The Sound Ambiguity

3rd International Students’ Scientific Conference

21.–22.4.2016

Akademia Muzyczna im. Karola Lipińskiego we Wrocławiu / Musikakademie Karol Lipiński Breslau

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Tagungsprogramm


Olja Janjuš und Nikola Komatović


An der vom Lehrstuhl für Musiktheorie der Breslauer Musikakademie initiierten dritten Ausgabe einer Studentenkonferenz beteiligten sich neben acht Breslauer Kommilitonen neun Studierende und jüngere Lehrende von polnischen Musikakademien und Universitäten (aus Kattowitz, Krakau, Lublin, Posen und Warschau). Angereist waren zudem zehn Teilnehmer aus Litauen, Österreich, Serbien, Tschechien, der Ukraine und Deutschland.

Für die auswärtigen TeilnehmerInnen erwies sich die Konferenz als eine Gelegenheit, etwas über polnische Musik der Gegenwart zu erfahren und aktuelle Tendenzen der polnischen Musikforschung kennenzulernen. Brennend ist man hier an intertextuellen und semiotischen Theorien interessiert, sie sind in musiktheoretischen Kreisen Polens nachgerade populär. Den Niedergang und die Vernachlässigung traditioneller analytischer Methoden zur Untersuchung der Harmonik, kontrapunktischer Techniken oder musikformaler Aspekte nimmt man nicht nur in Kauf, sie sind durchaus gewollt. Gleichwohl zollten sämtliche TeilnehmerInnen auch Studien abseits von Intertextualität und Semiotik Aufmerksamkeit, hier insbesondere musikalischen performance studies und Untersuchungen über Umwandlungen instrumentaler Texturen in unterschiedlichen Werkfassungen sowie zu den Folgen, die Entwicklungen des Instrumentenbaus und technischer Medien für die Klangerzeugung haben kann.

Eine der zahlreichen intertextuellen Analysen wurde von Katarzyna Trzeciak (Warschau) anhand einer Oper von Dariusz Przybylski (*1984) vorgenommen. Dass die Oper von einem heute erst 31-jährigen Komponisten stammt, ist ebenso bezeichnend für das Interesse polnischer MusiktheoretikerInnen an der Musik der Gegenwart wie der analytische Zugang, der gewählt wurde. Ein vergleichsweise altes Werk ist Kazimierz Serockis (1922–81) Liederzyklus Augen der Luft von 1957, semiotisch analysiert von Karolina Dąbek (Krakau). Der vertonte Text von Julian Przyboś (1901–70), einem Mitglied der Künstlervereinigung Awangarda Krakowska, ließ die Frage aufkommen, ob die zwölftönige Schreibweise ein gleiches Maß an Expressivität ermögliche, wie es die Worte erreichen. Selbstverständlich war auf dieser polnischen Konferenz auch etwas über Chopin zu hören. In einer kleinen Sektion zu Medien und Aufnahmemodi sprach – wiederum intertextuell ausgerichtet – Marta Tabakiernik (Warschau) zu musikalischen Zitaten im Zeitalter von Wiki und Remix, unter anderem solchen von Chopin.

Es gab eine ukrainische Mini-Sektion. Hier zeigte Bohdan Demianenko (Kiew), wie die statistische Analyse anonym überlieferter Chorsätze aus dem 17. Jahrhundert bei einer Bestimmung von deren Autorschaft hilft. Über die Konstruktion eines volkstümlichen Tons – sozusagen eines Sounds der Vorväter – durch Tymko Padura (1801–71), einen polnisch-ukrainischen Dichter-Musiker, der im mittleren 19. Jahrhundert wirkte, sprachen Wiktoria Białoszycka und Żanna Loretta Białoszycka (beide Winnyzja).

Anhand eigener Kompositionen demonstrierte Agustín Castilla-Ávila (Salzburg) auf einer sechsteltönig gestimmten Gitarre, wie Mikrotonalität auf diesem Instrument funktionieren kann. In den meisten Fällen war polnische Musik, oft neue bis neueste, Gegenstand der Beiträge polnischer RednerInnen. Gegenbeispiele waren Katarzyna Bartos’ (Breslau und Krakau) überaus gelungene Präsentation ihrer wiederum intertextuellen Studie über eine programmatische Bläsersinfonie von John Corigliano sowie Vorträge über Alexander Tansman (Agnieszka Grudzień, Breslau) und Luciano Berio (Weronika Nowak, Posen), dessen Kombination diverser Medien u.a. in Passaggio (1966) bis hin zu Cronaca del Luogo (1998–99) die Frage entstehen ließ, inwieweit die jeweilige Verbindung der Musik mit einem Libretto, mit der Gestik der Darsteller sowie der visuellen Ebene des Bühnenbilds und der Kostüme bei der Bestimmung des Genres dieser Bühnenwerke nützlich sein kann. Einem Orgelwerk Jehan Alains widmete sich Bartłomiej Majkrzak (Breslau). Wie letzteren beschäftigten auch Nikola Komatović (Belgrad/Wien) Fragen zur Harmonik, in diesem Fall bei César Franck. Um den Einfluss und die Einflussangst vor einer Kompositionslehre ging es in einem Beitrag von Toni Leuschner (Weimar). Für die Herausbildung und Kultivierung einer speziellen Klanglichkeit hatten (u.a. bei dessen Schüler Richard Wagner) die Übungen im Fugenschreiben des Thomaskantors Christian Theodor Weinlig gesorgt. Inwieweit der instrumentale Apparat und das ihn traktierende Personal die musikalische Schreibart prägen können, führte Marija Golubović (Belgrad) anschaulich-praktisch vor, um so den klanglichen Charakteristika vierhändiger Klavierstücke auf die Spur zu kommen. Die litauische Musiktheoretikerin und Komponistin Brigita Jurkonytė (Vilnius) sprach über erweiterte, das Timbre verändernde instrumentale Techniken. Ausgehend von einer Frage der Musikpsychologin Carol L. Krumhansl »Why is musical timbre so hard to understand?« zeigte sie anhand von Helmut Lachenmanns Guero (1969), Heinz Holligers Studie über Mehrklänge (1971) und dem Stück Intim (2008) der lettischen Komponistin Santa Buss (*1981), inwiefern neue Spieltechniken sich über den Klang auf die kompositorische Ästhetik, die musikalische Form und die Notation auswirken. Einer ähnlichen Fragestellung hatte sich Olja Janjuš (Wien) zugewandt. Sie erklärte anhand mehrerer Werkfassungen in verschiedenen Besetzungen von Franz Liszts Loreley, wie Änderungen in der Faktur des Klaviersatzes und die Orchestrierung die Bedeutung eines Liedes insgesamt verändern können.

Den meisten auswärtigen TeilnehmerInnen (auch jenen, die aus slawischsprachigen Ländern kommen) verlangte es einiges an Aufmerksamkeit und Geduld ab, dass etwa der Hälfte der zwanzig auf Polnisch gehaltenen Referate sowie ein Workshop der in Breslau lehrenden Musikpädagogin Amelia Golema kein ins Englische übersetztes Material beigefügt war (offiziell war die Konferenz jedoch als zweisprachig angekündigt worden). Sich rechtzeitig neben jemanden zu setzen, der der Landessprache mächtig war und flüsternd simultan übersetzen konnte, gelang nicht immer.

Eine die Konferenz beschließende Special Lecture gab der momentan äußerst erfolgreiche tschechische Maler Vladimir Kiseljov (*1984). Dass man ihn eingeladen hatte, verwies wiederum auf die Art, wie die Konferenz sich Fragen von Intertextualität vorwiegend näherte: indem Kunstsparten aufeinander bezogen wurden. In einer einstündigen, auf Englisch und Polnisch gehaltenen Keynote referierte Kiseljov, auf welch je unterschiedliche Weise er sich immer wieder von Musik (insbesondere der von Wagner und Richard Strauss) hat inspirieren lassen und was diese Inspiration für seine Bilder ausmacht. Der Maler zeigte, was Gemälde, die er still im Atelier konzipiert hatte, von solchen unterscheidet, die live, zur Aufführung eines Musikstücks oder während des Hörens einer Musikaufnahme entstanden sind. Während Kiseljovs direkt musikinspirierte Gemälde die Bewegung der Musik in Bewegung der Malerfaust übersetzen und daher abstrakt sind oder nichts im üblichen Sinne abbilden, erzählen die sozusagen ohne Ton konzipierten Bilder Geschichten aus Opern oder porträtieren bestimmte Rollen aus ihnen.

Wie in den letzten zwei Jahren soll es auch diesmal eine zweisprachige (polnisch-englische) Publikation der Konferenzbeiträge geben.