Vom Modellcharakter der Höranalyse elektroakustischer Musik im Unterrichtsfach Gehörbildung
John Dack
Musiker müssen ihr Gehör ständig weiterentwickeln und schärfen. Es ist essentiell für Komponisten, Bühnenmusiker und Musikwissenschaftler, sowohl subkutane als auch offensichtliche Strukturen in der Musik so akkurat wie möglich wahrnehmen zu können. Daraus folgt, dass Gehörbildung eine zentrale Rolle im Lehrplan einer jeden akademischen Institution einnehmen sollte, die eine musikalische Ausbildung anbietet. Die konventionellen Methoden der Gehörbildung wie Melodie- und Rhythmusdiktat oder Stilanalyse reichen jedoch in vielen Fällen nicht aus, um die ganze Palette musikalischen Ausdrucks zeitgenössischer klassischer Werke zu erfassen. Deren Sprache basiert oft nicht nur auf Tonhöhe und Takt, sondern auf spektraler Wandlung und Beschaffenheit. Es besteht daher die dringende Notwendigkeit, sowohl die Rolle als auch die Methoden der Gehörbildung neu zu überdenken. Ein einzigartiges Beispiel einer neuen Herangehensweise findet sich in der französischen elektroakustischen Musik. Der Schriftsteller, Administrator und Komponist Pierre Schaeffer (1910–95) formulierte ein theoretisches System zur Kategorisierung und Beschreibung von Klängen, sein Programme de la Recherche Musicale. Schaeffers Klangmaterialien existierten als Aufnahmen, von denen viele studiotechnisch bearbeitet waren. Dies machte die unmittelbare visuelle Identifikation ihrer Klangquellen unmöglich. Die von Schaeffer entwickelte Methode verlangt daher die eingehende, rein gehörmäßige Untersuchung aller wahrnehmbaren Eigenschaften eines Klangs. Diese Vorgehensweise führt zwingend zu erhöhter Sensibilität gegenüber dem Ausdruckspotential klanglicher Qualitäten, beispielsweise dem allure oder grain – Charakteristiken, die von Komponisten oft übergangen werden. Schaeffers Herangehensweise beschränkt sich darin nicht nur auf das Tonstudio, sondern kann auch auf Vokal- und Instrumentalmusik angewandt werden.
All musicians must develop and refine their listening skills. It is essential for composers, performers and musicologists to perceive as accurately as possible the interaction between low-level and high-level structures in music. Consequently, aural training occupies a central position in the curriculum of all music schools. However, traditional aural skills such as melodic/rhythmic dictation and style analysis are not necessarily suitable to the demands of contemporary musical languages. Such languages are often based not solely on pitch and metre, but on spectral transformation and texture. There is, therefore, an urgent need to reconsider both the role and the methods of aural training in music education. A unique example of a new approach originated from French electroacoustic music. The writer, administrator and composer, Pierre Schaeffer (1910–95) formulated a theoretical framework for the classification and description of sounds. This is his Programme de la Recherche Musicale. Schaeffer’s sound material existed as recordings, many of which were transformed by studio techniques. As a result, visual corroboration of sound sources was impossible. Schaeffer’s method, therefore, demanded the scrupulous examination of all perceptible features of sound by aural perception alone. This process inevitably leads to a greater sensitivity to the musical potential of characteristics often ignored by composers such as allure and grain. Furthermore, Schaeffer’s systematic approach is not limited to the studio but can be applied to vocal and instrumental music.
Middlesex University London
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