Dreps, Krystoffer (2023), »wysiwy-WHAT?! – Von Nullen, Einsen und sinnhaften Überwältigungen in Alexander Schuberts Sensate Focus«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 20/1, 31–60. https://doi.org/10.31751/1185
eingereicht / submitted: 06/10/2022
angenommen / accepted: 15/12/2022
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 03/07/2023
zuletzt geändert / last updated: 20/08/2023

wysiwy-WHAT?![1] – Von Nullen, Einsen und sinnhaften Überwältigungen in Alexander Schuberts Sensate Focus

Krystoffer Dreps

Kunst lebt (auch) durch die Wahrnehmung ihres Publikums. Eine multimediale Komposition für Performer:innen, Licht, analoge Musikinstrumente und (Live-)Elektronik, wie sie in Sensate Focus von Alexander Schubert vorliegt, zielt einerseits bewusst auf mehrere, verschiedene Wahrnehmungsebenen des Publikums ab und erfordert andererseits auch eine bestimmte Art des Koordinierens durch den Urheber. Diese Analyse geht daher erstens der Frage nach, wie solch Koordinieren als Teil des kompositorischen Prozesses mit Hilfe der Digital Audio Workstation Ableton Live aussehen könnte. Zum zweiten werden die konzeptionelle Struktur des Stücks sowie formale und klangliche Zusammenhänge untersucht. Daran anknüpfend wird diskutiert, wie Sinnhaftes und Sinnlichkeit in Sensate Focus im Kontext der von Schubert propagierten Überwältigungsästhetik miteinander verwoben sind.

Art (also) lives through the perception of its audience. A multimedia composition for performers, animated light, analogue instruments and (live-)electronics, such as Sensate Focus by Alexander Schubert, addresses the multiple and different fields of perception of the audience while also requiring a certain manner of coordinating the various media levels by the author. This analysis, therefore, pursues the question of how such coordination as part of the compositional process can be achieved by using the digital audio workstation Ableton Live. Second, the conceptional structure of the piece, as well as formal and sound correlations will be examined. This leads to a discussion of how meaningfulness and sensuality in Sensate Focus are woven into each other from the perspective of Schubert’s proclaimed aesthetics of overpowering.

Schlagworte/Keywords: Ableton Live; aesthetics of overpowering; Alexander Schubert; Analyse; analysis; DAW; Digital Audio Workstation; multimedia; Multimedialität; perception; reconstruction; Rekonstruktion; reverse engineering; Überwältigungsästhetik; Wahrnehmung

»[...] weil wir ja wissen wollen, was, wie und warum in diesem Oszillieren, in diesem Zögern zwischen Klang und Sinn eigentlich musikalisch sich ereignet[2]

Vorbemerkungen

Man stelle sich vor, man befinde sich in einem lichtleeren Raum, der nur hin und wieder durch sehr kurze Lichtimpulse an bestimmten Stellen erleuchtet wird. Welche Form der Orientierung wäre hier möglich? Wie wirkt sich diese Umgebung auf Dauer auf die eigene Wahrnehmung aus? Welche sinnlichen Zustände können dadurch erreicht oder provoziert werden? Und wie würde eine zusätzliche, musikalisch-klangliche Ebene diese Zustände verändern oder erweitern?

Solche oder ähnliche Gedanken könnten dem Komponisten Alexander Schubert durch den Kopf geschossen sein, als er über einen neurobiologischen Versuch las, »in dem Katzen in einem komplett dunklen Umfeld aufgewachsen sind, welches […] den Effekt [hat], dass diese nahezu keine Wahrnehmung für Bewegungsrichtung und -orientierung von Objekten entwickeln. Für sie ist die Welt eine Folge von flachen Bildern, eine Collage mit reduzierter Kontinuität«.[3]

Sensate Focus aus dem Jahr 2014 ist eine Komposition für vier Instrumentalist:innen (E-Gitarre, Bassklarinette, Violine, Perkussion), Live-Elektronik und animiertes Licht und ein »provokantes Beispiel« für Schuberts Auseinandersetzung mit dem »Thema des herbeigeführten Wahrnehmungswechsel[s]«. Es soll ein Szenario darstellen »für Techniken der Sensibilisierung für einen veränderten Wahrnehmungsmodus und die Prägung unserer Wahrnehmung durch (technische) Umgebungseinflüsse«.[4]

Schubert ist bekannt für vielgestaltige Verknüpfungen aktueller Technologien mit dem klingenden Medium Musik. Man denke etwa an Supramodal Parser (2015), Control (2018), Av3ry (2019) oder Asterism (2021) – in all diesen Stücken bzw. Installationen spielen (Informations-)Technologien eine zentrale Rolle.

Multimediales Arbeiten und Komponieren wirft auch im Kontext einer musiktheoretisch geprägten Analyse diverse Fragen bezüglich möglicher Verbindungen der einzelnen medialen Ebenen zueinander auf, wenn es etwa um grundsätzliche Überlegungen zu den von Schubert angedeuteten Settings im kompositorischen Prozess und in der performativen Realisierung seiner Arbeiten geht. So beschreibt der Komponist selbst:

Die Zielsetzung und der Entstehungsprozess der meisten meiner Arbeiten beruht auf dem Entwurf eines Settings, Versuchs oder Experiments. In vielen Fällen beginne ich ein Stück mit der Formulierung eines Szenarios, innerhalb dessen ich bestimmte Ereignisse und Interaktionen untersuchen, beobachten oder provozieren möchte. Alternativ beginnen meine Stücke mit einer Hypothese oder Feststellung, welche ich mithilfe des Werks überprüfen, abbilden oder erfahrbar machen möchte.[5]

Neben der Wahl der Mittel unterliegt auch der Entstehungsprozess immer sehr gegensätzlichen Polen. Denn einerseits arbeite ich extrem intuitiv, tue das aber auf der Grundlage von inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen. Die Arbeit beginnt meistens mit einem Setup oder einem Szenario, das ich mir setze. Dieses Setting kann technischer Natur sein [...], vom Inhalt motiviert sein [...] oder einem räumlichen Ausgangspunkt entspringen [...]. Häufig ist es auch ein Zusammenspiel dieser Faktoren. Diese ›Umgebung‹ hat immer visuelle, szenische Aspekte und eine Dimension der Interaktion. Wie man zu Beginn eines rein akustischen Instrumentalstücks die Instrumente wählt, so ist es für die multimediale Arbeit sinnvoll, anfangs das erweiterte Instrumentarium zu definieren. Es kann sich dabei um Hardware, Software, Licht, Video, Bühnenaufbau und vieles andere mehr handeln.[6]

Mit Bezug auf Sensate Focus richtet sich das Interesse dieser Analyse erstens auf das von Schubert bezeichnete ›Szenario‹ bzw. die ›Umgebung‹, womit eine distinktive Medienkonfiguration gemeint zu sein scheint, auf deren Basis die Komposition entworfen wird. Zweitens könnte für das Stück auch die angesprochene ›Hypothese‹ von Relevanz sein, etwa in Bezug auf die Begriffe Wahrnehmungswechsel und Wahrnehmungsmodus. Es ließe sich also der Frage nachgehen, was jene audiovisuelle Medienkonfiguration im Performance-Kontext und in Anlehnung an das eingangs erwähnte ›Katzenexperiment‹ Wahrnehmbares entfaltet. Daran anknüpfend ergibt sich nahezu automatisch die Frage nach dem ›Wie‹: Wie setzt Schubert jene ›Umgebung‹ kompositorisch ein? Wie arbeitet er etwa konkret mit der Produktionssoftware Ableton Live und welche Rückschlüsse auf den Herstellungsprozess von Sensate Focus lassen sich daraus ziehen?

Diese Fragen lassen sich voraussichtlich nicht vollständig beantworten. Dazu fehlen Informationen, fehlt es an Modellen, die etwa das Komponieren im medientechnischen Kontext aufschlüsseln könnten. Elena Ungeheuer konstatiert dazu:

Die Nicht-Sichtbarkeit und Nicht-Hörbarkeit der Prozesse gegenseitiger technologischer Steuerung, der Wirkkraft von Algorithmen und zahlreicher Simulationsphänomene, die Kausalität lediglich suggerieren, verunklaren das Wesen von Medienkunst zusätzlich.[7]

In der Folge entwickelt sie die Theorie einer pragmatischen Musikanalyse, welche »globale Zusammenhangskonzepte wie das des Kunstwerks als Organismus«[8] verlässt und stattdessen in verschiedenen ›Interaktionsräume‹ genannten Analyseschwerpunkten Wissen akkumuliert (Phase der Dislozierung) und erst anschließend wieder in Zusammenhang zueinander stellt (›floating hierarchies‹ nach Herbert Brün[9]):

Pragmatische Musikanalyse kann sich nicht hinter einer vorgegebenen Ordnung und Reihenfolge verstecken, der zufolge zuerst die Erzählung auf der Bühne, dann die Erzählung der Werkentstehung, dann die der Rezeptionsgeschichte gilt. Sie muss in ihre Verantwortung gehen, musikalische Zusammenhänge zu definieren, zu charakterisieren, sie in ihrem Zusammenspiel zu gewichten.[10]

Dieser Ansatz richtet den Blick »auf das erzeugende, verarbeitende, realisierende Umgehen mit Kunst« und

scheint sich insbesondere für Kunst/Musik zu empfehlen, die einen starken Technikbezug aufweist. In ihrer Form bleibt sie offen. Im besten Falle ergeben die von ihr identifizierten, analysierten und interpretierten musikalischen Interaktionsräume einen Steinbruch, heute würde man vielleicht eher von einem Wiki sprechen, der bzw. das dazu einlädt, weitere Perspektiven hinzuzufügen und auszudeuten.[11]

Die hier versuchte Analyse darf daher im Sinne eines Wikis als Einladung aufgefasst werden, »weitere Perspektiven hinzuzufügen und auszudeuten«.[12]

Gerade in Bezug auf den Herstellungsprozess in einem wie auch immer gearteten multimedialen Setting sind die Möglichkeiten, eine Idee zu realisieren, kaum zu überschauen. Es herrscht geradezu ein Viele-Wege-Prinzip. Im postdigitalen Zeitalter gibt es jene von Ungeheuer genannten Interaktionsräume im Bereich Musik (und Analyse) zuhauf, schaut man sich etwa auf Social-Media-Plattformen wie YouTube in Kategorien wie Musikproduktion oder elektronischer Musik um. Zahllose tutorials erklären, wie man DAWs (Digital Audio Workstations) oder elektronische Musikhardware bedient oder wie man bestimmte Klänge damit herstellen kann.[13]

Hierbei geht es aber meist im weitesten Sinne um populäre Musikstile, wodurch wir wieder zurück zu Alexander Schubert gelangen. Dieser sieht seine Musik nicht nur auf einem multimedialen Fundament, sondern auch in starker Relation zu »anderen Genres, welche im weitesten Sinne der experimentellen Popmusik und Elektronik zuzuordnen sind«.[14] »Relevante Faktoren aus der populären Musik« sind für ihn »Produktionstechnik, Unmittelbarkeit, performative Codes und Klangsprache«.[15] Insbesondere die Produktionstechnik wird in der Analyse eine größere Rolle spielen, da Schubert neben (mehreren) Video-Darstellungen[16] auf YouTube freundlicherweise die Partitur und auch alle Dateien für Ableton Live zur Verfügung gestellt hat. Mein Ansatz geht dabei vom Komponierten und seiner performativen Realisierung aus und leitet hin zu verschiedenen Analysekategorien. Dabei steht weniger eine beispielbezogene Problematisierung spezifischer Analyseverfahren im Vordergrund, als vielmehr ein im weitesten Sinne dem Begriff des reverse engineering entlehntes Herangehen, welches etwa in der Musikproduktion auch als Analysewerkzeug genutzt wird. Das Nachkonstruieren, hier insbesondere unter Berücksichtigung medientechnischer Aspekte der Musik, spielt im Bereich der popularmusikalischen Musikproduktion in Lehr-Lernkontexten offensichtlich eine große Rolle.[17] Hier geht es indes mehr um eine klanglich-musikalische Annäherung an ein Original (oder besser: Klangkopie), als an eine exakte Rekonstruktion der tatsächlich verwendeten Medien. Beispiele finden sich dazu auf YouTube vielfach.

Elena Ungeheuers Idee einer pragmatischen Musikanalyse mag zwar weniger vom Treiben auf Social-Media-Plattformen inspiriert worden sein, dennoch liegt eine gewisse Nähe zwischen der hier angerissenen Kultur des Nachkonstruierens in der Musikproduktion und Ungeheuers Gedanken zur Analyse aktueller Medienkunst.[18] Überlegungen zur ›Gemachtheit‹ konkreter Passagen in Sensate Focus sind somit auch als Beitrag zu einem Analysediskurs zu verstehen, der abseits von üblichen Social-Media-Plattformen und in Anlehnung an Ungeheuers Idee einer pragmatischen Musikanalyse durchaus auch in akademischen Sphären konkretisiert werden könnte.

Ein wichtiger Teil der folgenden Analyse handelt von verschiedenen Perspektiven auf Sensate Focus im Kontext ästhetischer Erfahrung, d. h. im »Wechselspiel von Wahrnehmungsobjekten und wahrnehmenden Subjekten«.[19] Wenn Schubert nämlich im Kontext einer Überwältigungsästhetik vom wichtigen »physische[n], immersive[n] Moment eines […] Konzerterlebnisses« spricht, wenn es ihm darum geht, »etwas Unmittelbares, Intensives zu erleben, wahrzunehmen«,[20] dann könnte man fragen, warum eine bestimmte Idee ihn genau zu einer konkreten Realisierung inspiriert hat. Oder anders formuliert: Die eingangs beschriebene Wahrnehmungswelt der Katzen, die in »eine[r] Folge von flachen Bildern, eine[r] Collage mit reduzierter Kontinuität« bestand, setzte zu ihrem Aufbau eine langfristige Versuchsanordnung voraus, während Sensate Focus nur eine Dauer von ca. 14:20 Minuten aufweist. Selbstredend dürfte Schubert nicht beabsichtigt haben, sein Publikum auf Dauer seiner Wahrnehmungssinne zu berauben. Allerdings lohnt sich ein genauerer Blick auf die musikalische Ebene und hier insbesondere auf den Klang allein schon deshalb, weil der Komponist eine wahrnehmungspsychologische Frage an den Anfang seiner Arbeit stellte.

Handelt es sich bei Sensate Focus um eine »Verschiebung vom Werk zum Ereignis«,[21] also um eine multimediale Installation oder derart gestaltete wahrnehmungspsychologische Versuchsanordnung? Oder existiert eine formal-dramaturgische ›Verpflichtung‹ gegenüber dem zeitlichen Verlauf, die das Ereignis wieder zurück (!) zum Werk verschiebt?

Es sollen hier mit Bezug auf Sinn und Sinnlichkeit zwei Perspektiven berücksichtigt werden. Zum einen soll eine antihermeneutische Position eingenommen und im Kontext einer ästhetischen Erfahrung das Sinnliche ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden: »Musik sei«, so Vladimir Jankélévitch, »genau das, als was es erscheine – ohne geheime Intentionen und Hintergedanken. Musik sei als Phänomen der Oberfläche kein System von Ideen, das gleichsam Schicht für Schicht diskursiv zu erklären sei«.[22] Für die folgende Analyse bedeutet dies zunächst ein genaues Beobachten des auditiv und visuell Wahrnehmbaren. Andererseits – und das wäre nach Nikolaus Urbanek die Einsicht einer posthermeneutischen Kritik – gilt es neben einem Schärfen des Bewusstseins »für die Phänomene der ›sinnlichen Oberfläche der Musik‹« in einer zweiten Perspektive auch Bedeutungen zu erfassen. Durch die »Unverneinbarkeit und Unhintergehbarkeit des Sinnlichen und des Sinns«[23] wird die Koexistenz beider Zugangsweisen betont und gleichermaßen deutlich gemacht, »dass Klang und Struktur stets in einem oszillierenden Wechselverhältnis zueinander stehen und in welcher Weise der immaterielle Sinn in der Materialität des Sinnlichen seine irreduzible Verankerung findet«.[24] Somit untersucht dieser Beitrag gewissermaßen zwangsläufig auch strukturelle Aspekte von Sensate Focus und reflektiert vor dem Hintergrund des Herstellungsprozesses und der sinnlichen Wahrnehmungsstrategie das kompositorische Formgewebe.

[[WAS]]

Wahrnehmungsobjekte, Wahrnehmungsmodi und Wahrnehmungswechsel

Der Titel der Komposition scheint für eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche eher weniger geeignet und lädt stattdessen zu Umschreibungen ein: sensibilisieren, erspüren, fühlen, Aufmerksamkeit schenken etc. (sensate); Mittelpunkt, Zentrum des Interesses, Blickwinkel etc. (focus). Es handelt sich um ein dezidiert sinnliches Stück, das verschiedene Möglichkeiten des auditiv-visuellen Wahrnehmens adressiert und unmittelbar körperlich erfahrbar machen möchte. ›Sinnlich‹ meint hier jedoch weniger eine Art feinfühliges Ab- oder Herantasten, stattdessen zielt Schubert mit seiner oben erwähnten Überwältigungsästhetik in vielen Kompositionen darauf ab, »eine Wirkung zu erzielen, welche das Publikum auch explizit miteinbezieht bzw. dem sich das Publikum nicht leicht entziehen kann«.[25] »Die Inszenierung der Stücke«, so Schubert, »bedient sich oft intensiver Reizüberflutungen und strebt eine Überwältigung des Publikums an.«[26]

Für Sensate Focus werden die vier mikrofonierten Instrumentalist:innen in gleichen Abständen auf einer komplett schwarzen Bühne nebeneinander positioniert und von oben mit jeweils einem Spotlight beleuchtet. Zusätzlich wird der Raum mit einer Beschallungsanlage (PA) »suitable for a techno club«[27] ausgestattet. Die technische Koordination von Klang und Licht findet mittels Laptop innerhalb des Programms Ableton Live statt. Hier werden Click-Tracks für die Musiker:innen, die Steuersignale für das Licht, die vorproduzierten elektronischen Klänge und Triggerpunkte für Soundeffekte für die Bühneninstrumente zeitlich präzise ausgegeben.

Das Ableton-Live-Set ist neben der Partitur zentraler Bestandteil der Performance und auch der Komposition. Die Realisierung der Performance auf Basis einer vom Computer gesteuerten Prozessabfolge sorgt für eine maximale Determiniertheit der medialen und zeitlichen Ebenen und für kaum (zeitlichen) Gestaltungsspielraum der Interpret:innen auf der Bühne. »Die Performer [bekommen] nahezu maschinelle Züge – sie führen streng synchronisierte Bewegungen aus – und werden damit Teil eines Apparats«.[28]

Es soll nun auf zwei wesentliche menschliche Sinne eingegangen werden, das Hören und das Sehen (Abb. 1). Das Hören/Hörbare umfasst erstens die vier erwähnten Instrumente, die auf der Bühne sichtbar gespielt werden. Zweitens werden über Lautsprecher vom Computer getriggerte elektronische Klänge ausgegeben.

Das Sehen/Sichtbare bezieht sich einerseits auf die Musiker:innen und ihre Körperbewegungen sowie deren Instrumente, was jedoch andererseits nur dann möglich ist, wenn die besagten Spotlights tatsächlich angeschaltet sind. Die Lichteinstellungen sind somit eine tragende Komponente der Performance.

Abbildung

Abbildung 1: Auditive und visuelle Ebene in Sensate Focus

In Sensate Focus interagieren diese verschiedenen Elemente in einem audiovisuellen, multimedial gesteuerten Spektrum miteinander, welches im Folgenden genauer dargestellt werden soll.

Zur visuellen Ebene

Licht

Die Positionen von Musiker:innen und Beleuchtung (Punktstrahler oder Spots) müssen laut Komponist beim Bühnensetup genau beachtet werden, um nicht versehentlich Areale zu beleuchten, die eigentlich dunkel bleiben sollen. So darf der Abstand vom Spot zur Person nicht zu groß, von Person zu Person nicht zu klein sein, um den entsprechenden Effekt zu erzielen: gezielt verortetes und getimtes Anstrahlen. Es gibt keine weitere Bühnenbeleuchtung als jene vier individualisierten Spots.

Neben der zielgenauen Funktionsweise ist auch das zeitgenaue, in diesem Falle das hochfrequente An- und Ausschalten des Leuchtmittels zentrale Aufgabe der Lichttechnik. Die Impulse dazu werden über ein Digital-Multiplex-Interface (DMX) vom Computer an die Spots gesendet. Da digitale Audioworkstations wie Ableton Live MIDI-Daten an das DMX-Interface senden können, ist eine Programmierung der Beleuchtung technisch betrachtet ein Kinderspiel. In Abbildung 2 kann man erkennen, dass von Minute 09:28 bis 09:31 alle vier Spots genutzt werden und jedem eine MIDI-Note zugewiesen ist: C4 Gitarre, D4 Bassklarinette, E4 Perkussion, F4 Violine. Die zeitliche Zuweisung orientiert sich dabei am gleichen rhythmischen Raster der DAW, das auch für die Audio-Ebene genutzt wird. Das Synchronisieren von Licht- und Klangimpulsen wird so deutlich erleichtert.

Abbildung

Abbildung 2: MIDI-Editor in Ableton Live, Projektdatei des Komponisten (Minute 09:28 bis 09:31)

Die Kästchen determinieren dabei den Zeitpunkt und die Zeitdauer der Beleuchtung. Lichteffekte wie etwa das Flackern sind daher auch musikalisch-rhythmisch in MIDI-Form erzeugt, etwa durch 128tel. Im folgenden Beispiel finden wir acht Impulse pro Sechzehntel (= 120 bpm):

Abbildung

Abbildung 3: MIDI-Editor für drei verschiedene Spots im 128tel-Raster

Die MIDI-Velocity-Skala kann darüber hinaus die Leuchtintensität verändern. In Abbildung 3 hat diese den Wert 127 und bedeutet maximale Helligkeit, in der folgenden Abbildung 4 verändert sich dieser Wert über die Zeit und sorgt somit für ein langsames Aufhellen und anschließendes, noch langsameres Verdunkeln (Minute 10:16 bis 10:37, türkiser Graph):

Abbildung

Abbildung 4: MIDI-Editor für Spots mit Automationsverlauf (türkises Dreieck)

Das Einrichten der Lichtebene erfolgt somit mit den gleichen Parameterreglern wie bei üblichen Automationen in Musikproduktionen.

Körperbewegungen

Schubert nutzt über die konventionellen, zur Ausübung des jeweiligen Instruments notwendigen motorischen Bewegungen hinaus sechs explizit performative Gesten, die für alle Musiker:innen gleich sind:

Abbildung

Abbildung 5: Bewegungsanweisungen und -zeichen aus der Legende zur Partitur

Es handelt sich hierbei um einen der wenigen interpretatorischen Freiräume, die in Sensate Focus bestehen. Die Symbole deuten teilweise an, wie die Gesten aussehen sollen bzw. können (etwa der Kreis oder das Stopp-Schild), manche Beschreibungen bleiben eher vage (etwa bei P). Der performative Aspekt gehört, wie auch das konventionelle Spielen der Instrumente, zum Gesamtkonzept dazu. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die Gesten insbesondere dann, wenn elektronische Klänge vom Computer ertönen – gleichsam werden die akusmatischen Ereignisse gestisch-performativ in Szene gesetzt, etwa durch die Stopp-Geste, die synchron mit dem Beenden des Klangs verläuft (vgl. T. 8, 13 etc.), oder durch erratische Zuckungen zu schnellen, kaum im Detail identifizierbaren Klängen (vgl. T. 184, Gitarre). Die P-Geste wird ebenfalls von der elektronischen Ebene (= Tape[29]) auditiv unterlegt und fungiert als szenisch-visuelle Verdeutlichung oder gar Übertreibung derselben (vgl. T. 190, Violine). Häufig wirken diese Gesten, ähnlich wie auch die Freeze-Geste, maschinell-roboterhaft, beinahe entmenschlicht.[30]

Zwischen Takt 178 und 194 alternieren ›reales‹ Instrumentalspiel und diverse performative Körperbewegungen zu elektronischen Klängen in derart hoher Frequenz, dass eine perzeptive Ausdifferenzierung kaum noch möglich ist und man gezwungen wird, sich dieser multimedialen Überforderung schlicht auszuliefern. »Mich reizt an dieser sinnlich/sensorischen Unmittelbarkeit die Chance, eine innere Grenze im Betrachter einzureißen – ich suche nach einem Übersprung.«[31]

Insgesamt lassen sich die Körperbewegungen der Musiker:innen in vier Kategorien einteilen:

a) konventionelle Instrumentalspiel-Motorik und -Gestik,

b) Gesten mit Instrument (P, Blitz),

c) Gesten ohne Instrument (Hand, Kreis, Stopp) und

d) Freeze (in starrer Position verharrend).

Hervorzuheben ist, dass b) bis d) jeweils ohne physisch-akustische Ebene ausgeführt und allein zur Tape-Spur synchronisiert werden. Dadurch schwächen sie gezielt den akusmatischen Aspekt ab, machen die Tape-Klänge ›sichtbar‹ und tragen zu einem audiovisuellen Verwirrspiel bei. Gleichzeitig bestehen naheliegenderweise Interdependenzen zur Lichtebene. Es ist beispielsweise möglich, a) auch ohne Beleuchtung auszuführen, aber wenig sinnhaft, b) bis d) in kompletter Dunkelheit zu zeigen. Zudem werden etwa ›Freeze‹ oder ›Blitz‹ durch die Beleuchtungssynchronisierung unterstützt: Ersteres durch lange, durchgehende Beleuchtungsphasen, Letzteres durch extrem schnelle An-/Aus-Sequenzen.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die visuelle Wahrnehmung, bestehend aus Licht- und Bewegungsebene, als ein zentraler Bestandteil der kompositorischen Idee betrachtet werden kann. Dabei geht es um das Sichtbarmachen im Sinne einer räumlichen Orientierung einerseits, andererseits um ein szenisch-performatives Übersetzen hörbarer, elektroakustischer Ereignisse.

Die Audio-Ebene

Zunächst lässt sich festhalten, dass sich die klangliche Beschaffenheit in Sensate Focus aus zwei Haupt- und einer Mischebene zusammensetzt:

Abbildung

Abbildung 6: Schematische Darstellung der Zusammenhänge von analogen und elektronischen Bestandteilen der Audio-Ebene

Instrumente: analog-physische/instrumentalakustische Klänge von Bassklarinette, Violine, E-Gitarre und Perkussion.

Tape: vorproduzierte und für die Performance zeitlich festgelegte, elektronische (akusmatische) Klänge/Klangfolge.

Processing: von den Instrumenten getriggerte, elektronisch verstärkte und verfremdete Klänge.

Die vier Instrumente und die Tape-Spur sind dabei eigenständige Stimmen, während die Processing-Spur im Computer auf die Audio-Signale der Instrumente reagiert und an festgelegten Punkten ebenso festgelegte Klangeffekte beimischt. Im Notentext ist dieser Prozess allerdings weder vermerkt noch sonst wie nachvollziehbar zu erkennen. In den für diese Analyse vorliegenden Ableton-Dateien ist allerdings ebenso nicht ersichtlich, welche Audio-Effekte tatsächlich verwendet wurden, da die entsprechenden Spuren (›Violin Tape‹ und ›Processing‹) bereits vorgefertigte Audio-Signale enthalten (Bounces) und nicht etwa Automationen irgendwelcher Effekte. Das mag etwa daran liegen, dass Live-Processing mitunter schnell rechenintensiv werden kann und nicht jeder Computer diese Arbeit leisten kann.[32] Um also Aussetzer o. ä. während des Konzerts zu vermeiden, ist das Abspielen einer vorproduzierten, ›gebouncten‹ Effekt-Spur die sicherere Variante. Aus dem Processing wird somit eher ein Playback.

In der folgenden Darstellung einer Audio-Datei lässt sich allerdings anhand der Amplituden entlang der Zeitleiste ablesen, an welchen Stellen neben dem Tape (oben) weitere elektronische Klänge zur Violine (unten) hinzugefügt werden:

Abbildung

Abbildung 7: Amplituden-Hüllkurven der Effekt-Spur für die Violine (unten) sowie der Tape-Spur (oben)

Dazu muss erwähnt werden, dass die hier sichtbaren Amplituden sowohl mit Effekten versehene als auch rein der Verstärkung dienende Impulse beinhalten. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Lautheit des Stücks erscheint es zunächst durchaus sinnvoll, die Violine (in diesem Falle künstlich) zu verstärken, damit diese im Kontext hörbar bleibt. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass der rein akustische Klang insbesondere bei lauten Stellen gar nicht hörbar ist und somit nur das Playback wahrnehmbar bleibt.

Als Wahrnehmungsobjekte wären nun also die analog-physischen Instrumente, die Musiker:innen/Performer:innen, akusmatische und sichtbare Klänge, Stille, sowie Licht und Dunkelheit zu bezeichnen. Kombinationen, Gleichzeitigkeiten und Fokussierungen sorgen für ständige Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitswechsel, die teils sehr schnell und dadurch während der Performance unübersichtlich und kaum differenzierbar werden. Die zentralen Wahrnehmungsmodi sind das Hören und das Sehen, zum Teil auch das körperliche Erspüren von Lautstärke und stroboskopischen Effekten.

[[WIE]]

Zu kompositorischen Herstellungsprozessen aus der Perspektive der Musikproduktion

Sensate Focus lehnt sich teilweise an verschiedene Musikgenres an. Neben der Verknüpfung diverser Technologien mit Musik stellt dies ein weiteres wesentliches Merkmal der Schubert’schen Kompositionsästhetik dar.

Die Verbindung Neuer Musik mit anderen Genres, welche im weitesten Sinne der experimentellen Popmusik und Elektronik zuzuordnen sind, ist augenscheinlich und in allen Stücken explizit erkennbar.

Ein Neue-Musik-Konzert muss nicht erfüllen, was ein Popauftritt, ein Rave- oder Punkkonzert leisten können – aber es lassen sich Elemente isolieren und in einem Kunstmusikkontext nutzbar machen. Klanglich können das beispielsweise die Reduktion von Material sowie die besondere Produktionstechnik sein.[33]

Vor diesem Hintergrund eines multistilistischen Arbeitens[34] muss zunächst auf die Komplexität hingewiesen werden, die mit der Nachkonstruktion einzelner Klangbeispiele verbunden ist. Dazu konstatiert Michael Ahlers, dass eine »mögliche Unterscheidungsebene zur Abgrenzung zu einem kunstmusikalischen Kompositionsverständnis und dortiger Improvisations- bzw. Produktionsprozesse« wie folgt aussehen könnte:

Während in den langjährigen Expertisierungsverläufen innerhalb der kunstmusikalischen Ausbildung in klar hierarchischen Meister-/Schüler_innen-Verhältnissen vor allem der Erwerb von Spiel- oder Kompositionstechniken, die (richtige?) Interpretation präexistenten (Noten-)Materials sowie die Erlangung einer Legitimation zur Teilnahme an generativen sowie performativen Prozessen im Mittelpunkt stehen, finden produktive Prozesse anscheinend vergleichsweise früher, niedrigschwelliger und selbstverständlicher in populären Musikpraxen statt.[35]

Ganz unabhängig davon, wie stark diese Aussage ganz allgemein zutrifft, ließe sich tatsächlich fragen, aus welcher Perspektive eine auf Alexander Schuberts Musik bezogene Nachkonstruktion adäquater erscheint. Der Einsatz von Digital Audio Workstations wird primär mit popularmusikalischen Kontexten assoziiert.[36] Andererseits ist gerade ein Programm wie Ableton Live durch seine diversen Einsatzmöglichkeiten so flexibel, dass eine genrespezifische Zuordnung zumindest fragwürdig erscheint.[37] Auch mutet es heutzutage ein wenig müßig an, Komposition und Produktion als zwei vollständig voneinander getrennt existierende bzw. trennbare kreative Prozesse zu betrachten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass zwischen Schuberts Überwältigungsästhetik im Kontext von Musikproduktionen und Genres, die verstärkt elektronische Klangelemente beinhalten, durchaus gewisse Parallelen zu erkennen sind: Schnelle Wahrnehmungswechsel, komplexe Rhythmen, ständig permutierende Klangquellen finden sich auch etwa bei Produzenten wie Skrillex, Aphex Twin, Amon Tobin, Noisia, Tipper und vielen anderen.[38] Für die hiesige Diskussion ist dabei nicht so sehr das vertiefte Erforschen einer stilistischen Schnittmenge zu den genannten Produzenten entscheidend, sondern bereits die Tatsache ausreichend, dass Schubert seine Musik explizit (und allgemein) in die Nähe elektronischer Popmusik rückt. Dadurch erscheint eine popularmusikalische und somit musikproduktionsbezogene[39] Perspektive auf den Herstellungsprozess durchaus legitim und schlüssig.

In einer DAW können Ausschnitte aus den Audio-Dateien Schuberts recht anschaulich nachkonstruiert werden. Eine genauere Höranalyse beispielsweise der Audio-Datei der Violine (Abb. 7) führt zunächst zu dem Ergebnis, dass hier hauptsächlich zwei Effekttypen verwendet werden: ›Reverb‹ (Audiobeispiel 1) und ›Beat Repeat‹[40] (Audiobeispiel 2).

Audiobeispiel 1: Künstlicher Hall (Reverb)

Audiobeispiel 2: ›Abletons Beat Repeat‹ (Stutter Effect)

Der folgende Ausschnitt (Audiobeispiel  3), der in Sensate Focus wohl zusätzlich zum Live-Spiel erklingt, wurde vermutlich mit Hilfe der verschiedenen Synthese-Funktionen eines Samplers erzeugt. Die Ansprache des Tons etwa (Attack-Zeit) klingt hier relativ künstlich-gleichmäßig, ebenso wie das Glissando am Schluss der Phrase, das mit Hilfe einer MIDI-Automation des Pitch-Parameters erzeugt werden kann. Gleiches gilt für den Hall, welcher ebenfalls automatisiert hinzugeschaltet wird. Videobeispiel 1 demonstriert, wie mit Ableton Live dieser Ausschnitt rekonstruiert werden kann.

Audiobeispiel 3: Violin-Sample mit längerer Attack-Zeit im Volume-Envelope

Videobeispiel 1: Rekonstruktion des Violin-Samples

Klangidiome

Ein wesentliches Merkmal von Sensate Focus ist der hohe Wiedererkennungswert des Klangmaterials und dessen ›Ereignishaftigkeit‹ bzw. Erscheinungshäufigkeit im formalen Ablauf. Sehr wahrscheinlich arbeitet Schubert mit einer überschaubaren Menge an Materialien, die er entlang der Zeitachse des Stücks punktuell setzt und die damit gut erkennbar bleiben. Ihre fortwährende Permutation sorgt für stets wechselnde klangliche Konstellationen und Kontexte.

Wenn Schubert etwa davon spricht, die inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen seiner Arbeitsumgebung so einzurichten, dass auch improvisatorische Wege des Erfindens möglich sind,[41] so könnte man auf Software-Ebene eine Analogie zur Arbeit mit dem Sampler-Instrument in Ableton Live ziehen: Hier ist es möglich, bis zu 128 verschiedene Samples in sogenannte Slots zu laden, die dann etwa über ein MIDI-Keyboard oder andere Controller 128 einzelnen MIDI-Messages und damit Samples zugeordnet werden können. Innerhalb einer solchen Konfiguration wird alles samplebare wie ein Instrument spielbar.

Anknüpfend an ein solches Setup wäre eine Vorgehensweise denkbar, bei der ein ähnlich konfiguriertes Sample-Instrument über eine gewisse Zeitdauer gespielt und gleichzeitig aufgenommen wird. In weiteren Bearbeitungsschritten können dann diverse Modifikationen vorgenommen werden: etwa das Verschieben oder Vervielfachen der Triggerzeitpunkte, das Manipulieren einzelner Samples, automatisiertes Hinzuschalten von Effekten uvm.

Dies stellt eine nicht unübliche und technisch schnell realisierbare Methode dar, die insbesondere in Programmen wie Ableton Live oder Bitwig Studio leicht verfolgt werden kann. Ob Schubert nun so oder ähnlich verfuhr, kann hier nur vermutet werden. Im Folgenden soll jedoch aufgezeigt werden, dass durchaus Punkte dafür sprechen.

Klangorganisation

Anstelle des Versuchs einer vollumfänglichen Rekonstruktion der Samples, soll im Folgenden je ein paradigmatischer Klang der vier Instrumente untersucht werden.

Für die Bassklarinette gewählt wurde ein hoher Liegeton mit einer Mindestlänge von einer Halben, in der Partitur im Violinschlüssel notiert und ohne besondere Spieltechniken zu realisieren (z. B. T. 52):

Abbildung

Abbildung 8: Sensate Focus, Partiturausschnitt (Bassklarinette, T. 52)

Audiobeispiel 4: Sensate Focus, Bassklarinette (T. 52)

Für die Violine sei näher untersucht ein perkussives, gezupftes Geräusch bei abgedämpftem Griffbrett (z. B. T. 56 f.):

Abbildung

Abbildung 9: Sensate Focus, Partiturausschnitt (Violine, T. 56 f.)

Audiobeispiel 5: Sensate Focus, Violine (T. 56 f.)

Für die E-Gitarre typisch ist ein ausklingender Akkord, der meist als e-Moll-Dreiklang erscheint, aber auch als e-Moll-Septakkord bzw. G-Dur-Dreiklang mit Sexte oder auch nur als zweitöniger Intervallausschnitt aus diesen Akkorden. In letztgenanntem Fall ist die Quarte h-e am häufigsten – die klangliche Ähnlichkeit ergibt sich im zeitlichen Kontext.

Abbildung

Abbildung 10: Sensate Focus, Partiturausschnitt (E-Gitarre, T. 86 f.)[42]

Audiobeispiel 6: Sensate Focus, E-Gitarre (T. 86 f.)

Das Schlagwerk beinhaltet neben Snare, Hi-Hat und Woodblock auch Triggerpads, die Drumset-bezogene Klänge (Samples) aus dem Computer ansteuern. Die Klangbelegung der vier Pads lässt sich anhand der Partitur nicht erkennen, daher wird hier die Snare als typischer Sound ausgewählt (etwa T. 70–72):

Abbildung

Abbildung 11: Sensate Focus, Partiturausschnitt (Schlagwerk, T. 70–72)

Audiobeispiel 7: Sensate Focus, Schlagwerk (T. 70–72)

Diese Klänge treten im Stück wiederholt an verschiedenen Stellen auf. Die farbigen Rahmungen in der folgenden Übersicht sollen verdeutlichen, dass alle vier Klangidiome nicht nur auf einzelne Instrumente beschränkt bleiben, sondern dass sie auch in anderen Stimmen an sehr ähnlichen Stellen bzw. in zeitlicher Überschneidung auftauchen.

Abbildung

Insbesondere die Takte 134–143 (gelb), 321–334 (gelb) und 411–438 (lila bzw. magenta) stechen heraus, da hier ostinate, homorhythmische Muster erklingen. Anzumerken ist, dass es sich an diesen Stellen zumeist um gleichzeitige Auftritte von (nur) drei der vier Instrumente handelt. Nur selten partizipiert der hohe Liegeton der Bassklarinette am Tutti, was durch die oben beschriebene, sehr rhythmusbetonte Verfasstheit der übrigen Klänge erklärbar wäre. Die Bassklarinette würde hier einen Kontrapunkt bilden, der offensichtlich nicht beabsichtigt ist. Deshalb spielt die Bassklarinette wohl an diesen Stellen vielmehr kurze, perkussive und geräuschhafte Klänge, wodurch nun auch erkennbar wird, dass es Permutationen dieser Idiome über die Instrumentengrenzen hinaus gibt: Der Gitarren-Akkord etwa kann kurz und perkussiv oder auch lang erklingen und bis hin zu rein perkussiv-geräuschhaften Einwürfen – wie auf der Violine – führen. Die Violine spielt hingegen häufig auch hohe Liegetöne. Lediglich die Perkussionsinstrumente können streng genommen keine ›hohen Liegetöne‹ spielen (und triggern diese auch nicht). Allerdings sind diverse Wirbel zumindest teilweise als länger klingende Ereignisse wahrnehmbar.

Mit Hilfe von Ableton Live sollen nun die Takte 74–77 genauer betrachtet werden. Kennzeichnend für diese Stelle ist, dass alle vier ausgewählten Klänge hier zusammen auftreten:

Abbildung

Abbildung 12: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 73–78)[43]

Im Rahmen des weiter oben beschriebenen technischen Setups (MIDI-Keyboard o. ä.) wäre es möglich, diese vier Ereignisse am Computer auch innerhalb nur eines DAW-Instrumentes und somit polyphon zu spielen. Ein solches Verfahren wäre über weite Strecken des Stücks problemlos im Kontext einer Improvisation durchführbar, zumal mögliche Spielfehler auch in der Nachbearbeitung ausgebessert und verändert werden können. Dazu zeigt das folgende Videobeispiel 2 skizzenhaft, wie man innerhalb von Ableton Live – und stellvertretend für die meisten DAWs ‒ auf Basis von MIDI-Signalen von einer motivischen oder klanglichen Idee zu größeren Strukturen als Ausgangspunkt für weitere Bearbeitungsschritte gelangen kann.

Videobeispiel 2: Rekonstruktion einer MIDI-basierten Grundfiguration zum Triggern und Manipulieren von Sounds

Andere kompositorische Eingriffe, etwa um Varianten zu generieren, finden in Sensate Focus hauptsächlich im Bereich des Klanglichen statt. Es gibt überhaupt nur sehr wenige Tonfolgen oder Rhythmen, die als Motive fungieren: siehe Takt 41 (E-Gitarre),[44] Takt 234–265 (gleichmäßige Impulse im Tutti) sowie Takt 274 (auf-/absteigende Sechzehntelfolgen).[45] Stattdessen wirkt die Audio-Ebene größtenteils wie eine Abfolge singulärer Ereignisse (ausgelöst etwa durch MIDI-Trigger), die vor allem auf timbralen Veränderungen beruhen. In Bezug auf den hohen Liegeton der Bassklarinette betreffen diese Änderungen hauptsächlich die folgenden Parameter: Tonhöhe,[46] Tonlänge (Werte zwischen zwei und zwölf Vierteln), Dynamik (fff bis p, cresc. und decresc., al niente und dal niente) und Spieltechniken (Tremolo und Flatterzunge). In der Violine werden dagegen die Parameter Anschlagsart der Saiten[47] und rhythmische Position des Ereignisses variiert.[48] Der Gitarrenakkord ändert zuweilen seine Töne und somit seine klangliche Erscheinung.[49] Im Schlagwerk gibt es diverse Variationen der klanglichen Umgebung der Snare, die an ein Pop-typisches Drumset erinnert. Die Pads steuern mehrere, ähnlich klingende Bassdrum-, Snare- oder Tom-Sounds in Ableton Live an und verfärben somit immer wieder den Gesamtsound der Perkussion.[50] Durch diese Aufstellung ergibt sich ein umfangreicher Fundus an Klängen, die permutiert und so für neue klangliche und damit formale Kontexte verwendet werden können.

Es wurde bereits angedeutet, dass eine MIDI-basierte Organisation der diskutierten Klänge auch zu einer formalen Struktur führen kann. Diese wird ebenfalls zu einem (mehr oder weniger bewussten) Bestandteil der auditiven Wahrnehmung.

Denn musikalische Wahrnehmung, ja auditive Wahrnehmung insgesamt beruht auf einer (kognitiven) ›Organisation‹ von Klangereignissen, die freilich im Falle von Musik eng an die kompositionspraktische ›Organisation‹ von Klang gekoppelt, jedoch nicht immer linear auf diese beziehbar ist. Kompositionstechnische Strukturen entstehen historisch gesehen aus einer komplexen Wechselwirkung von künstlerischer Intention, kompositionstechnischer Umsetzung, aufführungspraktischer Interpretation und kognitiver sowie soziokultureller Rezeption, die mit dem Begriff ›Klangorganisation‹ durchaus adäquat gefasst werden kann.[51]

Damit reiht sich Schubert in eine Tradition ein, die Klang als wichtige Kategorie der Kompositionsästhetik betrachtet. Neben Claude Debussy und Edgar Varèse wären als weitere Vertreter John Cage (organized sound), für die elektronische Musik Karlheinz Stockhausen (Klangkomposition) sowie Helmut Lachenmann (musique concrète instrumentale) zu nennen. Klangwahrnehmung als zentraler »Topos kompositorischer Poetik« oder ein »Komponieren des Hörens«[52] hatten insbesondere in den 1960er Jahren Konjunktur. Bei Lachenmann sind Struktur, Klang und Wahrnehmung »eng aneinander gebundene, interagierende Dimensionen«.[53]

Bei Schubert scheint der Umgang mit verschiedenen Parametern des Klangs eine ähnliche formal-dramaturgische Relevanz zu haben, so dass in Analogie zum Begriff des Motivs und der motivischen Arbeit[54] von ›Klangmotivik‹ gesprochen werden könnte. Die vier zuvor genannten Motive (Klangidiome) kehren immer wieder und zeigen im Verlauf diverse Veränderungen klanglicher Details, nicht jedoch auffällige Entwicklungen auf rhythmischer oder diastematischer Ebene.

Dies betrifft zudem den Bereich der elektronischen Klänge. Auch hier gibt es Klangmotive, die in vergleichbarer Weise die formale Anlage des Stücks konstituieren:

Audiobeispiel 8: Weißes Rauschen

Audiobeispiel 9: ›Percussive Clicks‹

Audiobeispiel 10: Schnelle rhythmische Ostinati

Audiobeispiel 11: ›Technisches Gerät‹ (Anfang und Schluss des Samples)

Audiobeispiel 12: Subbass

Audiobeispiel 13: Zugeschaltete Raumtiefe

Schubert entwickelt mit einer relativ überschaubaren Menge an musikalischem Material (Audiobeispiele 1–13) vor allem durch timbrale Variation ein musikalisch-logisches Beziehungsgeflecht, welches sich über das gesamte Stück erstreckt. Die im vorherigen Abschnitt beschriebene Herangehensweise über ein Medien-Setup, in dessen Zentrum die DAW Ableton Live und nicht eine Partitur steht, legt nahe, dass in einer solchen technologieaffinen Arbeitsumgebung und einem kompositorischen Zugang über die Improvisation zunächst die (schnell zu realisierende) Fixierung einzelner Ereignisse in Gestalt von MIDI-Informationen im Vordergrund steht, um anschließend in vielen weiteren Schritten Veränderungen oder Ergänzungen vorzunehmen. Dies schließt indes eine motivische Arbeit im herkömmlichen Sinne nicht gänzlich aus, ist aber im Rahmen des technischen Szenarios komplizierter zu realisieren.

Die Textur der Audio-Ebene wird durch das Setzen und die Variation der genannten Klangereignisse geschaffen und ergibt eine an motivische Arbeit angelehnte Struktur, die dem Publikum über alle Überwältigungsmomente hinweg eine subtile Orientierung bieten kann.

Von Nullen und Einsen

Alexander Schubert ist als ausgebildeter Informatiker und Spezialist für computergestützte Musik selbstredend auch mit den dazugehörigen Grundlagen vertraut. In Sensate Focus drängt sich auf der visuellen Ebene früh schon eine Parallele zwischen dem An- und Ausschalten der Spots und einer schlichten Grundlage der Informatik auf: Beim Binärcode (Maschinencode, Maschinensprache) liegt die Spannung an bzw. ist 1 (= Licht an), oder die Spannung liegt nicht an und ist 0 (= Licht aus). Im Stück zeigt sich das im Gegensatz von ›sichtbar‹ und ›nicht sichtbar‹. Ist das Licht ausgeschaltet, so ist die Bühne soweit abgedunkelt, dass kein(e) Musiker:in erkennbar ist: Alles ist schwarz. Tatsächlich ist dies die Grundeinstellung eines Bühnenbilds, das wohl an den eingangs beschriebenen ›Katzenversuch‹ angelehnt ist, schließlich sind die Beleuchtungszeiten durch die Spots meist sehr kurz und fingieren durch ihr kurzes Aufleuchten allenfalls in Ansätzen eine visuelle Orientierung.[55]

Gegensätze, also 0 und 1, können darüber hinaus auch auf weiteren Ebenen konstatiert werden: Die kompositorisch determinierte Performance der Musiker:innen beinhaltet als Extreme zum einen die Regungslosigkeit (›Freeze‹ = 0), zum anderen zusätzliche Bewegungen, die über das übliche Spielen des jeweiligen Instrumentes schauspielerisch hinausgehen (= 1). Die Wahrnehmung der akustischen Ereignisse bewegt sich zwischen absoluter Stille (= 0) und extrem lauten Klangmomenten (= 1).

Die Komposition ist geprägt vom Wechsel zwischen diesen Zuständen (weiter oben im Abschnitt »[[WAS]]« als Wahrnehmungsobjekte beschrieben), ihren Interdependenzen und Permutationen. Abbildung 13 versucht, dies zu verdeutlichen.

Abbildung

Abbildung 13: Schematische Darstellung der verschiedenen Wahrnehmungsebenen als An- (= 1) und Aus-Zustände (= 0)

Abbildung 14 zeigt darüber hinaus, wo im Stück welche Kontraste und Kombinationen auftauchen.

Abbildung

Abbildung 14: Zeitlicher Verlauf der diversen An-/Aus-Kombinationen

Geht man zunächst davon aus, dass im Fall einer gewöhnlichen konzertanten Aufführung eine beleuchtete Bühne mit allen Klangquellen und -erzeugern sichtbar ist – in Abbildung 13 die Kombination aus Klang, Licht und Bewegung (= 1) –, so wird das Spiel mit der dadurch gesicherten Orientierungsmöglichkeit zu einem zentralen Aspekt der kompositorischen Idee von Sensate Focus: Gerade umgekehrt stellt eine schwarze Bühne und damit das ›Nicht-Sichtbare‹ die Grundkonfiguration des Stücks dar. Man könnte von einer medial-performativen Erweiterung der akusmatischen Ebene sprechen. Abbildung 14 verdeutlicht daher verschiedene Kombinationen von Zuständen, die auf dieser Grundlage eine besondere kompositorische Relevanz haben: Die Kombination von Klang und Dunkelheit ist am häufigsten anzutreffen, was vor dem Hintergrund des gerade Genannten naheliegend erscheint. Dies betrifft entsprechend auch die Kombination aus Bewegung, Licht und Klang. Dunkelheit und Stille findet man zu Beginn des Stücks, also als dramaturgisches Mittel der Einleitung, die das Publikum sprichwörtlich zunächst ›im Dunkeln tappen‹ lässt.

Hervorzuheben sind insbesondere auch die eher ungewöhnlichen Kombinationen. Dunkelheit und Bewegung erscheinen auf den ersten Blick wenig sinnvoll – warum eine Bewegung ausführen, die man aber nicht sehen kann? Schubert nutzt diese Kombination jedoch als Übergang von einem körperlichen Zustand in einen anderen, so etwa ganz zum Schluss: Die beiden Takte vor dem Ende schreiben weder eine Beleuchtung noch Klangereignisse vor und ermöglichen den Musiker:innen, aus der vorherigen Spielposition in die abschließende Verneigungspose zu kommen:

Abbildung

Abbildung 15: Sensate Focus, Partiturausschnitt (Schlusstakte)

Auch im Abschnitt davor (ab T. 504) nehmen die Musiker:innen immer neue Freeze-Positionen ein, deren Wechsel jedoch nicht sichtbar sind.

An einer anderen Stelle (T. 391–399) ist der Einsatz des Schwirrholzes erwähnenswert: Die meiste Zeit über ist die Bewegung zur Klangerzeugung nicht sichtbar, sie wird nur durch gelegentliche aufblitzende und eher schwache Lichteinwürfe visuell erahnbar; klanglich wird das Schwirrholz zudem von Einwürfen der anderen Instrumente eingerahmt und so ebenfalls teilweise verdeckt.

Die Kombination von Stille und Bewegung enthält im Kontext der Instrumentierung einen doppelten Boden: An vielen Stellen bewegen sich die Musiker:innen, ohne dabei selbst Klänge auf ihrem Instrument zu erzeugen. Stattdessen stehen dann die elektronischen Sounds der Tape-Spur im Vordergrund, wodurch ein visuell-akustisches Verwirrspiel erzeugt wird – man sieht nicht, was man hört (akusmatischer Effekt) bzw. man könnte (soll?) glauben, dass die ›performten‹ Bewegungen den hörbaren Sound auslösen.

Das Pendant hierzu ist die Kombination aus Regungslosigkeit und Klang (welcher dann zumeist vom Tape kommt). Besonders deutlich wird diese Kombination an jenen Stellen (Takt 506, 509, 512 und 515), an denen weißes Rauschen zum Einsatz kommt, während die Musiker:innen in einer bestimmten Position regungslos verharren (›Freeze‹).

Nur vereinzelt hingegen findet man die Kombination aus Regungslosigkeit, Licht und Stille: In den Takten 178, 182, 345 oder 401 etwa wird das schweigende Schlagwerk angestrahlt. Eine ›Tutti‹-Version dieser Kombination mit gänzlicher Stille gibt es indes nur im Schlusstakt, wenn die Performer:innen in der Verbeugungsposition verharren.

Eine Analogie zum weiter oben angesprochenen Binärcode, mit dem An-/Aus-Zustände im Stück verglichen wurden, lässt sich auch innerhalb der Audio-Ebene herstellen. Betrachtet man Parameter wie Tonlänge (lang oder kurz) oder Ton- bzw. Geräuschhaftigkeit[56] als binäre Werte (= 0 oder 1), finden sich auch diese in Sensate Focus immer wieder. Man vergleiche etwa die stabilen und länger ausgehaltenen Töne in Klarinette, E-Gitarre und Violine in Takt 85–90 (Abb. 16) mit den kurzen, staccatoartigen Impulsen und geräuschhaften Klängen in Takt 100–103 (Abb. 17).[57]

Abbildung

Abbildung 16: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 84–90)

Audiobeispiel 14: Sensate Focus (T. 85–90)

Abbildung

Abbildung 17: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 100–103)

Audiobeispiel 15: Sensate Focus (T. 100–103)

Die akustische Räumlichkeit wird einerseits durch die physische Klangerzeugung der Instrumente auf der Bühne, andererseits durch die in Ableton Live herstellbaren elektronischen Möglichkeiten erzeugt.[58]

Audiobeispiel 16: Elektronisch erzeugte Raumakustik

Diese Konstellationen fallen besonders auf, weil sie häufig als singuläre Ereignisse auftreten und sich die Kontraste zumeist nicht innerhalb der Phrasen eines Instrumentes mischen (höchstens durch verschiedene, gleichzeitig spielende Instrumente). Die Schärfe der Kontraste bei gleichzeitiger deutlicher Abgrenzung voneinander wird etwa im Vergleich der Takte 105 f. (kurz und perkussiv) mit den anschließenden Takten 107–109 (lang und tonhaft) deutlich:

Abbildung

Abbildung 18: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 104–110)

Die verschiedenen Zusammensetzungen dieser Parameter lassen sich – in Anlehnung an die weiter oben beschriebene Herangehensweise auf Basis von MIDI-Signalen – auch in Diagrammen abstrahiert darstellen. Dadurch wird der An/Aus-Kontrast sowie die Wiederverwendung und Permutation bestimmter Muster besonders deutlich:[59]

Abbildung

Abbildung 19: Darstellung der Instrumente (T.  96–99, von oben nach unten: Bassklarinette, E-Gitarre, Violine, Schlagwerk) als MIDI-Signale (An/Aus)[60]

Synthese und Organizität

Sensate Focus ist ein Stück der Extreme und auch der Gegensätze, wie bereits ausführlich diskutiert wurde. Auch wenn es zutreffend erscheint, von einer im weitesten Sinne MIDI-basierten Herangehensweise an das Stück zu sprechen, die ihrerseits nur die Befehle ›Signal‹ (= 1) und ›kein Signal‹ (= 0) kennt, handelt es sich bei dieser Komposition jedoch keineswegs um eine rein mechanische, steife oder ungelenke Abfolge oder etüdenhafte Permutation von audiovisuellen Ereignissen. Vielmehr provozieren die mannigfachen Konstellationen stets neue Zustände des Wahrnehmens, die im zeitlichen Verlauf zu einem dramaturgischen Kontinuum verschmelzen. Ein erster, grober Blick auf die Amplituden-Verhältnisse innerhalb der Gesamtform lässt bereits eine dynamische Grundstruktur mit drei bzw. vier[61] Forte-Abschnitten unterschiedlicher Dauer erkennen, denen jeweils ein decrescendo unmittelbar vorausgeht (siehe die blauen Markierungen):

Abbildung

Abbildung 20: Amplituden-Hüllkurve der Gesamtform

An den zeitlichen Proportionen lässt sich zudem nachvollziehen, dass die Dauern der Forte-Phasen innerhalb eines Abschnitts zum Ende der Gesamtform hin größer werden, es also länger (sehr) laut bleibt. Die Beschaffenheit der Amplituden selbst – fast rechteckige, tiefschwarze Einheiten mit wenigen (hier orangenen) Kerben – zeigt im Vergleich etwa zur Einleitung oder zum Abschnitt um Minute 10, dass der maximale Lautstärkepegel an vielen Stellen ausgereizt wurde.

Die im vorherigen Abschnitt abstrahierten Motive kondensieren eine technisch als An-/Aus-Kontrast betrachtete MIDI-Matrix zu eigenständigen Gebilden, zu einer Art Multimedia-Polyphonie. Es entsteht im Zusammenwirken von Klang, Licht und Bewegung eine Art ›Gesamtinstrument‹, mit dem immer neue ›melodische‹ Ereignisphrasen erzeugt werden.

Ein Beispiel geben die Takte 94–103 (Abb. 21). In diesem Abschnitt kommen auf instrumentaler Ebene die Parameter ›Ton‹ (grün gekennzeichnet) und ›Geräusch‹ (magenta) sowie ›kurz‹ und ›lang‹ (blau bzw. rot) zum Tragen. Aus ihrer Kombination ergibt bzw. entwickelt sich ab Takt 98 eine ostinate, rhythmische Figur und damit ein selbstständiger Zusammenhang innerhalb der auditiven Ebene, zu der auch ein klarer, perkussiver Viertelpuls vom Tape beiträgt. Aus den vier Instrumenten und der Tape-Spur wird ein (perkussives) Gesamtinstrument.

Abbildung

Abbildung 21: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 93–103)

Im Abschnitt von Takt 98 bis 103 fallen außerdem die Wiederholungen und offbeats auf: Eine ähnliche Konstruktion bzw. einen ähnlichen Zusammenhang hat es in den Takten davor nicht gegeben – im weiteren Verlauf finden sich nun weitere Ostinato-Stellen, die allerdings deutlich homophoner komponiert sind als die eben besprochene und somit anders verbunden wirken. Das Verweben der klanglichen und der rhythmischen Schichten vor dem Hintergrund eines fließend-repetitiven Moments hebt diese Stelle daher hervor. Es entstehen Assoziationen zu popularmusikalischen Stilistiken wie Techno oder Minimal House.

In den Takten 130 bis 133 werden Bassklarinette und Violine in ihren crescendi übermäßig stark von der Elektronik unterstützt. Über einen Zeitraum von (zweimal) zwölf Vierteln entsteht durch das dynamische Anschwellen eine Erwartungshaltung an eine Klimax, welche dann durch den folgenden, ostinat-homophonen Teil ab Takt 134 eingelöst wird:

Abbildung

Abbildung 22: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 130–133)

Abbildung

Abbildung 23: Amplituden-Hüllkurve der Takte 130–136

Dieser Aufbau entfacht eine sogartige Wirkung und ist auch ein beliebtes Gestaltungsmittel in Live-Shows von EDM[62]-DJs, welches dort etwa ›riser‹ oder ›build up‹ (mit anschließendem ›drop‹) genannt wird.[63]

Ähnliche Stellen finden sich in Takt 199 f. und in abgeänderter Form mit Repetitionen in den Takten 227–259.

Der Abschnitt ab T. 390 (Abb. 24) sticht u. a. dadurch hervor, dass es plötzlich viel dunkler und leiser bzw. ruhiger wird als in den meisten vorherigen Abschnitten. Die Tape-Spur erzeugt dabei einen riesigen Raum, der jedoch nicht sichtbar ist und auch nicht von gelegentlichen Spot-Einwürfen auf das Schlagwerk ansatzweise erkennbar ist. Verschiedene Klänge sind hörbar, teils wiedererkennbar, teils bleibt die Klangquelle jedoch verborgen. Selbst das Schwirrholz (bullroarer) wirkt in diesem Kontext eher wie ein klanglich-visuelles Kuriosum, man erkennt nicht sofort, was hier gerade passiert oder klingt.[64] Die stark im Vordergrund vernehmbaren Tape-Klänge mischen diesem Moment des Un(ge)wissen(s) nun etwas unheimlich Wirkendes bei: Die Hall-Räume und die langen, vereinzelten Töne und Geräusche haben etwas Cineastisches, obwohl auf der Bühne (bzw. auf der Leinwand) fast nichts zu sehen ist … eine psychoakustisch-visuelle Illusion?

Abbildung

Abbildung 24: Sensate Focus, Partiturausschnitt (T. 390–397)

[[Oszillato]]

Die Kunst des Dazwischen

»Der Sinn ist schelmisch: Jagen Sie ihn aus dem Haus, er steigt zum Fenster wieder ein.«[65]

(Roland Barthes)

Ziel der Analyse von Alexander Schuberts Sensate Focus war zu zeigen, wie die verschiedenen Klangebenen auf Basis einer am Binärcode orientierten Herangehensweise implementiert wurden und innerhalb welcher Spielregeln sie agierten. Auch wurde dargelegt, wie diese zueinander in Verbindung stehen, miteinander verwoben sind und welche Wirkungspotenziale damit einhergehen. Zudem wurde versucht, anhand der vorliegenden Materialien Rückschlüsse auf die Entstehung der Komposition zu ziehen.

Das kompositorische Setup bestand darüber hinaus möglicherweise auch nicht nur aus Ableton Live und MIDI-Controller, sondern beinhaltete in irgendeiner Form auch weitere mediale Instanzen, die Beleuchtungs- und/oder Performance-Situationen festhalten oder dazugehörige Notizen ermöglichen (Cue-Marker, Bewegungssensoren, Kamera-Mitschnitt von Improvisationen o. ä.) und im Sinne einer medialen Produktionssynthese zum Endprodukt zentral beigetragen haben. In seinem Stück Your fox’s a dirty gold etwa hat Alexander Schubert ein Setup mit den Controllern der Videospielkonsole Nintendo Wii eingerichtet.[66]

Die multimediale Umgebung zu Sensate Focus wurde sehr wahrscheinlich mit Ableton Live im Zentrum aufgebaut und durch DAW-typische Arbeitsweisen (Raster, Signalfluss etc.) maßgeblich beeinflusst. Es handelt sich somit nicht um eine genuin als Notentext formulierte Komposition, sondern möglicherweise gar um eine Übertragung der DAW-Skizzen auf eine Partitur mit ausnotierten Tonhöhen, Rhythmen etc., der die Arbeit in Ableton Live vorausging. Die Werkgenese könnte demnach ebenfalls als multimedial bezeichnet werden – eine Komposition für und mit verschiedenen Medien. Sensate Focus ist deshalb nicht ein Musikstück, das mit Licht und Performance angereichert wurde. Es ist vielmehr eine Mediensynthese aus all diesen Ebenen und muss daher als Wahrnehmungsobjekt immer auch ganzheitlich betrachtet werden.

Zwei Aspekte im Kontext des Begriffs der ästhetischen Erfahrung sollen abschließend noch einmal aufgegriffen werden: die kompositorische Idee der Überwältigung, der Wahrnehmungswechsel und -modi, sowie die Organisation des Wahrnehmbaren. Dazu möchte ich den Klang in den Vordergrund rücken und Licht sowie Performance zur besseren Veranschaulichung zunächst ausblenden. Die sinnliche Oberfläche wird in Sensate Focus primär von Reizüberflutungen und großer Informationsdichte geprägt, durch diverse mediale Ebenen, durch laute, schnelle Stellen, durch einen beabsichtigten Bruch mit dem, was die Rezipient:innen in der Konzertsituation vermutlich zu verarbeiten im Stande sind.

In Sensate Focus geht es aber nicht allein um das Ausloten extremer Erfahrungen, und es handelt sich auch nicht, wie eingangs angesprochen, um einen wahrnehmungspsychologischen Laborversuch. Das Stück führt vielmehr durch verschiedene Momente von Reizaufnahme und Wahrnehmung, manchmal brachial, häufig genug aber auch behutsam. So kann man etwa die ersten drei Minuten im Sinne einer musikalischen Logik des Hinführens als Einleitung bezeichnen. Das kompositorische Kalkül zielt demnach nicht nur auf eine stete Reizung der sinnlichen Oberfläche (›Ich nehme wahr …‹), sondern vermittelt auch zwischen verschiedenen Daseinszuständen (›Ich folgere, dass …‹).

Zahlreiche Mischverhältnisse der medialen Ebenen können so zum einen eine wahrnehmungspsychologische und zum anderen eine formal-dramaturgische Wirkung entfalten. Die Materialkonstellationen überlagern sich und werden zu einer organischen, eigenständigen Erzählschicht, die man zunächst als Gesamtheit erfährt und nun nicht ohne Weiteres voneinander trennen kann. Das Oszillieren zwischen Sinnlichkeit/Klang und Struktur wird zu einer mehrdimensionalen Wahrnehmungssynthese, die unter Berücksichtigung der Gesamtform beabsichtigt scheint. Die erste Dimension ist die der multimedialen Anlage: Sound, Licht, Performance werden als Gesamtheit erfahrbar. Die zweite Dimension betrifft das Wahrnehmbare und das Nicht-Wahrnehmbare, erzeugt durch die Informationsdichte und ihre Geschwindigkeit, die für Falschinformationen im Gehirn sorgt. Auf einer dritten Dimension sind Sinnlichkeit und Sinn nicht voneinander zu trennen.

Klang ist jedoch immer als transformatorische Größe in der Zeit, mithin im Sinne von ›Klang-Zeit-Bewegungen‹ zu verstehen und so als Antithese zu atemporalen und rein architektonischen Konzeptionen musikalischer Form.[67]

Die Klangmotive sind nicht nur sinnlich erfahr- bzw. wahrnehmbar, sie stiften auch Formsinn. Die erwähnten Daseinszustände sind daher auch Ergebnis eines formal gesteuerten Prozesses und einer dahinter liegenden Sinnstruktur, die freilich immer wieder von ›Überwältigungen‹ verdeckt, aber zumindest subtil wahrnehmbar bleibt. »Keineswegs nehmen wir [...] also das akustische Ereignis bloß als reines Sinnes-Datum wahr; es gibt keine Erfahrung, die nicht Erfahrung von Sinn implizierte.«[68]

Und so ließe sich schließlich sogar der Umgang mit dem Binären, der 1 (= Signal wahrnehmbar) und der 0 (= Signal nicht wahrnehmbar) im Kontext des kompositorischen Prozesses als zutiefst künstlerisches Bedürfnis nach nicht-mechanischen Sinnzusammenhängen deuten: Abwechslung, Zwischenräume und Zustände müssen offensichtlich geschaffen werden, allein um nicht bloßes Laborexperiment zu bleiben.

Die Dichotomie aus Klang und Struktur, aus sinnlichem Erfahren und sinngebender Gestaltung, möchte ich abschließend auf das zu Beginn umrissene technisch-kompositorische Setting einerseits und die Rezeption des Publikums andererseits projizieren: Das Setting umfasst im Kern den Computer bzw. die Digital Audio Workstation und einen MIDI-fähigen Controller. Letzteres ist als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine nichts Anderes als ein wie auch immer geartetes taktiles Instrument, das menschliche Bewegung oder Regung in Maschinencode übersetzt und so einen unmittelbar und körperlich erfahrbaren Zugang zum Komponieren ermöglicht (der meist auch das Hören via Lautsprecher oder Kopfhörer umfasst). Die DAW hingegen eröffnet vielmehr Wege zur Strukturierung, Formung und Bearbeitung dessen, was im Moment der Improvisation, der körperlichen Regung als reines Signal festgehalten, aufgenommen worden ist. Das Oszillieren zwischen Klang und Struktur ist also bereits in den improvisatorisch-kompositorischen Entstehungsprozess eingeschrieben, ein permanentes Ergänzen, Wechseln, Probieren und Rekapitulieren findet somit auf Grundlage des technischen Settings, als Interface zwischen Komponist und den zur Herstellung notwendigen Medien wie selbstverständlich statt. Sensate Focus ist eine wahr(-nehmbar) gewordene Version dieses Oszillierens, ein vierzehnminütiger Zustand zwischen wildem Spektakel und feingliedrigem Gewebe … eine vermeintliche Irreleitung der Sinne, evoziert durch einen multimedialen Performance-Ereignis-Overload, beheimatet irgendwo zwischen populären Musikstilen und Neuer Musik, die letztlich aber doch gezielt durch das lichtleere, klangdurchflutete Raumzeitkontinuum führt.

Anmerkungen

1

Das Akronym ›wysiwyg‹ bezieht sich im weitesten Sinne auf Bildschirm-bezogene Darstellungsmöglichkeiten einer Programmiersprache und steht für ›what you see is what you get‹.

2

Urbanek 2018, 69.

3

Schubert 2021, 95.

4

Ebd.

5

Ebd., 61.

6

Schubert 2017, 47 f.

7

Ungeheuer 2010, 203.

8

Ebd., 205.

9

Vgl. ebd., 209.

10

Ebd., 208.

11

Ebd.

12

Ebd.

13

Solcherlei auf Social-Media-Plattformen (damit meine ich hier insbesondere YouTube, darüber hinaus aber auch Foren wie reddit, elektronauts oder gearspace etc.) weit verbreitete Vorgehensweisen geben nicht nur den Video-Protagonist:innen Raum für ihre Perspektive: Auch in den Kommentarspalten werden spezifische Herangehensweisen an bzw. Produktionsformen von Musik diskutiert, vertieft und ergänzt.

14

Schubert 2017, 46.

15

Ebd.

16

Als Grundlage dieser Analyse dient ein Video, das Schubert dem YouTube-Kanal score follower zur Verfügung gestellt hat und mittels dessen gleichzeitig die Performance und die Partitur mitverfolgt werden kann. In der Aufnahme spielt allerdings ein Cello statt Violine sowie eine E-Zither statt einer E-Gitarre. https://www.youtube.com/watch?v=ojWW9ifdMFs (13.6.2023)

17

Man schaue dazu etwa in die Kursangebote von Online-Musikschulen mit Schwerpunkt auf elektronischer Musik, etwa Pyramind oder Dubspot (USA), Sinee (Deutschland), Underdog (Belgien), Point Blank Music School (Großbritannien), oder auch auf YouTube-Kanäle wie The Producer Network oder Sound & Recording, wo regelmäßig content unter Stichworten wie ›re-‹ oder ›deconstruct‹, ›recreate‹, ›remake‹ etc. veröffentlicht wird. Darüber hinaus zeigen auch bekannte Produzenten wie Skrillex ihre project files. Siehe etwa: https://www.youtube.com/watch?v=QM6OwLTpO9s&list=PLVKXi4A3UzcKFd1MwprKUdPcejElmWv1_&index=15 (13.6.2023)

18

Vgl. Ungeheuer 2010.

19

Urbanek 2018, 49.

20

Schubert 2021, 208.

21

Urbanek 2018, 65.

22

Zit. nach ebd., 59.

23

Ebd., 62.

24

Ebd., 67.

25

Schubert 2021, 99.

26

Ebd., 203.

27

Anmerkung im Erläuterungstext zur Partitur.

28

Schubert 2017, 47.

29

So nennt Schubert die Audio-Spur im Ableton-Live-Projekt, die alle eigenständigen, vorproduzierten elektronischen Klänge beinhaltet. Diese Bezeichnung bezieht sich dabei vermutlich auf die begriffliche Herkunft von Zuspielungen.

30

Vgl. Schubert 2017, 47.

31

Ebd., 47.

32

Die Musiker:innen sollen für die Performance einen eigenen Rechner nutzen.

33

Schubert 2017, 46.

34

Man vergleiche etwa Klang und Rhythmus des Ride-Beckens um Minute 04:30 (in der Partitur T. 150–154) mit dem Stück »Blind« der Band Korn oder, allgemeiner, den Stil des Slipknot-Schlagzeugers Shawn Crahan mit der Perkussion in Sensate Focus. Auch die von den Pads getriggerten sogenannten 808-Sounds sind klanglich stark in anderen Genres (House, Trap, Hip-Hop uvm.) verortet. Eine nähere Untersuchung genrespezifischer Codes in diesem Stück übersteigt den Rahmen dieser Arbeit, wäre für die Zukunft allerdings desiderabel.

35

Ahlers 2019, 423.

36

Vgl. dazu Großmann 2008; Papenburg 2017; Schulze 2017.

37

So nutzen die Produktionssoftware etwa der dem Dubstep zugeordnete Produzent Skrillex oder der Klangkünstler und Mitbegründer der Softwarefirma Ableton Robert Henke (Monolake) wie ebenso auch Alexander Schubert und Brigitta Muntendorf.

38

Man vergleiche etwa Skrillex Live beim Ultra Music Festival 2015: https://www.youtube.com/watch?v=V2VmcuOEqEg (13.6.2023). Siehe auch »Cock/ver10« von Aphex Twin aus dem Album »Drukqs«, »Mariscos« von Tipper aus dem Album »Insolito« oder Amon Tobins Live-Show zu seinem Album »ISAM«. https://www.youtube.com/watch?v=XqyEZ0GwS3E&t=58s (13.6.2023)

39

Eine produktionsbezogene Analyse hätte der Leitfrage nachzugehen, wie ein bestimmter Musikausschnitt in einer DAW nachkonstruiert werden könnte.

40

Ein spezifischer, sogenannter Stutter-Effekt in Ableton Live. Vgl. Brockhaus 2017.

41

Vgl. Schubert 2017, 47.

42

Der Ausschnitt ist im Violinschlüssel zu lesen.

43

In der Partitur fällt im Übrigen auf, dass sich die von Schubert verwendeten Notenwerte nahezu ausschließlich innerhalb eines Sechzehntelrasters mit größtenteils binärer Unterteilung bewegen. Viele DAWs, insbesondere auch Ableton Live, arbeiten mit genau dieser rhythmischen Zeiteinteilung als Grundeinstellung.

44

Siehe auch die Takte 50, 56, 67, 77 und 96.

45

Siehe auch die Takte 291, 299 f., 309 f. und 335.

46

Am häufigsten wird (notiert) f3 gefordert, darüber hinaus finden sich: c4 (höchster Ton), d3, ces4, b3, a2, as2, ais2, h2, his2 und g3.

47

Plektrum, col legno battuto, Bogen (Frosch und hoher Bogendruck).

48

Onbeat (Viertelnote) oder offbeat (innerhalb der Sechzehnteldivisionen).

49

Am häufigsten ist ein e-Moll-Sextakkord in enger Lage anzutreffen. Als weitere Klänge finden sich: ein großer G-Dur-Septakkord, ein e-Moll-Septakkord, G-Dur in Umkehrung als Quartsextakkord, die Quarte h-e sowie die Sekunde d-e.

50

Die im Ableton-Live-Projekt vorzufindenden Samples könnten folgendermaßen kategorisiert und zusammengefasst werden: Kicks (vier verschiedene Sounds), Snares/Claps (fünf Sounds), Toms (ebenfalls fünf), Cymbals/Hi-Hats (vier) als typische Grundsounds eines Drumsets. Hinzu kommt ein Cowbell- und ein White-Noise-Sample.

51

Utz 2016, 41.

52

Ebd., 37.

53

Ebd., 39.

54

Historisch betrachtet wird insbesondere in der dur-moll-tonalen Musik des 18. und 19. Jahrhunderts oder auch in Filmmusikkompositionen von John Williams, Howard Jackson u. a. von motivischer Arbeit gesprochen und dabei impliziert, dass rhythmisch-diastematische Konfigurationen maßgeblich zur formalen Struktur bzw. zur musikalischen Logik ganz allgemein beitragen. Vgl. Kühn 2021.

55

Vgl. https://www.alexanderschubert.net/works/Sensate.php (13.6.2023)

56

Zur Problematik einer kategorialen Unterscheidung siehe Utz 2016, 37.

57

Die Attribute ›kurz‹ und ›geräuschhaft‹ sind dabei meist ebenso miteinander verknüpft wie ›lang‹ und ›tonhaft‹.

58

Hörbar etwa im Aufführungsvideo von Sensate Focus bei Minute 05:55 (Partitur T. 196 f.).

59

Legende zur Abbildung: Farbe = Signal, weiß = kein Signal; grün = Ton, magenta = Geräusch, blau = Geste; kurzer Block = perkussives Ereignis, langer Block = liegender Ton.

60

Diese Phrase kommt in Variationen auch an folgenden Stellen vor: Takt 41 f., 50–53, 56–60, 67–71, 77 f., 96–99, 118–120.

61

Die Abschnitte 1 und 2 liegen besonders nahe beieinander und wirken u. a. dadurch stark verwoben. Im Höreindruck fällt eine eindeutige Trennung schwer, auch wenn eine Grenze in der Hüllkurvenansicht erkennbar ist.

62

Abkürzung für Electronic Dance Music.

63

Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=rpFcbMPaCgg (13.6.2023)

64

Daraus entwickelt sich im Anschluss eine nahezu komplette, zweitaktige Stille, ehe eine letzte (die längste) Forte-Phase den Schluss des Stücks einleitet (›drop‹).

65

Barthes 1990, 211.

66

Schubert 2017, 46 f.

67

Utz 2016, 36.

68

Urbanek 2018, 51.

Literatur

Ahlers, Michael (2019), »Komposition und Produktion von populärer Musik«, in: Handbuch Musik und Medien. Interdisziplinärer Überblick über die Mediengeschichte der Musik, hg. von Holger Schramm, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Konstanz: Springer, 421–448.

Barthes, Roland (1990), »Die Kunst, diese alte Sache …« [1980], in: ders., Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, übers. von Dieter Hornig, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 207–215.

Brockhaus, Immanuel (2017), »Was heißt schon neu? Moderne Effektsounds in populärer Musik – Tape Slow-Down, Stutter und Sidechain Compression als Teil aktueller Produktionsästhetik«, in: Aneignungsformen populärer Musik: Klänge, Netzwerke, Geschichte(n) und wildes Lernen, hg. von Dietmar Elflein und Bernhard Weber, Bielefeld: transcript, 239–264.

Großmann, Rolf (2008), »Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion«, in: PopMusicology. Perspektiven der Popmusikwissenschaft, hg. von Christian Bielefeldt, Udo Dahmen und Rolf Großmann, Bielefeld: transcript, 119–134.

Kühn, Clemens (2021), »Form« [1995], in: MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter. https://www.mgg-online.com/mgg/stable/400826 (13.6.2023)

Papenburg, Jens Gerrit (2017), »Produktion«, in: Handbuch Popkultur, hg. von Thomas Hecken und Marcus S. Kleiner, Konstanz: Springer, 123–128.

Schubert, Alexander (2017), »Binäre Komposition«, Musiktexte 153, 46–50. https://www.alexanderschubert.net/about.php (13.6.2023)

Schubert, Alexander (2021), Switching Worlds, Stuttgart: Wolke.

Schulze, Holger (2017), »Sound«, in: Handbuch Popkultur, hg. von Thomas Hecken und Marcus S. Kleiner, Konstanz: Springer, 119–123.

Ungeheuer, Elena (2010), »Die Analyse von Medienkunst und Musik als Thema pragmatischer Medientheorie«, in: Klangmaschinen zwischen Experiment und Medientechnik, hg. von Daniel Gethmann, Bielefeld: transcript, 197–210.

Urbanek, Nikolaus (2018), »Vom Sinn des Klangs. Ein Vortrag aus posthermeneutischer Perspektive«, in: Klang und Semantik in der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, hg. von Jörn Peter Hiekel und Wolfgang Mende, Bielefeld: transcript, 47–70.

Utz, Christian (2016), »Auf der Suche nach einer befreiten Wahrnehmung. Neue Musik als Klangorganisation«, in: Lexikon Neue Musik, hg. von Jörn Peter Hiekel und Christian Utz, Stuttgart: Metzler / Kassel: Bärenreiter, 35–53.

Dieser Text erscheint im Open Access und ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

This is an open access article licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License.