Komponieren mit und Komponieren für Schüler*innen
Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
11.-12.1.2019
Tagungsprogramm
Tanja Spatz
Als dritte Veranstaltung der Reihe »Musiktheorie unterrichten in Schule – Musikschule – Hochschule«, die didaktische Vorgehensweisen in verschiedenen (musik-)pädagogischen Formaten beleuchtet, hatte das Dresdner Zentrum für Musiktheorie Anfang Januar in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk zur musikalischen Nachwuchsförderung zu einer Tagung über ein hochaktuelles Thema geladen: Nicht nur das Komponieren als Teilbereich kreativen musikalischen Lernens mit Schülerinnen und Schülern im schulischen Musik- oder außerschulischen Instrumentalunterricht sollte im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, sondern ebenso das Erfinden von Musik für jene.
Dieses doppelte Interesse fand in dem von Dr. Juliane Brandes konzipierten Tagungsprogramm mit seinem Nebeneinander von einführenden Impulsreferaten und vertiefenden Workshops sinnfälligen Ausdruck. Es eröffnete den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Weiterbildung – überwiegend Studierende der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, aber auch einige Externe, darunter Schul-, Musikschul- und Hochschullehrer*innen – facettenreiche Einblicke in das vielfältige Potential des Komponierens in methodischer Hinsicht und ermöglichte darüber hinaus unmittelbare praktische Erfahrungen der eigenen (kompositorischen) Kreativität.
Prof. Dr. Matthias Handschick (HfM Saarbrücken) begann seinen Workshop »Komponieren in schulischen Kontexten« mit einer Übung frei nach »Bandsalat« von Peter Ausländer. Die Anwesenden sollten dafür zunächst die Klangkulisse eines Bahnsteigs kreieren. Den Impuls für die Arbeit mit diesem Klangmaterial bildete die Vorstellung einer Aufnahme dieser Klangkulisse, die aber nicht ›sauber‹ abgespielt werden kann, sondern bei der Wiedergabe Schwankungen im Tempo oder auch Loop-Schleifen ausbildet. Deren klangliche Nachbildung diente als Basis für die Erstellung eines ersten musikalischen Ablaufs. Bei den unterschiedlichen Übungen geriet insbesondere die Funktion verschiedener Notations-Ansätze in den Fokus: als Gedächtnisstütze oder Spielanweisung, Aktions- oder Resultatsnotation (traditionell, grafisch, verbal). Nach Handschicks Erfahrung als Musikpädagoge, Schullehrer und Komponist mit vielfältigen Kinder- und Jugendprojekten kann Sprache gerade bei der Arbeit mit musikalischen Laien als alltägliches Element neu erlebt und zur Erschließung unbekannter ästhetischer Räume genutzt werden. Die Schüler*innen beschäftigen sich im Rahmen dieser kompositorischen Übungen mit der Gestaltung musikalischer Zeit und Form, sie erfahren Stille und offene Klangsituationen als Impulse zur Bereicherung ihrer klanglichen Vorstellungskraft.
Am nächsten Vormittag stellte Elke Reichel ihre Projekte zur Musicalkomposition für Schule und Musikschule vor. Ursprünglich angeregt von der Grundfrage, wie Schüler*innen mit unterschiedlichem Kenntnisstand in der Gruppensituation individuell gefördert werden können, und der Erkenntnis, dass bestehende Musicalkompositionen dafür vielfach einen hohen Aufwand an Adaption erfordern, führt die als Musikpädagogin, Fachberaterin für Inklusion, Ensembleleiterin sowie als Lehrbeauftragte an den Musikhochschulen in Dresden und Leipzig tätige Referentin Projekte mit Studierenden durch, die Musicals für Schüler*innen schreiben und diese Projekte in der Folge auch betreuen. In einer kurzen Einführung legte sie die Vorteile eines solchen Musical-Projekts dar, bevor sich die Teilnehmer*innen in Gruppen mit großem Spaß und herrlich unterschiedlichen Ergebnissen an der Konzeption einer Einstiegsszene versuchten. Insgesamt wurde deutlich, wie viel Vorarbeit ein solches Projekt erfordert, das möglichst genau auf Lernbedingungen und Voraussetzungen der Mitwirkenden abgestimmt ist.
Nachdem sich die ersten beiden Vorträge speziell der Situation Schule widmeten, sprach Prof. Dr. Benjamin Lang (HMT Rostock) über kompositionspädagogische Konzepte im Rahmen von Begabtenförderung der Werkstatt junger Komponisten (Musik 21 Niedersachsen). Anhand verschiedener Anfänge von Musikbeispielen präsentierte Lang ein flexibel anpassbares Repertoire kompositorischer Grundideen und -impulse, dessen Anwendung sich in der Arbeit mit den Jugendlichen bewährt hat. Darüber hinaus lenkte Lang den Blick auf spezielle Aspekte musikalischer Analyse und Prozessbildung. Als Gestaltungsaufgabe für die Teilnehmer*innen wartete die Herausforderung einer kontinuierlichen und nachvollziehbaren Überführung eines musikalischen Zustands in einen anderen: vom Muhen einer Kuh zur Autosirene, vom Wiehern eines Pferdes zum Geigenton und vom platzenden Autoreifen zur Kirchenglocke. Abseits der anspruchsvollen stimmlichen Darstellung einiger dieser Klänge wurde wahrnehmbar, wie sich der (hörende) Zugang zu klanglichen und motivischen Prozessen veränderte.
Der abschließende Workshop von Johannes Korndörfer beschäftigte sich mit der Frage des Arrangierens für die allgemeinbildende Schule: Wie komponiert und arrangiert man für individuelle Besetzungen, welche Vorlagen bieten sich dafür an und wie geht man mit ihnen kreativ zu Werke? Ausgehend von einem praktisch-singenden Einstieg über einen »Chorsatz«, in dem jede Stimme ihre (instrumentale) Rolle sprachlich und musikalisch darstellt, wurden zunächst einzelne Strategien zum Arrangieren besprochen – beispielsweise verschiedene Rollen, die eine Stimme einnehmen kann (Gymel, Liegetöne) und welche Möglichkeiten zur klanglichen Erweiterung und Ergänzung sich bieten. Im Anschluss folgten freiere Übungen wie die Umarbeitung eines Klavier- in einen Streichquartettsatz oder das instrumentatorische (Um-)Gestalten einer zentraltönigen Verlaufskurve, angelehnt an Luigi Nonos A Carlo Scarpa. Durch den Einsatz eines vielfältigen stilistischen Spektrums sowie die verschiedenen Aufgabentypen und daraus resultierenden unterschiedlichen Ergebnisse verdeutlichte der Referent, der neben seiner Lehrtätigkeit an der HfM Dresden sowie am angeschlossenen Landesgymnasium auch an der UdK Berlin das Fach Tonsatz/Arrangieren/Komponieren unterrichtet, wie differenziert Musik für verschiedene Zielgruppen gesetzt werden kann. Abgerundet wurde der Workshop durch die Analyse einiger Passagen aus Puccinis Tosca, die vielfältige Zugänge und Anregungen zur Beschäftigung mit Instrumentation boten.
Ergänzt wurde die Tagung durch Matthias Handschicks Präsentation von Materialien, die er gemeinsam mit dem Musik- und Geschichtslehrer Thomas Christ und der Kunstpädagogin Bärbel Libera unter dem Oberbegriff Werkstatt Musikgeschichte für den schulischen Kontext entwickelt hat. Vorgestellt wurde Material zum Thema »Musik im Mittelalter« für die Sekundarstufe. Ziel ist es, Musik in und aus ihrem historischen Kontext heraus kennen- und verstehen zu lernen. Die Materialien beinhalten Zugänge unterschiedlicher Art – hörend, über Einführungstexte, in Beschäftigung mit Architektur und Notationspraxis der Zeit – und stehen Differenzierungen in verschiedene Richtungen (für Historiker*innen, Komponist*innen, Architekt*innen, Musikwissenschaftler*innen, Sänger*innen, Tänzer*innen) offen. Sie bilden den Anknüpfungspunkt für eine weiterführende Tagung an der Musikhochschule Dresden zum Thema »Komponieren mit Schüler*innen II«, die im März 2020 stattfinden und insbesondere das Erfinden von stilistisch gebundener Musik fokussieren soll.
Es bleibt zu wünschen, dass sich ähnliche Formate wie die Dresdener Fortbildungsreihe als regelmäßige Plattformen etablieren und einen steten Austausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen musikalischen Lernens ermöglichen.