Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft »Musiktheorie und Neue Medien« der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH)
6. – 7. 4. 2018
Hochschule für Musik Freiburg
Tagungsprogramm
Konrad Georgi
Das Thema des Treffens lautete »Im Kontext einer Plattform – Ideen und Aspekte zur fachlichen, methodischen und mediengestützten Zusammenarbeit in der Lehre«; die Tagung wurde mit einer kurzen Ansprache des Rektors der Hochschule Ludwig Holtmeier eröffnet, der die Gäste und Referenten begrüßte.
Felix Diergarten (HfM Freiburg) referierte über Historische Satzlehre und Neue Medien: Auf Anhieb scheinen die Attribute ›historisch‹ und ›neu‹ einen Widerspruch oder doch zumindest eine große Distanz zu skizzieren. Wie er zu zeigen versucht hat, sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Auch und vielleicht gerade in den Bereichen der Musiktheorie, die hier als Historische Satzlehre beschrieben wurden, zeigen sich die Möglichkeiten des sehr breit gefächerten Zusammenarbeitens auf einer Plattform unter Einsatz der Neuen Medien. ›Historische Satzlehre‹, wie sie hier verstanden wird, ist dem Wesen nach fächerübergreifende Zusammenarbeit. Sie bezieht immer historische Aspekte des Anfertigens, Notierens und Aufführens von Musik mit ein, insbesondere Techniken der stilgebundenen ›Improvisation‹, etwa mithilfe von Satzmodellen. In all diesen Bereichen lassen sich Neue Medien einsetzen, so zum Beispiel bei Transkriptionsaufgaben im Bereich Alter Musik – geteilter Bildschirm, auf der einen Seite können sich die Studierenden durch das Faksimile scrollen, auf der anderen Seite können sie per Klicken oder MIDI-Keyboard ihre Transkription eingeben. Je nach Schwierigkeitsgrad können unterschiedliche Bestandteile der Transkription im Sinne eines Lückentexts durch den Dozierenden bereits freigegeben sein. Ob Lernkontrolle durch Abspielen und Anhören oder Singen aus alter Notation: Das zu entziffernde Stück muss komplett transkribiert hinterlegt sein. Die Studierenden wählen sich nur eine Stimme des mehrstimmigen Satzes aus, die sie singen bzw. spielen wollen. Nun können die beiden anderen Stimmen vom Computer abgespielt werden, die Studierenden sehen dazu ihre eigene Stimme in originaler Notation und singen bzw. spielen sie in das Gehörte hinein.
Auch im gesamten Contrapunto-alla-mente-Bereich lassen sich unter Einsatz Neuer Medien viele spielerische Ideen realisieren, die einmal mehr die für die Historische Satzlehre charakteristische Überschneidung von Fähigkeiten und Fächern zeigen. Gleiches gilt für die diversen Möglichkeiten des Improvisierens z.B. von Kanons (so kann die Dux-Stimme sowohl vom Studierenden als auch vom Computer geliefert werden).
Ein ganz großes Thema könnten natürlich auch Generalbass und Partimenti sein. So ist leicht vorstellbar, dass den Studierenden am MIDI-Keyboard ein Generalbass oder Partimento auf dem Bildschirm vorgelegt wird. Man kann das Tempo frei einstellen, dann läuft der Bass im Tempo über den Bildschirm, immer mit ein paar Takten Vorschau natürlich. Die Studierenden realisieren in Echtzeit den Generalbass und sehen hinterher in Notation, was sie gespielt haben. Könnte so ein Programm in der Lage sein, die Richtigkeit der Realisierung zu überprüfen, trotz Freiheiten der Realisierung und Verzierung? Idealerweise würden die Studierenden am Ende einer Übe-Session sofort eine Auswertung bekommen: Bei welcher Generalbassziffer sind regelmäßig Fehler aufgetreten? An welcher Stelle im Stück hat es meistens gehapert? Welches Tempo wurde erreicht?
Entsprechendes gilt für den Bereich der Stilkopie. Hier ließe sich z.B. das traditionelle Arbeiten mit Lückentexten auf Arbeitsblättern hervorragend digital optimieren. Das fertige Stück wäre komplett digital hinterlegt. Welche Lücken wo entstehen, kann die Lehrperson dann für einzelne Studierende über Einstellungen ändern. Überprüft werden können die Ergebnisse wieder durch Vorspielen oder Abgleichen mit einer Lösung, noch besser natürlich durch ein Programm, der (wie beim Generalbass eben) die Richtigkeit der Realisierung überprüfen kann.
Im Vortrag Herausforderung und Chance: Digitale Audio Workstations (DAW) in der Lehre von Philipp Teriete (HfM Freiburg) ging es zunächst um einen Vergleich traditioneller Kompositionstechniken mit Techniken der Musikproduktion des 21. Jahrhunderts. Das traditionelle Skizzieren/Ausarbeiten einer Komposition mit Stift und Papier bzw. durch Notensatzprogramme wurde der Verwendung von mobilen Applikationen und interaktiven Desktop-Programmen gegenübergestellt (»Piano Roll« Notation ohne Partitur, Instrumentation mit Hilfe von virtuellen Klangbibliotheken, den sogenannten »Virtual Sound Libraries«, Verwendung der DAWs in der Film- und Videospiel-Musik, z.B. Logic X Pro, durch DJs und in der Popmusikproduktion, z.B. Ableton Live und Fruity Loops). Dabei wurde auch die Rolle der inneren Klangvorstellung/des Hörens, der musiktheoretischen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie die in Zukunft notwendige Erweiterung des digitalen Kompetenzspektrums von Komponisten und Musiktheoretikern diskutiert. In vier Teilen wurde anschließend anhand von praktischen Beispielen aufgezeigt, welche Möglichkeiten die DAWs in der musiktheoretischen Lehre eröffnen können:
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Im Instrumentationsunterricht können Programme wie Logic Pro X, unter Verwendung der virtuellen Klangbibliotheken wie etwa Vienna Symphonic Library, East West Hollywood Instruments das Ausprobieren verschiedenster Instrumentationen ermöglichen, von kleinen und seltenen Besetzungen bis zu großen Ensembles und vollem Orchester.
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Im Kompositions-, Arrangement- und Satzlehre-Unterricht können DAWs als digitales ›Reißbrett‹ dienen, um spielerisch Formen und Gerüstsätze zu skizzieren und auszuarbeiten (die durch Formate wie Music XML ebenfalls in Notationsprogramme importiert und dort weiterverarbeitet werden können).
- Im Improvisationsunterricht können DAWs eine Plattform für die Erstellung von Improvisationsübungen darstellen (z.B. Kanonimprovisation/»contrapunto alla mente« durch Mehrspur-Aufnahmen). Anhand der Applikation iReal Pro wurde praktisch demonstriert, wie Jazzstandards und Improvisationen über zyklische Formen interaktiv geübt und selbst entwickelt werden können.
- In der Gehörbildung eröffnen die DAWs neue Möglichkeiten des Trainierens und des Prüfens. Es wurde zunächst gezeigt, wie man mit Hilfe von Programmen wie Transcribe Musik transkribieren und nachspielen lernen kann. Konrad Georgi ergänzte den Vortrag dann durch eine Demonstration am Midi-Keyboard, wie Logic Pro X zum praktischen, vergleichenden Lernen und Prüfen eingesetzt werden kann.
Zum Abschluss des Vortrags resümierte Philipp Teriete, dass die DAWs für die Musiktheorie eine große Chance darstellen und durch sie nicht nur die Qualität der Darstellung traditioneller Inhalte verbessert werden kann, sondern vor allem auch kreative und neue Wege der Vermittlung und des Lernens eröffnet werden.
Moritz Heffter (HfM Freiburg) stellte eine Außenstimmen-Analyse-App – Ein Werkzeug für den Musiktheorie-Unterricht vor. Die vorgestellte App bietet zwei Modi für Annotationen, nämlich für Klausel-Analyse und die Analyse der Außenstimmen hinsichtlich der kontrapunktischen Bewegungsarten und des Konsonanz/Dissonanz-Verhältnisses der beiden Stimmen. Als Generelle Eigenschaften sind zu nennen die Automatische Annotation von Außenstimmen-Sätzen in den zwei oben genannten Modi, die Visualisierung der kontrapunktischen Beziehung von zwei Stimmen und die Verwendung von historisch informierter und systematischer Terminologie. Eine Anpassung an die eigenen Bedürfnisse ist möglich, eine Weiterentwicklung ist in Arbeit. Vorlagen und Templates stehen zur Verfügung; die App ist nicht auf diese Vorlagen beschränkt, sondern es können eigene Melodien und Aufgaben rund um die App entworfen werden. Die App ist als Werkzeug nicht zweckgebunden. Sie hat einen offenen Quellcode, Repository unter:
https://glarean.mh-freiburg.de/git/heffter/Aussenstimmen-Analyse
Die App ist primär für Übungszwecke außerhalb des Unterrichts konzipiert; die Visualisierungen können aber evtl. auch im Unterricht gute Dienste leisten. Die App ist erweiterbar und für eigene Zwecke anpassbar. Die App verarbeitet unkomprimiertes musicxml. Die Daten werden nicht auf dem Server gespeichert. Die App ist frei, erweiterbar und anpassbar.
Zum Abschluss des Vortrags wurden Überlegungen zu grundsätzlichen Eigenschaften digitaler Werkzeuge angestellt. Werkzeuge sollten in ihrer Anwendung möglichst offen sein. So nutzt die Außenstimmen-App als Beispiel die Visualisierung der App zur graphischen Darstellung von Stilwandel oder Satztypen, Visualisierung von Diminutionen; hervorzuheben sind außerdem die automatische Annotation eines ganzen Korpus und die Möglichkeit einer statistischen Auswertung von Bewegungsrichtungen und Klauselschritten. Werkzeuge sollten anpassbar und erweiterbar sein; die Arbeitsweise der Werkzeuge muss transparent sein. In den meisten Fällen sollten keine binären („ja/nein“) Bewertungen stattfinden. Für die MusiktheoretikerInnen bietet die Entwicklung von digitalen Werkzeugen einen ganz eigenen Zugriff auf Inhalte ihres Faches. Gerade die Arbeit mit Annotationen und Datenverarbeitung führt dazu Probleme und Themen neu unter verschiedenen Perspektiven zu durchdenken.
Hans Aerts (HfM Freiburg) berichtete in seinem Vortrag Blended Learning mit Wikipedia: Wieso (nicht)? über seine Erfahrungen als Wikipedia-Autor. Seit einem knappen Jahr hat er dort verschiedene Musiktheorie-Artikel überarbeitet und hinzugefügt. Sein Eindruck: Angesichts der äußerst geringen Präsenz von Fachkundigen auf dieser Plattform vernachlässige das Fach Musiktheorie eine wertvolle und wirksame Infrastruktur und die Möglichkeit zur Darstellung des Faches, wie es sich seitens der Hochschulen entwickelt und selbst sieht. Auch in der Hochschullehre könnten WP-Seiten manche Unterrichtsskripte in Papierform ersetzen, wenn sie denn entsprechend gepflegt würden.
Entscheidungsfindungen würden vermutlich leichter und zielführender, wenn mehr GMTH-Mitglieder sich beteiligen würden – nicht zuletzt auf den
https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Diskussionsseiten.
Aerts warb daher um MitstreiterInnen; nähere Auskünfte und praktische Hilfestellungen für (Wieder)EinsteigerInnen erteilt er gern unter:h.aerts@mh-freiburg.de
Jörg Scheele (HfM Freiburg) thematisierte Neue Medien im Intonationsunterricht. Intonations-Unterricht (»Praxis der Intonation«) ist an der Freiburger Musikhochschule seit fast 15 Jahren fest etabliert: als Pflicht- und Wahlmodule für Streichquartett, Bläserquintett oder A capella-Ensembles, als Vorspiel- oder Probespiel-Training für Instrumental- und Gesangs-Studierende, als Arbeitsraum für intonatorische Fragen und Probleme von Dirigier-Studierenden und deren ausgewählter Chor- und Orchesterliteratur, sowie für Korrepetitions-Studierende und den von ihnen begleiteten SolistInnen.
Das Anforderungsprofil umfasst vor allem die Lösung typischer Intonationsprobleme, der Intonation von Einzelakkorden oder von größeren und komplexeren harmonischen Kontexten durch harmonisch-formelle Analyse in Verbindung mit theoretischem Grundwissen der Intonation: Pythagoräische, gleichstufig temperierte und harmonische reine Intonation, vergleichsweise demonstriert mit Audio-Beispielen einer Quintfallsequenz; Euler'sches Quint-Terz-Tonnetz der Reinen Intonation, Cent-System nach Ellis sowie Intonationszeichen nach Helmholtz/Ellis. Methodisch soll zwischen verschiedenen »Aggregatszuständen« unterschieden werden: Tonhöhen-Dimension entweder physisch (»Position« des Tons als Tonhöhe im Tonsystem/Tonnetz) vs. psychisch (Ton als Spannungszustand in Akkord und Melodie gleichzeitig, darstellbar mit Handzeichen).
Für die Erstellung von Übungen zur Intonation muss »Intonations-Editing« betrieben werden: Durch Einbindung von Intonationszeichen in Notations-Software und intonatorischer Tonhöhen-Bearbeitung von Audio-Spuren, z.B. in »Melodyne« (Celemony).
Auf der neuen »Glarean«-Lernplattform der Freiburger Musikhochschule werden Übungen zur Intonation online zur Verfügung gestellt. Studierende können die in Seminaren und Übungen thematisierten Inhalte (Analysen mit Intonationszeichen, Klangbeispiele) jederzeit und von überall vertiefend weiter üben und so die Kompetenz analytischen-intonatorischen Arbeitens erlernen.
Im Vortrag Blended Learning und Open Educational Ressources zur Musik von Ulrich Kaiser (HMT München) wurden Erfahrungen mit dem Blended Learning im Rahmen der Lehramtsstudiengänge an der Hochschule für Musik und Theater München referiert. Eine Aufgabe, die erst im vergangenen Semester begonnen worden ist, besteht in der systematischen Erstellung unterrichtsbegleitender Lernvideos. Mit diesen Videos wird der Versuch unternommen, einer in München problematischen Diskontinuität aufgrund fehlender Anwesenheitspflicht konstruktiv zu begegnen. Ziel ist es, durch Playlists (auf YouTube) ein eigenverantwortliches Lernen von Grundlagen der Musiktheorie zu ermöglichen. Gleichzeitig können dadurch Inhalte zu Themen der Musiktheorie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.
Zur Erprobung des Zusammenspiels von Präsenzunterricht und Online-Tutorials liegen bereits positive Erfahrungen vor. Tutorials zu Themen der Musiktheorie entlasten den Präsensunterricht von Inhalten, die sich eigenverantwortlich lernen lassen und online frei verfügbar sind. Darüber hinaus lässt sich durch den Einsatz von Tutorials Zeit im Präsenzunterricht freisetzen, die genutzt werden kann, um Problemen bei der Anwendung des Gelernten sowie in der musikalischen Analyse besser begegnen zu können. Als eine Voraussetzung für den gewinnbringenden Einsatz von Videos und Tutorials erwies sich die Integration der Materialien in ein übergeordnetes didaktisches Konzept.
Links:
http://musikanalyse.net/tutorials/
http://oer-musik.de/harmonielehre/
Für den Vortrag von Ralf Mattes (HfM Freiburg) Der wachsende Werkzeugkasten eines Musiktheoretikers wechselten die Teilnehmer aus dem Tagungsraum (Hörsaal R 117) in die Bibliothek und dort in die demnächst eröffnende Digithek. Der Referent informierte zunächst über den Werdegang sowie über die Möglichkeiten und Hintergründe der Entwicklung neuer digital ausgerichteter Arbeitsplätze, darüber hinaus über die Entstehung der neuen Lehr- und Lernplattform GLAREAN. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass sich Teilnehmer einer Arbeits- oder Entwicklergruppe inmitten der Bibliothek, also inmitten von Partituren und Audioaufnahmen bei ausgezeichneter Netzanbindung treffen können, um sozusagen ›an Ort und Stelle‹ Projekte voranzutreiben.
Im Anschluss daran referierte Mattes, der sich als Programmierer immer wieder tiefen Einblicken im Strukturwandel wissenschaftsorientierter IT-Bereiche von Universitäten gegenübersieht, im Kontext neuer Softwaremöglichkeiten über die Nachhaltigkeit von Datei-Formaten. Thematisiert wurde in diesem Zusammenhang die reale Gefahr ganze Daten-, Kunst- und Informationsbestände aufgrund oftmals wirtschaftlich bedingter Abbrüche der Pflege bestimmter Daten-Formate, zu verlieren. Mattes empfahl eindringlich, zur Datenerfassung im wissenschaftlichen Kontext offene Formate zu verwenden. Die Bereitstellung digitalisierter Daten im Sinne von Open Data (https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Data) fördert nicht nur die Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen, sondern ermöglicht es auch, bestehende Daten ohne redundante Mehrfachdigitalisierung für weitere Forschungsprojekte zu nutzen. Durch die stetig wachsende Zahl solcher öffentlich zugänglicher Daten wird es in Zukunft immer wichtiger sein zu diesen Daten Metadaten in einem standardisierten Format bereitzustellen. In diesem Zusammenhang scheint es notwendig, ein dem Fachbereich Musiktheorie angepasstes Vokabular für solche Metadaten zu entwickeln.
Gerade weil die Menge und Vielfalt der in den letzten Jahren entstandenen Werkzeuge erstaunlich ist, ist es oft schwer für eine sich stellende Aufgabe das adäquate Werkzeug zu finden. Es scheint daher angebracht, in einer kommentierten Linksammlung einen Überblick dieser Werkzeuge zu erstellen bzw. die Informationen aus bestehenden Linksammlungen zu Teilgebieten zu konsolidieren.
Derek Remeš (HfM Freiburg) referierte über Mediengestütztes Lernen mit Fenarolis Partimenti: Die pädagogische Vermittlung von Partimenti steht nicht selten vor der Herausforderung, dass Übungen für Studierende, die Klavier als Nebenfach belegen, mitunter zu schwierig sind. Darüber hinaus mangelt es in Unterrichtssituationen, in denen es um die schriftliche Erarbeitung von Kontrapunktinhalten geht, oftmals am praktischen Bezug. Derek Remeš stellte eine Methode vor, die diese Hindernisse überwinden möchte. Einerseits werden Partimenti als Lückentexte durch selbstständige Lösungen instrumentalpraktisch vervollständigt, andererseits werden unterschiedliche Generalbass-Realisierungen einander gegenübergestellt. Diesbezüglich verwendet Remeš zum einen akkordbasierte, zum anderen kontrapunktisch orientierte Lösungen. Erstere eignen sich gut für Studierende, die Klavier im Nebenfach studieren, letztere geben über die praktische Erarbeitung hinausgehend Anregungen für die schriftlichen Arbeiten. Die synoptische Darstellung beider Realisierungen verdeutlicht das Wechselverhältnis zwischen Verzierung und Reduktion. Besagte Übungen stehen als PDF und Music XML Dateien auf (www.derekremes.com/teaching/partimento) zur Verfügung.
Klara Baumann (HfM Freiburg) stellte in ihrem Vortrag GLAREAN in der FAB – individualisiertes und eigenverantwortliches Gehörbildungstraining für die Eignungsprüfungen vor, welche Funktion die Lehr- und Lernplattform Glarean in einem Gehörbildungsunterricht übernehmen kann, der bestrebt ist, individualisiertes Lernen mit einem hohen Grad an Eigenverantwortung bei den Studierenden zu initiieren und zu begleiten. Sie berichtete von ihrer Konzeption am Beispiel der Jungstudierenden an der Hochschule für Musik Freiburg, die sich gezielt auf die Eignungsprüfungen in Gehörbildung für ein Hochschulstudium vorbereiten.
Thomas Wenk (HfM Freiburg) referierte über Schubert: Der Tod und das Mädchen – Programmatische und instrumentalspezifische Aspekte als Lehrbeispiel medial aufbereitet. Für die konkrete Lehrsituation wurden verschiedene Medien und Aufgabentypen auf der Lehr- und Lernplattform GLAREAN bereitgestellt, um sie in improvisatorisch-flüssigen Unterrichtsverläufen flexibel handhaben zu können bzw. den Studierenden später einen individuellen Zugang zu ermöglichen.
Da vielen außereuropäischen Studierenden der kulturelle Kontext fehlt, wurde mit Abbildungen zum Totentanz auf das spezifische Thema »Tod und Mädchen« hingeführt und eine Aufnahme der Claudius-Vertonung durch Schubert angehört, um dann zum Variationssatz des entsprechenden Streichquartetts überzugehen. Begleitend wurden Skripte mit klavierpraktischen, satztechnischen und höranalytischen Aufgaben bereitgestellt, die den Studierenden individuell zugeordnet werden konnten.
Tatsächlich verkürzte die digitale Lernplattform in diesem Projekt Wege (Bibliotheken, Kopierer) und sparte nicht zuletzt Papier, da nicht alle Schritte – einschließlich unterschiedlicher Lösungsansätze – ausgedruckt werden mussten. Die zeitliche Optimierung durch Entgrenzung eines gemeinsamen Stundenplans ist darüber hinaus erheblich. Da wesentliche Neuerungen unter anderem in der digitalisierten Lernkontrolle, in diversen Trainings- und Evaluationsmöglichkeiten bestehen, werden sich im Zuge einer fortschreitenden Digitalisierung auch die Formate des Lehrbetriebs ändern. Nicht opfern sollte man ergebnisoffene Diskussionen, persönliche Bezüge, die motivierende Unterrichtsteilnahme (Anwesenheit) sowie den Personalstil beteiligter DozentInnen. Digitalisierung führt in kreativen Arbeitsbereichen mitunter zur Vereinheitlichung vorgegebener Wege und dadurch möglicherweise zur Verarmung von Ergebnissen.
Konrad Georgi (HfM Freiburg) thematisierte in seinem Vortrag Musiktheorie praktisch :) … Neue Aufgabentypen für die Gehörbildung Aufgaben zum vergleichenden Hören. Exemplarisch wurde die ursprüngliche Fassung des 2. Satzes aus Mozarts Streichquartett Nr. 3, KV 156 verwendet. Dort befinden sich lineare Bassführungen, die nahezu sämtliche Fortschreitungsmöglichkeiten der Oktavregel beinhalten. Portioniert in Segmente von jeweils zwei Akkorden galt es höranalytisch festzustellen, welche Bassstufen welchem gehörten Abschnitt zuzuordnen waren. Um den Trainingseffekt zahlreicher Vergleiche zu ermöglichen, wurden die ausgewählten Fortschreitungen transponiert und in eine vom Referenten während des Vortrages präsentierten neuen Lernapplikation implementiert. Diese ist als Captivate-Template konzipiert, die mit bis zu 6 ganz unterschiedlichen jeweils zu vergleichenden Stellen befüllt werden kann. Nutzer können sich nach Absolvieren selbst ausgewählter Vergleichsreihen eine Auswertung erstellen, die, weil die Anwendung SCORM-fähig ist, in eine Lernkurve eingepflegt werden kann.
Nathalie Meidhof (HfM Freiburg) und Matthias Scherer (HfM Freiburg) stellten in ihrem Vortrag Lernvideos im Musiktheorieunterricht. Werkstattbericht ihr interdisziplinäres Projekt zu Lernvideos im Musiktheorieunterricht vor: Meidhof als Musiktheoretikerin führte die didaktische und inhaltliche Konzeption der Videos aus. Scherer als Musikpädagoge zeigte sein Konzept für einen niederschwelligen Ansatz zur Erstellung und Implementierung von Lernvideos, das er in zyklischen Abständen forschungsbasiert weiterentwickelt und evaluiert. Sie sollen als Ergänzung zum Unterricht dienen und den Studierenden ermöglichen, die praktischen Anteile im Musiktheorieunterricht, zum Beispiel das konkrete Vorgehen bei der Bearbeitung von satztechnischen Aufgaben, jederzeit und im individuellen Tempo noch einmal nachzuvollziehen.
Im Vortrag Hinweise zur Digitalisierung alter Schallplatten stellte Ulrich Kaiser (HMT München) ein Webprojekt zur Digitalisierung von Schallplatten vor. Die im Aufbau befindliche Sammlung besteht aus Digitalisaten von Schallplatten, die erstmalig vor dem 1. Januar 1963 erschienen sind und deren 50jährige Schutzfrist nach deutschem Urheberecht im Jahr 2013 abgelaufen war (in diesem Jahr wurde die Schutzfrist auf 70 Jahre verlängert, das Leistungsschutzrecht für Tonträger entsteht nach § 85 UhrG allerdings nicht durch Vervielfältigung von Tonträgern bzw. Nachpressungen älterer Aufnahmen). Die Aufnahmen werden von der Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater aufgenommen und auf den Servern der Bayerischen Staatsbibliothek langzeitarchiviert.
Darüber hinaus wird von Schwierigkeiten berichtet, die Digitalisate des Projekts auf YouTube (Google) zu verwenden. Google hat mit der ›Content ID‹ bereits einen Upload-Filter umgesetzt, der im umstrittenen Artikel 13 der neuen Urheberrechtsrichtlinie der EU gefordert wird. Demnach sollen alle Inhalte auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube, Wikipedia & Co. in Zukunft gezwungen werden, Uploadfilter einzusetzen, um Rechtsverstöße vermeiden zu helfen. Neben politischen Gefahren (Datenschutz, Internetzensur) zeigen die in dem Referat dargestellten Fälle, dass die bei YouTube eingesetzten Uploadfilter derzeit eine legale Verwendung einer nicht mehr urheberrechtlich geschützten Musik verhindern.
Links:
http://cc0.oer-musik.de
https://www.youtube.com/watch?v=p_YMpEhXT0I
Christopher Mueller (München) informierte in seinem Vortrag**Handlungsspielräume für die digitale Lehre im Kontext einer E-Learning Plattform an Musikhochschulen **zunächst grundständig zum Urheberrechtsgesetz sowie zu Verwertungsrechten. Darauf bezogen wurden die unterschiedlichen Leistungsschutzberechtigten im Kontext ihrer jeweiligen Verwertungsrechte benannt. Die für die Forschung und Lehre an Hochschulen relevanten Schrankenbestimmungen wurden im Lichte ihrer zum 1. März dieses Jahres in Kraft getretenen Erneuerungen betrachtet. Im Rahmen des Zitatrechts (§ 51 UrhG) wurde die Stellung einer E-Learning-Plattform sowie das Musikzitat thematisiert. Darüber hinaus wurden die Voraussetzungen rechtmäßiger Zitate sowie die nicht zulässige Bearbeitung, jedoch mögliche Kürzung musikalischer Werke angesprochen. Voraussetzung, vom Zitatrecht Gebrauch machen zu können, ist in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit dem Zitierten und eine Quellenangabe (vgl. § 63 UrhG). Die Ausführungen zur gesetzlich erlaubten Nutzung für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen, ausgehandelt durch die VG Bildkunst und der KMK, brachten das Auditorium recht schnell in einen Fragemodus, der sich einerseits durch das rege Interesse der anwesenden Zuhörer erklärte andererseits auf dem Bedürfnis nach Klärung brennender Fragen beruhte. Christopher Mueller stellte sich allen Anliegen mit großem Sachverstand und liebenswerter Geduld. Abschließend wurden Bereiche des ›Open Content‹ sowie verschiedenen Möglichkeiten zur Lizensierung angesprochen.
René Zühlke (München) gab in seinem Beitrag Die digitale Bildungsressource ›Naxos Music Library‹ in der Lehre an Musikhochschulen zunächst einen Überblick über derzeit verfügbare Streaming-Angebote (klassische Musik, Jazz, Weltmusik und Hörbuch) und deren Zielgruppen. Der Referent belegte seine Ausführungen mit statistischen Werten zur Entwicklung verfügbarer CD's, Tracks, Werke, Musiker, Ensembles, Orchester, Komponisten und Labels. Die Auflistung von Plattenfirmen, die mit Naxos vertragliche Verbindungen unterhalten, verdeutlichte, dass Naxos im Bereich klassischer wie auch Neuer Musik ein umfassendes Angebot bereithält. Interessant war auch der Hinweis, dass Naxos eine eigene Abteilung unterhält, die sich ausschließlich um eine korrekte Erfassung anfallender Meta-Daten kümmert, so etwa beispielsweise im Gegensatz zu anderen Anbietern relevante mitwirkenden Künstler benennt. Als Referenz zur Erfassung von Werktiteln dient der Grove Dictionary of Music and Musicians. Mit dieser exakten Erfassung einhergehend ergeben sich entsprechende Recherche-Möglichkeiten, die, ergänzt durch Informationen zur Klangqualität und den Möglichkeiten zum Erstellen von Playlists, in Folge vorgestellt wurden. Der Vortrag endete mit einem Überblick zu möglichen Abonnements und deren Kosten für Bildungseinrichtungen.
Eine abschließende Diskussionsrunde unter Beteiligung des Plenums setzte sich mit Christopher Mueller, Felix Diergarten, René Zühlke, Konrad Georgi aus einem Juristen, einem Manager aus dem Bereich Digitaler Services sowie kulturdistribuierender Anwender und Hochschullehrern zusammen. Sie loteten gemeinsam aus, wie in Anbetracht des neuen Urheberrechts Impulse für Verbesserungen im Rahmen der Lehre gegeben werden können. Im Kern ging es um Fragen der rechtssicheren Nutzung von Partitur-Ausschnitten, von Audiofiles, deren partielle Wiedergabe, sprich Kürzung sowie um die Bereitstellung von Inhalten in Lehr- und Lernportalen. Konkret wurde die Frage diskutiert, ob die Programmierung eines Players, der in der Lage wäre, gewünschte Ausschnitte gezielt anzusteuern und abzuspeichern, möglicherweise einen beträchtlichen Teil bestehender Wünsche seitens der Lehre bereits abdecken könne.
Verschiedene Fragestellungen aus dem Plenum veranlassten den Diskussionsteilnehmer und Repräsentanten der Firma Naxos zu der Äußerung, wichtige Punkte aufnehmen zu wollen, um diese in firmeninternen Beratungsprozessen zu thematisieren.
Ulrich Kaiser berichtete über die Nichtbeachtung zahlreicher Anfragen bei unterschiedlichsten Plattenfirmen bzgl. der Nutzung von Audiofiles in von ihm initiierten Bildungskontexten. Vor diesem Hintergrund erging von ihm der Vorschlag, die für die Lehre so wichtige partielle Nutzung von Audiofiles (»Schnipseln«) kostenfrei zu ermöglichen und im Gegenzug eine Werbung für die Firma Naxos zu ermöglichen.
Erörtert wurde darüber hinaus die Frage, ob eine kleine Lerngruppe überhaupt eine Öffentlichkeit im Rahmen des Urheberrechts darstelle und ob eine technische Schnittstelle für Lernplattformen im Bereich der Lehre, ein gangbarer Weg wäre, um ein Streamingangebot im Hochschulkontext niederschwellig für Mitglieder der Institution zugänglich zu machen.