Überlieferte Tempoangaben im 17. und 18. Jahrhundert und ihre mögliche Übertragung auf Bachs ›Goldberg-Variationen‹
Michael Hell
Ursprünglich als Lecture Recital mit klanglichen Demonstrationen geplant, stehen die Erfahrungen des Autors mit den überlieferten absoluten und relativen Tempoangaben des 17. und 18. Jahrhunderts (besonders nach Michel L’Affilard, Raoul-Auger Feuillet und Louis-Léon Pajot, aber auch nach Johann Joachim Quantz und Johann Philipp Kirnberger) und ihre Übertragbarkeit auf ausgewählte Variationen aus Johann Sebastian Bachs ›Goldberg-Variationen‹ BWV 988 im Mittelpunkt des Aufsatzes. Dabei werden in erster Linie die leicht einem Tanztypus zuzuordnenden Variationen ausgewählt, da diese am ehesten ihre Entsprechungen in den genannten Tempoangaben finden können. Daneben werden von Majid Motavasseli erhobene Tempomittelwerte von 76 Aufnahmen von Bachs Zyklus’ hinzugezogen und mit den historischen Angaben und den Tempi des Autors verglichen. Es wird zudem über die Erfahrungen mit dem Nachbau eines Pendels nach Etienne Loulié (1696) und dessen Auswirkungen auf das Spielen und Üben berichtet.
Originally planned as a lecture recital with musical demonstrations, this article focuses on the author’s experience with the traditional absolute and relative tempo indications of the seventeenth and eighteenth centuries (especially those given by Michel L’Affilard, Raoul-Auger Feuillet, and Louis-Léon Pajot, but also those given by Johann Joachim Quantz and Johann Philipp Kirnberger) and their transferability to selected variations from Johann Sebastian Bach’s “Goldberg Variations,” BWV 988. The variations that can be easily assigned to a dance type are primarily selected, as these clearly correspond to the tempo indications mentioned. In addition mean tempo values collected by Majid Motavasseli from seventy-six recordings of Bach’s cycle are compared with historical information and the author’s tempi. The article also reports on experiences with the replica of a pendulum of Etienne Loulié (1696) and its effects on playing and practicing.
»Bey der Ausführung seiner eigenen Stücke nahm er das Tempo
gewöhnlich sehr lebhaft, wußte aber außer dieser Lebhaftigkeit
noch so viele Mannigfaltigkeit in seinen Vortrag zu bringen,
daß jedes Stück unter seiner Hand gleichsam wie eine Rede sprach.«[1]
1. Einleitung
Nachdem ich als Teenager an einem Kurs für Barocktanz teilgenommen und dabei zum ersten Mal körperlich erfahren hatte, dass bestimmte Tanzschritte nicht unter, aber auch nicht über einem gewissen Tempo ausführbar waren, ließ mir die Suche nach den angemessenen Tempi von jedweder Musik der Vergangenheit in meiner Ausübung als Musiker keine Ruhe mehr. Bereits in meinem ersten Studium an der Musikhochschule Hannover, aber dann besonders angeregt durch die Vorlesungen zur Aufführungspraxis von Jesper Christensen an der Schola Cantorum Basiliensis konnte ich mir Grundlagen für eine eigene, immer intensiver werdende künstlerisch-wissenschaftliche Beschäftigung mit Tempofragen erarbeiten. Diese weitete sich auch immer mehr auf Tactus- und Taktfragen sowie auf die Frage nach Tempoveränderungen innerhalb eines einzelnen Satzes aus. Wie spannend die Frage des Tempos gerade für einen Variationszyklus ist, liegt dabei auf der Hand.
Schon Girolamo Frescobaldi äußert sich in den beiden frühesten Drucken seines ersten Toccatenbuches zur Tempowahl in Variationswerken (Partite). Im Druck von 1615 heißt es:
Nelle partite si pigli il tempo giusto, et proportionato, et perché in alcune sono passi veloci si cominci con battuta commoda, non conuenendo da principio far presto, et seguir languidamente; Ma vogliono esser portate intere col medesimo tempo; et non ha dubbio, che la perfettione del sonare principalmente consiste nell’intendere i tempi.
In the [single] partite let a just, and proportionate tempo be taken, and because in some [partite] there are rapid passages one should begin with a comfortable beat, for it is not proper to begin rapidly, and follow slowly; but they [the partite] should be taken entire with the same tempo; and there is no doubt, that the perfection of playing consists principally in understanding the tempi.[2]
Und im Druck von 1615–16 schreibt Frescobaldi:
Nelle Partite quando si troueranno passaggi, et affetti sarà bene di pigliare il tempo largo: il che osseruarassi anche nelle toccate. L’altre non passeggiate si potranno sonare alquanto allegre di battuta, rimettendosi al buon gusto e fino giuditio del sonatore il guidar il tempo; nel qual consisti lo spirito, e la perfettione di questa maniera, e stile di sonare.
In the partite when there will be found passaggi, and affetti it will be well to choose a broad tempo: which is to be observed also in the toccatas. The other [partite] not having passaggi can be played somewhat lively in beat, referring to the good taste and fine judgment of the player the conduct of the tempo; in which consist the spirit, and the perfection of this manner and style of playing.[3]
Natürlich ist es fraglich, ob und inwieweit man Frescobaldis zur Zeit der Komposition der ›Goldberg-Variationen‹ (Vierter Teil der Clavierübung) schon rund 125 Jahre alte Anweisungen auf diese übertragen kann. Doch liefern sowohl Frescobaldi als auch Bach Zeugnisse derselben Tradition von Variationen auf Clavierinstrumenten über ein kurzes, oft Aria genanntes Musikstück.[4] Diese Gattung war besonders dazu geeignet, den Spieler (der oft auch zugleich Schüler des Komponisten war) sowohl technisch und musikalisch als auch kompositorisch auszubilden. Im Rahmen einer Clavierübung hat ein solcher Variationszyklus also einen besonderen Sinn.
Ferner wissen wir, dass Bach sich mit Frescobaldis Musik beschäftigt hat.[5] 1714 beispielsweise machte er sich eine handschriftliche Kopie von Frescobaldis Fiori Musicali.[6] Frescobaldi gibt uns in den zitierten Vorworten Anweisungen zur Tempowahl aufgrund der vorkommenden Notenwerte und auch zum Tempohalten innerhalb einer Variation. Er verlangt ein angemessenes Tempo (tempo giusto) für jede Variation und verlässt sich auf den guten Geschmack und das feine Urteil des Spielers. Konkreter wird er leider nicht.
2. Absolute Tempoangaben für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts
Doch was gibt es eigentlich für konkrete Tempoangaben in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts? Einen umfassenden Überblick über die erhaltenen Quellen verschafft Klaus Miehlings grundlegendes Buch Das Tempo in der Musik von Barock und Vorklassik.[7] Tempomessungen via Uhr, Puls, Schritttempo und vor allen Dingen mit Hilfe eines Pendels sowie Tempoberechnungen aufgrund von Kompositionsdauern werden ausführlich dargestellt und mit Umrechnungen auf moderne Metronomzahlen zur Verfügung gestellt.
Besonders bemerkenswert unter all diesen Angaben sind die französischen Pendelangaben, einerseits wegen ihrer Präzision, andererseits weil die französischen Tänze Muster für Instrumental- und Vokalmusik im gesamten 18. Jahrhundert weit bis in die Wiener Klassik wurden. Vor einigen Jahren hatte ich die Chance, den von der Wiener Restauratorin Ina Hoheisel angefertigten Nachbau eines Pendels nach Etienne Loulié (1654–1702) zu erwerben, das dieser in den Elements ou principes de musique vorstellt.[8] Mit diesem Nachbau konnte ich letztlich auf das Metronom und die Übertragung der Pendelangaben[9] verzichten und mit dem Pendel selbst üben.[10] Immer wieder bestätigte mir die praktische Erfahrung, dass ich mit den überlieferten Angaben nicht nur die französischen Tänze spielen, sondern auch in der vom französischen Stil inspirierten englischen und deutschen Clavier-, Kammer- und Orchestermusik überzeugende Ergebnisse erreichen konnte. In vielen Fällen, wie wir weiter unten sehen werden, konnte sich dadurch auch das eröffnende Zitat Forkels bestätigen: Verwendet man diese Angaben auch nur annäherungsweise für Bachs Tanzsätze, sind diese »gewöhnlich sehr lebhaft«. Ein zusätzlicher Vorteil beim Üben mit dem Loulié’schen Pendel war für mich das Ausbleiben eines Geräusches zur Angabe des Schlages. Der rein optische Reiz, den ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, erleichterte mir das Mitschwingen, gestattete mir aber auch eine gewisse Freiheit und ermöglichte so das Training eines tempo rubato.
Ein weiterer Zugang war für mich die Tempolehre von Johann Joachim Quantz: In seinem 1752 in Berlin veröffentlichen Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen gibt der Flötenlehrer Friedrichs des Großen zahlreiche genaue Tempoangaben, die sich auf den menschlichen Puls beziehen, von diesem mathematisch ableiten lassen und in einer großen Bandbreite von sehr langsamen bis sehr schnellen Tempi resultieren.
Die überlieferten Angaben dieser sehr unterschiedlichen Methoden der Tempobestimmung werden im Folgenden im Mittelpunkt meiner Überlegungen zum Tempo einzelner ›Goldberg-Variationen‹ stehen, wohl wissend, dass eine genaue Übertragung stets ein Experiment und eine künstlerische Entscheidung darstellt, keinesfalls aber wissenschaftliche Tatsachen behaupten will. Für mich als Spieler waren, sind und bleiben sie Gegenstand einer fortdauernden Herausforderung an meine eigenen Spielfähigkeiten.
Französische Pendelangaben
Wie sehr die französischen Pendelangaben in Deutschland verbreitet waren, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Johann Joachim Quantz erwähnt in seinem Versuch zwar Louliés Elements und das »Chronometre«, hatte aber weder die Gelegenheit diese Abhandlung zu lesen noch ein solches Gerät auszuprobieren und bezweifelt so dessen Nutzen:
Man ist zwar schon, seit langer Zeit, ein, zu gewisser Treffung des Zeitmaaßes, dienliches Mittel auszufinden bemühet gewesen. Loulié hat in seinen Elements ou Principes de Musique, mis dans un nouvel ordre &c. a Paris, 1698, den Abriß einer Maschine, die er Chronometre nennet, mitgetheilet. Ich habe diesen Abriß nicht können zu sehen bekommen, und kann also meine Gedanken nicht völlig darüber eröfnen. Inzwischen wird diese Maschine doch schwerlich von einem jeden immer bey sich geführet werden können: zugeschweigen, daß die fast allgemeine Vergessenheit derselben, da sie, so viel man weis, niemand sich zu Nutzen gemacht hat, schon einen Verdacht, wider ihre Zulänglichkeit und Tüchtigkeit, erreget.[11]
Die französischen Tanztempi dagegen waren in Deutschland allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr bekannt, hatte die Dominanz der französischen Musik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts doch dazu geführt, dass französische Holzbläser mit ihren revolutionären neuen Instrumenten[12] die deutschen Hofkapellen ergänzten, französische Tanzmeister an deutschen Höfen unterrichteten und selbstverständlich deutsche Musiker zum Studium oder zum Austausch nach Paris aufbrachen. Ein berühmtes Beispiel ist Georg Muffat (1653–1704), der von 1663 bis 1669 in Paris weilte und seine Erkenntnisse über die Lully’sche Spielart in seinen späteren Publikationen ausführlich wiedergab. Auch Johann Sigismund Kusser (1660–1727) soll von 1674 bis 1682 sechs Jahre bei Jean-Baptiste Lully in Paris gelernt haben. Ein später, prominenter Frankreichgast war Georg Philipp Telemann (1681–1767), der von 1737 bis 1738 in die Stadt an der Seine reiste.
Ein nicht-professioneller Musiker und Parisreisender war der adelige Musikliebhaber Johann Friedrich Armand von Uffenbach (1687–1769), der 1715/16 einen auf Veranlassung des Tanzmeisters Raoul-Auger Feuillet (1659–1710) hergestellten Pendelapparat kaufte, »den er 1728 in Frankfurt im Rahmen einer 1725 von ihm mitgegründeten wissenschaftlichen Gesellschaft vorstellte.«[13] Jürgen Kroemer fand das Protokoll dieser Sitzung, in welchem sich auch eine Abschrift der auf dem Pendel aufgeklebten Liste der »Mouvements les plus ordinaires« befand: eine Liste der üblichen Tanzsätze mit Tempoangaben in tierces.[14]
Weitere ausführliche Listen erschienen gedruckt in diversen Werken: Hier seien besonders Michel L’Affilards (um 1656–1708) Principes tres-faciles pour bien apprendre la musique erwähnt, eine allgemeine Musiklehre und Gesangsmethode, die zwischen 1694 und 1747 mehrfach neu aufgelegt wurde. Ab der fünften Auflage von 1705 finden sich für die in diesem Traktat angegebenen Beispielkompositionen (kurze zweistimmige Airs in den verschiedensten Taktarten und üblichsten Tanztypen) genaue Angaben in tierces. Eine andere wichtige Quelle ist die von Louis-Léon Pajot, Comte d’Onzembray (1678–1754) veröffentlichte »Description et usage d’un métrometre, ou machine Pour battre les Mesures & les Temps de toutes sortes d’Airs«, die 1735 in der Histoire de l’Academie royale des sciences erschien.[15] In dieser finden wir eine Liste mit konkreten Musikstücken aus Opern und Theatermusiken verschiedener Komponisten zwischen 1670 und 1701 (Lully, André Campra u. a.) und ihren genauen Tempoangaben.[16]
Loulié konstatierte bereits im Jahr 1696 die Notwendigkeit einer exakten Einhaltung der angemessenen Tempi und stellte dafür ein Pendel vor. Er beschreibt das Phänomen wie folgt:
Mais je me flatte que ceux qui on le goust fin & qui ont éprouvé combien un Air perd de sa beauté lorsqu’il est executé trop viste ou trop lentement, me sçauront bon gré de leur donner un moyen seur pour en connoître le veritable mouvement, particulierement ceux qui demeurent dans les Provinces, lesquels pourront sçavoir au juste le veritable mouvement de tous les Ouvrages de Monsieur de Lully, que j’ay marqué tres-exactement par rapport au Chronometre, avec le secours des personnes qui les ont executez sous la Mesure de Monsieur de Lully mesme, pendant plusieurs années.
Aber ich schmeichele mir, dass diejenigen, die über einen feinen Geschmack verfügen und die erfahren haben, wie viel ein Air von seiner Schönheit verliert, wenn es zu schnell oder zu langsam ausgeführt wird, mir dankbar sein werden, ihnen ein sicheres Mittel gegeben zu haben, um das wahre Zeitmaß zu kennen. Besonders werden auch diejenigen, die in den Provinzen verbleiben, in der Lage sein, das korrekte Zeitmaß aller Werke von Monsieur de Lully zu wissen, die ich während einiger Jahre sehr genau mit Bezug auf das Chronometer mit Hilfe von Personen, die sie unter dem Takt von Monsieur de Lully selbst ausgeführt haben, bezeichnet habe.[17]
Das Zitat zeigt, wie Musiker in den Provinzen (also fern von Paris) von den genauen Pendelangaben profitieren konnten. Wie sehr muss das erst für uns gelten, die wir uns auch zeitlich weit entfernt vom Paris des 17. und 18. Jahrhunderts befinden.
Leider hat Loulié die besagte Liste mit den angemessenen Tempi für Lullys Werke nicht veröffentlich. Pajot erwarb nach Louliés Tod 1702 dessen Pendel.[18] Da die von Pajot angeführten Opern allesamt zu Lebzeiten Louliés entstanden, liegt es auf der Hand, seine Tempoangaben auf die Listen Louliés zurückzuführen.[19]
Als letztes Beispiel einer umfassenden Tempotabelle in Frankreich sei Jacques-Alexandre de La Chapelles Les vrais principes de musique, 2e Livre (Paris 1737) genannt.[20] Auch hier finden wir eine mehr oder weniger komplette Liste der üblichen Tanzsätze mit Tempoangaben in pouces, diesmal mit einstimmigen Melodiebeispielen.[21]
Der breite Diskurs über Tempi in der französischen Barockmusik bereits ab etwa 1700, der sich sowohl in der Anzahl als auch in der Ausführlichkeit und Genauigkeit der überlieferten Quellen mit präzisen Tempoangaben zeigt, unterstreicht die Wichtigkeit eines angemessenen Tempos für die französischen Komponist*innen und Musiker*innen. Die französischen Pendelangaben zeigen bei bestimmten Tanzsätzen eine sehr klare Einheitlichkeit (z. B. beim Menuett, vgl. 3., Variatio 19), bei anderen wiederum eine erstaunliche Breite (z. B. Gigue, vgl. 3., Variatio 7, und Gavotte), was in letzteren Fällen darauf hindeutet, dass es verschiedene Typen von diesen Tänzen gab.
Während man in den geraden Taktarten normalerweise den Nenner des Taktes geschlagen hat, also Viertel im 2/4- oder 4/4-Takt oder halbe Noten im 2/2-Takt, wurden in Frankreich ab dem schnellen Dreiertakt (wie für das Menuett) die Tempoangaben nicht in Viertel-, Achtel- oder Sechzehntelnoten gegeben, sondern ›schlagweise‹ in punktierten halben Noten, punktierten Viertel- oder punktierten Achtelnoten.
Tempoangaben nach Johann Joachim Quantz und Johann Philipp Kirnberger
Zeit- und ortsnäher zu Johann Sebastian Bach befinden wir uns mit Johann Joachim Quantz’ sehr detaillierten Tempoangaben.[22] Auch Quantz betont mehrfach die Notwendigkeit eines angemessenen Tempos:
Wer da weis, wie viel an dem rechten Zeitmaaße, so ein jedes Stück erfodert, gelegen ist, und was für große Fehler hierinne vorgehen können; der wird an dieser Nothwendigkeit nicht zweifeln. Hätte man hierinne gewisse Regeln, und wollte dieselben gehörig beobachten; so würde manches Stück, welches öfters durch das unrechte Zeitmaaß verstümmelt wird, eine bessere Wirkung thun, und seinem Erfinder mehr Ehre machen, als vielmals geschieht.[23]
Quantz gibt als Richtschnur den »Pulsschlag an der Hand eines gesunden Menschen.«[24] An späterer Stelle präzisiert er das:
Man nehme den Pulsschlag, wie er nach der Mittagsmahlzeit bis Abends, und zwar wie er bey einem lustigen und aufgeräumten, doch dabey etwas hitzigen und flüchtigen Menschen, oder, wenn es so zu reden erlaubet ist, bey einem Menschen von cholerisch-sanguinischem Temperamente geht, zum Grunde: so wird man den rechten getroffen haben.[25]
Und Quantz wird noch genauer: »Ist dieses nicht hinreichend, so will ich noch was genauers bestimmen. Man setze denjenigen Puls, welcher in einer Minute ohngefähr achtzigmal schlägt, zur Richtschnur.«[26]
Quantz erklärt genau, wie er Tempi vom Pulstempo ableitet. Dabei gibt er uns sowohl Tempi für die verschiedenen Tempowörter in den verschiedenen Taktarten als auch für die französischen Tänze.[27] Ebenso wie bei den Tänzen mögen die schnellen Tempi der schnellen Sätze erstaunen. Bemerkenswert langsam sind dagegen die langsamen Sätze. Sind einem also die schnellen Quantz-Tempi zu schnell und man würde deshalb den Ausgangspuls verlangsamen, würden sich auch die bereits sehr langsamen Tempi noch einmal verlangsamen. Das System von Quantz hat einen Haken darin, dass zwar eine große Bandbreite, aber nur wenige Abstufungen von Tempi zu finden sind, da die meisten Tempi durch ganzzahlige Proportionen von 80 Pulsschlägen pro Minute hergeleitet werden: neben genau 40, 80 und 160 Schlägen pro Minute finden wir ansonsten nur 53 Schläge pro Minute (2/3 von 80) und Angaben wie »schneller als« oder »langsamer als«.
Der begeisterte Bach-Anhänger und wahrscheinliche Bach-Schüler Johann Philipp Kirnberger widmet in der ersten Abteilung des zweiten Teils seiner Kunst des reinen Satzes in der Musik einen langen Abschnitt dem Thema »Von der Bewegung, dem Takt und dem Rhythmus«.[28] Kirnberger gibt keine absoluten Tempoangaben, betont aber die Wichtigkeit der tempomäßigen Differenzierung bei verschiedenen Taktangaben. Das jeder Taktart eigene Tempo giusto könne der Komponist sich besonders durch das Studium von Tänzen aneignen:
Ferner muß er sich ein richtiges Gefühl von der natürlichen Bewegung jeder Taktart erworben haben, oder von dem was Tempo giusto ist. Hiezu gelangt er durch eine fleißige Uebung in den Tanzstücken aller Art. Jedes Tanzstück hat seine gewisse Taktbewegung, die durch die Taktart und durch die Notengattungen, die darin angebracht werden, bestimmt wird.[29]
3. Johann Sebastian Bachs ›Goldberg-Variationen‹
Aufführungsanweisungen und Taktangaben
Von Bachs ›Goldberg-Variationen‹ finden sich in lediglich fünf Variationen Angaben, die auf ein Tempo oder eine Spielweise schließen lassen: Variatio 7 al tempo di Giga, Variatio 15 andante, Variatio 16 Ouverture, Variatio 22 alla breve und Variatio 25 adagio. So müssen uns andere Aspekte in Notation und Aufführungskonventionen Einblicke in die Tempogestaltung der Variationen geben.
Zunächst ist die Vielfalt der von Bach verwendeten Taktarten zu nennen, die durchaus auf verschiedene Tempi hinweist. Von der frühbarocken Proportionslehre, wie sie zum Beispiel Frescobaldi in seinem Il primo libro delle canzoni ad una, due, tre, e quattro voci (Rom 1623) exemplarisch und in großer Vollständigkeit zeigt,[30] über das differenzierte französische System der verschiedenen Taktarten[31] lässt sich zwar nicht eine 1:1-Übertragung auf Johann Sebastian Bachs Verwendung der Taktarten bewerkstelligen. Doch auch Bachs ›Goldberg-Variationen‹ zeigen eine sehr genaue Differenzierung und große Bandbreite der Taktarten. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass ein 3/4-Takt langsamer als ein 3/8-Takt und dieser wiederum langsamer als ein 3/16-Takt ist. Dementsprechend ist im Allgemeinen ein 2/4-Takt schneller als ein 2/2-Takt. Der Sonderfall des alla breve in Verbindung mit einem sehr kontrapunktischem Satz wird unten in Bezug auf die Variationen 18 und 22 diskutiert.
Die folgende Auflistung umfasst alle in den ›Goldberg-Variationen‹ verwendeten Taktarten:
Gerade Taktarten
(= 2/2-Takt):[32] Variatio 10 (Fugetta), 16 (Ouverture, erster Teil), 18, 22
2/4: Variatio 2, Variatio 15 (andante)
(= 4/4-Takt):[33] Variatio 9, 21, 30 (Quodlibet)
Ungerade bzw. zusammengesetzte Taktarten
3/4: Aria, Variatio 1, 5, 8, 12, 13, 14 , 17, 20, 23, 25 (adagio), 28, 29
3/8: Variatio 4, 6, 16 (Ouverture, zweiter Teil), 19
6/8: Variatio 7 (al tempo di Giga), 27
9/8: Variatio 24
12/8: Variatio 3
12/16: Variatio 11
18/16 bzw. 3/4: Variatio 26
Der zweite für die Tempowahl in den ›Goldberg-Variationen‹ wichtige Aspekt ist die Verwendung schnellster Notenwerte, die Richtlinie für das Gesamttempo sein können.[34] Manchmal lassen sich die schnellsten Notenwerte dagegen auch als Koloraturen der Hauptmelodie identifizieren, was in der Zeit Bachs auf einen langsameren Satztypus hindeuten würde.
Ein dritter Aspekt betrifft die Melodie- und Phrasenbildung sowie die rhythmische Gestalt innerhalb bestimmter Taktarten, die wiederum auf typische Tanztypen verweisen und insofern Hilfe bei der Tempowahl liefern können. Eine gute Erkennungshilfe für bestimmte Tanztypen (Gavotte, Bourrée, Passepied etc.) sind ihre unterschiedlichen Auftaktformen. In den ›Goldberg-Variationen‹ benutzt Bach einen Auftakt zu Beginn einer Variation allerdings nur im Quodlibet, der Variatio 30.
Tempoüberlegungen zu den einzelnen Variationen
Im Folgenden sollen anhand von einigen ausgewählten Variationen Überlegungen zur Tempowahl entwickelt werden, die sich zum Großteil auf die in den vorherigen Abschnitten dargelegten Quellen beziehen werden. Ziel ist es, eine pragmatische Annäherung an die Tempofrage in der Praxis zu zeigen, nicht eine widerspruchsfreie oder ›historisch abgesicherte‹ Interpretation zu kodifizieren. Die dabei zum Vergleich angeführten Tempomittelwerte entstammen der Studie von Majid Motavasseli in dieser Ausgabe und beruhen auf Messungen von 76 Aufnahmen (davon 48 mit Klavier und 28 mit Cembalo, aufgenommen in einem Zeitraum von 1928 bis 2020).[35] Alle Angaben erfolgen in Schlägen pro Minute.
Aria (3/4) (Mittelwerte: = 50,2 [gesamt]; 50,4 [Klavier]; 49,9 [Cembalo])
Die eröffnende Aria im 3/4-Takt zeigt rhythmische Ähnlichkeiten mit einer Sarabande. Dieser am Beginn seiner Geschichte schnelle Tanz wurde bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts immer langsamer. In Frankreich finden wir für den 3/4-Takt die Tempoangaben = 86,[36] = 95[37] und = 96 an.[38] Für den 3/2-Takt geben L’Affilard und Pajot quasi als Sarabande grave = 72 an.[39] Eine schnelle Sarabande im 6/4-Takt gibt L’Affilard mit = 133.[40] Ein Ausreißer oder eben doch eine frühe, sehr schnelle Sarabande findet sich im 3/4-Takt mit = 180.[41] Diese Bandbreite der Sarabanden stellt Interpret*innen vor eine gewaltige Herausforderung bei der Tempofindung.
Quantz fordert für die Sarabande einen »etwas annehmlichern Vortrage« als für die prächtig zu spielende Entrée, die Loure und die Courante: »Auf jedes Viertheil kömmt ein Pulsschlag«,[42] nach Quantz’ Definition also = 80.
Die Verwandschaft unserer Aria mit der Sarabande würde diesen Quellen nach zunächst auf ein Tempo von = 80 bis etwa 95 deuten. Bach verwendet in BWV 988 allerdings keinen 3/2-Takt. Somit ist der 3/4-Takt, was den Schlag betrifft, die langsamste Taktart unter den von Bach verwendeten Dreiertakten, sodass auch eine Übertragung des langsamen 3/2-Takt-Tempos auf den 3/4-Takt möglich erscheint. Ein Tempo mit = 72 käme mir somit wahrscheinlicher vor, läge auch im Bereich eines langsameren Pulsschlages. Die zahlreichen Zweiunddreißigstelkoloraturen in den Verzierungen der Melodie könnten das Tempo noch etwas verlangsamen. Ich habe mich für ein Tempo von = 68 entschieden, was immer noch deutlich schneller als die von Motavasseli erhobenen Mittelwerte ist.[43]
Variatio 1. a 1 Clav. (3/4) (Mittelwerte: = 101,3 [gesamt]; 107,5 [Klavier]; 90,6 [Cembalo])
Die erste Variation ist geprägt von Rhythmen, die wir in vielen zeitgleich komponierten Polonaisen wiederfinden.[44] Die zahlreichen Sechzehntelnotenbrechungen mit sehr großem Ambitus lassen eher an ein gemäßigtes Allegro denken (ähnlich Variatio 5, 8, 17). Johann Georg Sulzer gibt in der Allgemeinen Theorie der schönen Künste das folgende Tempo für die Polonaise an: »Die Bewegung ist weit geschwinder, als sie in Deutschland vorgetragen wird. Sie ist nicht völlig so geschwind, als die gewöhnliche Tanzmenuett; sondern ein Menuettentakt macht die Zeit von zwey Viertel eines Polonoisentaktes aus […].«[45] Miehling leitet daraus ein Polonaisentempo von »etwa 107–120 p. M.« her,[46] dessen unterer Bereich mich persönlich für diese Variation sehr überzeugt. Ich spiele bei = 105.
Variatio 2. a 1 Clav. (2/4) (Mittelwerte: = 79,3 [gesamt]; 82,0 [Klavier]; 74,7 [Cembalo])
Die Faktur des Satzes mit den beiden imitierenden Oberstimmen und dem Andante-Bass lässt an die Triosonaten Arcangelo Corellis (1653–1713) denken. Corelli verwendet diese Bässe allerdings mit sehr unterschiedlichen Tempowörtern, wie ein Blick in sein Opus 4 zeigt, zum Beispiel Adagio und Allemanda Presto in der Sonata Nr. 1, Preludio Grave und Allemanda Allegro in der Sonata Nr. 2, Preludio Largo in der Sonata Nr. 3 etc., sodass der Andante-Bass allein keine Tempozuordnung ermöglicht. Bei Händel findet man des öfteren die Angabe Andante allegro, ein Hinweis auf das bewusst schnellere Gehen im Vergleich zum gewöhnlichen Andante. Eine ganze Bandbreite von mäßig langsamen bis mäßig schnellen Tempi scheint zunächst möglich.
Johann Mattheson gibt in der zweiten Auflage von Friedrich Erhard Niedts Musicalischer Handleitung zur Variation des General-Basses folgende Hilfe: »Andante: gehend/ ordentlich/ ebenträchtig/ nicht lauffend noch kriechend/ nicht zu langsam nicht zu geschwinde« und führt in der zu diesem Text gehörigen Fußnote aus: »Andante hieß in der ersten Edition: gantz langsam. Ob es recht oder unrecht ist, mag der musicalische Leser entscheiden.«[47] Ein Andante-Tempo erwähnt Quantz leider nicht. Nach allen Überlegungen und dem praktischen Experiment mit verschiedenen Tempi bietet sich für mich ein mittleres Tempo mit schnellem Puls für die Viertelnote an ( = 85).
Variatio 3. Canone all’Unisuono. a 1 Clav. (12/8) (Mittelwerte: = 59,4 [gesamt]; 60,9 [Klavier]; 56,7 [Cembalo])
Diese Variation hat für mich stark pastoralen Charakter. Quantz schreibt über zwei grundsätzliche Tempomöglichkeiten für den 12/8-Takt im Allegro:
Wie nun das Allegro im geraden Tacte zwo Hauptarten des Tempo hat, nämlich ein geschwindes und ein gemäßigtes: so ist es auch auf gleiche Art mit dem Tripeltacte als: Dreyviertheil= Dreyachttheil= Sechsachtheil= Zwölfachttheiltacte, u. s. w. beschaffen. Z. E. Wenn im Dreyviertheiltacte nur Achttheile, im Dreyachttheiltacte nur Sechzehntheile, oder im Sechsachttheil= oder Zwölfachttheiltacte nur Achttheile vorkommen; so ist solches das geschwindeste Tempo. Sind aber im Dreyviertheiltacte Sechzehnteile, oder eingeschwänzete Triolen, im Dreyachtheiltacte Zwey und dreyßigtheile oder zweygeschwänzte Triolen, hingegen im Sechsachttheil= und Zwölfachttheiltacte Sechzehntheile zu befinden: so ist solches das gemäßigte Tempo, welches noch einmal so langsam gespielet werden muß, als das vorige.[48]
Unsere Variation wäre demnach in die zweite Kategorie einzuordnen, für die ein gemäßigtes Tempo zu nehmen ist. An anderer Stelle erwähnt Quantz den 12/8-Takt noch einmal in Bezug auf das Siciliano:
Ein alla Siciliana im Zwölfachttheiltacte würde zu langsam seyn, wenn man zu jedem Achttheile einen Pulschlag zählen wollte. Wenn man aber zweene Pulsschläge in drey Theile theilet; so kömmt sowohl auf das erste als dritte Achttheil ein Pulsschlag. Hat man nun diese drey Noten eingetheilet: so muß man sich nicht weiter an die Bewegung des Pulses kehren; sonst würde das dritte Achttheil zu lang werden.[49]
Nach Umrechnung kommt man damit auf ein Tempo von 53 für die punktierte Viertel.[50] Ich spiele etwas schneller bei = 60, was sich mit den Mittelwerten von Motavasseli deckt.
Variatio 4. a 1 Clav. (3/8) (Mittelwerte: = 60,3 [gesamt]; 61,0 [Klavier]; 59,1 [Cembalo])
Diese Variation ist stark fugiert und erinnert an die enggeführten Fugati in Toccaten von Girolamo Frescobaldi und Johann Jakob Froberger. Quantz schreibt: »Sowohl im ganz geschwinden Dreyviertheil= als Dreyachttheiltacte, wo in den Passagien nur sechs geschwinde Noten, in jedem Tacte, vorkommen, trifft auf jeden Tact ein Pulsschlag.«[51] Nach Quantz wäre das ein Tempo mit = 80. Die Komplexität des Satzes erlaubt sicherlich eine Tempowahl am unteren Rande des Pulsspektrums. Ich spiele bei = 68.
Variatio 7. a 1 ô vero 2 Clav. al tempo di Giga (6/8) (Mittelwerte: = 68,0 [gesamt]; 67,3 [Klavier]; 69,3 [Cembalo])
Die Notation dieser Variation im 6/8-Takt und die zahlreichen punktierten Rhythmen lassen sie einigen französischen Giguen und der Canarie verwandt erscheinen. Die italienische Giga hingegen, wie sie zum Beispiel durch Corellis Kompositionen europaweit bekannt war, weist nur selten diese punktierten Rhythmen auf. So könnte Quantz’ Tempo von = 160 durchaus als Beispiel der schnellsten italienischen Gigue verstanden werden. Die französischen Quellen für die Gigue, seien sie nun im 3/8-, 6/8- oder 6/4-Takt, variieren zwischen 100 und 121 für die punktierte Viertel oder die punktierte Halbe.[52] Ein Beispiel für eine Gigue im 6/8-Takt mit punktierten Achtelnoten findet sich bei L’Affilard mit = 100 (Bsp. 1).[53]
Beispiel 1: L’Affilard, Gigue »Mes Amis, il faut boire à longtraits«, T. 1–4
Noch ähnlicher zu Bachs Variatio 7 ist die Rhythmusstruktur in L’Affilards Canaries en Rondeau »Viens avec moi reposer sur l’herbette«, ebenfalls im 6/8-Takt und mit dem Tempo = 106.[54]
Beispiel 2: L’Affilard, Canarie en Rondeau »Viens avec moi reposer sur l’herbette«, T. 1–5
Das Motiv der vier schleifenden Zweiunddreißigstelnoten, das in dieser Variation insgesamt achtmal in der rechten Hand und zweimal in der linken Hand vorkommt, lässt mich eher an die untere Grenze des Tempospektrums der überlieferten Angaben mit = 100 denken, was für die Dichte der Komposition sehr schnell ist. Erstaunlicherweise unterscheiden sich hier die Mittelwerte der Aufnahmen entschieden von dem von mir gewählten Tempo, das auf den französischen Tanztempi fusst.[55] Die Maximaltempi in Motavasselis Korpus liegen bei 94,6 (Alexis Weissenberg 1981, Klavier) bzw. 81,9 (Trevor Pinnock 1980, Cembalo).
Variatio 9. Canone alla Terza. a 1 Clav. () (Mittelwerte: = 66,9 [gesamt]; 70,8 [Klavier]; 60,1 [Cembalo])
Diese Variation lässt sich leicht in die Kategorie der Andante-Variationen einreihen (vgl. unten die Anmerkungen zu Variatio 15), auch wenn die in Achtelnoten fortschreitende Stimme im Diskant beginnt. Ein Pulstempo liegt auf der Hand. Ich habe mich für das Quantz’sche Pulstempo = 80 entschieden.
Die drei Variationes im Alla-breve-Takt
Drei der Variationen stehen im Alla-breve-Takt:
Variatio 10. Fugetta. a 1 Clav. (Mittelwerte: = 83,3 [gesamt]; 84,8 [Klavier]; 80,5 [Cembalo])
Variatio 18. Canone alla Sexta. a 1 Clav. (Mittelwerte: = 88,3 [gesamt]; 88,1 [Klavier]; 88,7 [Cembalo])
Variatio 22. a 1 Clav. alle breve (Mittelwerte: = 90,0 [gesamt]; 90,0 [Klavier]; 89,8 [Cembalo]).
In der Alla-breve-Schreibweise deutet sich für Kirnberger eine Verdoppelung des gewöhnlichen Tempos für die Notenwerte an:
Der Zweyzweytel oder besser der Allabrevetackt, der durchgängig mit , oder auch mit bezeichnet wird, ist in Kirchenstücken, Fugen und ausgearbeiteten Chören von dem vielfältigsten Gebrauch. Von dieser Tacktart ist anzumerken, daß sie sehr schwer und nachdrücklich, doch noch einmal so geschwind, als ihre Notengattungen anzeigen, vorgetragen wird, es sey denn, daß die Bewegung durch die Beywörter grave, adagio &c. langsamer verlangt wird. […] Beide Tacktarten vertragen keine kürzere Notengattungen, als Achtel.[56]
Auch in Bachs Variationen 18 und 22 sind die Achtelnoten die schnellsten Notenwerte. Die Verwandtschaft beider Variationen lässt das gleiche Tempo vermuten. Die zusätzliche, wörtliche Erinnerung Bachs in der Variatio 22 »alla breve« zu spielen, verstärkt den konservativen Charakter der Komposition. Bach gibt keine zusätzlichen Angaben wie grave oder adagio. Die halbe Note wähle ich um die 100.
In der Variation 10 gibt Bach uns den Titel Fugetta, was Kirnbergers obiges Zitat bestätigt. Hier gibt es zwar immer wieder Sechzehntel, diese sind allerdings immer nur Nachschlag eines Trillers und zählen als Verzierungsnoten nicht zu den schnellsten Notenwerten. Dennoch ist die Satzweise komplexer als in den anderen beiden Alla-breve-Sätzen und verlangt nach einem etwas langsameren Tempo. Ich spiele bei = 90.
Variatio 11. a 2 Clav. (12/16) (Mittelwerte: = 133,3 [gesamt]; 139,8 [Klavier]; 126,3 [Cembalo])
Der 12/16-Takt ist der zweitschnellste der in den ›Goldberg-Variationen‹ vorkommenden Dreiertakte. Als schnelle Gigue könnte die punktierte Achtelnote, etwas schneller als in Variatio 7, bei 120 liegen.
Variatio 13. a 2 Clav. (3/4) (Mittelwerte: = 43,1 [gesamt]; 44,1 [Klavier]; 41,4 [Cembalo])
Diese Variation mit quasi ostinater Begleitrhythmik und einer mit Zweiunddreißgstelkoloraturen überhäuften Oberstimme könnte man sicherlich als Adagio oder vielleicht auch Adagio ma non tanto bezeichnen. Quantz gibt als Empfehlung: »In einem Adagio cantabile im Dreyviertheiltacte, da die Bewegung der Grundstimme aus Achttheilen besteht, kömmt auf ein jedes Achttheil ein Pulsschlag.«[57] Das würde für ein Tempo um = 40 sprechen, was sich gut mit den Mittelwerten von Motavasseli deckt. Um einen immer fließenderen, fast rauschenden Charakter der Zweiunddreißgstelnoten zum Ausdruck zu bringen, habe ich mich für ein schnelleres Tempo von etwa = 50 bis 55 entschieden.
Variatio 14. a 2 Clav. (3/4) (Mittelwerte: = 93,2 [gesamt]; 96,3 [Klavier]; 87,7 [Cembalo])
Hier darf man an Frescobaldis zu Beginn zitierte Ausführungen denken, der vor dem späteren Auftauchen von schnelleren Notenwerten warnt. Die immer mehr überhand nehmenden Zweiunddreißigstelnoten machen ein Tempo wie in Variatio 1, 5 und 8 unmöglich. Ich habe mich für ein Tempo von = 92 entschieden.
Variatio 15. Canone alla Quinta. a 1 Clav. andante (2/4) (Mittelwerte: = 29,6 [gesamt]; 29,2 [Klavier]; 30,2 [Cembalo])
Andante war im Barock keine Tempoangabe, sondern bezog sich vor allen Dingen auf die Spielweise der Bassstimme, die gehend, d. h. gleichmäßig und nicht inégal zu spielen war. Die Andante-Bewegung findet normalerweise in Achtel- oder Viertelnoten statt. In der Variation 15 ist die Andante-Bewegung allerdings gut ›versteckt‹, wir könnten sie sogar in den Sechzehntelnoten vermuten. Der tatsächliche Andante-Gang in Achtelnoten findet sich zum Beispiel in den Takten 1 bis 3 in der linken Hand und den Takten 17 bis 18 in der rechten Hand. Die Molltonart, die zahlreichen Zweiunddreißigstelnoten und die Seufzermotivik bringen mich auf ein langsames Andante um = 72 bzw. = 36 und lassen so eine Abgrenzung von der Variation 2 zu.
Variatio 16. Ouverture. a 1 Clav. (, 3/8) (Mittelwerte: / = 33,9/70,1 [gesamt]; 33,4/71,5 [Klavier]; 34,9/67,5 [Cembalo])
Der erste Teil der Ouverture ist im klassischen alla breve notiert. Französische Quellen nennen für einen solchen Satztypus die folgenden Tempi: 1696 gibt Loulié 57 für die halbe Note an,[58] Feuillet nennt auf seinem Pendel von ca. 1705/10 für eine Entrée lente ›in 2‹ 49 für die halbe Note.[59] Pajot gibt uns für den Beginn der Ouverture aus Thetis & Pelée (1689) von Pascal Colasse 64 für die halbe Note an.[60] La Chapelle ist 1737 für eine Entrée de Ballet sogar noch schneller mit 67 für die halbe Note.[61]
Mit den zahlreichen Zweiunddreißigstelpassagen[62] wird auch hier das Tempo ein wenig unter diesen Angaben liegen. Für den fugierten Teil der Ouverture bietet sich ein langsameres Pulstempo um = 71 an. Eine einfache Temporelation, die sich aufgrund der Mittelwerte Motavasselis zwischen dem ersten und zweiten Teil andeutet (Proportion 1:2), bietet sich schon aufgrund der unvereinbaren Taktarten nicht an.[63]
Variatio 19. a 1 Clav. (3/8) (Mittelwerte: = 142,8 [gesamt]; 142,0 [Klavier]; 144,0 [Cembalo])
Diese Variation könnte mit ihren viertaktigen Phrasen und der Motivik leicht ein Menuett sein. In Deutschland waren bereits seit geraumer Zeit zwei Typen von Menuett bekannt, ein etwas langsameres, dessen Tempo Quantz mit umgerechnet 53 pro Takt angibt,[64] und ein schnelleres, welches dem französischen Tanztempo entsprach: L’Affilard nennt 71 für den 3/4-Takt[65] und 75 für die punktierte Viertel im 6/8-Takt,[66] Pajot gibt 71 für den ganzen Takt an,[67] Feuillet 75,[68] während La Chapelle sich bei 64 befindet.[69] Die auf den Achtelschlag angegebenen Mittelwerte von Motavasseli nähern sich dem langsameren Menuett-Typ an, bleiben aber darunter. Meiner Meinung nach notiert Bach diesen Satz nicht im aus deutscher Sicht langsameren 3/4-Takt, sondern im schnelleren 3/8-Takt, um den schnelleren (französischen) Typus von Menuett anzudeuten. Ich spiele bei = 71 ( = 213). Die Maximalwerte in Motavasselis Korpus sind 216,1 (Andrei Gavrilov 1993, Klavier) bzw. 195,5 (Christine Schornsheim 2016, Cembalo).
Variatio 26. a 2 Clav. (18/16, 3/4) (Mittelwerte: = 95,1 [gesamt]; 99,8 [Klavier]; 87,4 [Cembalo])
In dieser Variation benutzt Bach tatsächlich eine Proportion und stellt den 18/16-Takt einer Hand dem 3/4-Takt der anderen gegenüber. Bach tauscht die Taktbezeichnungen mehrmals zwischen den Händen. Kirnberger zitiert den ersten Takt der rechten Hand dieser Variation und schreibt dazu:
Der 3/4 und 9/8 Takt hat den ältern Componisten zu einem Achtzehnsechszehnteltakt von drey siplirten Zeiten Gelegenheit gegeben, wenn sie anzeigen wollten, daß das Stück leicht, flüchtig und ohne den geringsten Druck auf der ersten Note jeder Zeit vorgetragen werden sollte. Z. B.
Da aber dergleichen Feinheiten des Vortrags so verloren gegangen, daß so gar viele, die doch Virtuosen heissen, sechs zusammengezogene Sechzehntel wie zwey zusammengesetzte Triolen vortragen, so gehört der 18/16 Takt unter die verlorenen und heut zu Tage sehr entbehrlichen Taktarten.[70]
Die schnellste der Dreiertaktbewegungen im 18/16-Takt geschieht de facto in einer Sextolenbildung gegen die Viertelnoten im ruhigen 3/4-Takt der jeweils anderen Hand. Ich spiele bei = 103 im 3/4-Takt, sodass die punktierte Achtelnote im 18/16-Takt bei 206 liegt, was einen wirbelnden Charakter zur Folge hat, und so den von Kirnberger gewünschten leichten, flüchtigen Eindruck hinterlassen kann.
Variatio 27. Canone alla Nona. a 2 Clav. (6/8) (Mittelwerte: = 71,7 [gesamt]; 73,3 [Klavier]; 68,8 [Cembalo])
Gerade im Gegensatz zum vorhergehenden 18/16-Takt sollte der 6/8-Takt der Variatio 27 deutlich langsamer sein. Auch im Vergleich zum ebenfalls im 6/8-Takt stehenden al tempo di Giga in Variatio 7 kann das Tempo aufgrund der quasi durchlaufenden Sechzehntelnoten langsamer sein. Ein ruhiges Pulstempo um 72 für die punktierte Viertelnote bietet sich an.
4. Schlussüberlegungen
Natürlich ist es nicht möglich, das historisch ›richtige‹ Tempo auch nur für eine einzige von Bachs ›Goldberg-Variationen‹ zu rekonstruieren. Dennoch ist es für einige der Variationen durchaus möglich, eine plausible Tempowahl aus dem historischen Kontext herzuleiten.
Obwohl das einem spezifischen Stück angemessene Tempo vielen barocken Autoren ein großes Anliegen war, liegt es in der Natur der Sache, dass absolute Tempoangaben eben nur spezifisch für solche Stücke gelten können. Auch verschiedene Tänze desselben Titels und derselben Taktart haben eine gewisse Bandbreite, die je nach Tanzart mehr oder weniger variiert.[71] Umso lohnenswerter ist es, die überlieferten Stücke mit absoluten Tempoangaben zu studieren, ihre Affekte, Rhythmik und Melodik, ihre Verzierungen zu begreifen, um diese Erfahrung und Kenntnis auf verwandte Stücke übertragen zu können. Ebenso lassen sich durch diese Erkenntnisse auch Abgrenzungen ermöglichen: Unterschiede zu einem nicht bezeichneten Stück können aufgezeigt werden, die Auswirkung auf das Tempo haben können: eine Gigue im 12/8-Takt kann sich von einem Siciliano in der gleichen Taktart durch das dreifache Tempo unterscheiden. Wie nun beurteilen wir als Spieler*innen ein unbezeichnetes Stück im 12/8-Takt?
Wenn auch Quantz selbst die Variabilität des Pulses zu ungenau ist und er diesen schließlich auf »ohngefähr achtzigmal« pro Minute festlegt, gibt die Arbeit mit dem menschlichen Puls doch gerade eine gewisse Freiheit, welches eine begrenzt variable Tempowahl je nach der momentanen Verfassung des Spielers oder der Spielerin ermöglicht. Neben den diskutierten Aspekten werden auch die individuelle Spielfähigkeit oder Virtuosität, die Wendigkeit des Instruments und der bespielte Raum Auswirkungen auf das Tempo bei der Aufführung der Variationen haben. In einer halligen Akustik werden die Spieler*innen manche Tempi langsamer wählen, in einer sehr trockenen dagegen gerade am Cembalo vielleicht schneller spielen, um das Instrument nicht leer oder dürr klingen zu lassen. Bachs Clavierübung ist zudem nicht für den Konzertgebrauch geschrieben worden, sondern zur Übung des Spielers oder der Spielerin. Es bleibt eine interessante Frage, ob Bach mit den »Liebhabern«, denen er diese Werke »zur Gemüths-Ergetzung verfertiget« hat,[72] nur die Spieler*innen oder auch die Zuhörer*innen gemeint hat.
Man muss Forkels Aussage über Bachs schnelle Tempi sicherlich relativiert betrachten. Wie sehr wird sich das Geschwindigkeitsempfinden von einem Menschen des 18. Jahrhunderts von einem des 21. Jahrhunderts unterscheiden? Doch weisen sowohl die Quantz’schen Pulstempi als auch die französischen Pendelangaben in eine Richtung, die uns an die zum Teil rasend schnellen Metronomangaben des frühen 19. Jahrhunderts und die Anforderungen an die romantischen Klaviervirtuos*innen erinnern mögen. Der vierte Teil der Bach’schen Clavierübung kann so in einigen Variationen auch tempomäßig kulminieren.
Meine eigene Erfahrung hat mir gezeigt, dass sich im Laufe einer jahrelangen Beschäftigung mit den ›Goldberg-Variationen‹ die Tempi gewisser Variationen immer wieder und weiter verändern, während andere (hierbei besonders die der Tanzsätze) sich eher bestätigen und zu Fixpunkten werden. Neben der individuellen Bandbreite von Tempomöglichkeiten für jede einzelne Variation ist letztendlich die Tempovielfalt für die zyklische Gesamtkonzeption der ›Goldberg-Variationen‹ entscheidend. Die untersuchten Parameter wie Tempowörter, Taktarten und schnellste Notenwerte deuten auf eine sehr große Bandbreite von unterschiedlichen Tempi hin, die weit weg führt von einem einheitlichen Schlag für alle Variationen, wie er in kleineren Variationszyklen des 17. und 18. Jahrhunderts oft möglich ist.
Für mich als Spieler und Lehrer bleibt die Beschäftigung mit den historisch überlieferten Tempoangaben und ihre Übertragung auf die ›Goldberg-Variationen‹ wie auf jede weitere Komposition Johann Sebastian Bachs Experiment und Herausforderung.
Anmerkungen
Forkel 1802, 17. | |
Frescobaldi 1637, unpaginiertes Vorwort zur Ausgabe 1615a; Übersetzung Hammond 2020. Ergänzungen in Klammern vom Übersetzer. | |
Frescobaldi 1637, unpaginiertes Vorwort zur Ausgabe 1615b; Übersetzung Hammond 2020. | |
Von Frescobaldi seien hier die »Partite 14. sopra l’Aria di Romanesca«, »Partite 11. sopra l’Aria di Monicha«, »Partite 12. sopra l’Aria di Ruggiero« und die »Partite 6. sopra l’Aria di Follia« aus Toccate d’intavolatvra di cimbalo et organo libro p.o (Rom, 1615 & 1637) sowie die »Aria detto Balletto« und die »Aria detta la frescobalda« aus Il secondo libro di toccate (Rom, 1627 & 1637) genannt. Von Bach sei ebenfalls an die frühe »Aria variata alla maniera italiana« BWV 989 erinnert. | |
Vgl. Wolff 2011, 69, 103, 106, 186 und 358. | |
Vgl. Kenyon 2011, 112. | |
Miehling 2003. | |
Loulié 1696. | |
Die Pendelschwingungen in den französischen Quellen sind entweder in Sechzigstelsekunden angegeben, sogenannten tierces (z. B. L’Affilard 1705 oder Raoul-Auger Feuillet ca. 1705/10), oder in Zoll, pouces (z. B. Loulié 1696 oder La Chapelle 1737) (vgl. Kroemer 2010 und Miehling 2003). | |
Diese Rekonstruktion gibt zum praktischen Gebrauch gleich drei Skalen an: tierces, pouces und die ›modernen‹ Metronomangaben. | |
Quantz 1752, 261. | |
Es handelt sich dabei um die neuen mehrteiligen Block- und Traversflöten und besonders die Oboen und Fagotte. | |
Miehling 2003, 58 f. | |
Kroemer 2001, 23–28. | |
Pajot 1735. Miehling 2003, 73–83 gibt den Titel nicht entsprechend dem Originaldruck wieder. | |
Pajot 1735, 192. | |
Loulié 1696, 88, Übersetzung d. Verf. | |
Vgl. Jerold 2010, 182. | |
Vgl. Harris-Warrick 1993, 11. | |
La Chapelle 1737. | |
Vgl. Miehling 2003, 85–93. | |
Quantz 1752, 260–271. | |
Ebd., 260 (§ 45). | |
Ebd., 261 (§ 47). | |
Ebd., 267 (§ 55). | |
Ebd. | |
»Ich will die Art, das Tempo nach Anleitung des Pulsschlages zu treffen, noch auf die französische Tanzmusik, von welcher ich auch etwas zu handeln für nöthig finde, anzuwenden suchen. Diese Art der Musik besteht mehrentheils aus gewissen Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nicht so willkührlich als die italiänische, sondern sehr eingeschränket ist.« (Ebd., 268 [§ 56]) | |
Kirnberger 1776, 105–153, zusammengefasst in Houle 1987, 47–49. | |
Kirnberger 1776, 106. | |
Eine umfassende Interpretation der Temporelationen in diesem Werk gibt Paulsmeier 1983. | |
Ausführlich u. a. bei Saint-Lambert 1702, 14–27. | |
Kirnberger 1776, 118 (»Der Zweyzweytel oder besser der Allabrevetackt.«). | |
Ebd., 122 (»Der Viervierteltackt, der durch bezeichnet wird, ist zweyerley.«). | |
Es sei noch einmal an die in der Einleitung erwähnten Vorworte von Frescobaldi erinnert. | |
Vgl. den Beitrag von Majid Motavasseli in dieser Ausgabe, Table 8. | |
L’Affilard 1705, 86 und Miehling 2003, 55, 223 und 423. | |
Feuillet ca. 1705/10, zit. nach Kroemer 2001, 25 und Miehling 2003, 59 und 223. | |
La Chapelle 1737, zit. nach Miehling 2003, 87, 91 und 223. | |
L’Affilard 1705, 72 und Miehling 2003, 55, 223 und 419; Pajot 1735, 192 und Miehling 2003, 75 und 223. | |
L’Affilard 1705, 125 und Miehling 2003, 55, 223 und 436. | |
Furetière 1690 (unpaginiert) und Miehling 2003, 223 und 271. | |
Quantz 1752, 270 (§ 58). | |
Die Maximaltempi für die Aria 1 in Motavasselis Korpus erreichen Wilhelm Kempff 1969 (Klavier, 80,8) und Blandine Verlet 1992 (Cembalo, 75,2). | |
Der von Forkel erstmals erwähnte »Widmungsträger« Johann Gottlieb Goldberg (1727–1757) komponierte im Jahr 1749 einen Zyklus von 24 Polonaisen durch alle Tonarten. | |
Sulzer 1774, 917. | |
Miehling 2003, 265. | |
Mattheson in Niedt 1721, 109. | |
Quantz 1752, 263 (§ 50). | |
Ebd., 265 (§ 51). | |
Miehling 2003, 223. | |
Quantz 1752, 265 (§ 51). | |
Ausgenommen sei hier die von Feuillet angegebene Chique lente im 6/4-Takt, die = 40 vorsieht (Feuillet ca. 1705/10, zit. nach Kroemer 2001, 25 und Miehling 2003, 59 und 223) und an die langsamen Versionen der Loure bei Feuillet mit = 46 (zit. nach Kroemer 2001, 25 und Miehling 2003, 59 und 223) und La Chapelle mit = 53 (La Chapelle 1737, zit. nach Miehling 2003, 87 und 223) denken lässt. | |
L’Affilard 1705, 148–151 und Miehling 2003, 444. | |
L’Affilard 1705, 140–144 und Miehling 2003, 441. | |
Johann Joseph Fux veröffentlicht in seiner Sammlung Concentus musico-instrumentalis (Nürnberg 1701) insgesamt vier Giques im 6/8-Takt, die allesamt die Tempoangabe Prestisssimo tragen, und eine Gique, en Rondeau im 6/4-Takt, die keine Tempoangabe hat (vgl. Fux 1701). | |
Kirnberger 1776, 118. | |
Quantz 1752, 265 (§ 51). | |
Loulié 1696, 86 und Miehling 2003, 44. | |
Feuillet ca. 1705/10, zit. nach Kroemer 2001, 25 und Miehling 2003, 59. | |
Pajot 1735, 192 und Miehling 2003, 75 und 223. | |
La Chapelle 1737, zit. nach Miehling 2003, 85 und 223. | |
Diese notiert Bach aus. Dass die »Lullisten« ähnliche Tiraden im Orchesterspiel auch in eine von der Notation her ›unverzierte‹ Lully-Ouverture spielend einbauen würden, berichtet Georg Muffat in der Vorrede zu seinem 1698 in Passau gedruckten Florilegium Secundum (Kolneder 1990, 76–90, bes. 85 f.). | |
In frühbarocken Proportionen würden man einem 2/2-Takt beispielsweise einen 6/4-Takt oder einen 3/2-Takt gegenüberstellen. | |
Quantz 1752, 271 (§ 58) und Miehling 2003, 223. | |
L’Affilard 1705, 98 und Miehling 2003, 55, 223 und 427. | |
L’Affilard 1705, 145 und Miehling 2003, 55, 223 und 443. | |
Pajot 1735, 192 und Miehling 2003, 75 und 223. | |
Kroemer 2001, 25 und Miehling 2003, 59 und 223. | |
La Chapelle 1737, zit. nach Miehling 2003, 87, 91 und 223. | |
Kirnberger 1776, 129 f. | |
Während die französischen Angaben fürs Menuett eine erstaunliche Übereinstimmung zeigen (die Quellen vor 1740 zeigen gerade einmal eine Abweichung von elf Schlägen pro Minute), kann eine Gavotte im selben Zeitraum eine Abweichung von 51 Schlägen pro Minute haben. | |
Vgl. Titelblatt des Erstdrucks der ›Goldberg-Variationen‹ (wahrscheinlich 1742): https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b550059626 |
Literatur
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L’Affilard, Michel (1705), Principes tres-faciles pour bien apprendre la musique […]. Cinquiéme édition revûe, corrigée, & augmentée, Paris: Ballard, Reprint Genf: Minkoff 1971.
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Forkel, Johann Nikolaus (1802), Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke, Leipzig: Hoffmeister und Kühnel, Reprint Kassel: Bärenreiter 1999.
Frescobaldi, Girolamo (1637), Toccate e partite libro primo, Rom: Borbone 1637, Reprint Florenz: Studio per edizioni scelte 1980 (mit den Vorworten der Erstausgaben von 1615 und 1615–16).
Furetière, Antoine (1690), »Castagnette«, in: Diction[n]aire universel […]. Tome Premier, Den Haag: Leers, unpaginiert. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k3413126b
Fux, Johann Joseph (1701), Concentus musico-instrumentalis, Nürnberg: Felsecker, Neuausgabe in Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Bd. 47, hg. von Heinrich Rietsch, Wien: Artaria 1916.
Hammond, Frederick (2020), »Documentary Appendix«, in: Girolamo Frescobaldi. An Extended Biography. https://girolamofrescobaldi.com/appendix/#C3
Harris-Warrick, Rebecca (1993), »Interpreting Pendulum Markings for French Baroque Dances«, Historical Performance 6/1, 9–22.
Houle, George (1987), Meter in Music, 1600–1800. Performance, Perception and Notation, Bloomington: Indiana University Press.
Jerold, Beverly (2010), »The French Time Devices Revisited«, Dutch Journal of Music Theory 15/3, 169–189.
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Kirnberger, Johann Philipp (1776), Die Kunst des reinen Satzes in der Musik aus sicheren Grundsätzen hergeleitet und mit deutlichen Beyspielen erläutert […]. Zweyter Theil. Erste Abtheilung, Berlin und Königsberg: Decker und Hartung.
Kolneder, Walter (1990), Georg Muffat zur Aufführungspraxis, 2. Auflage, Baden-Baden: Koerner.
Kroemer, Jürgen (2001), »›Le Cronomètre de Monsieur Feuillet‹. Absolute Tempoangaben eines barocken Tanzmeisters«, Österreichische Musikzeitschrift 56/7, 23–28.
Loulié, Etienne (1696), Elements ou principes de musique, mis dans un nouvel ordre. Tres-clair, tres-facile, & tres-court, & divisez en trois parties, Paris: Ballard, Reprint Genf: Minkoff 1971.
Niedt, Friedrich Erhard (1721), Musicalische Handleitung zur Variation des General-Basses […]. Die Zweyte Auflage […] durch J. Mattheson, Hamburg: Schiller und Kißner.
Miehling, Klaus (2003), Das Tempo in der Musik von Barock und Vorklassik. Die Antwort der Quellen auf ein umstrittenes Thema [1993], verbesserte und stark erweiterte Neuausgabe, Wilhelmshaven: Noetzel.
Pajot, Louis-Léon, Comte d’Onzembray (1735), »Description et usage d’un métrometre, ou machine pour battre les Mesures & les Temps de toutes sortes d’Airs«, in: Histoire de l’Academie royale des sciences. Année M.DCCXXXII. Avec les mémoires de mathématique & de physique […], hg. von Bernard de Fontenelle, Jean-Jacques Dortous de Mairan, Jean Paul Grandjean de Fouchy und Jean-Antoine-Nicolas de Caritat marquis de Condorcet, Paris: Boudot, Bd. Mémoires de mathématique & de physique […], 182–195. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k35294
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Saint-Lambert, Michel de (1702), Les principes du clavecin, Paris: Ballard, Reprint Genf: Minkoff 1974.
Sulzer, Johann Georg (1774), »Polonoise«, in: Allgemeine Theorie der Schönen Künste […]. Zweyter Theil, Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 916–917.
Wolff, Christoph (2011), Johann Sebastian Bach [2005], 4. Auflage, Frankfurt a. M.: Fischer.
Universität für Musik und darstellende Kunst Graz [University of Music and Performing Arts Graz]
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