Elizabeth Hellmuth Margulis, On Repeat: How Music Plays the Mind, New York: Oxford University Press 2014
Melanie Wald-Fuhrmann
Das anzuzeigende Buch von Elizabeth Margulis darf mit Fug und Recht als großer Wurf bezeichnet werden. Die Autorin nimmt hier einen der fundamentalen, ja geradezu definitorischen Aspekte von Musik in den Blick – die Wiederholung und die ästhetische Lust, die wir aus ihr gewinnen –, dekliniert ihn auf den relevantesten Ebenen durch und zieht zur Beschreibung und Erklärung musiktheoretische und -ethnologische Evidenzen und Paradigmen ebenso heran wie philosophische, technikgeschichtliche, psychoakustische sowie kultur-, kognitions- und neurowissenschaftliche. Ihr Fokus liegt dabei erklärtermaßen auf der Psychologie der musikalischen Wiederholung, genauer: auf den »psychological constraints and affordances that affect experiences of repeating music« (98). Dennoch machen gerade die überzeugende Integration so verschiedener Ansätze und Wissenschaftskulturen sowie die erfolgreiche Herstellung von Bezügen zwischen ihnen das – überdies noch handliche und gut lesbare – Buch zu einer Maßstäbe setzenden Publikation. Die Autorin verschränkt hier ihre Expertise als ausgebildete Pianistin und Musiktheoretikerin mit ihrer musikpsychologischen Spezialisierung (sie leitet das Music Cognition Lab an der University of Arkansas), kann also auf eine breite Kenntnis unterschiedlicher musikbezogener Forschungsstände ebenso zurückgreifen wie auf zahlreiche eigene Studien.
Wiederholung – ob als formbildendes Moment oder als Rezeptionsmodus – ist etwas so genuin Musikalisches, dass man sich aus der eingehenden Beschäftigung mit ihr ganz grundlegende Einsichten in diesen menschlichen Gestaltungs- und Ausdrucksbereich erhoffen kann. Auf der formalen Ebene weist als einzige andere Kunst nur die Architektur eine ähnliche Abundanz von Wiederholungsabfolgen auf, die sonst ja durchaus fruchtbar zu machende Vergleichung mit der Sprache funktioniert hier auf Erkenntnis stiftende Weise gar nicht, und für das wiederholende Rezeptionsverhalten gilt ebenfalls, dass man kein Buch so häufig liest, kein Theaterstück so oft anschaut, wie man Musikstücke hört. Mit diesem »Puzzle of Musical Repetition« beschäftigt sich auf ebenso perspektiven- wie gedankenreiche Art und Weise das erste Kapitel des Buches. Margulis entwickelt hier ausgehend von einer ganzen Fülle von Alltagsbeobachtungen eine Art Diskurs- und Ideengeschichte der musikalischen Wiederholung, in die philosophische oder musiktheoretische Texte ebenso einbezogen werden wie Kompositionen. Dabei erwähnt sie auch kritische Konzeptualisierungen von Wiederholung, in denen diese wahlweise in die Nähe von Regression, Wahnsinn, Massenkultur und Manipulation gerückt wurde. Zugleich schlägt sie hier die entscheidenden Pflöcke ein, zwischen denen sie das Terrain im weiteren Verlauf des Buches absteckt. So werden bereits zu Beginn so zentrale Konzepte wie Modulation von Vorhersage/Expektanz, Gefallen und kognitiver Bewältigung durch wiederholtes Hören eingeführt und durch Ergebnisse eigener Experimente illustriert.
Nach dieser Einleitung sind die folgenden Kapitel systematisch angelegt und bauen aufeinander auf: Begonnen wird in Kapitel 2 »From Acoustic to Perceived Repetition« mit der kognitionspsychologischen Beschreibung und Analyse der Prozesse, durch die musikalische Wiederholungen zu einem entsprechenden Perzept in der subjektiven Wahrnehmung werden, womit zugleich eine kleine Typologie von Wiederholungen einhergeht: klein- und großformalen[1], sich auf mehreren Ebenen überlappenden, unmittelbaren und verspäteten, innerhalb eines Stückes und zwischen verschiedenen Stücken realisierten. Dabei legt Margulis zunächst die Bedingungen dar, unter denen akustische Wiederholungen (die in diesem Kapitel vorerst auf das Spektrum von identischen Einzeltönen über Motive und Themen bis hin zu Formteilen beschränkt werden) überhaupt als in der Zeit versetztes Selbes wahrgenommen werden, und weist auf die verschiedenen Arten hin, wie Kontexte akustische Identität zu wahrgenommener Differenz machen können. Hier – wie auch später immer wieder – wird im Einklang mit der aktuellen Kognitionspsychologie klargemacht, wie sehr ein Wahrnehmungsinhalt nicht einfach ›Abbild‹ des Wahrgenommenen ist, sondern zu wie großen Anteilen äußere Kontexte und vor allem Vorerfahrungen und kognitive Einstellungen an der Produktion des Wahrnehmungsinhalts mitwirken. So hört man die identische Wiederholung einer Phrase eben nicht beim zweiten Mal auf dieselbe Weise und als Dasselbe, weil das erste Hören in das zweite ausstrahlt, ein Überraschungsmoment nun erwartet ist, das Unbekannte vertraut wird. Margulis zitiert hier treffend aus Deleuzes Différence et répétition[2] mit der Einsicht, »repetition changes nothing in the object repeated, but does change something in the mind which contemplates it« (34). Sie belässt es aber nicht bei dieser phänomenologischen Feststellung, sondern zieht fremde und eigene Studien dafür heran, um den Unterschied möglichst genau zu beschreiben und mit psychischen Mechanismen zu begründen. Diese Herangehensweise ist typisch für das Buch und zeichnet es wesentlich aus: Psychologische und neurowissenschaftliche Evidenz ist hier nicht einfach redundant zu historischen oder geisteswissenschaftlichen Theorien, sondern vermag diese zu perspektivieren, zu detaillieren und ihre Intuitionen anhand von kognitiven Prozessen zu erklären. Die direkte Wiederholung einer musikalischen Tonfolge beispielsweise führt dazu, dass diese Folge als eine (strukturell bedeutsame) Einheit gehört wird. Wiederholung als strukturbildendes Element bedingt also ganz wesentlich die Segmentierung, die Identifikation von musikalischen Elementen und Sinneinheiten sowie die Hierarchisierung musikalischer Ereignisse (38ff.).
Im dritten Kapitel (»Attention, Temporality, and Music that Repeats Itself«) wendet sich Margulis Wiederholung als einem Verhalten der musikalischen Rezeption zu und gewinnt aus der Auseinandersetzung mit anderen repetitiven Verhaltensbereichen weitere Aufschlüsse über musikalische Wiederholung. Zur Sprache kommen hier das Ritual, psychiatrische Zwangsstörungen, Trance und Spiel. Beschreibungsweisen der Kulturanthropologie, der Psychiatrie und der Soziologie treffen dabei auf Erklärungsansätze der Neurowissenschaft. Als gemeinsame Nenner filtert sie die Automatisierung und damit auch Autonomisierung von Abläufen heraus, die Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses freisetzen und es der Aufmerksamkeit erlauben, frei zwischen verschiedenen Ebenen hin- und herzuwandern, sich das wahrgenommene Objekt ganz anzueignen. Sowohl die wesentlich auch körperliche Automatisierung, also das Verfolgen einer Tätigkeit um ihrer selbst willen, als auch das freie Wandern der Aufmerksamkeit sind in der Forschung als in sich lustvolle Tätigkeiten identifiziert und übertragen daher ihr Lustpotenzial – so die Deutung von Margulis – auf musikalisches Wiederholungsverhalten. Damit ist zugleich an den Kern ästhetischer Erfahrung gerührt, die ja ebenfalls als (wesentlich) selbstzweckhafte Produktions- oder Rezeptionstätigkeit mit einem großen Fokus auf den Wahrnehmungsqualitäten beschrieben werden kann.
Daran schließt sich das vierte Kapitel an (»Earworms, Technology, and the Verbatim«), das sich mit weiteren sich als Loop ereignenden Wiederholungsformen beschäftigt, nämlich dem Ohrwurm (terminologisch präzise mit »involuntary musical imagery«), der Repeat-Technik bei Audiowiedergabegeräten und möglichen Interaktionen von Aufnahmetechniken (die ja das wiederholte Hören implizieren) mit kompositorischen Techniken im Aufgriff einer These von Jonathan Kramer, wonach die Erfindung der Tonaufzeichnung zur Entwicklung intern weniger repetitiver Kompositionsstile geführt habe (78f.). Diese These kann Margulis klar als zu eindimensional darstellen – Hinweise auf Loop-basierte Stile wie die Minimal music oder Techno genügen hier schon –, verweist aber auf das gut nachgewiesene psychoakustische Phänomen, dass Komplexität (als Index von geringer interner Repetitivität) und wiederholte Perzeption zueinander durchaus in einem linearen Verhältnis stehen.
Den psychoakustischen und psychologischen Aspekten wiederholten Hörens widmet sich das fünfte Kapitel (»Relistenings«) dann intensiv. Ausgehend von den klassischen Studien von Wilhelm Wundt und Daniel Berlyne zum umgekehrt u-förmigen Zusammenhang zwischen Gefallen, Komplexität und (durch wiederholte Rezeption veränderbarer) Vertrautheit sowie im Aufgriff des ›mere exposure‹-Effekts kommt Margulis in ihren Darstellungen zu einem deutlich höheren Differenzierungsgrad in der Beschreibung des Zusammenhangs von wiederholter Rezeption, Verständnis und Gefallen. Das verdankt sich hier v.a. auch eigenen Experimenten, in denen sie sowohl kontextsensitiv als auch ökologisch valide – also mit wirklichen Kompositionen – arbeitete. Die beschriebenen Experimente klingen erst einmal recht simpel: In diesem Falle etwa (vgl. 100–102) wurde einer Gruppe von Teilnehmern fünf Mal innerhalb von zehn Tagen Bizets erste Arlesienne-Suite vorgespielt, die allen zuvor unbekannt gewesen war.[3] Die Teilnehmer wurden dann jeweils nach ihrem Gefallen sowie nach der Zahl von ›Ohrwürmern‹ infolge des vorausgehenden Hörens gefragt, sie sollten Spannungskurven markieren und die Musik in einer ihnen angemessen erscheinenden Art beschreiben. Durch den Vergleich der fünf Erhebungszeitpunkte erhielt man für jeden Teilnehmer ein Abbild seines individuellen Rezeptionsverlaufs. Die Gefallenswertungen zeigten die bekannte umgekehrte U-Kurve. Die markierten Spannungshöhepunkte verschoben sich von Tag zu Tag zeitlich nach vorne, was zeigt, wie aus dem Hören auf das Ereignis zunehmend ein antizipierendes Hören wurde, das zugleich mit sinkender Intensität der empfundenen Spannung einherging. Die Auswertungen der Beschreibungen nach den Dimensionen Analyse und persönliche Involvierung ergab einen Höhepunkt der analytischen Aufmerksamkeit beim zweiten Hören bei gleichzeitigem Absinken der Involviertheit, die indes an den folgenden Tagen wieder zunahm.
All diese Daten zusammengenommen ergeben ein ausgesprochen facettenreiches Bild davon, wie sich Hörerlebnisse beim wiederholten Hören ein- und desselben Stücks in ein- und derselben Interpretation verändern, wie auf ein rein rezeptives erstes Hören eine Phase der strukturellen Aneignung und Bewältigung folgt, die dann zu intensiven persönlichen Hörerfahrungen führen kann. Zur Erklärung dieses Zusammenhangs zwischen Vertrautheit und Gefallen verweist Margulis – nicht als erste – auf das implizite Lernen, also das Verfahren unseres Gehirns, allein durch die Konfrontation mit Wahrnehmungsinhalten deren relevante Eigenschaften nach statistischen Verfahren herauszufiltern, mit dem sich in der Wahrnehmung eines neuen, diese Eigenschaften entsprechenden Stimulus aus Bestätigung und Wiedererkennung ein subjektives Lustempfinden verbinde (Theorie der ›processing fluency‹). Dem fügt sie noch das Phänomen des wiederum genuin lustvoll erlebten Entrainments an, also die Koppelung zweier oszillierender Systeme, wie es Mensch und Musik auf vielen Ebenen sind.
Im siebten Kapitel (»Overt Participation, Implied Participation«) fokussiert die Autorin schließlich performative Aspekte des Wiederholens, wobei sie den Aspekt der Partizipation – wiederum ein genuin lustvolles Erleben – in den Mittelpunkt stellt, was ihr (soziologisches) Eröffnungsbeispiel, das wiederholte gemeinsame Singen einfacher, zur Kontemplation einladender Melodien in Taizé, ebenso plausibel macht wie der Verweis auf die (subjektiv) verlebendigende Wirkung ihnen bekannter Musik auf Alzheimer-Patienten. Diese Deutung ist grundiert durch musiktheoretische Modellierungen von Repetitionsfrequenzen und -typen, wobei hier besonders auf David Huron und Rebecca Leydons[4] Repetitionstropen (von mütterlich und mantrisch bis zu motorisch und aphasisch) zurückgegriffen wird.
Das Schlusskapitel »Repetition, Music, and Mind« führt noch einmal zur kognitiven Grundausstattung des Menschen zurück und versammelt neurowissenschaftliche Hinweise zur Erklärung und Perspektivierung musikalischer Repetition – begonnen bei dem überlebensnotwendigen Interesse von Kindern an der Wiederholung, das beim Spracherwerb ganz wesentlich über die Wortmelodie verläuft, über weitere Grundfunktionen von Sprache bis zur Erinnerung.
Daher trifft ein resümierender Satz wie derjenige, dass »musical repetition […] constitutes an essential core practice in performance and listening that is illuminative of what is special about this fundamentally human mode of attending« (179), tatsächlich die Leistung dieses Buches, in dem psychologische und neurowissenschaftliche Evidenz nicht dazu gebraucht wird, das Spezifische, Ästhetische und Nicht-Funktionale an einem ästhetischen Phänomenbereich ›wegzuinterpretieren‹. Vielmehr schafft es Margulis auf beeindruckende Weise, gerade durch die entsprechenden Bezüge zu nicht-musikalischen Bereichen das Besondere an musikalischer Wiederholung erst klar werden zu lassen.
Das Buch ist, wie deutlich geworden sein dürfte, kein primär musiktheoretisches. Es argumentiert aber auf einem musiktheoretisch hoch informierten Level, greift aktuelle Theorien des Faches auf und weiß zwischen ihnen und kognitionspsychologischen Paradigmen interessante und fruchtbare Beziehungen herzustellen, sei es, dass eine musiktheoretische Auffassung das Phänomen bereitstellt, für das dann psychologische Erklärungsansätze geliefert werden, sei es, dass bekannte psychologische Phänomene auf musiktheoretische Evidenz bezogen werden. Und im Gegensatz zu vielen anderen im weitesten Sinne musikpsychologischen Arbeiten ist diese für Musiktheoretiker und -wissenschaftler gerade auch deshalb anschlussfähig, weil hier mit ›Musik‹ keine reduktionistischen Labor-Stimuli gemeint sind, sondern tatsächliche Kompositionen, Stile und satztechnische Phänomene in all ihrer historischen Vielfalt und Komplexität.
Insgesamt beeindruckt die breite Belesenheit in einer so großen Vielfalt von Fächern sowie die geistige Souveränität und das Unprätentiöse, womit Margulis die verschiedenen Fäden zu einem wirklich erkenntnisstiftenden Ganzen zusammenfügt. Geisteswissenschaftliche Tugenden wie historische und kulturelle Sensibilität, Perspektivierungs- und Kontextualisierungsvermögen verbinden sich auf modellhafte Weise mit naturwissenschaftlicher Präzision und Zielgenauigkeit: ein Ansatz, der sich auch auf andere Phänomene im Schnittbereich von musikalischer Struktur, Produktion und Rezeption fruchtbar anwenden ließe.
Anmerkungen
Hier greift Margulis die Unterscheidung von Richard Middleton zwischen der Wiederholung kurzer Motive (»musematic«) und längerer Phrasen (»discursive«) auf: Middleton 2005, 15–20. | |
Deleuze 2004, 70. | |
Die Studie ist prä-veröffentlicht als Wong/Margulis 2008. | |
Leydon 2002. |
Literatur
Deleuze, Gilles (2004), Difference and Repetition, New York: Columbia University Press [Deleuze, Gilles (1968), Différence et répétition, Paris: Presses Universitaires de France].
Leydon, Rebecca (2002), »Towards a Typology of Minimalist Tropes«, Music Theory Online 8. http://www.mtosmt.org/issues/mto.02.8.4/mto.02.8.4.leydon.html
Middleton, Richard (2005), »In the Groove or Blowing your Mind? The Pleasures of Musical Repetition«, in: The Popular Music Studies Reader, hg. von Andy Bennett, Barry Shank und Jason Toynbee, London: Routledge, 15–20.
Wong, P.C.M. / Elizabeth Hellmuth Margulis (2008), The Complex Dynamics of Repeated Musical Exposure, Paper presented at the 10th International Conference on Music Perception and Cognition, Sapporo.
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