Future Music Forum 9
Barcelona
12.-14.9.2018
http://futuremusicforum.com/
Benjamin Vogels
Das Future Music Forum (FMF) in Barcelona ist eine jährlich stattfindende internationale Konferenz der Musikindustrie, die dieses Jahr bereits ihre neunte Auflage erlebte. Während der drei Tage der Veranstaltung fanden Keynotes, Paneldiskussionen, Konzerte, Workshops und Networking-Events statt, die sich an ein außerordentlich vielfältiges Publikum richteten und auch von einem solchen besucht wurden. Unter den über 200 Delegierten fanden sich sowohl Mitarbeiter von führenden Unternehmen der Musikindustrie wie Youtube und Warner Music als auch diverse Gründer von Musik-Startups wie AIMusic und Sonosuite. Dass es sich um eine primär kommerziell ausgerichtete Konferenz handelt, belegte der Pitching-Wettbewerb unter einigen Startups der Branche, der am letzten Tag stattfand.
Während der erste Tag der Konferenz ganz im Zeichen eines Mastering-Workshops und dem Opening Gig in den Räumlichkeiten des Coworking-Unternehmens WeWork stand, wurde am zweiten Tag über aktuelle Entwicklungen der Musikindustrie und den damit verbundenen Folgen diskutiert. Zu Beginn stellte die Sängerin Imogen Heap in einer Keynote ihr Projekt Mycelia vor. Bei Mycelia geht es um den Aufbau einer Datenbank, in deren Mittelpunkt die Verwaltung der Daten von Musikern und Musikerinnen steht, denen ein digitaler so genannter Creative Passport ausgestellt wird. Anhand dieses Passports sollen sie in die Lage versetzt werden, ihre Urheberrechte gegenüber Produzenten, Labels usw. zweifelsfrei nachzuweisen, smart contracts abzuschließen und ggf. Honorare einzufordern. Nutzer von Musik würden Daten aus dem Creative Passport anfordern, deren Zugriff über eine Blockchain-Technologie an den oder die Musikerinnern zurückgemeldet wird. Heap hofft, dass der (sich noch im Alpha-Stadium befindliche) Creative Passport zum Industriestandard wird und damit Künstlern und Künstlerinnen die finanzielle Kontrolle ihres Schaffens erleichtert. Diese Idee vertiefte sie später am Tag in einem parallel zu den anderen Vorträgen abgehaltenen Workshop.
Ebenfalls später am Tag griff ein Panel die Thematik unter dem Titel New Wave of Blockchain Disruption in Music erneut auf. Martin Lacabanne vom Unternehmen Musicoin sah eine der Stärken der Blockchain darin, den Einfluss von Zwischenstationen (middlemen) und den damit verbundenen Kosten bei der Abrechnung und Auszahlung von Tantiemen zu minimieren.
Zuvor jedoch, in der auf Heaps Keynote folgenden Paneldiskussion, sprachen Vertreter aus dem Bereich der digitalen Service Provider (DSP), wie das Musikstreaming der Zukunft aussehen könnte. Dabei wurde festgehalten, dass neben Spotify durchaus Raum für andere Geschäftsmodelle wäre, wenngleich dessen Marktmacht kaum zu überwinden sei. Durch die Konzentration auf regionale Künstler, auf das Streaming von Samples oder auch klassischer Musik sei durchaus Potenzial für erfolgreiche Nischenunternehmungen gegeben. Wiederholt wurde hier auf die Demokratisierung der Streaming-Industrie hingewiesen.
Mit den Produzenten Tom Silverman (Tommy Boy Records) und Dante Ross waren am zweiten Tag der Konferenz zudem Veteranen des amerikanischen Ostküsten-Hiphops vertreten. Silverman gab zunächst unten den Rubriken ›Creation‹, ›Distribution‹, ›Consumption‹ und ›Exposure‹ einen Überlick über die Geschichte der elektronischen Tonerzeugung und -aufzeichnung, der die gegenseitige Beeinflussung von Technologie und Kreativität zeigte. Das anschließend von ihm moderierte Panel schloss an seine Keynote an, und widmete sich der Frage nach Trends im Bereich Sampling und Software. Pär Almqvist, CEO des Sample-Dienstes tracklib sprach davon, die ›algorithmic bubble‹ zu durchbrechen, mit der (nicht nur) Spotify Hörempfehlungen gibt, um so neue Musik entdecken zu können, die von Algorithmen, die auf dem bisherigen Hörverhalten basieren, nicht erfasst werden. Diesem impliziten Verlangen nach ›irrationalem‹ Verhalten schloss sich Silverman an, der provokant fragte, ob eine moderne Digital Audio Workstation (DAW) einen ›fuck-up button‹ (Silverman) benötige, um den kreativen und spontanen Umgang mit der Physik von Musikinstrumenten und ihren Schwächen (z. B. Fehlbedienung) auch in der digitalen Welt zu ermöglichen.
Emilien Moyon, Direktor des Studiengangs für Global Entertainment and Music Business des Berklee College of Music (der mit seiner gesamten Klasse vertreten war), griff in seinem Vortrag den Faden von Silvermans Keynote und dem Panel auf und analysierte, wie aktuelle Technologien Musik formen. Moyon wählte als Beispiel das ›Musikalbum‹, welches als Träger und Rahmen von Musik eine Erfahrung ermöglichte, die durch seine Eigenschaften (Haptik, Abgeschlossenheit, Cover Art, Booklet, Sammlerwert usw.) bestimmt seien. Seit geraumer Zeit erleide das ›Album‹ jedoch einen rapiden Niedergang zugunsten von Einzeltracks und Playlists. Seiner Auffassung zufolge genüge jedoch eine neue Technologie noch nicht, um eine Industrie um die Playlist herum aufzubauen wie es um das Album geschah, solange mit ihr (und mit anderen Technologien) keine vergleichbaren Erfahrungen möglich seien.
Das Panel What AI means for the Future of Music Creation, Adaption and Sync stellte zwei Anwendungen zur dynamischen Adaptierung (content follows context) von Musik vor. Luke Dzierzek, CEO des Unternehmens Scored, präsentierte eine Software, die Musik anhand des dramaturgischen Profils eines Videos (z. B. eines Werbeclips) adaptiert und synchronisiert. Das Unternehmen AIMusic, im Panel vertreten durch seinen CEO Siavash Mahdavi, ging sogar noch einen Schritt weiter. Seine Software ermöglicht die Einspielung einer (mutmaßlich) beliebigen Komposition, die anschließend in Echtzeit in verschiedene andere Stile konvertiert werden kann, was anhand eines Songs der Jackson Five gezeigt wurde. Diese ebenso faszinierende wie beunruhigende Technologie wurde im Publikum nicht mit ungeteiltem Enthusiasmus aufgenommen.
Die Closing Session bestritt der Hiphop-Produzent Dante Ross, der den Faden an jener Stelle aufnahm, an der Tom Silverman einige Stunden zuvor seinen historischen Überblick beendet hatte. Ross sprach über die veränderten Arbeitsweisen im A&R-Bereich, die vor allem mit der Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit von DAWs für (zukünftige) Künstler zu tun habe, aber auch mit der Möglichkeit, durch Social Media-Plattformen wie Soundcloud selbstständig eine Fanbase aufzubauen. Die A&R-Abteilung eines Labels könne daher nicht mehr lediglich auf Demo-Tapes warten und somit darauf, dass der Künstler selber den Kontakt sucht. Vielmehr könnten diese durch DAWs ihre Musik völlig eigenverantwortlich komponieren, über sozial Netzwerke vertreiben und monetarisieren, ohne auf ein Label angewiesen zu sein.
Der dritte Tag der Konferenz richtete sich schließlich zunächst an Künstler. Nach einem Workshop zu best practices bei der Komposition elektronischer Musik wurde anschließend über die Vermarktung gesprochen. Hier ging es um die Herstellung und Verwaltung von Künstler-Websites, wobei ein Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Sammlung der Kontaktdaten von Fans und Käufern lag, ohne diese Händlern wie Amazon oder iTunes zu überlassen. Ein weiteres Panel befasste sich explizit mit der Rolle von Frauen bei der Förderung von Künstlern und als Impulsgeber für Innovation im Bereich Musiktechnologie. Zwar sei hier, wie festgestellt wurde, bereits bedeutendes geleistet worden, die Zahl der beteiligten Frauen sei aber nach wie vor zu gering.
Die komprimierte Form, mit der das Future Music Forum aktuelle Tendenzen kommerzieller Musik und den damit verbundenen Technologien vorstellt sowie die Präsenz namhafter Branchenvertreter machen den Wert dieser Konferenz aus. Die Vielfalt der Themen kann aber meines Erachtens kein Grund dafür sein, den kritischen Umgang mit Artificial Intelligence und Musik auszusparen, sowohl in den Panels als auch, so weit das festzustellen war, in den meisten Gesprächen der Teilnehmer. Die Sprecher der FMF vertraten zumeist eine radikal-kapitalistische Auffassung von Musik, was sich besonders dann zeigte, wenn von der ›Demokratisierung‹ des Musik-Business durch AI, Blockchain und erschwingliche DAWs die Rede war. Ich sehe das keineswegs als negativ, andererseits wäre ein etwas kritischerer Blick auf Folgen dieser Art von Innovation ein Gewinn. Doch vielleicht gerade deshalb ist das FMF eine hochinteressante Konferenz, da sie die Speerspitze der technologischen Innovation im Musikbereich präsentiert, unabhängig davon, ob die erwarteten Resultate der Projekte unrealistisch, fragwürdig oder tatsächlich künstlerisch und ökonomisch fruchtbar sind.