den eigenen Unterricht mitnehmen konnten.
Einen willkommenen Wechsel der Perspektive bedeutete es für die Zuhörenden, dass der folgende Vortrag von Julia Keidl (Weimar) eine Unterrichtsform in den Blick nahm, in der auch sämtliche Teilnehmenden der AG unterrichten. Keidl thematisierte Machtverhältnisse im Einzelunterricht im Spannungsfeld von Nähe und Distanz, gab Einblicke in und Denkanstöße für das eigene Handeln und für die eigene Weiterbildung zum Thema. Es entstand ein Raum für Sensibilisierung und Reflexion, in dem sich die Lehrenden untereinander austauschen und ihre Erfahrungen in Bezug auf den Einzelunterricht teilen konnten. Wir besprachen dieses überaus wichtige Thema intensiv, kamen auch über eigene Erfahrungen sowie über aktuell gemeldete Fälle aus zwei deutschen Hochschulen ins Gespräch.
Der vierte Vortrag des Tages kam von Georg Thoma (Freiburg, München). Er sprach über tonale Konzepte bei Claude Debussy und erläuterte zunächst seine Forschungsfragen: Wie schafft Debussy tonalen Zusammenhang? Wie kann man die Klangwirkungen von Debussys Musik musiktheoretisch beschreiben? Welche Darstellungsweisen erleichtern das analytische Verständnis seiner Werke? Am Beispiel der Pagodes und der Hommage à Rameau zeigte er auf, dass Debussy unterschiedliche Konzepte des tonalen Zusammenhangs miteinander kombiniert und welche Wirkungen mit ihnen erzielt werden. Im letzten Teil seines Vortrages unterbreitete er Vorschläge, wie diese kompositorischen Techniken praktisch am Klavier umgesetzt werden und Teil eines Improvisationsunterrichts sein können.
Bei einem mittlerweile zur Tradition gewordenen Mittagessen in einem italienischen Restaurant kam auch der Austausch nicht zu kurz. Wieder zurück in der HfMDK, wurde ein Gruppenfoto geschossen, welches auf der GMTH-Seite unter der Rubrik ›Arbeitsgemeinschaft Klavierpraxis‹ zu finden ist.
Den zweiten Teil des Arbeitstreffens eröffnete Tobias Usbeck (Würzburg) mit einem Impulsvortrag über den Einfluss von KI auf den Musikbereich insgesamt. Er berichtete unter anderem von komponierender KI und deren extrem schneller Weiterentwicklung. Die AG-Mitglieder zeigten sich gespannt darauf, wie KI in Zukunft voraussichtlich auch in den klavierpraktischen Alltag einziehen wird. Außerdem wies Usbeck ein bei einer Internet-Recherche eher durch Zufall entdecktes Handout zu typischen Akkorden und Progressionen von Keith Jarrett vor, dessen Verwendbarkeit im Rahmen von Klavierpraxis er bereits erprobt hatte.
Laurens Patzlaff (Lübeck) hielt im Anschluss einen Vortrag über »Das ›besondere‹ Accompagnement – Improvisierte Begleitungen in der klassischen Musik«. Bei improvisatorisch ausgestalteten Begleitungen in Musik der Vergangenheit liegt der Gedanke an das Generalbass-Zeitalter nahe. Doch spielte das ›Akkompagnieren‹ ohne Notentext auch im 19. und 20. Jahrhundert eine Rolle. In seiner Präsentation zeigte Patzlaff nicht nur historische Beispiele, er gab auch Impulse und Anregungen für Improvisationspraktiken im Klavierunterricht der Gegenwart.
Das Thema des folgenden Vortrags von Daniel Freimuth (Karlsruhe, Würzburg) lautete »Barocke Improvisation – Sequenzmodelle bei Bach«. Es ging um Tipps, Tricks und Rezepte beim Improvisieren barocker Polyphonie am Klavier. Ausgehend von den Johann Sebastian Bach zugeschriebenen Vorschriften und Grundsätze[n] (1738) wurde erörtert, welche Möglichkeiten sich dem Umgang mit Sequenzmodellen in der Klavierimprovisation bieten. Diese ließen sich durch die variable Anzahl der Stimmen, deren unterschiedliche Disposition und Lage sowie insbesondere dadurch improvisatorisch gestalten, dass die vielfältigen Möglichkeiten der Diminution einzelner oder aller Stimmen genutzt würden, sodass ein jedes Sequenzmodell auf vielfältige Arten zum Klingen gebracht werden könne.
Sodann führte Sascha Hünermund (Leipzig, Dresden) in einem Impulsvortrag eine Improvisationstechnik vor, die auf Frédéric Chopins berühmtes e-Moll-Prélude rekurriert: Bei einem in der linken Hand repetierten Dreiklang (oder dreitönigen Klang) ändert sich – zumeist bei sparsamer Stimmführung – nur ein Ton, wobei spannungsvolle harmonische Progressionen entstehen könnten, auch abseits dessen, was sich über die Funktionstheorie noch sinnvoll beschreiben lasse. Die rechte Hand improvisiert dazu Melodien, die je nach Fähigkeiten am Instrument eher simpel (lange Notenwerte, stufenweise Bewegungen) oder auch spieltechnisch anspruchsvoll gestaltet werden können.
Im letzten Slot des Arbeitstreffens leitete Norbert Chlebowitz (Dortmund, Osnabrück, Rostock) eine Diskussion über die Balance zwischen Einzel- und Gruppenunterricht. Grundsätzlich werden beide Formen von den Teilnehmenden des Treffens als gewinnbringend angesehen. Eigene Erfahrungen mit dem Gruppenunterricht wurden ausgetauscht, wobei der Wunsch nach einer flexibleren Aufteilung des Unterrichtsumfanges zwischen beiden Unterrichtsform geäußert wurde, weil diese oft durch strukturelle Vorgaben verhindert oder erschwert werde. Besonders in den sozialen Aspekten des Gruppenunterrichts sahen die Teilnehmenden große Vorteile. Dennoch bleibe der Einzelunterricht, zumindest zeitweise, ein wichtiger Bestandteil der Lehre.
Nach inhaltsreichen sechs Stunden des Austausches traten die Teilnehmenden mit Vorfreude auf das nächste Treffen, voraussichtlich im Oktober 2025, die Heimreise an.
Zum Autor
SASCHA HÜNERMUND (*1989 in Halberstadt) studierte bis 2015 Schulmusik an der HMT Leipzig mit dem Hauptfach Klavier, zudem Latein an der Universität Leipzig. Schon während des Studiums war er als freischaffender Musiker vor allem im Popmusik-Bereich tätig und unterrichtete Klavier an verschiedenen Musikschulen. Außerdem war er für mehrere Jahre Musiktheorie-Dozent für die Kinderchöre der Oper Leipzig und des Gewandhauses. Seit 2022 ist er Dozent für Schulpraktisches Klavierspiel an der HfM in Dresden sowie für Songwriting an der HMT Leipzig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf der Arbeit als Produzent in seinem Studio in Leipzig sowie als Live-Musiker für Artists wie Tim Bendzko oder Cary. Außerdem ist er Musical Director und Keyboarder der Band des Kinderchor-Projekts 6K United. Er ist der derzeitige Leiter der AG Klavierpraxis.