L’évolution des carrières des compositrices et interprètes du XVIIIe au XXIe siècle en France et en Allemagne: approches analytiques, sociologiques et historiques.
Französisch-deutsches Colloquium. 2. Arbeitstreffen zum Forschungsprojekt 2017–2019
10.2.2018
Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig
Programm
Asmir Jakupović, Jiyoung Woo und Gesine Schröder
Mit dem Beginn des Wintersemesters 2017/18 startete eine auf zwei Studienjahre angelegte Kooperation zwischen der Musikabteilung der Université Paris-Sorbonne und der Fachrichtung Komposition/Tonsatz der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig. Thematisch geht es bei der französisch-deutschen Kooperation um Interpretinnen, Komponistinnen, Improvisatorinnen, Theoretikerinnen, Musikologinnen, Musikschriftstellerinnen oder Mäzeninnen, kurz: Frauen, die musikalisch oder musikbezogen aktiv waren bzw. sind. Speziell ist der interdisziplinäre Zugang des Projekts. So sind die Fachgebiete Musikalische Analyse und Musikhistorie (vertreten durch Viviane Waschbüsch, Catherine Deutsch und Raphaelle Legrand) sowie Elektroakustische Musik (vertreten durch Marc Battier) von Seiten der Pariser Initiator*innen, aber auch Soziologie (vertreten durch Jean-Marie Seca, Université de Lorraine, Metz) einbezogen; die Fachrichtung Komposition/Tonsatz der Leipziger Hochschule, zu der auch der selbständige Studienzweig Improvisation gehört, wird durch Gesine Schröder vertreten. Die Kooperation umfasst sowohl Forschung und deren Präsentationen bei Arbeitstreffen, Symposien und Kolloquien als auch Lehrveranstaltungen, darunter einen zweijährigen Zyklus von Analyseseminaren an der Leipziger Hochschule. Nachdem im Dezember 2017 in Paris ein erstes zweitägiges Symposium mit integriertem Lehrveranstaltungscharakter und einem angehängten Seminar abgehalten worden war, fand Ende des Wintersemesters 2017/18 in Leipzig ein zweites, diesmal eintägiges Treffen statt.
Der gastgebenden Fachrichtung entsprechend lag ein Akzent auf Berichten zu forschender künstlerischer Tätigkeit und deren Reflexion. So präsentierte die aus Japan stammende Michiko Saiki, eine in Leipzig ansässige Pianistin und Multimediakünstlerin, einen Ausschnitt aus ihrer im letzten Jahr in den USA abgeschlossenen Dissertation. Überlegungen dazu, wie belangvoll es für das Verhältnis Instrument/Spieler*in bzw. Flügel/Pianist*in ist, welcher menschliche Körper das Instrument traktiert, ließ Saiki eine eigene Vorführung des Stücks speak to me for a vocalizing pianist von Amy Beth Kirsten (*1972) folgen. Saikis virtuoses und witziges Sprechen, Flüstern und Murmeln, bei dem die Klaviertöne die menschliche Stimme im wörtlichen Sinne instrumentieren, hinterließ auch eine Ahnung davon, wie wenig das Stück mit sich identisch bleibt, wenn der aus- und aufführende Körper ein anderer ist. Theoretisch inspiriert sind Saikis Ausführungen von französischen poststrukturalistischen Kulturtheoretikerinnen wie Hélène Cixous, Luce Irigaray und Julia Kristeva. Auf Cixous’ in »Das Lachen der Medusa« entfalteter Idee des Sich-selber-Schreibens fußt Saikis pianistisch-vokales Konzept einer feministischen Ästhetik. Diesem zufolge schreiben sich Komponistinnen und Performerinnen, die ihre Stimme für die Klangproduktion nutzen, in einer schlichten sehr direkten Umsetzung mit ihren Leib der Geschichte ein.
Über den Prozess des musikalischen Schreibens mit Unterfütterung durch die Theorie Judith Butlers sprach Fojan Gharibnejad, eine kurdisch-iranische Komponistin und Geigerin, die in Leipzig bei Claus-Steffen Mahnkopf studiert. Wie sich Körperlichkeit in Musik verkörpern lasse, ist eine Frage, die sich als roter Faden durch Gharibnejads Arbeiten zieht. Über die Performance könne es dabei zur Darstellung von körperlicher Virtuosität kommen, und der Körper werde in der Performance zum Mittel, sich als soziales Wesen zu entfalten. Gharibnejad exemplifizierte ihren Ansatz des musikalischen Schreibens anhand ihrer Ensemblekomposition Thou wast born of Woman, in der eine Performerin sich vor dem Konzert bewegungslos am Eingang auf den Boden legt, so dass das Publikum über ihren Körper steigen oder springen muss, um in den Konzertsaal zu gelangen. Die Performance lässt das Thema körperlichen und emotionalen Schmerzes in das intersubjektive menschliche Zusammenspiel eindringen und schafft einen offenen Raum für diverse Interpretationen: Verstehen kann man sie als Diskurs über Passivität und Aggression, als Darstellung des Selbst als Opfer, welches der Reziprozität von Missbrauch und Selbstverleugnung ausgesetzt ist, oder als den für sadomasochistischen Austausch nötigen Verzicht auf Macht.
Nochmals Übergänge zwischen Forschen, Produzieren und Reflektieren führte Sarvenaz Safari vor, eine Spezialistin für Mikrotonalitäten jeglicher Couleur, die an der Leipziger Hochschule Kurse in musiktheoretischen Fächern und Musikwissenschaft gibt. Safari, für die Mikrotonales ein neutrales Material darstellt, welches durchaus nicht zu esoterischen musikalischen Aussagen führen müsse, demonstrierte Versionen ihres kompositorischen Umgangs mit Mikrotönen anhand ihrer Stücke Cru (2015) und »As« you like it (2017). Den Ausgangspunkt des zuletzt genannten Stücks, dessen Uraufführungsmitschnitt Safari vorführte, bilden Momente von Dekor und substanziellem Ornament.
Untersuchungen von zwischen dem 18. und dem ausgehenden 20. Jahrhundert entstandener Musik und Phänomenen des Musiklebens waren die weiteren Vorträge des französisch-deutschen Arbeitstreffens gewidmet. Die aus Brasilien stammende Imyra Santana gab einen Einblick in die Materialien, die sie für ihre in Arbeit befindliche Dissertation an der Sorbonne gesammelt hat. Sie sprach über das Renommee und die Arbeitsbedingungen französischer Instrumentalistinnen im mittleren 18. Jahrhunderts. Santanas Übersichten über Anstellungsverhältnisse ergab, dass Musikerinnen in privaten Ensembles und Kapellen der Aristokratie deutlich häufiger anzutreffen waren als zu späterer Zeit, zumal dort, wo sich vom Bürgertum initiierte und finanziell unterhaltene Orchester mit regulären Anstellungen etablierten. Gehaltslisten fördern unerwartete Ergebnisse zutage. So wurden Frauen des 18. Jahrhunderts keinesfalls durchweg schlechter honoriert als ihre männlichen Kollegen, und eine Reihe einflussreicher Lehrerinnen sorgte für die breite Anerkennung von Spielerinnen bestimmter Instrumente wie unter anderem der Harfe und der Violine.
Gut bestellt ist es mittlerweile um Forschungen über Musikerinnen, die der Geselligkeitskultur der früheren deutschen Romantik mit den für sie charakteristischen Genres des Kunstliedes und des lyrischen Klavierstücks zugerechnet werden können. Innerhalb dieses Themenfelds positionierte Britta Giesecke von Bergh, Lehrende der Fächer Musiktheorie, Gehörbildung und Instrumentenkunde in Leipzig und Hannover, ihre analytischen Studien zur Harmonik und Syntax in Klavierstücken von Josephine Lang (1815–1880). Langs Lied ohne Worte in G-Dur von 1841 stellte Giesecke von Bergh dabei einer gleichnamigen und in der gleichen Tonart stehenden Komposition Mendelssohns gegenüber, um die introduzierenden Takte und insbesondere Übergänge stilkritisch zu diskutieren.
Katharina Charlotte Blassnigg, die in Leipzig Tonsatz und in Wien Gehörbildung lehrt, berichtete von einem wissenschaftlich-künstlerischen Projekt über Julie von Webenau (1813–1887). Aus welchen Gründen Blassnigg die Techniken für ihre Instrumentierung des in den 1840er-Jahren geschriebenen Klavierliedes »Der Bescheidene« auswählte, erklärte sie mit feinen analytischen Kommentaren zu dem, was Webenau, die ein Gespür für die Qualität neuester Lyrik besaß, sich an musikalischen Gestaltungsmitteln bei den variativen harmonischen Fassungen der Liedstrophen geleistet hatte. Blassnigg führte ihre zu einem Zyklus von vier Webenau-Liedern gehörige Instrumentierung anhand eines Mitschnitts aus einem Konzert mit dem Akademischen Symphonieorchester der Wirtschaftsuniversität Wien von 2013 vor.
Der neueren Musikgeschichte waren Vorträge von Lisa Baeyens, die in Leipzig bei Thilo Augsten Improvisation studiert, von Viviane Waschbüsch, Komponistin, Geigerin und Forscherin an der Université Paris-Sorbonne (IReMus – Institut de Recherche en Musicologie) und Hauptverantwortliche der Kooperation, sowie von Eric Busch, Lehrer im Fach Elektroakustische Musik in Leipzig und Mitarbeiter am dortigen Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, gewidmet. Baeyens untersuchte, wie Stilmischungen zwischen Jazz und traditioneller indischer Musik in den Stücken von Alice Coltrane (1937–2007) funktionieren und wie Coltrane zu solchen Mischungen gelangt war. Anhand der Gegenüberstellung zweier in einem gewissen Zeitabstand entstandener Stücke zeigte Baeyens auf, dass Jazzelemente, die in einer Anfangsphase solcher Vermischung mit Schlagzeug- und Basspartien sehr präsent blieben, sich gegenüber indischen Instrumenten und Skalen zusehends verflüchtigten. Waschbüsch und Busch sprachen über elektroakustische Komponistinnen, Waschbüsch über die avantgardistischen und später stark vom Buddhismus geprägten Produktionen von Éliane Radigue (*1932), wobei sie generelle Überlegungen zur Methodik der Analyse elektroakustischer Musik einfließen ließ, Busch über die »mother of British electronic music« Delia Derbyshire (1937–2001), unsterblich geworden mit ihrer Titelmusik zu der Science-Fiction-Serie Doctor Who. Busch unternahm eine Rekonstruktion von Derbyshires experimentellem Arbeitsprozess. Bei Waschbüschs und Buschs Vorträgen erwies es sich als nützlich, Analysemethoden erprobt zu haben, die von Notentexten unabhängig sind.
Eine Sonderstellung nahm der Vortrag von Arne Lüthke (Leipzig, Tonsatzstudent bei Gesine Schröder) ein, insofern es hier um eine Theoretikerin ging. Thematisiert wurde das Schaffen Elisabeth von der Ostens (*1903). Diese lehrte seit 1939 an der Weimarer Musikhochschule; neben dem Fach Theorie war sie für den Unterricht auf dem Cembalo zuständig. Ihr 1955 beim Musikverlag Breitkopf & Härtel publiziertes Lehrbuch Der musikalische Satz. Harmonie- und Melodielehre fand unter Musikpädagog*innen eine gewisse Verbreitung. Noch ein sächsischer Lehrplan aus den 2000er Jahren führt das Lehrwerk als Referenz an. Der Singende Völker betitelte, zwei Jahre später erschienene Beispielband unterlegt Liedern bezifferte Bässe, die Harmonielehre für die tägliche Musizierpraxis tauglich machten. Dass Musik aus dem 13. und 14. Jahrhundert eine Rolle in von der Ostens Melodielehre spielt, weist auf ihre persönliche Bekanntschaft mit dem Musikwissenschaftler Heinrich Besseler hin, welcher in der frühen DDR für eine Weile an der von Weimar aus nahen Jenaer Universität lehrte. Vor allem mit seinem der Musik des Mittelalters und der Renaissance gewidmeten, schon 1931 erschienenen Band des Handbuchs der Musikwissenschaft hatte er für einen aktualisierenden Zugang zu der Musik jener Epochen gesorgt. Womöglich auch als Tribut an eine Kulturpolitik, welche dazu drängte, russischen Produkten eine gewisse Beachtung zuteil werden zu lassen, finden sich überraschend ausführliche Analysen der Musik von Modest Musorgskij in dem Lehrbuch Elisabeth von der Ostens, deren Lebensspuren sich in den späten 1960er Jahren verlieren.
Mit ihrer umsichtigen Moderation der Vorträge und Diskussionen nahmen Manuel Durão und Christoph Göbel, beide Lehrende in dem Fächern Gehörbildung und Tonsatz an der Leipziger Hochschule, Anteil an dem Arbeitstreffen. Viviane Waschbüsch beschloss die Veranstaltung mit einer konzisen Zusammenfassung der Inhalte und Ergebnisse der Vorträge und Gespräche. Sie leitete die Abschlussdiskussion zu Forschungsdesideraten, die sich mit dem Treffen eröffnet oder gezeigt hatten, und zum weiteren Vorgehen. Für die Fortsetzung der Kooperation sind für Anfang Mai Vorträge mit einem China-Schwerpunkt geplant, zu welchem der Pariser Professor für analytische Musikethnologie und Sinologe François Picard geladen ist. Unter anderem ein Workshop über Burschenschaftsgesänge, konzipiert von Annegret Huber und Andreas Holzer (Wien), wird im Juni als Gegenbild eine Nullsumme weiblicher Musikbetätigungen zeigen. Die Veröffentlichung der Vorträge der Arbeitstreffen und Symposien in einer Publikationsreihe der Sorbonne ist in Aussicht gestellt.