Kohlmann, Johannes (2024), »Arrangieren im Musiktheorieunterricht. Ein Plädoyer für eine künstlerische und praxisnahe Unterrichtsmethode« [Arranging in music theory lessons. A call for an artistic and practical teaching method], Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 21/1, 77–112. https://doi.org/10.31751/1205
eingereicht / submitted: 16/11/2023
angenommen / accepted: 16/01/2024
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 20/07/2024
zuletzt geändert / last updated: 07/08/2024

Arrangieren im Musiktheorieunterricht

Ein Plädoyer für eine künstlerische und praxisnahe Unterrichtsmethode

Johannes Kohlmann

Dieser Artikel vertritt die These, dass das Arrangieren eine sinnvolle methodische Ergänzung zur Erstellung von Stilkopien im praktischen Musiktheorieunterricht sein kann. Nachdem zunächst die Verankerung des Unterrichtsgegenstandes im Instrumentationsunterricht und die Chancen einer Übertragung auf den Satzlehreunterricht diskutiert werden, sollen einige konkrete Unterrichtsbeispiele verdeutlichen, dass die vorgestellte Methode nicht nur eine künstlerische Praxisnähe verspricht, sondern geeignet erscheint, verschiedene Unterrichtsinhalte und musiktheoretische Kompetenzen zu integrieren.

The article argues that arranging can be a useful methodological complement to stylistic copying in practical music theory lessons. After the anchoring of the subject matter in instrumentation lessons and the possibilities of transfer to music theory lessons are discussed, a few concrete teaching examples illustrate that the presented method not only promises an artistic practical relevance, but also appears suitable for integrating various teaching content and music theory skills.

Schlagworte/Keywords: Arrangement; Bearbeitung; Franz Schubert; Ludwig van Beethoven; Methodik; music theory lessons; Musiktheorieunterricht; reduction; Reduktion

Einführung

Das Fach ›Instrumentation‹ gehört seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kanon der musiktheoretischen Fächer an Konservatorien und Musikhochschulen – doch auch wenn sich das Fach durchaus etablieren konnte, wurde es neben Disziplinen wie ›Tonsatz‹, ›Gehörbildung‹, ›Formenlehre‹ und ›Werkanalyse‹ eher als Randbereich oder als Zusatzqualifikation betrachtet. So ist es auch heute noch an vielen Hochschulen üblich, das Fach nur für bestimmte Studiengänge anzubieten, etwa für Komponist:innen, Dirigent:innen und Schulmusiker:innen, was sicherlich auf die inhaltliche Ausrichtung – die Betrachtung und Erstellung von Orchestersätzen – zurückzuführen ist.[1] Im Hintergrund dieser didaktischen Vernachlässigung der Disziplin wirkt sicherlich auch die Vorstellung der hierarchischen Aufteilung der Klangeigenschaften in primäre und sekundäre Parameter: zuerst habe sich der oder die angehende Musiker:in mit der ›eigentlichen‹ kompositorischen Struktur zu beschäftigen – dem Setzen von Tonhöhen und Rhythmen (in metrisch und formal sinnvoller Ordnung). Die instrumentale Realisierung des abstrakten Tonsatzes wäre demnach eine nachrangige Beschäftigung. Dass diese Aufspaltung in ›Satz‹ und ›instrumentale Realisation‹ zwar aus methodischen Gründen durchaus sinnvoll sein kann, der kompositorischen und klingenden Realität aber nicht gerecht wird, dürfte allerdings klar sein. Schon Hugo Riemann bemerkte in der ersten Auflage seines Musiklexikons:

Seit durch Haydn die Orchesterinstrumente zu selbständigen Individuen geworden sind, […] ist es freilich nicht mehr das Rechte, wenn der Komponist erst komponiert und dann instrumentiert; vielmehr muß er sogleich für den vollen Apparat des gewählten Orchesters denken […].[2]

In diesem Artikel soll es allerdings nicht um das (bei genauerer Betrachtung) sehr komplexe Verhältnis von musikalischem Satz und instrumentaler Realisation gehen. Vielmehr soll eine Methodik vorgestellt werden, die auf eine sehr unmittelbare und handlungsorientierte Weise die Integration der beiden Bereiche verspricht. Die Idee ist, dem Arrangieren, das als Unterrichtgegenstand bisher dem Instrumentationsunterricht vorbehalten war, einen breiteren Raum in der musiktheoretischen Ausbildung einzuräumen. Das Arrangieren dürfte eine sinnvolle und vor allem praxisnahe Ergänzung des Musiktheorieunterricht sein, die es ermöglicht, verschiedene Bereiche wie Harmonik, Satztechnik, Gehörbildung, Formanalyse, Stil-, Partitur- und Instrumentenkunde miteinander zu verzahnen.

Das Arrangement

Der Begriff ›Arrangement‹ wird hier – sehr umfassend – als Synonym für den deutschen Begriff der ›Bearbeitung‹ gebraucht.[3] Die Begriffe Bearbeitung bzw. Arrangement umfassen »alle möglichen Arten der Veränderungen von Musikstücken«[4] wie z. B. (Um)-Instrumentation, Orchestration, Reduktion, Transkription, Rekonstruktion, Anpassung, Parodie, Reharmonisation, Kontrafaktur und Choralbearbeitung. Gemeinsam ist all diesen Bearbeitungsverfahren, dass das Ergebnis selbst ein eigenständiges musikalische Kunstwerk ist.[5]

Die Grenze zur (Eigen-)Komposition ist beim Arrangieren – je nach Zielsetzung – immer fließend. Es gibt viele Arrangements, die die Vorlage in ihrer Substanz möglichst wenig verändern möchten. Ein typisches Beispiel wäre die Umarbeitung für eine andere Besetzung – etwa bei der Erstellung eines Klavierauszuges eines Orchesterstückes. Das Stück soll – meist aus pragmatischen Gründen – in eine andere »klangliche Façon«[6] überführt werden, ansonsten aber möglichst unangetastet bleiben.[7] Entscheidend ist hierbei aber, dass auch bei jeder noch so geringen Anpassung gewisse eigenständige kompositorische und damit ästhetische Entscheidungen zu treffen sind. Eine notentreue Eins-zu-Eins-Übertragung gibt es nicht. Umgekehrt gibt es selbstverständlich aber auch Bearbeitungen, bei denen der Arrangeur oder die Arrangeurin bewusst in die kompositorische Substanz der Vorlage eingreift und dadurch in einen stärkeren künstlerischen Dialog mit der ursprünglichen Komposition tritt. Sehr deutlich geschieht das bei stilistischen Adaptionen – etwa, wenn ein klassisches Werk verjazzt wird.

Eine weitere für die Arrangierpraxis relevante Unterscheidung ist die ›Bearbeitungsrichtung‹: Gemeint ist die Unterscheidung zwischen dem Reduzieren und dem Erweitern. Mit ›Reduktion‹ meint man vor allem die Verringerung der Besetzung, aber auch formale Kürzungen und das spieltechnische Vereinfachen fallen unter diesen Begriff. Auch wenn sehr viele (vor allem auch historische) Bearbeitungen für den Musikmarkt unter den Begriff der Reduktion subsumiert werden können, spielt auch die umgekehrte Richtung eine wichtige Rolle: So gibt es vielfältige Beispiele für das formale, satztechnische, harmonische oder instrumentale Erweitern. Auch das ›Aufinstrumentieren‹ für Orchesterbesetzungen – bekanntermaßen eine der zentralen Methoden des traditionellen Instrumentationsunterrichts – fällt somit unter den Begriff ›Erweitern‹.

Genauso vielfältig wie die Tätigkeit des Arrangierens selbst sind auch die Gründe und Motivationen für das Erstellen von Bearbeitungen. Die meisten Arrangements haben ihren Ursprung in den Anforderungen des Aufführungsbetriebs. Viele Formationen kommen mangels geeigneter Originalkompositionen ohne Bearbeitungen gar nicht aus. Die Möglichkeit, ein Arrangement genau den Fähigkeiten und Stärken eines Ensembles anzupassen, ist ein weiterer typischer Bearbeitungsgrund. Sehr häufig steht außerdem der konkrete Wunsch am Beginn eines Arrangements, ein bestimmtes (vermutlich besonders geschätztes) Werk für die eigene Besetzung spielbar zu machen: »Der Gitarrist möchte lieber Schumanns ›Träumerei‹ selber spielen, als es nur anzuhören«.[8] In der Vergangenheit waren Bearbeitungen oft die einzige verfügbare Möglichkeit, bestimmte Werke überhaupt zu Gehör zu bringen und einem breiten Publikum bekannt zu machen. Heute kann man durch die Aufnahmetechnik und die digitale Verfügbarkeit zwar jedes Stück sofort auch in der Originalversion und in verschiedenen Interpretationen erleben, es gibt aber trotzdem weiterhin einen riesigen Markt für Bearbeitungen, weil selbstverständlich auch Musikschüler:innen und Laien:innen alle möglichen (und ›unmöglichen‹) bekannten Stücke selbst spielen möchten, was häufig spieltechnische Anpassungen und Reduktionen nötig macht. Ein weiterer wichtiger Antrieb für das Erstellen von Bearbeitungen ist die künstlerische Auseinandersetzung mit der Vorlage selbst. Ein Arrangement kann versteckte Potentiale und neue, spannende Facetten der Vorlage zum Vorschein bringen.

Auch wenn das Bearbeiten schon immer ein wichtiger Teil der musikalischen Produktion war, können die sehr vielfältigen historischen und aktuellen Erscheinungsformen der Bearbeitung hier nicht adäquat gewürdigt werden. Es soll lediglich kurz angedeutet werden, dass die begriffliche Distinktion zwischen ›Originalkomposition‹ und ›Bearbeitung‹, die vermutlich erst ab einer Zeit Sinn macht, in der das musikalische Werk zur ästhetischen Entität, d. h. zum – von dem oder der Komponist:in losgelösten – Kunstwerk wird, in vielen musikalischen Bereichen und Genres überhaupt nicht existiert. Außerdem dürfte mittlerweile Konsens darüber herrschen, dass eine Bearbeitung im Vergleich zum Original nicht automatisch ein ästhetisch sekundäres und damit minderwertiges Musikstück darstellen muss. Selbstverständlich gibt es viele Arrangements für den ›Hausgebrauch‹ und für die Ausbildung – oder Arrangements, die als Parodien bzw. als Gelegenheitswerke einen anderen künstlerischen Anspruch als Musikwerke der ›Kunstmusik‹ haben, die für ein Konzert- und Kenner-Publikum geschrieben sind. Die Frage nach der künstlerischen Sinnhaftigkeit und dem ästhetischen Gelingen eines Musikstückes stellt sich aber unabhängig von der Frage, ob es sich um ein Original oder eine Bearbeitung handelt und spielt auch in gesellschaftlichen Kontexten eine Rolle, die den ästhetischen Gegenstand ›Musik‹ nicht in den Vordergrund rücken. Im Gegenteil: die Bewertung der Sinnhaftigkeit eines Musikstückes darf Fragen des Adressaten, des technischen Anspruchs und des gesellschaftlichen Anlasses nicht außen vor lassen.

Arrangieren im Instrumentationsunterricht

Als notwendiger Bestandteil der Komponistenausbildung war und ist das Ziel des Fachs ›Instrumentation‹ ein sehr praktisches:[9] Die angehenden Komponisten:innen und Dirigent:innen sollen mit dem Orchesterapparat umgehen lernen. Auch bei den methodischen Zielsetzungen spielt schon immer die praktische Ausrichtung des Faches eine entscheidende Rolle: Das erfolgreiche Erstellen eigener Orchestersätze bildet in der Regel das Handlungszentrum des Instrumentationsunterrichts.[10] An den unterschiedlichen Wegen hin zu diesem Ziel lässt sich aber eine (zumindest implizite) Kontroverse innerhalb des Faches beobachten, die an der Frage aufbricht, wie legitim die Methode sei, gegebene Klaviersätze für Orchester zu instrumentieren. Bereits Adolf Bernhard Marx kritisierte diese Herangehensweise in seiner Kompositionslehre: Ein gut gesetztes Klavierstück könne gerade deshalb, weil es genuin für Klavier ersonnen ist, nicht für die Übertragung auf das Orchester geeignet sein.[11] Noch Gesine Schröder schließt sich dieser Kritik an, wenn Sie in Bezug auf die Methodik bei Riemann[12] schreibt: »Damit sind das formale Moment einer Komposition, das dem Apparat anzumessende Format und der Aspekt der idiomatischen Erfindung vernachlässigt.«[13] Aufgrund dieser Kritik ist es nicht verwunderlich, dass manche Instrumentationslehren komplett auf andere Aufgabentypen setzen: Statt Klavierwerke oder andere gering besetzte Originalwerke werden häufig Klavierauszüge oder Particelle von bestehenden Orchesterwerken ›re‹-instrumentiert.[14] Der orchestrale Ursprung des Satzes und die Vergleichbarkeit des eigenen Resultates mit der Originalkomposition sind die naheliegenden Vorteile dieser Herangehensweisen.

Wie ist allerdings der methodische Streit um das Instrumentieren von Klaviervorlagen zu bewerten? Aus der Perspektive des Arrangierenden ist es zunächst verwunderlich, wenn die Übertragung eines präexistenten Stückes auf eine neue Besetzung verworfen oder gar von einer »Verzerrung des zu lehrenden Phänomens« gesprochen wird.[15] Bereits die vielen Originalwerke, bei denen die Komponisten:innen selbst als Arrangeure ihrer Werke in Erscheinung treten, sind deutliche Anzeichen dafür, dass dieser Vorwurf unbegründet sein dürfte. Die Ablehnung dieser Methode scheint eher in einem unbewussten Missverständnis begründet zu sein: Dahinter steht die irrige Vorstellung, dass eine Übertragung, die versucht die Vorlage in ihrer Substanz möglichst unangetastet zu lassen, d. h. nur die Besetzung und nicht das Stück an sich ändern möchte, die Vorlage möglichst notentreu übersetzen müsse.[16] Das Gegenteil ist aber der Fall: Häufig muss der Arrangierende in die ›Notensubstanz‹ eingreifen, um den Charakter und die ästhetische Substanz einer Komposition sinnvoll auf eine andere Besetzung zu übertragen. Geschieht dies nicht, könnte es tatsächlich zu ›Verzerrungen‹ kommen.[17] Selbstverständlich gibt es Grenzen einer sinnvollen Übertragung: Es gibt immer wieder Stücke, die sich einer bestimmten Besetzung versagen, weil tatsächlich ›zu viel‹ der ästhetischen Substanz nicht adäquat übersetzt werden kann:

Ein filigranes Klavierstück von Chopin dürfte sich ebenso wenig für Posaunenquartett bearbeiten lassen wie die Tannhäuser-Ouvertüre für Streichtrio. […] Es ist zwar immer wieder erstaunlich, zu welch klanglich-instrumentationstechnischen Metamorphosen geschickte Bearbeiter fähig sind, aber es gilt natürlich die Maxime, dass das zu bearbeitende Stück grundsätzlich für die geplanten Zwecke taugen soll.[18]

Neben ästhetischen und stilistischen Gründen sind es in der Praxis vor allem auch ganz triviale technische Gründe, die einer Bearbeitung im Weg stehen könnten – beispielsweise, wenn der Gesamtumfang zu stark reduziert werden müsste oder nötige spieltechnische Voraussetzungen fehlen. Die Grenzen hängen sicher auch vom Zweck und von den Adressat:innen der Bearbeitung ab und müssen bei jedem Arrangement individuell ausgelotet werden – ein potentielles Scheitern (d. h. ein Verwerfen der Bearbeitungsidee vor, während oder nach der Arrangierarbeit) ist hier durchaus einzukalkulieren.

Die Methodik, ein Klavierstück für Orchester zu instrumentieren – es zu arrangieren – könnte demnach im besonderen Maße geeignet sein, die Unterschiede und Potentiale der verschiedenen instrumentalen Idiomatiken und Satzprinzipien zu erkennen und diese in der Übertragung auch künstlerisch zu nutzen. Ein sinnvolles Arrangement kann dadurch überhaupt erst gelingen. Gerade bei zwei so differierenden Besetzungen wie Klavier und Orchester erlebt man diese Unterschiede besonders stark – es ist also zu vermuten, dass die Studierenden durch die Methodik des Arrangierens die Satzprinzipien beider Besetzungen besser kennen und verstehen lernen. An welchen Stellen und in welcher Form es angebracht ist, den Notentext anzupassen, muss im Unterricht an individuellen Beispielen thematisiert und trainiert werden. Bei der Umsetzung solcher Anpassungen sind auch genuin ›musiktheoretische‹ Kenntnisse vonnöten: Ohne (stilistisch differenzierte) satztechnische, harmonische und formale Kompetenzen kann ein Arrangement – verstanden als eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Vorlage – nicht gelingen.[19]

Arrangieren als integrative Methode im Musiktheorieunterricht

Meiner Auffassung nach ist das Arrangieren als Methode nicht nur innerhalb des Instrumentationsunterrichts sinnvoll anzuwenden, sondern dürfte auch geeignet sein, bestimmten Zielen des musiktheoretischen Satzlehreunterrichts näher zu kommen.[20] Wie in den vorigen Abschnitten bereits ausgeführt, birgt das Arrangieren als Unterrichtsgegenstand ein schöpferisches Potential, das weit über das Anwenden erlernten instrumentenkundlichen und satztechnischen Wissens hinausgeht. In diesem Sinne ist das Arrangieren durchaus vergleichbar (und auch verwandt) mit dem Erstellen von Stilkopien, was sich ebenfalls nicht in der Anwendung einfacher satztechnischer Regeln erschöpft, sondern umfassende Kompetenzen im Erkennen und Generieren von musikalischem Sinn voraussetzt. Das Arrangement und die Stilkopie – verstanden als Unterrichtsgegenstände – beinhalten damit sehr ähnliche Ziele und auch Voraussetzungen: bei beiden geht es darum, ex- und implizites musiktheoretisches Wissen in die Erzeugung singulärer kompositorischer Zusammenhänge einfließen zu lassen, um so ein vertieftes Verständnis für musikalische Sinnzusammenhänge, verschiede (historische) Stile und kompositorische Problemstellungen zu erhalten. Beide Bereiche umfassen zudem eine große Palette an möglichen schöpferischen Tätigkeiten und Handlungsfeldern und können sich in bestimmten Aufgabentypen auch überschneiden oder sind in manchen Fällen sogar austauschbar. So kann das Schreiben eines ›romantischen‹ Chorsatzes auf Grundlage eines Volksliedes als Stilkopie oder als Arrangement verstanden werden. Je nach Methode wird dann die Orientierung am historischen Vorbild unterschiedlich stark gewichtet. Trotz der Nähe der beiden Bereiche sollen die Begriffe hier dennoch auseinandergehalten werden, da sich das Erstellen von Arrangements deutlich vom Erzeugen von Stilkopien unterscheiden kann – vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung der Studierenden. Im Folgenden werden einige mögliche Vorzüge des Arrangierens aufgezählt:

  • 1. Praxisnähe: Das Arrangieren spielt eine wichtige Rolle in der musikalischen Produktion in allen Genres und ausdrücklich auch innerhalb des klassischen Musikbetriebes. Für die spätere Arbeitswelt der Studierenden ist es sicherlich vorteilhaft, wenn die musiktheoretische Ausbildung nicht nur ein musikalisches Grundverständnis für die Zusammenhänge in der Musik vermittelt, sondern die musiktheoretischen Kompetenzen mit einer für die spätere Berufspraxis hilfreichen Tätigkeit verbindet.

  • 2. Handlungsziel: Mit dem Arrangement kann ein neues ›Handlungsziel‹ der Studierenden in den Musiktheorieunterricht integriert werden: Im Gegensatz zur Stilkopie, die offensichtlich ›Übung‹ bzw. ›Mittel zum Zweck‹ ist und die teilweise als praxisferne ›künstliche‹ Tätigkeit empfunden wird, können Arrangements deutlich stärker selbst als lohnendes Ziel des Unterrichts erscheinen – insbesondere wenn die Arrangements unmittelbar verwertet werden können, indem für aktuell relevante Besetzungen und Anlässe geschrieben wird.

  • 3. Projektorientierung: Die Studierenden können und sollen die anstehenden Arrangierarbeiten zu ihren ›eigenen‹ Arbeiten machen, indem sie die Arrangierprojekte selbst mitplanen und durchführen. Das dürfte wiederum bedeutet, dass manche Entscheidungen in der inhaltlichen Ausrichtung des Unterrichts stärker von der Gruppenzusammensetzung und den Bedürfnissen und Interessen der Studierenden vorgegeben sind, als dass sie vom Lehrenden bewusst gefällt werden.

  • 4. Künstlerische Eigenständigkeit: Das Arrangieren birgt ein großes Potential für die Entwicklung künstlerischer Vorstellungen. Sobald man ein eigenes, eventuell für einen konkreten Anlass gedachtes Arrangement erstellt, sind es immer auch eigene künstlerische Entscheidungen, die gefällt werden müssen, selbst wenn man versucht, sich stark am Stil eines bestimmten Komponisten oder einer bestimmten Gattungstradition zu orientieren.[21] Das gilt selbstverständlich genauso für das Erstellen von Stilkopien; aber vermutlich spüren viele Studierende die eigene künstlerische Entscheidungsfreiheit beim Arrangieren deutlicher, als wenn sie eine ›Kopie‹ eines fremden Stils erstellen sollen.[22]

  • 5. Geringere ›Fallhöhe‹: Trotz oder vielmehr gerade wegen der größeren künstlerischen Eigenständigkeit dürfte die ästhetische Fallhöhe häufig als weniger hoch empfunden werden als beim reinen Nachkomponieren historischer Stile. Beim Schreiben eines Choralsatzes wäre es dann nicht das Ziel und der ästhetische Anspruch z. B. einem echten ›Bach-Werk‹ möglichst nahe zu kommen, sondern ein eigenes Chor-Arrangement zu entwerfen – das sich vielleicht am Stile Bachs orientieren könnte (oder sollte), das aber trotz der Auseinandersetzung mit Bach, nicht selbst ein ›Bach-Stück‹ sein möchte. Die Entscheidung, wie eng und in welchen Bereichen sich eine Bearbeitung am Vorbild orientiert und wo nicht, ist dabei bereits ein Teil des Bearbeitungsprozesses.

  • 6. Leichterer Einstieg: Das Bearbeiten einer klaren präexistenten Vorlage, kann den Einstieg in die künstlerische Tätigkeit des Schreibens erleichtern. Auch viele Aufgaben, die eher unter den Begriff Stilkopie fallen, nutzen selbstverständlich Vorlagen – häufig aber nur in Form von kurzen Werkanfängen oder anderen ›abgetrennten‹ Werkbestandteilen. Der oder die Studierende sitzt zu Beginn also häufig – wie beim (freien) Komponieren – vor einem ›leeren Blatt‹, das erst gefüllt werden muss. Das ist immer eine Herausforderung und kann für manche Studierenden eine Hemmschwelle sein.

Diese Aufzählung darf als ein Plädoyer für das Arrangement, aber nicht als Argument gegen die Stilkopie verstanden werden. Das Erstellen von Stilkopien kann und sollte als Gegenstand des Theorieunterrichts weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Kein anderer Unterrichtsgegenstand dürfte besser geeignet sein, auf ›Tuchfühlung‹ mit verschiedenen Komponisten und Komponistinnen und deren Werken zu gehen, als der schöpferische Nachvollzug. Vielmehr möchte ich vorschlagen, Tonsatz bzw. Satzlehre an geeigneten Stellen durch Arrangiertätigkeiten zu ergänzen. So könnten sich Arrangier-Themen besonders für Wahlseminare eignen; oder in einer Musiktheoriegruppe wird eines der Fachsemester als Projektsemester zum Arrangieren genutzt. Es gibt außerdem Studierendengruppen, die für ein bestimmtes Arrangierthema besonders geeignet sind – etwa das Thema ›Orgeltranskription‹ für eine Kirchenmusikergruppe. Je nach Kontext und Gruppenzusammensetzung dürfte eine große Zahl an Themen und passenden Aufgaben möglich sein. Die vielfältigen Erscheinungsformen der Bearbeitung in der Musikgeschichte und im heutigen Musikbetrieb können dabei als Ideengeber fungieren. Aufgrund dieser Vielfalt ist es kaum möglich, eine systematische oder gar in sich geschlossene Übersicht über passende Arrangier-Themen zu geben. Die folgenden Unterrichtsbeispiele geben lediglich einen kleinen Eindruck aus der Unterrichtstätigkeit des Autors wieder.

Unterrichtsbeispiele

1. Musik Reduzieren mit Beethoven – Sinfonik im Trioformat[23]

Das erste Unterrichtsbeispiel, das vorgestellt werden soll, geht von einer bekannten historischen Bearbeitung aus: der Klaviertrioversion von Beethovens 2. Sinfonie.[24] In der Unterrichtseinheit geht es also um die Reduktion bzw. Transformation der Besetzung: Eine orchestrale Vorlage soll in ein kammermusikalisches Gewand überführt werden. Nach einer intensiven Beschäftigung mit dem sinfonischen Vorbild und deren Bearbeitung sollen im Unterricht eigene Klaviertrio-Versionen von orchestralen Werkausschnitten erstellt werden. Dabei bietet es sich an, weitere Beethovenwerke als Vorlage zu wählen. Denkbar ist aber auch eine Ausweitung auf andere (eventuell selbstgewählte) Orchesterwerke als Bearbeitungsgrundlage. Das Unterrichtsbeispiel ist gut geeignet, um auf eine praktische Art in partitur- und instrumentenkundliche Fragestellungen einzuführen, es fördert das analytische Verständnis für die sinfonischen Vorlagen und bietet Raum für ästhetische Diskussionen über die Anforderungen und Grenzen kammermusikalischer Reduktionen orchestraler Werke. Eine Auflistung und Kommentierung der möglichen Inhalte dürfte das Unterrichtskonzept gut verdeutlichen:

1.1 Analyse des Orchestersatzes

Am Beginn der Einheit steht vor allem die Beschäftigung mit Beethovens 2. Sinfonie. Damit der Unterrichtsrahmen nicht gesprengt wird, werden hier lediglich die langsame Einleitung und die Exposition des ersten Satzes als Analysegegenstand vorgeschlagen. Im Hinblick auf die spätere Arrangierarbeit, aber auch um ein Grundverständnis beim Lesen von Partituren zu erzeugen, scheint es angebracht, in erster Linie die Funktionsweise des Orchestersatzes in den Blick zu nehmen. Dabei sollte vor allem die Frage nach der Rolle der verschiedenen Orchestergruppen im Aufbau und in der Struktur des Werkes betrachtet werden. Neben der Analyse des Orchestersatzes sollten auch die formale Gliederung und der tonale Verlauf der Exposition zumindest in groben Zügen umrissen werden – nicht zuletzt um den Studierenden einen Überblick über den Abschnitt zu verschaffen. Eine harmonische Analyse dürfte zumindest an den Stellen vorteilhaft sein, deren Bearbeitung genauer untersucht werden soll.

1.2 Reduktionsprinzipien

Es ist sinnvoll, die Klaviertriofassung der Satzexposition nicht sofort als Ganzes zu präsentieren, sondern zunächst einige exemplarische Stellen vorzustellen. Das ermöglicht die Fokussierung auf die Übertragungstechniken von Satzdetails, ohne bereits den Formverlauf berücksichtigen zu müssen. Außerdem bietet diese Herangehensweise die Chance, dass die Studierenden manche der ausgewählten Stellen zunächst selbst umsetzten müssen (evt. in Form von überschaubaren Hausaufgaben), um sie dann mit der originalen Bearbeitung vergleichen zu können.[25] Vorausgehen kann diesem Schritt eine vorläufige Diskussion, ob und wie der Sinfoniesatz überhaupt sinnvoll für Klaviertrio umgearbeitet werden kann.[26] Dabei können durchaus konkrete Fragestellungen – wie z. B. grundsätzliche Bearbeitungsprinzipien, Problemstellen oder die ›Übersetzung‹ der orchestralen Klangfarben – angesprochen werden.

Mögliche Analysestellen:

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Beispiel 1a: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 1–8. Particell der Vorlage[27]

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Beispiel 1b: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 1–8. Bearbeitung für Klaviertrio

1. Bereits der (periodische) Eröffnungsabschnitt der langsamen Einleitung (Bsp. 1a und b) zeigt ein Grundprinzip der Übertragung auf: Der Abschnitt wirkt wie ein ›erweiterter‹ Klavierauszug. Das Klavier übernimmt beinahe sämtliche Tonhöhenstrukturen des Originals, während die beiden Streichinstrumente hier in erster Linie zur Verstärkung der Tutti-Schläge (T. 1 und 5) genutzt werden – eine Aufgabe, die im Orchestersatz den Bläsern (und insbesondere den Blechbläsern) zukommt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Klangfarben-Kontrast der beiden Halbsätze (T. 1–4 Holzbläser und T. 5–8 Streicher) aufgrund des Klavierauszug-Prinzips zunächst verringert erscheint: Das Klavier ist bei beiden Piano-Phrasen beteiligt. Das hat sicher den schlichten Grund, dass der kompakte Choralsatz nicht überzeugend alleine von zwei Streichinstrumenten dargestellt werden kann – das Klavier wird daher auch im Nachsatz an dieser Aufgabe beteiligt. Der Wechsel des Klangcharakters, der deutlich eine Frage-Antwort-Struktur ausprägt, wird aber nicht aufgegeben, sondern dadurch auf die neue Besetzung übertragen, dass der Nachsatz in den Außenstimmen von Violine und Cello übernommen wird und das Klavier diesen Rahmen lediglich harmonisch füllt. Dadurch kann beides – Klangfarbenkontrast und Choralcharakter – auf die Bearbeitung übertragen werden. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang die dezente Erweiterung in der harmonischen Dichte im Klavier in Takt 5, die vermutlich der etwas besseren Verschmelzung von Violin-Oberstimme und Klavierakkorden zu einem Choralsatz dient.

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Beispiel 2a: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 17–18. Particell der Vorlage

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Beispiel 2b: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 17–18. Bearbeitung für Klaviertrio

2. Die gerade beschriebene grundsätzliche Herangehensweise kann durch ein weiteres Beispiel (2a und b) unterstützt werden:[28] Die durchführungsartige Fläche, die sich ab Takt 17 ausbreitet, wird so umgesetzt, dass das harmonische Triolen-Band in den Streicher-Mittelstimmen exakt vom Klavier übernommen wird und die motivischen bzw. gestalthaften Satzbestandteile auf die verschiedenen Klangebenen des Klaviertrios aufgeteilt werden. Dabei ist interessant, dass die Imitationen der beiden Motive immer zwischen Klavier und einem Streichinstrument wechseln, so dass ein größtmöglicher klangfarblicher Kontrast entsteht. Das ›Tonleitermotiv‹ wechselt also nicht zwischen Cello und Violine, wie es die Vorlage vermuten lassen würde, sondern die linke Hand des Klaviers wird von der Violine imitiert. Genauso wird auch die zweite motivische Ebene – die fallende Dreiklangsbrechung – taktweise alternierend zwischen Klavierdiskant und hoher Cellolage aufgeteilt.

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Beispiel 3a: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 110–112. Particell der Vorlage

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Beispiel 3b: Beethoven, 2. Sinfonie, 1. Satz, T. 110–112. Bearbeitung für Klaviertrio

3. Die markanten Merkmale der Schlusskadenz der Exposition (T. 110–113) sind der hereinbrechende dominantische Quartsextakkord im dichten Tutti und die Raketenfigur der Oberstimme (Violinen 1). Thematisiert wird an diesem Beispiel (3a und b) vor allem die Übertragung der Raketenfigur von den Violinen auf das Klavier: Die sehr idiomatische Spielweise der ersten Violine kann so nicht vom Klavier gespielt werden. Die rhythmische Verdichtung der Achtel-Bewegung wird aber durch eine kleine Veränderung in eine gut spielbare und brillante Klavierfigur verwandelt. Warum diese Figur aber weiterhin in Klavierauszug-Manier dem Klavier und nicht der Violine anvertraut wird, ist vermutlich nicht sofort einleuchtend und sollte thematisiert werden: Der Eindruck der Fülle wird in der Vorlage durch eine Überlagerung verschiedener orchestraler Ebenen erreicht. Diese Ebenen werden aber nicht als transparente und unterscheidbare Satzstrukturen inszeniert, sondern sind vielmehr Bestandteile eines wirbelnden ›Klang-Knäuels‹, aus dem zwar manche Figuren (Violin-Rakete und Trompeten-Fanfarenrhythmus) herausleuchten, das aber trotzdem vor allem als ein intern-belebter Gesamtklang wahrgenommen wird. Die Bearbeitung versucht den dichten und intern-bewegten Klangcharakter zu erhalten. Auch hier wird das durch die Überlagerung verschiedener Figuren erreicht, die sich zu einem dichten Gesamtklang vereinen: Doppelgriff und Bogentremolo in der Violine und Akkordrepetitionen im Klavier bilden den Klanghintergrund, in den sich die Figuren (aufsteigende Dreiklangsbrechungen im Cello und Oberstimmenrakete im Klavier) einfügen. Dass sich der Bearbeiter dafür entschieden hat, die Trompetenfanfare und die Bläser-Liegetöne wegzulassen, ist sicherlich dadurch zu erklären, dass keines der drei Instrumente diese Aufgaben entsprechend glänzend und klangvoll übernehmen könnte. Alle drei Instrumente werden vielmehr dazu gebraucht, ›Dichte‹ zu erzeugen, die in der kleinen Besetzung vor allem durch verschiedene schnelle rhythmische Notenwerte zu erreichen ist. Besonders die Beibehaltung der Tremolo-Ebene ist sicher eine wichtige ›Zutat‹ für diese Klangwirkung. Die Violine wird daher dazu genutzt, um den enormen und dichten Nachdruck in Form des Streichertremolos beizusteuern, während die Raketenfigur in der brillanten Klavierfarbe besonders gut dazu geeignet ist, aus dem dichten und intern-belebten Klangteppich herauszuragen.

In Anschluss an die detaillierte Analyse einzelner Stellen, dürften die Studierenden gut präpariert sein, um langsame Einleitung und Exposition als Ganzes in den Blick zu nehmen. Ziel dieses Arbeitsschrittes ist zum Ersten die Bestätigung, dass das oben beschriebene Bearbeitungsprinzip (musikalische Grundstruktur im Klavier und Nutzung des Streicher-Klavier-Kontrastes zur Übertragung der klanglichen und funktionalen Trennung der Orchestergruppen), als Modell für die gesamte Übertragung gesehen werden kann. Zum Zweiten sollten jetzt vor allem die formalen Differenzierungen angesprochen werden: Entscheidend ist hierbei nicht so sehr, jede Einzelentscheidung des Arrangeurs zu deuten, sondern festzustellen, dass das Grundprinzip stets ausdifferenziert und angepasst wird, so dass ein abwechslungsreiches Wechselspiel zwischen den drei Instrumenten entsteht. Die vielen (oft kleingliedrigen) Texturwechsel der Vorlage werden stets auch im Arrangement berücksichtigt, wo es zu einer Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten kommt. Ein wesentlicher Punkt, der in diesem Zusammenhang aufgegriffen werden sollte, ist die Behandlung des sinfonietypischen Tutti-Solo-Kontrasts: Insbesondere die Allegro-Musik des Sinfoniesatzes lebt von den zupackenden Tuttistellen, zwischen denen die eingeschobenen Soloabschnitte oft einen episodenartigen Eindruck machen. Die Studierenden werden sicher leicht feststellen, dass dieser Kontrast auch in der Bearbeitung zu hören ist. Die sinfonietypische Kombination der dynamischen Zurücknahme mit einer Reduktion der Besetzung, kann im Klaviertrio allerdings nicht in gleichem Maße realisiert werden. Selbstverständlich spielen Besetzungsreduktionen in Form von gelegentlichen Pausen in den einzelnen Instrumenten trotzdem eine entscheidende Rolle für das Gelingen der Bearbeitung. Pausen ermöglichen Neueinsätze und frischen den Klang stets spürbar auf, so dass ein abwechslungsreiches Klangbild entsteht, das eine Ermüdung der Hörer:innen verhindert. Es bietet sich an, die Studierenden gezielt alle Pausentakte im Arrangement des Abschnitts in den Blick nehmen zu lassen, um deren formale Positionierung und Verteilung zu untersuchen.

1.3 Reduzierte Sinfonik vs. Kammermusik

Die Unterschiede in der Stilistik und Idiomatik der beiden Besetzungen (Orchester – Klaviertrio) müssen thematisiert und diskutiert werden. Zu diesem Zweck kann die Klaviertrio-Bearbeitung der Sinfonie mit einem originalen Beethoven’schen Klaviertrio verglichen werden. Vorgeschlagen wird hier der erste Satz des Geistertrios, Op. 70 Nr. 1. Das Werk bietet sich aufgrund der gleichen Tonart und des ähnlichen Charakters als Vergleichswerk an. Das Durchhören und Lesen des Satzes sollte durch konkrete Fragestellungen geleitet werden: Neben der Aufgabenverteilung der drei Instrumente und der generellen Klangdichte, sollten vor allem die jeweiligen konkreten instrumentalen Figuren (z. B. Streichertremoli oder Akkordrepetitionen im Klavier) und Instrumentationstechniken (z. B. Unisono- und Oktavkoppelungen) mit denen der Bearbeitung verglichen werden. Die Auswertung dieser Fragen dürfte ergeben, dass durchaus Unterschiede der beiden Triosätze festzustellen sind. Die Sinfonie-Bearbeitung wirkt tatsächlich deutlich sinfonischer und dichter, weil Orchester- und Klavierauszug-Figuren häufiger bzw. flächendeckender eingesetzt werden. Die Unterschiede sind aber durchweg als graduelle Unterschiede anzusehen: Grundsätzlich werden die meisten an einen Orchestersatz bzw. Klavierauszug erinnernden Techniken auch im Geistertrio genutzt. Der Klaviersatz klingt lediglich etwas idiomatischer (z. B. weniger Repetitionen, mehr Albertibässe) und die beiden Streicher spielen kaum füllende (Tremolo-)Figuren, sondern werden häufiger als ›melodietragende‹ Instrumente eingesetzt. Die dynamischen Kontrastierungen im Geistertrio entsprechen stark den Tutti-Solo-Kontrasten des Sinfoniesatzes und auch der stete Wechsel der Texturen – das kammermusikalische Wechselspiel der drei Instrumente und damit der Klangfarben – spielt in beiden Werken eine entscheidende Rolle.

1.4 Ästhetische Bewertung

Um in eine Diskussion über die Bewertung des Arrangements zu kommen, bietet es sich an, zwei mögliche ästhetische Prinzipien zu unterscheiden, die die Reduktion einer sinfonischen Vorlage leiten könnten: Die orchestrale Dynamik des Vorbilds könnte entweder auf die neue Besetzung übertragen werden, um so den sinfonischen Grundcharakter zu bewahren, oder es müsste versucht werden, eine genuin kammermusikalische Variante des Stückes zu erzeugen, die stärker in den Charakter der Vorlage eingreift.[29] Aus der obigen Analyse geht hervor, dass das Arrangement eher zur ersten Möglichkeit tendiert, was sich – wie gezeigt – bis in die Übertagungsdetails nachverfolgen lässt. Diese enge Bindung an die Vorlage kann selbstverständlich negativ bewertet werden: Wenn das Arrangement als klangfarblich angereicherter Klavierauszug bezeichnet wird, ist damit zumeist eine ästhetische Abwertung gemeint. Der Begriff ›Klavierauszug‹ meint dann eine zweitrangige – nur durch den Studiengebrauch legitimierte –Version des Werkes. Die Nähe der Klaviertriofassung zum Klavierauszug liegt aber vermutlich eher im ästhetischen Ideal und den technischen Notwendigkeiten der Reduktion begründet und muss per se keineswegs ein Manko sein. Die Analyse hat gezeigt, dass die Übertragung nicht stereotyp oder simpel erfolgte, sondern die verschiedenen Klangebenen der Vorlage subtil auf die neue Besetzung übertragen wurden, um so den sinfonischen ›Drive‹ der Vorlage auch in der Reduktion zu erhalten.

Zum Ende der Analyse-Phase könnte schließlich die Frage aufgegriffen werden, ob auch eine kammermusikalischere Übertragung des Sinfoniesatzes möglich gewesen wäre.[30] Auf jeden Fall wären dabei deutlich größere ›kompositorische‹, d. h. die Satzstruktur verändernde Eingriffe nötig, um die orchestralen ›Tutti-Texturen‹ mit den vielen Tremoli und Repetitionsfiguren zu reduzieren und zumindest stellenweise in transparentere, kammermusikalische Texturen zu überführen.

1.5 Eigene ›Gehversuche‹

Neben den eher lehrergelenkten Analysephasen, sollte der Unterricht auch freiere Arrangierphasen enthalten. Bei den möglichen Arrangierprojekten kann es eine breite Skala an unterschiedlichen ›Freiheitsgraden‹ geben: So könnte man die Studierenden jeweils eigene Vorlagen auswählen lassen – oder man gibt eine Vorlage für alle vor – oder es gibt mehrere Bearbeitungsvorschläge zur Auswahl. Bei manchen Gruppen dürfte es auch sehr sinnvoll sein, die Arrangements in kleinere Bearbeitungsabschnitte zu zerlegen und die Zwischenresultate evt. mit festen Abgabefristen zu verbinden. Die Studierenden können sich selbstverständlich an den Prinzipien der besprochenen Bearbeitung orientieren, sollten aber auch dazu angehalten werden, stärkere (d. h. kammermusikalischere) Umbildungen auszuprobieren. Je nach Fähigkeiten der Studierenden sollte aus meiner Sicht der Freiheitsgrad der Unterrichtsphase grundsätzlich so eng wie nötig und so eigenständig wie möglich gewählt werden, um den Studierenden nach Möglichkeit das Gefühl zu geben, dass sie eigene Projekte durchführen.

2. Reduktion für gleiche Instrumente – ›Orchesterschlager‹ für den Hausgebrauch

Auch das zweite Unterrichtsbeispiel, das vorgestellt werden soll, thematisiert das Reduzieren von Orchesterwerken. In dieser Unterrichtseinheit gibt es aber zwei entscheidende ›Beschränkungen‹: 1. Arrangiert wird für eine Besetzung aus wenigen gleichen Instrumenten. 2. Der Schwierigkeitsgrad der Arrangements soll so angepasst sein, dass sie für Schüler:innen spielbar sind. Die genaue Zielbesetzung kann und sollte von der Kurszusammensetzung abhängen. Vorgeschlagen wird hier das Arrangieren für ein Ensemble aus gleichen Melodieinstrumenten, so dass die Studierenden nach Möglichkeit für das eigene Instrument schreiben können.[31] Das hat den Vorteil, dass die Studierenden ihre eigenen instrumentalen Expertisen bei der Bewältigung von spieltechnischen Herausforderungen und Begrenzungen in den Unterricht einbringen können. Die Studierenden können sich dadurch stärker auf die satztechnischen Bearbeitungsschwierigkeiten konzentrieren. Diese sind tatsächlich oft recht groß, da die reduzierte Spielerzahl und der reduzierte Umfang bei einem Ensemble aus gleichen Instrumenten häufig zu starken Eingriffen in die Notensubstanz zwingen.[32]

2.1 Anmerkungen und Analysebeispiel

Die folgenden Anmerkungen sollen – anhand eines Analysebeispiels – vor allem die Unterschiede zur vorher beschriebenen Beethoven-Einheit hervorheben. Gewählt wurde als Beispiel das Terzett »Du feines Täubchen nur herein« aus der Zauberflöte – in einer anonymen Bearbeitung für Flötenduo aus dem Jahre 1792.[33] Die Zauberflöten-Musik eignet sich sicher besonders gut als Demonstrationsobjekt, weil es Bearbeitungen für alle möglichen Besetzung und Schwierigkeitsgrade gibt, so dass die Analysebeispiele leicht den jeweiligen Kursbedürfnissen angepasst und verschiedene Bearbeitungen und Besetzungen miteinander verglichen werden können.

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Beispiel 4: Mozart, Die Zauberflöte KV 620, Nr. 6: Terzetto. Bearbeitung für Flötenduo[34]

1. Die ästhetischen Grenzen des Arrangierens kommen bei starken besetzungsmäßigen und spieltechnischen Reduktionen besonders deutlich zum Vorschein. Überschreitet die geplante Bearbeitung gewisse Grenzen, könnte das Stück leicht verzerrt, entstellt oder gar lächerlich wirken. Entsprechende Diskussionen sollten im Kurs daher nicht vernachlässigt werden. Wichtig ist aber in jedem Fall darauf hinzuweisen, dass es keine festen Grenzziehungen geben kann. Der Einzelfall (d. h. der jeweils konkrete singuläre Zusammenhang im Kontext der Reduktionsaufgabe) entscheidet über das Gelingen bzw. die Sinnhaftigkeit von Vereinfachungen und Reduktionen.

Da das Zauberflöten-Terzett einige (vor allem durch den Text legitimierte) Charakterwechsel und dramatische Momente enthält, ist es eine legitime Frage, ob das Terzett ohne den Text und das Bühnengeschehen sinnvoll in ein reines Instrumentalstück überführbar ist. Die obige Flöten-Übertragung (Bsp. 4) kommt ohne Kürzungen und nur mit leichten Veränderungen der Faktur des Stückes aus. Es ist daher nicht von der Hand zu weisen, dass die Bearbeitung episodisch wirkt und manche Texturwechsel unmotiviert klingen. Das betrifft aus meiner Sicht vor allem die zweite Hälfte der Übertragung: Nachdem die Takte 1–31 aufgrund des durchlaufenden Achtelflusses einen recht einheitlichen Klangcharakter ausprägen, setzt im folgenden, zurückgenommenen Mittelteil (T. 32–44) die Achtelbewegung aus. In Takt 41 wird die Achtelbewegung allerdings wieder aufgenommen, nur um dann mit einer Kadenz in die 5. Stufe (T. 44) sofort wieder unterbrochen zu werden. Nach der Generalpause setzt dann eine neue Musik in der Ausgangstonart an, was die Takte 40–44 quasi ›folgenlos‹ in der Luft hängen lässt.[35] Das formal-ästhetische Defizit dieser Takte liegt in der Übertragung selbst (Bsp. 5a): Das Aufgreifen der Achtelbewegung in Takt 41 gibt es im Original nicht und wirkt in der Bearbeitung deswegen deplatziert, weil mit diesem Charakterwechsel eine völlig andere Erwartung für den weiteren Verlauf gesetzt wird. Eine Übertragung, die sich stärker an das Vorbild hielte (Bsp. 5b), würde die eigentliche Formfunktion der Kadenz (T. 44) unterstützen, da die Kadenz dann nicht wie ein plötzliches Abbrechen einer gerade angefangenen Bewegungsfigur wirkte, sondern als Abschluss des Mittelteils (T. 32–44) fungieren würde.[36]

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Beispiel 5a: Mozart, Die Zauberflöte KV 620, Nr. 6: Terzetto, T. 40–45. Bearbeitung für Flötenduo

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Beispiel 5b: Mozart, Die Zauberflöte KV 620, Nr. 6: Terzetto, T. 40–45. Bearbeitung für Flötenduo, Verbesserungsvorschlag

2. Mitunter sollten bzw. müssen Arrangeure stark in die Notenvorlage eingreifen. Solche Eingriffe können aus zwei Richtungen legitimiert werden: Anpassungen müssen entweder aufgrund der spieltechnischen Möglichkeiten gemacht werden oder es bestehen ästhetische Notwendigkeiten aus dem Stück heraus, die eine Veränderung des Notentextes bedingen. Betroffen können dabei sämtliche Bereiche des Tonsatzes sein, was durch folgende Auflistung angedeutet werden soll:

  • Anpassung der Tonart: Anhand der Terzett-Vorlage kann gut demonstriert werden, dass die Tonart G-Dur an einigen Stellen ungünstig für das Flöten-Arrangement sein dürfte: Die Tessituren der führenden Gesangsstimmen lägen in G-Dur auf den Flöten recht tief, v. a. wenn man bedenkt, dass häufig noch eine zweite Stimme Platz unter der Oberstimme finden muss. Eine Quinttransposition hebt die Oberstimmen an den meisten Stellen in die beste Flötenlage und schafft genug Platz für eine Unterstimme.

  • Tempoanpassungen: Ob eine Reduktion des Tempos notwendig ist, hängt von den Fähigkeiten der Ausführenden ab; ob sie möglich ist, von der Beschaffenheit der Vorlage. Eine gewisse Temporeduktion (von Allegro molto auf Allegro) dürfte bei der Flöten-Bearbeitung gut machbar sein, da die Übertragung die dramatischen Momente der Vorlage sowieso kaum einfangen kann, wodurch das Arrangement eine ganze Spur ›eleganter‹ wirkt als die Vorlage und damit auch eine gewisse Temporeduktion verträgt.

  • Kürzungen: Nicht zuletzt aus pädagogischer Sicht ist es legitim, dass man lediglich Ausschnitte aus längeren (z. B. sinfonischen) Werken oder Sätzen arrangiert. Solche Kürzungen müssen selbstverständlich stets in sich Sinn ergeben. So könnte es bei dem kurzen Mozartbeispiel angebracht sein, den Schluss etwas zu kürzen, weil eine Übertragung in vollem Umfang ohne das Wechselspiel zwischen den Sängern und dem Orchester ästhetisch nicht überzeugt.

  • Eingriffe in die Satzstrukturen oder den Formverlauf: Oben wurde beschrieben, dass ein unbedachter Eingriff in die Begleittextur (T. 41–43) den Formverlauf ungünstig beeinflussen kann. In vielen Fällen ist es aber umgekehrt: eine notentreue Übertagung wirkt manchmal gerade deswegen nicht überzeugend, weil die originale Textur oder der formale Aufbau in der reduzierten Besetzung nicht mehr trägt. Einige Strukturen (z. B. ein Fugato, oder ein ›lärmendes‹ Orchestertutti) lassen sich in einer Reduktion kaum sinnvoll darstellen, was dann stets größere Eingriffe nötig macht. Ein Beispiel aus dem Zauberflöten-Terzett ist der Takt 25: Der Tutti-Einbruch auf dem Wort ›barbarisch‹ ist nicht von den beiden Flöten darstellbar. Die Bearbeitung bringt aber durch eine geschickte Sechzehntel-Passage der 2. Flöte die entscheidende Akkordseptime g ins Spiel und erzeugt zwar keine ›klanglich-dynamische‹ Steigerung (wie in der Vorlage), aber eine virtuose Verdichtung, die den Nachdruck des offenen Endes in Takt 26 kammermusikalisch sinnvoll vorbereitet. Ein zweites Beispiel ist die orchestrale Begleittextur in den Takten 17–19. Da der originale Streicherteppich mit der verspielten Violinfigur darüber kaum überzeugend alleine von der Begleitflöte dargestellt werden kann, wurde hier die Achtel-Albertifigur weitergenutzt, die bereits in Takt 1 etabliert wurde. Das Angleichen der Begleittextur erzeugt außerdem einen hörbaren formalen Zusammenhang, der der ›undramatischen‹ instrumentalen Bearbeitung entspricht.

  • Anpassungen von Spielfiguren, Läufen oder gar von ›Melodien‹: Instrumentale Begrenzungen oder andersartige instrumentale Idiomatiken sind häufig für Eingriffe in die konkreten musikalischen Figuren verantwortlich. Mit ›melodischen‹ Eingriffen ist gemeint, dass manchmal auch sinntragende Themen oder Motive aus technischen Gründen angepasst werden müssen, sofern das ohne Entstellung funktioniert.

Bei all den beschriebenen Anpassungen geht es stets darum, ein ästhetisch befriedigendes Gesamtergebnis zu erzielen. Manchmal muss man durchaus radikal in die Faktur des Satzes eingreifen, um einen dem Originalstück entsprechenden Effekt zu erzielen.[37] Nehmen die nötigen Umformungen aber überhand, so dass keine ästhetisch befriedigende Übersetzung mehr möglich erscheint, muss ein Arrangiervorhaben evt. auch wieder verworfen werden.

3. Die Aufgabenstellung beinhaltet auch starke Anteile an traditionellen Tonsatz-Inhalten: Umformungen der Stimmenzahl, der Figuren oder der Texturen bedingen vielfältige satztechnische Eingriffe in die Vorlagen. So sind insbesondere zum Ausdünnen dichter Abschnitte harmonische und satztechnische Kenntnisse von Nöten. Aber auch formale Anpassungen (z. B. Kürzungen oder evt. sogar Anpassungen der Harmonik bzw. des Modulationsweges) eröffnen Möglichkeiten, auch ›kompositorisch‹ in die Vorlage einzugreifen. In der Flötenduo-Bearbeitung des Terzetts musste beispielsweise die Begleitstimme, die zur mehr oder weniger vorgegebenen Oberstimme hinzukommt, vom Arrangeur selbst gestaltet (d. h. komponiert) werden. Sie sollte nicht nur die wichtigsten Bass- und harmonischen Ergänzungstöne einbringen, sondern muss auch für den notwendigen Bewegungsimpuls sorgen und trotzdem als Stimme ich sich Sinn ergeben. Die geschickte Mischung der verschiedenen Funktionen ist hier der Schlüssel zum Erfolg: In der ersten Gesangsphrase (T. 3 und 4) muss die 2. Flöte beispielsweise keinen Basston bedienen (der Orgelpunkt bleibt strukturell liegen), und kann (bzw. sollte) sich tonal auf die Sextparallelen konzentrieren. Um den Achtelpuls nicht zu unterbrechen, wurde die Sextkoppel mit einem Terzpendel auf der punktierten Viertel ergänzt, was eine sinnvolle Begleitfigur ergibt. Ein zweites (gelungenes) Beispiel ist der gebrochene und figurierte Bläserakkord in Takt 52: Die zweistimmige Reduktion auf einen Hornquintensatz (der im Original nicht existiert), lässt den Bläsersound der Stelle idiomatisch aufscheinen.

2.2 Unterrichtsbeispiele

An dieser Stelle sollen beispielhaft zwei studentische Arbeiten gezeigt werden, die die obigen Gedankengänge verdeutlichen.[38]

1. Einen solch massiven und dennoch rhythmisch-virtuosen Tanzsatz im Orchestertutti wie Dvořàks Furiant (Slawischer Tanz, Op. 46 Nr. 8) für drei Violinen zu bearbeiten, erschien zunächst als ein mutiges Unterfangen. Erstaunlicherweise funktioniert die Reduktion aber über weite Strecken sehr gut: Die klare Melodielinie konnte zusammen mit der schlichten Harmonik auf vielfältige Weise auf die drei Instrumente verteilt werden, so dass das Stück trotz der fehlenden Wucht in der reduzierten Besetzung keinesfalls ermüdend wirkt. Auch die Tonart g-Moll musste nicht verändert werden, da diese sehr gut zum Violin-Ambitus passt. Lediglich einige rhythmisch schwere Stellen wurden vereinfacht (z. B. die Synkopenlinie in T. 9–16). Außerdem wurde der virtuose Steigerungsteil (T. 41–64) gekürzt und ebenfalls vereinfacht. Die Coda wurde komplett weggelassen. Die Reduktion des ersten Achttakters (Refrain) zeigt auf, dass die Musik grundsätzlich gut mit drei Violinen dargestellt werden kann (Bsp. 6a und b). Besonders der Kontrast zwischen den ersten beiden Zweitaktern entfaltet eine gute Wirkung: ›Voluminöse‹ homorhythmische Hemiole (T. 1–2) vs. ›verspielte‹ Staccato-Töne in enger Lage (T. 3–4). Die Stimmkreuzungen (T. 3 und 4) tragen zum tänzerischen Eindruck der Takte bei, was die orchestrale Wucht des Originals sehr gut ersetzt. Auch wurde darauf geachtet, dass die unteren beiden Violinen trotz der klaren Begleitaufgabe nicht nur die wichtigsten Harmonietöne ergänzen, sondern auch eine sinnvolle Linienführung bekommen. Die Wiederholungen der Achttakter wurden im gesamten Arrangement stets ausgeschrieben und variiert, um der Musik eine abwechslungsreiche und spritzige, klangliche Façon zu verleihen. Der erste Achttakter wird beispielsweise in zurückgenommener Dynamik wiederholt und bekommt eine höhergelegte Oberstimmenlange. Da die Höherlegung um eine Oktave (entsprechend der Originallage) spieltechnisch zu anspruchsvoll und in der Kammermusikbesetzung nicht sinnvoll gewesen wäre, wurde ein Start in der Quintlage gewählt, was die Melodie zwar verändert, diese aber keineswegs entstellt.

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Beispiel 6a: Dvořàk, Slawischer Tanz Op. 46 Nr. 8, T .1–8. Particell der Vorlage

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Beispiel 6b: Dvořàk, Slawischer Tanz Op. 46 Nr. 8, T. 1–16. Bearbeitung für drei Violinen

An dem zweiten beispielhaften Ausschnitt aus der Bearbeitung (die Takte 25–32 der Vorlage) kann man gut studieren, wie die sehr schlichte Satztechnik und Harmonik der Vorlage durch einfache satztechnische Umbildungen raffinierter und kammermusikalischer inszeniert werden kann (Bsp. 7a und b). Die mit vollstimmigen Nachschlägen versehene Wechselbassbegleitung des Originals wurde in den ersten vier Takten zugunsten zweier Guideline-Stimmen in punktierten Halben eliminiert.[39] Durch den rhythmischen und artikulatorischen Kontrast zur Melodielinie wird diese deutlich hervorgehoben und kann problemlos in die Unterstimme wandern, wo sie durch die Gegenbewegung der beiden Satzebenen nicht lange bleibt. Der Liegeton d erschien entbehrlich, weil er erstens sowieso implizit mitgehört wird und weil die beiden Legato-Stimmen zweitens einen ausreichenden Pedaleffekt erzeugen. In der variierten Wiederholung (T. 57) wurden die beiden Legato-Stimmen nochmal leicht verändert, so dass ein ›Quartzug‹ in der Unterstimme entsteht, der die Melodielinie sehr gut kontrapunktiert. Die Oktavparallelen, die gelegentlich zwischen Melodie und einer der Begleitstimme entstehen, wurden aufgrund der unterschiedlichen satztechnischen Ebenen toleriert.

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Beispiel 7a: Dvořàk, Slawischer Tanz Op. 46 Nr. 8, T. 25–32. Particell der Vorlage

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Beispiel 7b: Dvořàk, Slawischer Tanz Op. 46 Nr. 8, T. 49–63. Bearbeitung für drei Violinen

2. Das zweite Arrangement, das vorgestellt werden soll, ähnelt in gewissem Sinne dem ersten: Auch hier geht es um einen Tanzsatz im Dreiertakt. Im Gegensatz zu Dvořàks Furiant wurde Čajkovskijs Dornröschenwalzer aber nicht komplett bearbeitet, sondern es sollte lediglich die berühmte schlichte Walzermelodie – bearbeitet für ein Klarinettenquartett – aus dem Werk herausgezogen werden. Das hat vor allem mit dem ansonsten sehr virtuosen und trotzdem klanglich raffinierten Charakter des Vorbildes zu tun, der kaum für ein Schülerquartett reduzierbar sein dürfte. Dieses Beispiel (8a und b) zeigt deutlich, dass man mitunter kaum in die Notenvorlage eingreifen muss, um eine stimmige Bearbeitung zu erhalten. Versteht man die Struktur des Abschnittes richtig, ist es problemlos möglich, die drei Klangebenen der Vorlage auf die vier Klarinetten zu übertagen. Die elegante Walzermelodie, die im orchestralen Unisono (in zwei Oktavlagen) vom Streichorchester vorgetragen wird, wird von einem Wechselbass mit einer genuin zweistimmigen Nachschlagbegleitung der Bläser begleitet.[40]

Auch wenn der Tonsatz der Vorlage weitgehend abgeschrieben werden konnte, gab es dennoch einige Anpassungen, die vorgenommen werden mussten: Zunächst sind das Kleinigkeiten, wie eine kleine Veränderung in der Lage der Begleittöne (T. 17[41]), die eine Kollision mit der Bassstimme verhindert; oder es musste die genaue Notations- und Artikulationsweise der Bassstimme überdacht werden: Im Original erzeugen die Fagotte einen weichen Pedaleffekt für die Kontrabassviertel. Dieser Effekt wurde versucht dadurch zu übertragen, dass die vierte Klarinette die punktierten Halben der Bassstimme glockenartig artikuliert. Eine weitere entscheidende Änderung betrifft wiederum eine Kollision des Basses mit den Mittelstimmen: In den Takten 24–28 wäre eine ›intervallgetreue‹ Bassübertragung zu hoch geraten. Durch eine Oktavierung nach unten, die mit einem Sextsprung zum Takt 24 problemlos möglich wäre und die auch klanglich sehr gut wirken würde, könnte das Problem gelöst werden, wenn dadurch nicht ein weiteres Problem entstünde: Der Ambitus der Klarinette müsste um einen Ton unterschritten werden (notiertes d). Um diese Lagenänderung hinzubekommen, wurde entschieden, das Arrangement um einen Ganzton nach oben zu setzten (vom originalen klingenden B-Dur, nach klingend C-Dur – bzw. notiertem D-Dur auf der B-Klarinette). Durch diese Anpassung klingt das Arrangement zwar im Ganzen etwas schärfer und die erste Klarinettenstimme wird anspruchsvoller, was aber für die gewonnene Basslage in Kauf genommen wurde. Die dynamische Steigerung in den Takten 29–35 wird in der Vorlage durch den Harmoniesatz der hohen Blechbläser unterstützt. Um auch in der Bearbeitung eine Verdichtung zu erzeugen und den Mittelstimmen etwas Abwechslung zu gönnen, wurden die Nachschläge an dieser Stelle in durchgehende Akkordbrechungen in aufsteigender Bewegungsrichtung verwandelt. Dadurch konnte auch erreicht werden, dass die vierte Klarinette nicht mehr jede ›Takt-Eins‹ bedienen muss. Die Oktavsprünge der Vorlage konnten so in wirkungsvollere, ›insistierende‹ tiefe Liegetöne umgewandelt werden.

Die wichtigste Änderung betrifft die Form. Die Vorlage endet offen: Nach dem Höhepunkt – der Kadenz auf der fünften Stufe in Takt 35 – kehrt die Musik eigentlich wieder in den Anfangscharakter des Walzers zurück. Um die Walzermelodie aber auch ohne die Einbettung in den Satzzusammenhang einigermaßen schlüssig zu Ende zu führen, wurde an den Takt 36 eine ›Reprise‹ der Melodie angehängt. Die eigentliche Arrangierarbeit bestand jetzt darin, die Achtelfigur in den Takten 35–36 umzubiegen und einen sinnvollen Schluss herbeizuführen – d. h. kompositorisch eine Schlusskadenz zu gestalten, die den kurzen Werkausschnitt abschließt (vgl. T. 49–53).

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Beispiel 8a: Čajkovskij, Dornröschen-Suite Op. 66a, Nr. 5: Walzer. T. 37–71. Particell der Vorlage

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Beispiel 8b: Čajkovskij, Dornröschen-Suite Op. 66a, Nr. 5: Walzer. Bearbeitung für vier Klarinetten

3. Projekt-Beispiel: Schuberts Fräulein am See für Chor und Bläser.

3.1 Projektidee

The Lady of the Lake ist ein narratives Gedicht von Walter Scott (1771–1832) aus dem Jahre 1810. Das Gedicht, das am Loch Katrine in Schottland spielt, erfreute sich schnell einer großen Popularität in ganz Europa und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Schubert vertonte Teile der deutschen Übersetzung von Adam Storck (1780–1822) und veröffentlichte diese im Jahre 1825 als Opus 52 unter dem Titel Sieben Gesänge aus Walter Scotts ›Fräulein am See‹. Schuberts Liedzyklus ist deswegen außergewöhnlich, weil die sieben Lieder nicht für einen Einzelsänger mit Klavierbegleitung vorgesehen sind, sondern entsprechend der Vorlage des Gedichts in der Besetzung wechseln: Die drei Gesänge der Ellen sind für Frauenstimme mit Klavierbegleitung, während Normans Gesang und das Lied des gefangenen Jägers an eine Männerstimme denken lassen. Übrig bleibt ein Lied für Frauenchor: »Coronach« (»Totengesang der Frauen und Mädchen«) und eines für Männerchor mit Klavierbegleitung: »Bootgesang«. Aufgrund der verschiedenen Besetzungen werden die Stücke trotz der gemeinsamen Opuszahl nur selten als Zyklus aufgeführt. Auf Anfrage eines Chores sollte der Liederzyklus für eine einheitliche Besetzung (Chor und Bläser) bearbeitet werden. Das Ziel war es, die Lieder tatsächlich als Zyklus und zusammen mit anderen Chorwerken mit Bläserbegleitung in einem Konzert aufzuführen. Der eigentliche ›Ideengeber‹ des Bearbeitungsvorhabens ist Johannes Brahms. Brahms arrangierte selbst eines der Solo-Lieder (Ellens zweiter Gesang »Jäger, ruhe von der Jagd«) für Frauenchor und Bläserbegleitung. Das spannende und durchaus anspruchsvolle Unterrichtsprojekt wurde im Sommersemester 2022 in einem Wahlkurs für Master-Schulmusikstudierende durchgeführt. Die Bearbeitungen sollten sich zwar an der Musik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts orientieren – im Wesentlichen ging es aber nicht darum, einen bestimmten historischen (Personal-)Stil möglichst exakt zu treffen, sondern abwechslungsreiche und für die Aufführenden und Hörerenden spannende Arrangements zu erarbeiten.

Neben dem zentralen Unterrichtsgeschehen – der Planung, Besprechung und Durchführung des Projektes – bekamen die Studierenden Anregungen und Hilfestellungen vor allem durch einige flankierende Analysen von Beispielstücken. Neben der Brahms’schen Bearbeitung von Ellens zweitem Gesang waren das vor allem weitere Werke für Chor und Bläserbegleitung (z. B. Brahms’ Begräbnisgesang Op. 13, oder Schumanns Beim Abschied zu singen Op. 84). Anhand der untersuchten Vorbildstücke sollte den Studierenden klar geworden sein, dass es bei der Übertragung der Solo-Gesangstimme nicht darauf ankommt, einen durchgängig vierstimmigen, am Choral orientierten Chorsatz zu entwerfen, sondern den Chor und die Bläserbegleitung flexibel und vielseitig einzusetzen, um ein abwechslungsreiches Klangbild zu generieren, das auf sinnvolle Art und Weise auf die formalen und inhaltlichen Anforderungen der Liedvorlagen reagiert.

3.2 Beispielstellen

Der Verlauf der Chorsätze müsste – genauso wie auch die Abstimmung der Bläserfarben – im Gesamtzusammenhang der Lieder betrachtet werden, um deren ästhetische Sinnhaftigkeit adäquat beschreiben zu können. Auch wenn die studentischen Arrangements hier nicht in Gänze gezeigt und besprochen werden, können die gewählten Ausschnitte dennoch einen guten Eindruck der Arrangieraufgabe vermitteln. Im Unterricht wurde zunächst die Aufgabe in den Blick genommen, aus den Gesangspartien sinnvolle Chorsätze zu generieren, bevor die Ausarbeitung der Bläsersätze angegangen wurde. Dieser Reihenfolge folgt auch die Darstellung in diesem Text.

1. Passend zum Textinhalt wurde der Beginn der ersten Strophe von Ellens erstem Gesang den Frauenstimmen überlassen (Bsp. 9). Der Sopran übernimmt die Oberstimme und der Alt ergänzt die Melodie zu einer schlichten Zweistimmigkeit, die im Wesentlichen durch Austerzung entsteht. Ab Takt 13 wird die Koppelung des Alts an den Sopran etwas gelöst, indem die Auftakte des Soprans um ein Viertel versetzt im Alt imitiert werden, was eine subtile und stilistisch passende Variation des eröffnenden Satzprinzips ist. Die Männerstimmen werden dazu genutzt, die schon im Vorbild vorhandene Emphase auf dem Strophenende (»Nacht voll Schrecken«) zu unterstützen (T. 16). Die Idee, die Auftakte der Melodie zu imitieren, wird auch im weiteren Verlauf der Strophe genutzt (T. 19–27): Tenor und Sopran beginnen im (Oktav-)Unisono mit der Oberstimme, während die beiden tiefen Stimmen (Alt und Bass) imitierend dazustoßen und harmonisch ergänzen. Der einstimmige Phrasenbeginn wird dadurch jeweils in eine harmonisch dichte Schlussbildung überführt (T. 20 und 22). Erwähnenswert sind außerdem einige satztechnische Details, wie die Ergänzung der Tredezime (bzw. des Sextvorhaltes) im Alt (T. 11), die durch die Terzenkoppelung zum Sopran entsteht, oder die figurativen Oktavparallelen zwischen Bass und Sopran (T. 16 und T. 24).

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Beispiel 9: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 1: »Ellens Gesang I«, D 837, T. 5–27. Chorsatz (oben) und originale Vorlage

2. Ein Beispiel für die Übertragung der Solostimme nicht in den Chorsopran, sondern in die Tenorstimme, ist folgende Stelle aus »Normans Gesang« (Bsp. 10). Aus Gründen der besseren Wahrnehmung beginnt die Tenor-Melodie alleine und wird dann durch die dazukommende Sopranstimme in Sexten begleitet. Alt und Bass füllen unauffällig harmonisch auf, wobei die Oktavparallele von Takt 13 auf 14 durch die Oktaven in den Außenstimmen des Klaviersatzes legitimiert sein dürfte. Auch in diesem Beispiel ändert sich das Satzprinzip bereits mit der nächsten Phrase: Der Sopran übernimmt die melodische Führung, während der Chorsatz durch die versetzten Einsätze der beiden Stimmpaare und deren weiten Abstand geprägt ist.

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Beispiel 10: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 5: »Normans Gesang«, D 846, T. 13–17. Chorsatz (oben) und originale Vorlage

3. Ellens dritter Gesang – das allseits bekannte Schubert’sche »Ave Maria« – bot besondere Herausforderungen für die Arrangeurin: Die figurierte und genuin solistische Melodie schien kaum für die Umarbeitung in einen kompakten Chorsatz geeignet. Die Aussetzung der ersten Strophe (vgl. Bsp. 11) trägt dieser melodischen Eigenart Rechnung, indem die Gesangsstimme nur gelegentlich ausgeterzt (T. 5 und T. 7 im Alt) und ansonsten ›solistisch‹ in der Oberstimme belassen wurde, während die Unterstimmen mit schlichten Begleitlinien (z. B. T. 7 im Bass) und gelegentlichen harmonischen Pads (T. 5–6) unterstützen. Durch die Reduktion der Chorbegleitung war es möglich, einzelne Linien aus dem Klavierbegleitsatz zu extrahieren und hervorleuchten zu lassen. Gut gelungen ist etwa die in Sexten gekoppelte, aber durch die rhythmisch-kontrastierende Viertelbewegung dennoch selbstständig wirkende Kontrapunktlinie zuerst im Tenor und dann im Alt (T. 9 und 10). Die schlichte Ruhe der Linie passt sehr gut zum Text der Stelle »wir schlafen sicher« – vor allem wenn der Sopran schon weitersingt »ob Menschen noch so grausam sind«. Diese ›polyphonisierende‹ Begleitart bleibt in der abschließenden »Ave-Maria«-Kadenz (T. 12 auf 13) erhalten, auch wenn diese zu einem vierstimmigen Chorsatz verdichtet wird.

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Beispiel 11: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 6: »Ellens Gesang III«, D 839, T. 4–9. Chorsatz (Bearbeitung) kombiniert mit der originalen Klavierbegleitung

3.2.2 Bläsersatz

1. Im Vorspiel zum Totengesang »Coronach« drückt Schubert die bedrückende und schaurige Stimmung durch einen sehr tiefen Klaviersatz aus, der seine Wirkung durch die bebenden Basstremoli und die beiden klagenden Oberstimmen entfaltet (Bsp. 12). Die dunklen pianissimo-Klangfarben der genutzten Klarinetten, Fagotte, Hörner und der Tuba verstärken nicht nur diese gespenstische Grundstimmung, sondern können auch die naturalistische Atmosphäre der Textvorlage andeuten (Naturbilder im Herbst). Dass das Klaviertremolo gut in ein Paukentremolo übersetzt werden kann, dürfte auf der Hand liegen. Das Problem, dass mit zwei Pauken nicht alle Akkorde des Vorspiels harmonisch unterstützt werden können, wurde hier zur ›Tugend‹ gemacht: Der neapolitanische Sextakkord in Takt 2 wirkt gerade durch das Pausieren der Pauke markiert. Gerade das einmalige Bläsersforzato des Taktes kommt durch das fehlende ›Erzittern‹ der Pauke besonders eindrücklich zur Geltung. Da die gewählten Bläser bereits durch ihre fahle und matte Klangfarbe eine enorme Wirkung entfalten, wurde entschieden, die Klaviervorschläge und die Akzente des Originals nicht zu übertragen.[42] Dass die Klarinetten die beiden Oberstimmen eine Oktave höher mitspielen, dient nicht der Aufhellung sondern soll die fahle Weichheit des Bläsersatzes betonen – dadurch wurde es möglich, die beiden harmonisch füllenden und ›abdichtenden‹ Hörnerstimmen in die Fagottlage einzumischen, ohne dass die beiden Oberstimmen klanglich verwischen.

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Beispiel 12: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 4: »Coronach«, D 836, T. 1–4. Arrangement und Klaviersatz (Vorlage)

2. Im Lied »Normans Gesang« lässt sich exemplarisch eine typische Schwierigkeit bei der Übertragung des gesamten Zyklus’ präsentieren: Der Schubert’sche Klaviersatz besteht aus einer schlichten Klaviertextur (hier: punktierte Akkordrepetitionen), die das ganze Lied hindurch konstant beibehalten und lediglich harmonisch angepasst wird. Würde man den Bläsersatz – analog der Klaviertextur – ähnlich konstant beibehalten, dürfte das für die Spieler:innen und auch für die Hörer:innen sicher schnell ermüdend wirken. Die Studierenden sollten also die Bewegungsimpulse, die die Klaviertexturen mitbringen, weitestgehend beibehalten aber trotzdem für klangliche und spieltechnische Abwechslung sorgen. In »Normans Gesang« geschieht das dadurch, dass die punktierten Repetitionen nicht nur wechselnd von verschiedenen Instrumenten übernommen werden, sondern verschiedene Stufen der ›Präsenz‹ des Bewegungsmotivs eingearbeitet wurden. Das Bläservorspiel demonstriert dieses Arrangierprinzip sehr gut (Bsp. 13):

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Beispiel 13: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 5: »Normans Gesang«, D 846, T. 1–4. Arrangement und Klaviersatz (Vorlage)

Die punktierten Tonrepetitionen sind im ersten und dritten Takt im klanglichen Hintergrund. Die originale Bassfigur liegt lediglich in den beiden Fagotten. Die Tuba und die 2. Posaune unterstützen zwar die Dreiklangsbrechungen der Fagotte aus dynamischen Gründen, ohne aber die Punktierungen zu übernehmen. Die Akkordrepetitionen der rechten Hand wurden zugunsten eines (vor allem durch die Oberstimmen-Quarte) grellen, mit Auftakt versehenen Halteakkordes in den Hörner, der ersten Posaune und den hohen Holzbläsern komplett weggelassen. Erst im jeweils zweiten Takt spielt sich das Motiv mit den Punktierungen in den Vordergrund, indem die Blechbläser unisono in die Bewegung einfallen.[43] Diese Umbildungen bringen eine enorme Tiefenwirkung und Plastizität in die nervös bewegte Musik hinein. Man stelle sich zum Vergleich vor, wie statisch und hart das Vorspiel klänge, wenn alle beteiligten Bläser im tutti und im forte gemeinsam den punktierten Rhythmus artikulieren würden!

3. Da die Chorstimmen oft den punktierten Rhythmus mitartikulieren, war es möglich, diesen stellenweise auch ganz aus dem Bläsersatz herauszunehmen, wie das folgende Beispiel exemplarisch zeigt (Bsp. 14).

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Beispiel 14: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 5: »Normans Gesang«, D 846, T. 22–31. Arrangement und Klaviersatz (Vorlage)

Die punktierte Bewegung wird zunächst, zusammen mit der originalen tiefen Basslage, ausgespart. So haben die Chorstimmen ›Platz‹, um den Rhythmus und den Text deutlich zu artikulieren. Der Begleitsatz kann dann Schritt für Schritt satztechnisch und rhythmisch verdichtet werden, um den Chor immer stärker zu umbrausen, was sinnfällig mit der aufkeimenden Angst vor Schlacht und Tod korrespondiert. Man beachte außerdem die Bearbeitungsidee, dass der beginnende helle Klang der Flöten bei der Phrasenwiederholung in Takt 23 durch die Tieferlegung abgedunkelt wird (entgegen der aufsteigenden Richtung der Gesangstimmen), bevor der Klang dann ab Takt 25 wieder an Dichte und Fülle zunimmt. Diese kleine instrumentale Veränderung in der Phrasenwiederholung ist deutlich wahrzunehmen und erzeugt eine formale Stringenz des Abschnitts, in dem der Takt 25 als ›tiefster Punkt‹ und zusammen mit der beginnenden Bläserbewegung (in den Fagotten) als Ausgangspunkt der folgenden Steigerung inszeniert wird.

4. Als letztes Beispiel soll nochmals »Ellens dritter Gesang« angeführt werden: Auch hier wäre es sicher ungünstig und ermüdend gewesen, die durchgehende Klavierfigur (Bsp. 15a) notentreu auf den Bläsersatz zu übertragen. In der Endversion wurde daher jede der drei Strophen durch eine eigene Begleitidee ausgestaltet. Die entstandenen Begleittexturen wurden zwar nach unterschiedlichen Prinzipien entwickelt, sind aber gut miteinander kombinier- und ineinander überführbar, so dass eine formal und inhaltlich sinnvolle Abfolge entsteht, die ohne hörbare Brüche auskommt. In der ersten Strophe wurde die Klavier-Figur der Vorlage in eine schlichte und weiche Klangfläche verwandelt (Bsp. 15b), während die zweite Strophe weitgehend auf die durchgehende Sechzehntel-Bewegung verzichtet und eher auf einen choralartigen und feierlichen Blechbläsersound setzt (Bsp. 15c). Die dritte Strophe verdichtet sich dann, indem nicht nur der Chorsatz etwas voller ausgesetzt wird, sondern auch dadurch, dass die originale Bewegungsfigur aufgegriffen wird (Bsp. 15d). Das Verteilen und Verzahnen der Wellenfigur auf die verschiedenen Holzblasinstrumente erzeugt einen leicht flirrenden und innerlich bewegten Klangteppich.

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Beispiel 15a: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 6: »Ellens Gesang III«, D 839, T. 1–2. Klaviersatz (Vorlage)

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Beispiel 15b: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 6: »Ellens Gesang III«, D 839, T. 3–4. Bläsersatz (Arrangement)

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Beispiel 15c: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 6: »Ellens Gesang III«, D 839, T. 17–19. Bläsersatz (Arrangement)

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Beispiel 15d: Schubert, Fräulein am See Op. 52, Nr. 6: »Ellens Gesang III«, D 839, T. 30–31. Bläsersatz (Arrangement)

Schlussbemerkung

Beim eigenständigen Erzeugen musikalischer Sinnzusammenhänge werden die Studierenden mit Problemen konfrontiert, deren Existenz sie ohne diese schöpferische Beschäftigung gar nicht bemerkt hätten.[44] »Die Kompetenz, musikalischen Zusammenhang zu erleben, wird […] nirgendwo anders als im Umgang mit Kompositionen erlernt. Kompositionen bilden den Ausgangspunkt und das Ziel, den Gegenstand und den Prüfstein des Lernvorgangs.«[45] Das Arrangieren ist eine solche – für die Berufspraxis durchaus relevante – schöpferische Tätigkeit, die – verglichen mit dem Erstellen von Stilkopien – den Fokus von der kompositorischen ›Nachbildung‹ eines Stils auf die ›Neubildung‹ eines musikalischen Zusammenhangs auf Grundlage einer präexistierenden Vorlage verlagert. Diese Akzentverschiebung bringt aus Sicht des Autors durchaus didaktische Vorteile, was es rechtfertig, das Arrangieren als mögliche musiktheoretische Unterrichtsmethode stärker in Betracht zu ziehen. Die angeführten Unterrichtsbeispiele zeigen auf, dass das Arrangieren in das Curriculum der musiktheoretischen Ausbildung an Musikhochschulen integrierbar ist, was nicht allein schon durch die Verankerung der Methode im Instrumentationsunterricht verbürgt sein dürfte.

Selbstverständlich ist das Arrangieren keine einheitliche Methode – zu vielfältig sind die möglichen Inhalte und Tätigkeiten, die mit dem Begriff verbunden werden und die sicherlich auch auf die eine oder andere Weise im musiktheoretischen Unterricht aufgegriffen werden könnten. Viele weitere Möglichkeiten, wie das Ausarbeiten einstimmiger Liedvorlagen, stilistisches Umarbeiten, Adaptionen von Jazz- oder Popmusik für ›klassische‹ Instrumente, Bearbeitungsmöglichkeiten im Bereich der Neuen Musik oder die Integration von außereuropäischen Instrumenten wurden in diesem Artikel nicht zur Sprache gebracht und entziehen sich teilweise auch dem Erfahrungshorizont des Autors. Sicherlich steckt noch sehr viel didaktisches Potential in der Methode. Die Vielfalt und Erweiterbarkeit des Arrangier-Begriffs bietet einige Chancen für die Musiktheorie: Der musiktheoretische Unterricht könnte nicht nur stärker an die Bedürfnisse der Studierenden und an die sich wandelnde berufliche Wirklichkeit vieler Musiker:innen angepasst werden, sondern es könnten in Zukunft auch andere, bisher kaum beachtete musikalische Kontexte und Stile in den Unterricht eingebunden werden, was den Fokus der Musiktheorie auf die westeuropäische Kunstmusik erweitern und das Fach diverser und offener machen würde.

Anmerkungen

1

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Fach im universitären Bereich bzw. im Musikwissenschaftsstudium nicht etablierte.

2

Riemann 1882, 414.

3

Die Bearbeitung ist im Gegensatz zum Arrangement ein juristischer Begriff des deutschen Urheberechts. Schröder (2016) beschreibt das ›Arrangement‹ als einen Teilbereich des umfänglicheren Begriffs ›Bearbeitung‹. Da die inhaltliche Abgrenzung aber unklar bleibt und wenig praktikabel erscheint, werden beide Begriffe hier synonym verwendet.

4

Leopold 1992, 8.

5

Einige Aspekte des Arrangier- und Bearbeitungsbegriffs, wie die Diskussion über ästhetische Rangunterschiede, die im Begriffspaar ›Original und Bearbeitung‹ mitschwingen, die verschiedenen Grenzen des Begriffs im klassischen Bereich im Vergleich zur Jazz- und Pop-Praxis, oder rechtliche Unterscheidungen können hier lediglich angedeutet werden.

6

Vgl. Schröder 2016.

7

Hier scheint die oben erwähnte fragliche gedankliche Dichotomie zwischen ›Zeichnung‹ und ›Farbe‹ – bzw. zwischen Komposition und Instrumentierung – wieder auf.

8

Tarkmann 2010, 8.

9

Im Gegensatz zu anderen Teilbereichen der Musiktheorie hat sich dieser praktische Fokus bis in die heutige Zeit erhalten. Das liegt vermutlich an der »fehlenden Abstraktion« der Disziplin, die die Theoriefähigkeit verhindert hat, vgl. Jost 2004, 142–155.

10

Metzner (2009, 121) bemerkt zu Recht, dass heute auch die Analyse, die vor allem dem Verständnis und der Interpretation von Orchesterwerken dient, eine entscheidende methodische Ausrichtung des Faches sein sollte. Dem schließt sich der Autor uneingeschränkt an.

11

Marx 1847, 502.

12

Riemann 1919.

13

Schröder 2005, 239.

14

So in jüngerer Zeit in der Instrumentationslehre von Ertuğrul Sevsay (Sevsay 2005).

15

Schröder 2005, 239.

16

Dieser Argwohn hat sich sicherlich im Zuge der starken musikwissenschaftlichen Akzentuierung des ›authentischen‹ und ›notentreuen‹ historisch-kritischen Werkbegriffes verstärkt.

17

Spätestens hier wird klar, dass die Trennung zwischen ›Zeichnung‹ und ›Farbe‹ bzw. zwischen ›Satz‹ und ›instrumentaler Realisation‹ eine Illusion bzw. eine starke Heuristik ist. Das Missverständnis kann demnach auch so formuliert werden, dass der ›Satz‹ mit der ›Substanz‹ gleichgesetzt wird und damit tatsächlich als primäre Ebene der Sinnhaftigkeit erscheint, obwohl man mit der Betonung unterschiedlicher Besetzungs-Idiomatiken eigentlich genau diese dichotome Sichtweise verhindern möchte.

18

Tarkmann 2010, 10.

19

Tarkmann (2010, 118) bezeichnet das Arrangieren gar als »praktischen Tonsatz«.

20

Hier ist nicht der Raum allgemeine Zielsetzungen des Musiktheorieunterrichts zu erörtern und zu diskutieren.

21

Beim Arrangement existiert unter Umständen sogar die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit, sich gleichzeitig in mehrere Kompositionsstile hineinzudenken, beispielsweise wenn ein barockes Stück für ein spätromantisches Sinfonieorchester instrumentiert wird.

22

Die Frage ist dann beispielsweise nicht: ›hätte Bach hier diesen oder jenen Ton gesetzt?‹, sondern: ›welcher Ton ergibt in meinem Arrangement an dieser Stelle den meisten Sinn?‹

23

Die Anregung zu dieser Unterrichtseinheit stammt von Tarkmann (2010, 137–143).

24

Die Frage nach der genauen Urheberschaft der Bearbeitung, also ob Ferdinand Ries das Arrangement mit Beethovens Billigung unter dessen Namen erstellt hat oder ob es doch im Ganzen oder in Teilen von Beethoven ist, ist für den Beitrag hier unerheblich. Vgl. Döhl 2008, 86 und Meischein 2008, 618.

25

Selbstverständlich müssen nicht alle ausgewählten Stellen von den Studierenden selbst bearbeitet werden; aber eine dem Vergleich vorausgehende Ideensammlung, wie man eine Übertragung der jeweiligen Stelle angehen würde, kann den Blick auf die Bearbeitung enorm schärfen.

26

Dabei kann auch thematisiert werden, welche Gründe es für eine solche Bearbeitung gab und evt. noch heute geben könnte. Zum Einstieg kann beispielsweise ein Zitat aus einer Rezension in der Allgemeinen musikalischen Zeitung genutzt werden: Die Bearbeitung der Sinfonie richte sich an diejenigen, »die das sehr schwierige Werk nicht vollständig hören, oder unter der Menge künstlich verflochtener Gedanken, vielleicht auch unter dem allzuhäufigen Gebrauch der schreyendsten Instrumente, es nicht genug verstehen können, oder endlich für die, die sich in der Erinnerung den Genuss der vollständigen Ausführung wiederholen, und was ihnen dort nicht ganz klar oder vorzüglich lieb geworden, ruhiger überschauen und vernehmen wollen.« (Anonym 1806, 8 f.); oder man bespricht den Einleitungsabschnitt in: Funk 1992, 123–124.

27

Auch wenn die Studierenden mit der Partitur arbeiten sollen, werden hier aus Platzgründen Particelle verwendet.

28

Ein drittes Beispiel für das Prinzip ›Klavierauszug‹ wäre der Beginn des Allegro-Satzes: Das Klavier spielt (mit Bassmotiv, Repetitionen und antwortender Sechzehntelfigur) das ganze ›Hauptgeschehen‹, während die beiden Streichinstrumente die Bläserverdichtung in Takt 37 und die Bläserlinie des Nachsatzes (T. 41–46) übernehmen.

29

Die beiden Alternativen sind nicht als dichotome Entweder-Oder-Prinzipien zu sehen, sondern bilden vielmehr die Pole einer kontinuierlichen Skala an vielfältigen Schattierungsmöglichkeiten. Gerade eine zu extreme Orientierung an einem der beiden Pole könnte zum Scheitern verurteilt sein, weil dann im ersten Fall der ›Übersetzungscharakter‹ zu sehr hervorsticht und im anderen Fall die ›Substanz‹ des Werkes zu stark verloren geht.

30

Diese Frage kann abschließend nur durch einen konkreten Bearbeitungsversuch beantwortet werden, den der Autor noch nicht unternommen hat, der aber tatsächlich eine interessante (und auch anspruchsvolle) Weiterführung des Arrangier-Kurses sein könnte.

31

Studierende ohne Melodieinstrument als Hauptfach haben es dabei etwas schwerer, können aber integriert werden, wenn man zulässt, dass diese nicht für ihre Hauptinstrumente schreiben, sondern sich ein anderes, im Kurs vorhandenes Instrument erarbeiten müssen.

32

Die genaue Besetzung (ob für zwei, drei oder vier Spieler:innen gesetzt werden soll) muss je nach Vorlage und Instrument individuell entschieden werden.

33

Die Idee zu dem Beispielstück ist Funk (1992, 128–134) entnommen. Dort geht es vor allem um die historische und gesellschaftliche Kontextualisierung von Reduktionen für den ›Hausgebrauch‹, was in diesem Artikel daher ausgespart wird.

34

Die Partitur der Nummer, die zum Vergleich mit der Bearbeitung herangezogen werden sollte, findet sich leicht in der digitalen Mozartausgabe: https://dme.mozarteum.at/DME/nma/nmapub_srch.php?l=1

35

Neben dieser Stelle wirkt auch der Schluss ab Takt 54, der im Original durch den Dialog der beiden erschrockenen Protagonisten untereinander aber auch zum Orchester geprägt ist, in der Flötenfassung redundant und unnötig lang.

36

Ein weiterer klanglich sehr positiver Effekt, der durch die vorgeschlagene Viertelbewegung der 2. Flöte möglich wäre, ist das Beibehalten des harmonischen Terzfalls in der Kadenzvorbereitung (Afis in T. 42). Die – in der Bearbeitung – nach vorne verlängerte IV. Stufe klingt viel ›ungenauer‹ komponiert.

37

Tarkmann (2010, 61) erkennt »kompensatorische Gründe«, wenn ein größerer Eingriff in den Notentext durch die ›Charaktertreue‹ der Bearbeitung legitimiert erscheint.

38

Gerade bei dieser Reduktionsaufgabe dürfte es besonders angebracht sein, dass die Studierenden selbst eine Arrangiervorlage wählen: Bereits das Abwägen, ob ein Stück oder ein Ausschnitt für ein Bearbeitungsvorhaben geeignet sein könnte, ist ein wichtiger Bestandteil der Arrangiertätigkeit.

39

Mit Guidelines sind hier die beiden Strebetöne des Dominantseptakkordes und deren Auflösung gemeint.

40

Würde man versuchen – etwa weil man die Originalpartitur nicht genau gelesen hat – die Nachschlagakkorde harmonisch aufzufüllen, würde die Musik sofort an Leichtigkeit verlieren, dickflüssiger klingen und die Begleitung würde schnell in Konflikte mit der Melodie geraten: so etwa gleich im zweiten Melodietakt, wo sich die bezaubernde Leitton-Wechselnote – ermöglicht durch die zweistimmige Begleitung – ohne zu dissonieren über den Tonika-Akkord legen kann.

41

Alle Taktangaben bei dem Beispiel beziehen sich auf die Taktzählung in der Bearbeitung.

42

Die Vorschläge können aus Sicht des Autors gar nicht sinnvoll übernommen werden, zumindest wenn man die ›Charaktertreue‹ und nicht die ›Notentreue‹ als Maßstab für die Übertragung ansetzt.

43

Auch die Idee des ›Präsenzgewinns‹ der Bassfigur findet sich angedeutet bereits in der Vorlage: Nachdem das Motiv im ersten Takt lediglich in der linken Hand liegt, wird es in Takt 2 im Unisono auf beide Hände erweitert.

44

Vgl. Polth 2001, 222–223.

45

Ebd., 222.

Literatur

Anonym (1806), »Deuxième grande Sinfonie de Louis van Beethoven, arrangée en Trio pour Pianof., Viol. Et Violone, par l’Auteur mème«, In: Allgemeine musikalische Zeitung 9/1, 1.10.1806, Leipzig: Breitkopf & Härtel, Sp. 8–11. https://digipress.digitale-sammlungen.de/view/bsb10527957_00011_u001/1 (01.03.2024)

Döhl, Frédéric, »Bearbeitung«, in: Das Beethoven-Lexikon (= Das Beethoven-Handbuch, Bd. 6), hg. von Heinz von Loesch und Claus Raab, Laaber: Laaber, 85–87.

Funk, Vera (1992), »Die Zauberflöte in der bürgerlichen Wohnstube des 19. Jahrhunderts«, in: Musikalische Metamorphosen. Formen und Geschichten der Bearbeitung, hg. von Silke Leopold. Kassel: Bärenreiter, 123–136.

Jost, Peter (2004), Instrumentation: Geschichte und Wandel des Orchesterklanges, Kassel: Bärenreiter.

Kaiser, Ulrich / Carsten Gerlitz (2005), Arrangieren und Instrumentieren. Barock bis Pop. Kassel: Bärenreiter.

Leopold, Silke (Hg.) (1992), Musikalische Metamorphosen. Formen und Geschichten der Bearbeitung, Kassel: Bärenreiter.

Marx, Adolf Bernhard (1847), Die Lehre von der musikalischen Komposition, Bd. 4, Leipzig: Breitkopf & Härtel.

Meischein, Burkhard (2008), »Ries, Ferdinand«, in: Das Beethoven-Lexikon (= Das Beethoven-Handbuch, Bd. 6), hg. von Heinz von Loesch und Claus Raab, Laaber: Laaber, 616–618.

Metzner, Edith (2009), »Wege zu einer neuen Instrumentationslehre«, in: Systeme der Musiktheorie, hg. von Clemens Kühn und John Leigh, Dresden: Sandstein, 112–121.

Polth, Michael (2001), »Zur Bedeutung der Stilkopie«, in: Musik, Wissenschaft und ihre Vermittlung: Bericht über die Internationale Musikwissenschaftliche Tagung Hannover 2001, hg. von Arnfried Edler, Augsburg: Wißner, 221–223.

Riemann, Hugo (1882), »Instrumentation«, in: Riemann Musiklexikon, Leipzig: Hesse, 414.

Riemann, Hugo (1919), Handbuch der Orchestrierung: Anleitung zum Instrumentieren, Berlin: Hesse.

Schröder, Gesine (2016), »Instrumentation« [1994], in: MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter. https://www.mgg-online.com/mgg/stable/51227

Schröder, Gesine (2005), »Instrumentation«, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 1–2/2/2–3, 239–242. https://doi.org/10.31751/531

Sevsay, Ertuğrul (2005), Handbuch der Instrumentationspraxis, Kassel: Bärenreiter.

Tarkmann, Andreas N. (2010), Arrangieren für Kammermusikensembles, Düsseldorf: Staccato.

Noten

Beethoven, Ludwig van (1987), Symphonie Nr. 2 [op. 36], hg. von Max Unger, London: Eulenburg.

Beethoven, Ludwig van (1965), »Trio für Klavier, Violine und Violoncello (nach der 2. Symphonie op. 36)«, in: Beethoven Werke, Abteilung IV, Bd. 3, hg. von Joseph Schmidt-Görg und Friedhelm Klugmann, München: Henle, 145–198.

Čajkovskij, Pëtr Il’ič [Tschaikowski, Peter], Dornröschen-Suite op. 66a, Moskau: Jurgenson, 65–91.

Dvořák, Antonín (1878), Slavische Tänze [op. 46], Berlin: Simrock, 102–136.

Mozart, Wolfgang Amadeus (1970), Die Zauberflöte KV 620, hg. von Gernot Gruber und Alfred Orel, Kassel: Bärenreiter, 115–120.

Mozart, Wolfgang Amadeus (1976), Die Zauberflöte für zwei Flöten nach einer Ausgabe von 1792, hg. von Gerhard Braun, Wien: Universal, 6–7.

Schubert, Franz (1982), Sieben Gesänge aus Walter Scott’s „Fräulein am See“ [op. 52], in: Neue Schubert-Ausgabe, Serie IV: Lieder Bd. 3a, hg. von Walther Dürr, Kassel: Bärenreiter, 7–60.

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