Zur Frage nach dem Komponisten der Motette »Lobet den Herrn, alle Heiden« BWV 230
Ein Plädoyer für eine historisch-stilkritisch geleitete Untersuchung
Andreas Weil
Diskussionen um Authentizität und Urheberschaft bei Bach haftet immer etwas Spekulatives an – vor allem dann, wenn sie mit stilkritischen Befunden geführt werden, die aus einer gewissen Erfahrung im Umgang mit Werken Bachs oder aus einem verstärkt subjektiven Empfinden heraus entsprungen sind. Die Echtheitsdiskussion um die Motette »Lobet den Herrn, alle Heiden« BWV 230 ist ein Beleg für eine solche Unsicherheit. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand einer historisch-theoretischen Methode Echtheitsfragen möglichst schlüssig zu beantworten. Hierzu werden zunächst bisherige Thesen der Bach-Forschung, die schlussendlich aber kaum zu haltbaren Ergebnissen führten, einer eingehenden Revision unterzogen. Daran anschließend erfolgt eine historisch-stilkritisch geleitete Untersuchung von BWV 230. Grundlage dieser Untersuchung sind musiktheoretische Quellen der Bach-Zeit als Reflektionen der kompositorischen Praxis. Darüber hinaus lassen sich entlang charakteristischer Abweichungen der Motette von kompositorischen Konventionen der Zeit stilistische Merkmale von Bachs Kompositionsstil herausarbeiten.
Discussions about authenticity and authorship in Bach are always somewhat speculative – especially when they are conducted with stylistic-critical findings that arise from a certain experience in dealing with Bach’s works or from a more subjective feeling. The authenticity debate surrounding the motet “Lobet den Herrn, alle Heiden” BWV 230 is evidence of such uncertainty. The aim of this article is to answer questions of authenticity as conclusively as possible using a historical-theoretical method. To this end, previous theses of Bach research, which ultimately led to hardly any tenable results, are first subjected to a thorough revision. This is followed by a historical and stylistic-critical examination of BWV 230, based on music-theoretical sources of Bach’s time as reflections of compositional practice. In addition, stylistic features of Bach’s compositional style will be worked out along characteristic deviations of the motet from compositional conventions of the time.
Die Motette »Lobet den Herren, alle Heiden« BWV 230 nimmt innerhalb der Johann Sebastian Bach zugeschriebenen Motetten[1] (BWV 225–230)[2] eine Sonderstellung ein. Auf dem ersten Blick überrascht die durchgehende Vierstimmigkeit, wohingegen die anderen Motetten aus bis zu elf Einzelsätzen (siehe BWV 227) bestehen, die in ihrer Stimmenzahl von drei bis acht Stimmen variieren. In den Motetten BWV 225–228 verwendet Bach einen Choral, in BWV 229 ist es eine choralartige Aria.[3] In BWV 230 hingegen fehlt dieser Teil. Im Gegensatz zu den Opera BWV 225–229, die entweder im Autograf oder in Abschriften aus dem näheren Umfeld Bachs überliefert sind, datiert die älteste Abschrift von BWV 230 aus dem frühen 19. Jahrhundert. Im Jahre 1821 veröffentlichte der Verlag Breitkopf & Härtel die Motette nach »J. S. Bachs Originalhandschrift«.[4] Die Spur des Originals verlor sich jedoch bald nach der Erstveröffentlichung, denn Philipp Spitta kannte das Original nicht.[5] Trotz dieser undurchsichtigen Überlieferung hegte bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch niemand Zweifel an Bachs Urheberschaft. Erst 1905 äußerte Hermann Kretschmar leise Vorbehalte, die Motette stünde aufgrund ihrer Gleichförmigkeit hinter den anderen Motetten zurück.[6]
»Alles ist ungewöhnlich an BWV 230«[7]
Die eigentliche Kontroverse um die Echtheit von BWV 230 beginnt im Jahre 1967, als Martin Geck die Autorschaft Bachs aufgrund stilistisch auffälliger Merkmale rundum abstreitet.[8] Auf Gecks Zweifel reagiert 1971 Ralph Leavis,[9] der einige von Gecks Argumenten entkräftet und sich eher für Bach als Komponist von BWV 230 ausspricht. 1974 meldet sich Friedhelm Krummacher zu Wort und bezieht größtenteils ebenfalls eine zu Geck konträre Position. So hebt er die von Geck monierten Mängel als hervorstechende Qualitätsmerkmale hervor.[10] Krummacher verteidigt grundsätzlich Bachs Autorschaft, schränkt jedoch ein, sollte die Motette nicht von Bach stammen, so müsste der Komponist ein wahrer Meisterschüler sein. Es dauert bis zum Jahr 2000, bis Klaus Hofmann die Diskussion wieder aufgreift, zu den Thesen Gecks, Leavis’ und Krummachers Stellung nimmt und darüber hinaus zusätzliche neue Aspekte ins Spiel bringt.[11]
Die jüngste Ausgabe der Motetten Bachs von 2017 fasst die Debatte kurz und bündig zusammen:
Entstehung und Bestimmung unbekannt. Offenbar handelt es sich um eine Bearbeitung einer ursprünglich mit einem anderen Text versehenen Komposition, möglicherweise auch um einen Teil aus einem größeren Werk (Kantate). Die Echtheit ist umstritten und nur schlecht belegt (späte Quellen).[12]
Ungeachtet dessen spielt im neuen Bach-Werke-Verzeichnis von 2022 die Echtheitsdiskussion überhaupt keine Rolle,[13] denn man geht selbstverständlich davon aus, dass Bach der Urheber von BWV 230 ist und er das Werk vermutlich in Leipzig komponierte.[14] Im Folgenden werden die wichtigsten Argumente der vier Autoren Martin Geck, Ralph Leavis, Friedhelm Krummacher und Klaus Hofmann vorgestellt.
Thesen der Bach-Forschung zu BWV 230
Martin Geck (1967)
Martin Geck beginnt seine Kritik mit der merkwürdigen Überlieferung von BWV 230 Anfang des 19. Jahrhunderts. Geck ist der Überzeugung, dass mit der im 19. Jahrhundert verschollenen und nicht mehr wiedergefundenen Handschrift »etwas nicht in Ordnung sein könne«.[15] Dazu kommt, dass alle Vokalwerke, die gesichert von Bach stammen, entweder als Autografe oder in »von Bach selbst überwachten Abschriften überliefert«[16] sind. Umgekehrt finden sich unter den posthumen Abschriften viele unechte Werke. Daraus schließt Geck, dass der Anteil an unechten Werken steige, je jünger die Abschriften sind, was vor allem jene aus dem 19. Jahrhundert betrifft.[17] Ungewöhnlich an dem Werk sei zudem die durchgehende Vierstimmigkeit, was zu der Frage führe, ob es sich um ein Jugendwerk oder um einen unbegleiteten Kantatensatz handeln könnte. Zum Vergleich zieht Geck mehrere Eingangssätze aus Kantaten (BWV 131, 4, 71, 196, 106) heran und kommt zu dem Schluss, dass die Fugen von BWV 230 qualitativ nicht an jene aus den genannten Kantaten heranreichen.[18] Als »unbachisch«[19] charakterisiert Geck zunächst das erste Fugenthema. Es gäbe »kein vergleichbares Thema einer Vokalfuge Bachs, das den Umfang einer Duodezime hat.«[20] Vor allem stimme das Ende des ersten Themas nicht mit der ersten Textphrase überein, die mitten im Wort »Hei-den«[21] ende. Ebenso handle es sich bei den anderen drei Themen nicht um für Bach typische »Charakterthemen«.[22] Ungewöhnlich sei auch die Doppelfugenkonstruktion, die kaum auf ein planvolles Satzkonzept schließen lasse, denn die Zusammenführung der beiden Themen wirke wenig überzeugend.[23] Weiter moniert Geck kleinere kompositions- und satztechnische Details, die auf die Unbeholfenheit des Komponisten zurückzuführen seien. Bereits beim zweiten Themeneinsatz sei der Komponist aufgrund des großen Themenumfanges gezwungen, in die Subdominante auszuweichen. Zudem wirkten die Sequenzen in den Takten 73–75 »steif und einfallslos«[24] und der Alt setze in Takt 25 auf einem Quartsextakkord ein.[25] Im Gegensatz zu einigen »unbachische[n] Züge[n]«[26] erinnerten nur wenige Wendungen am Ende von BWV 230 an den Komponisten. Im Gegensatz zu den anderen Motetten fehle eine Erklärung für eine Aufführung, insofern stehe BWV 230 als »typische ›Präfekten-Musik‹«[27] abseits. Insgesamt, so resümiert Geck, sei eher an einen Komponisten aus Bachs familiärem Umfeld zu denken, der etwa gleich alt wie Bach gewesen sein müsse. Obwohl sich Geck bewusst ist, dass keines seiner Argumente ausreiche, »die Authentizität rundweg zu bestreiten«,[28] sei er ermutigt, »weiterhin nach einem anderen Autor Ausschau zu halten.«[29]
Ralph Leavis (1971)
Auf Martin Gecks Echtheitskritik reagierte 1971 der Oxforder Musikwissenschaftler Ralph Leavis.[30] Das Fehlen besagter verschollener Handschrift sei zwar suspekt, aber nicht zwingend für einen Ausschluss. Es sei bekannt, dass Bachs Abschrift der Messe in G-Dur (BWV Anh. 167)[31] nach dem Erstdruck 1805 verloren ging, später jedoch wieder auftauchte.[32] Der These, je jünger die Abschriften, desto problematischer die Echtheit, hält Leavis entgegen, dass man posthum erstellten Abschriften auch wertvolle Werke verdanke, wie etwa BWV 50, 106, 146, 196 sowie drei von Bachs Motetten.[33] Auch das Argument, es handle sich bei BWV 230 um die einzig vierstimmige Motette, tauge nicht, die Echtheit des Stückes anzuzweifeln, denn keiner käme auf die Idee, die einzig fünfstimmige Motette »Jesu, meine Freude« BWV 227 aufgrund ihrer Stimmenzahl aus Bachs Œuvre auszuschließen.[34] Dazu komme, dass in den insgesamt elf Sätzen von BWV 227 fünfstimmige Sätze mit drei- und vierstimmigen abwechselten. Auf das Argument eines planlosen Satzkonzepts erwidert Leavis, die Doppelfuge von BWV 226 sei »much worse in this respect.«[35] Dem Einwand Gecks, das erste Thema sei wegen des großen Umfanges nicht charakteristisch für Bach, hält Leavis entgegen, dass das Thema des Satzes »Patrem omnipotentem« aus der Messe in h-Moll BWV 232 mit einem Umfang von einer Undezime dem Fugenthema von BWV 230 fast ebenbürtig sei.[36] Außerdem hält er die Ausweichung in die Subdominante nicht für eine Unbeholfenheit, sondern vielmehr für die einzige Möglichkeit, das Thema tonal zu beantworten.[37] Dass es sich bei dieser Art von Beantwortung nicht um einen Einzelfall handelt, zeigt Leavis am Thema und der Beantwortung des Schlusssatzes »Lob und Ehre und Preis« der Kantate BWV 21.[38] Gecks Auffassung, die Sequenzen in den Takten 73–75 seien ›steif‹ und ›einfallslos‹, relativiert Leavis mit dem Argument, dass jede Sequenz gegenüber der vorigen variiert werde. Hinsichtlich der Frage nach dem Komponisten tendiert Leavis dazu, Bach als Komponisten von BWV 230 zu bestätigen, denn, »[i]f Bach did not write BWV. 230, who did?«[39] Der Komponist müsse zumindest ein rechtschaffener Meister (»honest craftsman«[40]) gewesen sein, der sein Handwerk vollkommen beherrscht habe.
Friedhelm Krummacher (1974)
Drei Jahre später bezieht Friedhelm Krummacher Stellung zu Gecks Vorwürfen. Zunächst pflichtet Krummacher Geck bei, dass die äußere Anlage der Vierstimmigkeit und die Einsätzigkeit zwar bedenkenswert seien, jedoch »die Zweifel an der Authentizität von BWV 230 kaum begründen können.«[41] In Bezug auf die Qualität der Fugentechnik in BWV 230 im Vergleich zu den Kantatensätzen stimmt Krummacher Geck zu, widerspricht jedoch dem Argument, die Doppelfuge im ersten Abschnitt von BWV 230 lasse eine Satzkonzeption vermissen. Wer eine Doppelfuge in diesen Dimensionen zu komponieren wisse, müsse die Themenkombination im Voraus planen.[42] Im Fall von BWV 230 sei es jedoch ungewöhnlich, dass dort die Zusammenführung der Themen nur mit den Themenköpfen funktioniere.[43] Krummacher folgert daraus, dass es Bach nicht darum ging, schulgerechte Doppelfugen mit kontrastierenden Themen oder regulären Durchführungen der einzelnen Themen zu schreiben. Vielmehr seien die Affinitäten der beiden Themen in der Analogie der Textglieder zu suchen. Ein weiteres Beispiel für einen Sonderfall einer Doppelfuge sei die fünfstimmige Doppelfuge »Ihr aber seid nicht fleischlich« aus der Motette BWV 227, bei der das zweite Thema auch nicht eigens durchgeführt werde und wie in BWV 230 eine auffällige Ähnlichkeit zum ersten Thema aufweise. Die Kritik, die Sequenzen in den Takten 73–75 wirkten ›steif‹ und ›einfallslos‹, entkräftet Krummacher damit, dass diese »nicht nur variiert, sondern zugleich schrittweise intensiviert worden seien: zunächst bei gleichem Gerüstsatz durch Transpositionen und Stimmtausch«[44] und beim dritten Auftreten noch zusätzlich durch rhythmische Beschleunigung. Auch wenn die kritischen Argumente Gecks bedenkenswert seien, die Zweifel an der Authentizität könnten dadurch nicht begründet werden. Bei der Suche nach einer Antwort in der Echtheitsfrage sei man »umso mehr auf den ›Stilbefund‹ angewiesen.«[45] Hinsichtlich der Frage nach dem Komponisten von BWV 230 tendiert Krummacher aufgrund der kompositorischen Qualitäten ebenfalls zu Bach. Wem außer Bach, so seine zentrale Frage, sei »eine so kunstvolle Architektur mit planmäßigen Verschränkungen, dazu derart ausgesponnene Melismen in konsequenter Kontrapunktik, eine so selbständige Stimmführung mit solchem rhythmischen Fluß, dermaßen weite Sequenzbögen mit interner Modulatorik oder so unschematischen Varianten und Analogien«[46] zuzutrauen? Wäre es das Werk eines Schülers von Bach, so hätten dessen Werke alle Aufmerksamkeit verdient.
Klaus Hofmann (2000/2003)
Im Jahre 2000 nimmt Klaus Hofmann[47] Stellung zu einigen Vorwürfen, diskutiert diese und erweitert die Debatte um zusätzliche Aspekte. Gecks Kritik am ›unbachischen‹ ersten Fugenthema entgegnet Hofmann, dass alle Fugenthemen wie »einem Musterbuch barocker Themenbildung entsprungen«[48] wirkten. Die fanfarenartig aufsteigenden Dreiklangsbrechungen des ersten Themas wie auch das melismatische ›Alleluja‹-Thema stünden, so Hofmann, für den jubelnden Affekt der Wörter ›Lobet‹ und ›Alleluja‹. Hinsichtlich der Beobachtung einer planlosen Satzkonzeption schließt sich Hofmann Krummacher an, dass ein Komponist bei der Planung einer Doppelfuge zuerst die Themen und deren Kombinationsmöglichkeiten entwerfen müsse.[49] Im Falle von BWV 230 stellt Hofmann fest, dass die Themenkombinationen nicht frei gehandhabt seien, sondern an der Stelle abbrechen, wo »ein technisches Problem im Wege steht.«[50] Im Hinblick auf den Mittelteil (T. 58–98) konstatiert Hofmann, dass das Satzkonzept bisher kaum berücksichtigt wurde. Ein typisches Prinzip für Bachs Kompositionsweise in Motetten und den meisten Kantatensätzen sei das Abhandeln jeder einzelnen textlichen Sinneinheit mit einem eigenen musikalischen Thema. In BWV 230 wich der Komponist von diesem Prinzip ab, denn der Text »Denn seine Gnade […]« werde musikalisch zweimal umgesetzt. Dies stünde im Widerspruch zum kunstvoll gearbeiteten »Doppelfugato«, was einem Regelverstoß gleichkäme.[51] In Bezug auf die einzelnen Formteile sei BWV 230 »weitgehend in Fugentechnik gehalten«,[52] was nicht nur die thematischen Abschnitte, sondern auch die nichtthematischen Partien betreffe.[53] In den Fokus seiner Überlegungen stellt Hofmann die ungewöhnliche, mitunter gezwungen wirkende Textunterlegung, die an manchen Stellen eine für Bach ungeschickte Koordination von Text und Musik aufweise. Die Kritik bezieht sich hauptsächlich auf die Textierung von thematischem Material, wie der folgende Ausschnitt aus der vokalen Bassstimme zeigt (Bsp. 1).[54]
Beispiel 1: Bach, Motette »Lobet den Herrn, alle Heiden« (BWV 230), T. 46 f. (Bass)
Auf dem zweiten Viertel in Takt 47 beginnt das erste Thema, das eigentlich mit der Silbe »Lo-« des Wortes »Lobet« beginnen müsste.[55] Hofmann kommt zu dem Schluss, die Textunterlegung müsse von einem Bearbeiter stammen. Die fragwürdige Zuordnung könne, so Hofmann, kaum durch eine Parodie entstanden sein, da bestimmte Affekte in Musik umgesetzt wurden. Beispielsweise symbolisieren die Dreiklangsbrechungen des ersten Themas das Wort ›Loben‹ und länger ausgehaltene Töne im weiteren Verlauf die ›Ewigkeit‹ (siehe Bsp. 3). Da die Mängel der Textunterlegung offenbar bereits in der Warschauer Quelle, die zwischen 1809 und 1820 geschrieben wurde,[56] und im Erstdruck von 1821 vorhanden waren, verberge sich, so Hofmann, »ein größeres Problem«[57] dahinter. Die Fugenthemen mit ihren Bild- und Affektfiguren lassen für Hofmann den Schluss zu, dass BWV 230 keine Parodie, sondern »von Anfang an eine Vertonung dieses Psalms« war.[58] Möglicherweise war das Original – so Hofmanns Überlegung – mit einer lateinischen Textfassung verbunden. Im evangelischen Bereich war Luthers Bibelübersetzung verbindlich, für die lateinischen Psalmtexte gab es mehrere Fassungen. Hofmann stellt vier lateinische Optionen vor, die sich jedoch nicht ohne Kompromisse der Motette unterlegen lassen. Als Beispiel für eine ursprünglich lateinische Textunterlegung bietet Hofmann für die besagte Stelle folgende Lösung an (vgl. Bsp. 2 mit Bsp. 1).
Beispiel 2: BWV 230, Textunterlegung zu Bsp. 1 von Klaus Hofmann[59]
In gleicher Weise ließe sich bei dem Wort ›Ewigkeit‹ im zweiten Abschnitt problemlos das lateinische ›in seculum‹ unterlegen. Allerdings muss es bei diesen Spekulationen bleiben, solange das Original mit ursprünglicher Textfassung verschollen bleibt. Dennoch lässt Hofmann keine Zweifel offen, dass das Original von BWV 230 mit einer anderen Textfassung und »höchstwahrscheinlich mit einem lateinischen Text«[60] verbunden war. An den problematischen Textstellen habe vermutlich der Bearbeiter in den Notentext eingegriffen, was zu der Frage führt, welchen Anteil Bach bei der vorliegenden Fassung von BWV 230 hatte. Für Hofmann wären alle Konstellationen denkbar: Original und Bearbeitung könnten aus einer Hand stammen, ebenso gut aber könnte Bach auch nur der Komponist bzw. nur der Bearbeiter sein und möglicherweise auch keines von beidem.[61] Angesichts all dieser Unsicherheiten fällt Hofmanns Fazit zurückhaltend aus: Die Motette könne »irgendetwas – vielleicht viel, vielleicht wenig«[62] mit Bach zu tun haben.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kontroverse um die Urheberschaft von BWV 230 noch zu keinem abschließenden Ergebnis führte, vielmehr die vorgebrachten Argumente die Unsicherheit noch vergrößerten. Martin Geck ist davon überzeugt, dass Bach nicht der Komponist sein könne, wiewohl seine Argumente – dessen ist er sich bewusst – nicht stichhaltig genug sind. Die Resümees der anderen drei Diskutanten zeugen eher von einer Unschlüssigkeit, wie sie häufig im Zusammenhang stilkritischer Untersuchungen bei Bach zu beobachten ist.[63] Um einen Ausschluss einzelner Werke aus Bachs Œuvre zu stützen, bedienen sich Kritiker häufig negativer Urteile, die letztendlich der »Widerlegung der Echtheit durch Disqualifizierung«[64] dienen. Da die vorgebrachten Zweifel häufig allein auf subjektiv formulierten Kriterien beruhen, ohne etwa zeitgenössische musiktheoretische Quellen zu befragen, entstehen zuweilen Pattsituationen, etwa wenn Geck die Fugentechnik in BWV 230 als ungenügend beanstandet, Krummacher jedoch das Gegenteil behauptet. Ähnlich verhält es sich, wenn Geck den Fugen mangelnde Experimentierfreudigkeit unterstellt. Inwieweit lassen sich beispielsweise die Fugen dis-Moll BWV 849 (WK I) und b-Moll BWV 891 (WK II) mit den Fugen G-Dur BWV 884 (WK II) oder c-Moll BWV 847 (WK I) hinsichtlich ihrer Experimentierfreudigkeit vergleichen? Ein weiteres Problem offenbart sich bei der formalen Definition der einzelnen Sätze von BWV 230. Alle vier Kommentatoren sind sich einig, dass der erste Abschnitt eine klassische Doppelfuge mit zwei Expositionen und anschließender Themenkombination sei. In welche Kategorie von Fugen die beiden anderen Teile gehören, lassen sie dagegen offen. Lediglich Hofmann bezeichnet den zweiten Abschnitt vorsichtig als streng polyphones »Doppelfugato«,[65] während der dritte Abschnitt einer genaueren Bezeichnung entbehrt. Ein Blick in die Theorieliteratur der Bach-Zeit wird zeigen, dass eine Doppelfuge weniger formalen als kompositionstechnischen Kriterien unterliegt.
Einige der Thesen Gecks wurden bereits von den Diskutanten widerlegt, so dass der Fokus in den anschließenden Abschnitten auf folgende Aspekte gelegt werden kann: Zunächst werden die satztechnischen Details der Motette beschrieben. An erster Stelle steht die formale Anlage und im zweiten Schritt gilt es, auf die Besonderheiten des ersten Fugenthemas einzugehen, näherhin auf die Beziehung von Dux und Comes. Weiterhin sollen auch die themafreien Abschnitte in den Blick genommen werden. Abschließend werden kompositionstechnische Details wie der Dissonanzgebrauch näher beleuchtet, um eventuelle stilistische Eigenheiten Bachs festmachen zu können.
Kompositorische Aspekte
Satzkonstruktion und formale Anlage
Formal gliedert sich die Motette in zwei große Teile, die in Takt 98 durch einen Taktwechsel abgegrenzt werden. Der erste Teil untergliedert sich in zwei Abschnitte, dessen erster wiederum – so die einhellige Auffassung aller Kommentatoren – als eine klassische Doppelfuge gebaut ist. Im Hinblick auf die Frage, ob die beiden anderen Abschnitte ebenfalls als Doppelfuge gedeutet werden können, gibt die historische Fugenlehre den Hinweis, dass für eine Doppelfuge weniger die Form entscheidend ist, sondern die Konzeption der Themen dergestalt, dass sie im doppelten Kontrapunkt durchgeführt werden können. Wesentlich für eine fuga doppio sei, so Johann Gottfried Walther, »wenn zwey, drey bis vier themata miteinander zugleich sich hören, und auf unterschiedliche Art umkehren«[66] lassen.
Beispiel 3: BWV 230, T. 77–80 (Alt und Tenor)
Da die Themen des zweiten Abschnitts (Bsp. 3) stets in Kombination auftreten, kann auch dieser Abschnitt im Sinne von Walther als eine Doppelfuge gelten. Ungewöhnlich an der Gestaltung des ersten Themas ist dabei das lange Verweilen auf einem Ton als musikalisches Sinnbild für die ›Ewigkeit‹.[67]
Schließlich wäre auch der dritte Abschnitt als eine Doppelfuge anzusehen. Die beiden Themen (Bsp. 4) werden wie in der ersten Doppelfuge in eigenen Expositionen vorgestellt. Im Unterschied aber zur ersten Doppelfuge treten die beiden Themen in vierfacher Engführung auf.
Beispiel 4: BWV 230, T. 99–102 (Sopran) und T. 112–114 (Alt)
Die Motette setzt sich demnach aus drei Doppelfugen zusammen, die alle einem individuellen formalen Plan folgen. War bisher die Rede von drei bis fünf Themen, so muss die Anzahl auf sechs korrigiert werden. Die Urteile über die Fugenthemen fallen in der Diskussion kontrovers aus, sie reichen von ›unbachisch‹ über ›alltäglich‹ bis zu musterhaft ›barocker Themenbildung‹. Einig dagegen sind sich die vier Autoren über die besondere Beschaffenheit des ersten Fugenthemas: seinem großen Ambitus von einer Duodezime, dem unklaren Ende sowie der besonderen Einrichtung des Comes.
Das erste Fugenthema
Zum ersten Thema der ersten Doppelfuge (Bsp. 5) bemerkt Geck, dass dessen ungewöhnlichem Umfang »Geist und kompositionstechnische Gegebenheiten der Gattung Fuge, […] aber auch der Personalstil Bachs« widersprächen.[68]
Beispiel 5: BWV 230, T. 1–5 (Sopran)
Zwei mögliche Erklärungen für den ungewöhnlich großen Umfang des Themas liegen auf der Hand. Friedrich Wilhelm Marpurg differenziert zwischen Themen für Vokal- und Instrumentalfugen.[69] Im Falle einer Vokalfuge sollte das Thema in der Regel den Umfang einer Oktave nicht überschreiten. Fugenthemen für Instrumentalsätze können dagegen durchaus einen Umfang bis zu einer Duodezime erreichen. Das erlaubt die – freilich spekulative – Hypothese, dass es sich bei BWV 230 ursprünglich vielleicht um eine Instrumentalfuge gehandelt haben könnte. Eine andere Erklärung setzt an der Beobachtung an, dass ein Fugenthema neben »Satz«, »Thema« oder »Subjekt«[70] von Marpurg auch als »Melodie«[71] bezeichnet wird. Betrachtet man verschiedene (Vokal-)Melodien Bachs, etwa aus der Messe in h-Moll, so zeigt sich, dass Umfänge von einer Duodezime durchaus vorkommen. Leavis führt als Beispiel das Thema des Satzes »Patrem omnipotentem« an,[72] welches eine Undezime umfasst. Eine Tredezime erreicht das Bass-Solo im Satz „Et resurrexit“ (Bsp. 6).
Beispiel 6: Bach, Messe in h-Moll (BWV 232), »Et resurrexit«, T. 83–86 (Bass)
Der große Ambitus dürfte hier dem Text geschuldet sein; am Ende steigt die Melodie bei »vivos« nach oben und wendet sich bei »mortuos« wieder nach unten. Ein weiteres Beispiel für ein Thema mit großem Ambitus zeigt der Beginn des »Et expecto« im zweiten Teil des Satzes »Confiteor« (Bsp. 7), ebenfalls aus der Messe in h-Moll.
Beispiel 7: Bach, Messe in h-Moll (BWV 232), »Et expecto«, T. 147–153 (Chor)
Letztgenanntes Beispiel eignet sich in mehrfacher Weise für einen Vergleich mit dem ersten Thema von BWV 230 und der Fugenexposition. Das Thema im Sopran umfasst ebenfalls eine Duodezime und wird von den anderen Stimmen in engem Abstand imitiert. Die Gleichsetzung der Singstimmen mit den fanfarenartigen Instrumenten ist in den Dreiklangsbrechungen, namentlich im Bass, zu erkennen. Die Ähnlichkeit der Stimmen und die imitierende Durchführung widerlegen Gecks Einwand, das Thema von BWV 230 sei ›unbachisch‹. Vielmehr wäre Hofmann zuzustimmen, dass der große Umfang des ersten Fugenthemas in BWV 230 mit seinen Dreiklangsbrechungen eine Übertragung von instrumental geführten Fanfarenklängen auf Vokalstimmen ist, um den jubelnden Affekt des ›Lobens‹ auszudrücken.
Ungewöhnlich am ersten Fugenthema von BWV 230 ist zudem das offene Ende, denn eigentlich sollte ein Fugenthema mit einer melodischen Klausel schließen. Walther vergleicht Fugenthemen mit sprachlichen Sätzen, an deren Ende »eine rechte formal-clausel«[73] im Sinne eines Satzzeichens stehen muss.[74] In BWV 230 handelt es sich um eine dem Zeitstil geschuldete Veränderung. Johann Mattheson beschreibt die vom Usus abweichenden Themenschlüsse »in die Secund, Qvart, Qvint, Sexte und Septime«.[75] Demnach muss das Ende eines Fugenthemas nicht unbedingt durch eine Klausel markiert werden.
Der Comes
Die melodischen Abweichungen vom Dux begründet Andreas Werckmeister damit, dass eine Fuge »ihr Absehen allemahl auf den modum ihrer Harmonie«[76] haben muss. Der Comes darf also die vom Dux vorgegebene Tonart nicht übertreten. Diese Vorgabe beinhaltet auch den Grundsatz, die natürlichen Halbtöne, die semitonia naturalis,[77] nicht zu verändern.[78] Der Comes in Beispiel 8 beginnt mit einer wörtlichen Transposition auf der V. Stufe, wodurch eine »frembde Triadem«[79] entsteht. Ein kurzzeitiges Abweichen vom Modus ist zwar möglich, doch »muß solcher Thon dem Modo nicht zu wieder seyn.«[80] Die Korrektur geschieht mit den Tönen c1 und g1 am Ende von Takt 2, was zur Folge hat, dass zu Beginn von Takt 3 der Halbton a1-b1 zu stehen kommt. Dieser resultiert aus der Übertragung des Halbtonschrittes mi-fa in das hexachordum molle, der zu Beginn von Takt 3 das b-molle erfordert.
Beispiel 8: BWV 230, T. 2–5 (Alt)
Nach dem Comes empfiehlt Mattheson ein »kurtzes Zwischenspiel« einzufügen, »damit Gelegenheit gegeben werde, den vertieften Haupt-Satz mit guter Art […] einzuführen.«[81] Das folgende Zwischenspiel (Bsp. 9) hat die Besonderheit, dass in Takt 4 im Sopran das b ein weiteres Mal erscheint.
Beispiel 9: BWV 230, T. 3–5 (Sopran, Alt und Organo)
Durch den Ton b ergibt sich eine trugschlüssige Wirkung. Mit dem Septvorhalt c2 kündigt sich eine clausula tenorizans an, die durch das Erniedrigen des subsemitonium modi ausgeflohen wird (sfuggir la cadenza[82]). Dieses Verfahren findet sich gelegentlich in Bachs Fugen und zwar immer zwischen dem zweiten und dritten Themeneinsatz, beispielsweise in Takt 5 der Fuge Es-Dur BWV 852 (WK I) und in den Fugen F-Dur BWV 880 in Takt 10 f. und B-Dur BWV 890 in Takt 6 (beide WK II).
Erfüllten Abschnitte dieser Art ursprünglich die Funktion, eventuelle Abweichungen vom Modus zurückzuführen, so lässt sich an BWV 230 beobachten, dass den Partien zwischen den Themeneinsätzen – Matthesons ›Zwischenspiele‹ bzw. Marpurgs ›Zwischensätze‹[83] – eine größere Bedeutung zukommt, als üblicherweise von den Theoretikern beschrieben.
›Zwischensätze‹
Bis um 1700 spielten ›Zwischensätze‹ in der musiktheoretischen Literatur zur Fuge keine Rolle. Der erste Theoretiker, der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts über Zwischensätze äußerte, war Johann Gottfried Walther. Ohne diese Bausteine näher zu benennen, schlägt er vor, bei reduzierter Stimmenanzahl die Stimmen mit »zierlichsten und reinesten Gänge[n]«[84] auszustatten. Mattheson bezeichnet die Funktion der Zwischensätze als »Zwischenspiele, Füllsteine, Uibergänge und Verknüpffungen«,[85] was bedeutet, dass sie gegenüber den thematischen Partien eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Hinsichtlich der Gestaltung der Zwischensätze bestehen zwischen Mattheson und Marpurg widersprüchliche Ansichten. Mattheson empfiehlt, nachdem das Thema in allen Stimmen aufgetreten ist, eine kurze transitio vorzunehmen, »daran der Haupt-Satz keinen Theil hat«.[86] Marpurg dagegen spricht sich für einen inneren Zusammenhang zum Fugensatz aus, indem das Material für die Zwischensätze »aus dem Hauptsatze«[87] zu entnehmen sei.
In Bachs Fugenkompositionen gewinnen die Zwischensätze vor allem durch kontrapunktische Ausarbeitung an Gewicht.[88] Vereinzelt finden sich in Fugen aus Bachs Lüneburger und Arnstädter Zeit kleinere Kanons und Imitationen, etwa in der Fuge h-Moll BWV 951, Takt 41–43 und in der Fuge e-Moll BWV 533, Takt 29 f. In später komponierten Stücken wie den Fugen c-Moll BWV 847 und h-Moll BWV 869 (beide WK I) macht Bach ausgiebig vom Stimmtauschverfahren Gebrauch, und in der Orgelfuge BWV 538 werden kleine Motive kanonisch in mehreren Intervallkombinationen durchgeführt. Dieser Umstand lässt die Vermutung zu, dass es Bachs grundsätzliches Bestreben war, entgegen Matthesons Lehre die Zwischensätze als den Fugensätzen ebenbürtige Formabschnitte zu gestalten.
In BWV 230 greifen die Zwischensätze das Material der Themen auf und verarbeiten es, wie das folgende Beispiel 10 zeigt, imitatorisch wie kombinatorisch durch Stimmentausch.
Beispiel 10: BWV 230, T. 10–12 (Chor)
Das Fugenthema wird in zwei Teile aufgeteilt, die in Sopran und Bass (siehe T. 10) gleichzeitig erklingen; dabei imitiert der Alt den Sopran in Engführung. Im folgenden Takt werden die beiden Oberstimmen vertauscht, während der Tenor den Themenkopf übernimmt. Dieses Verfahren wiederholt sich in den folgenden Takten.
Im Zwischensatz ab Takt 32 (Bsp. 11) wird das zweite Thema auf seine kanonischen Fähigkeiten hin erprobt.
Beispiel 11: BWV 230, T. 32–34 (Chor)
Die beiden Außenstimmen verlaufen im Unterquintkanon; parallel dazu gehen die Mittelstimmen in Terzen beziehungsweise Sexten mit. Die Verdoppelung der Kanonstimmen ist eine Technik, die sich im 16. und 17. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Zwei Stimmen werden durch Hinzufügen von parallelen Terzen beziehungsweise Sexten auf vier Stimmen aufgestockt. So entsteht »aus einem Bicinio«[89] ein vierstimmiger Satz. Laut Christoph Wolff handelt es sich dabei um einen canon sine pausis, eine Kanonart, die charakteristisch für den stile antico[90] ist. Dies sind jedoch nicht die einzigen kanonischen Möglichkeiten, die das zweite Thema bietet. In Takt 35–37 und 49–51 wird das Thema jeweils im vierfachen Kanon durchgeführt.
Als nächster Zwischensatz (Bsp. 12) sei der von Geck als ›steif‹ und ›einfallslos‹ kritisierte näher beleuchtet.
Beispiel 12: BWV 230, T. 61 f. und 67 f. (Chor)
In Takt 61 f. (Bsp. 12 oben) bilden die beiden Oberstimmen Synkopendissonanzen, während Tenor und Bass abermals als canon sine pausis durchgeführt werden. In Takt 67 f. (Bsp. 12 unten) werden die beiden Oberstimmen miteinander vertauscht. Dieses Verfahren wiederholt sich ab Takt 73, wobei die synkopierende Stimme in den Bass verlegt wird.
In der dritten Doppelfuge ab Takt 99 gibt es nur einen Zwischensatz (Bsp. 13), der auf einer Quintfallsequenz basiert.
Beispiel 13: BWV 230, T. 120–123 (Chor)
Die Bassstimme sequenziert den Themenkopf des ersten ›Alleluja‹-Themas (vgl. ab T. 99), während im Sopran und Alt kurze Dreiklangsbrechungen imitierend durchgeführt werden.
Die Motette schließt nicht, wie man vermuten könnte, mit einer kontrapunktischen Finesse, wie etwa der Kombination aller Themen, sondern mit einer fast homophonen Coda (Bsp. 14 und 15), die zweimal wiederholt wird.
Beispiel 14: BWV 230, T. 146–149 (Chor)
Beispiel 15: BWV 230, T. 156–159 (Chor)
Sopran und Tenor singen simultan Originalgestalt und Umkehrung des ersten ›Alleluja‹-Themas (Bsp. 14). Beispiel 15 zeigt eine Variante dergestalt, dass die Bassstimme in den Alt und die Sopranstimme in den Tenor versetzt sind. Die Beispiele 14 und 15 sind ein Beleg für Bachs kreativen Umgang mit den konventionellen Regeln und Normen der Motettengattung. Er greift auf alte Techniken wie den canon sine pausis und Imitationen zurück und hebt die Zwischensätze in ihrer kontrapunktischen Durcharbeitung auf ein vergleichbares Niveau wie die Fugensätze. Um auf die Frage der Authentizität von BWV 230 zurückzukommen, folgt ein Blick auf das Motettenschaffen zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Bachs zeitlichem und örtlichem Umfeld.
Motettenschaffen um Bach
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wich das Interesse an der Gattung Motette zugunsten des Geistlichen Konzertes und später der Kantate. Das Unzeitgemäße der Motette verdeutlicht beispielsweise Friedrich Erhard Niedts Polemik in seiner Handleitung. Die Ausführung »über die Moteten überlasse ich denen Thüringischen Bauren/ als welche von dem Hammerschmid Zeit ihres Lebens […] behalten werden.«[91] Offensichtlich betrachtete Niedt Andreas Hammerschmidt als den letzten führenden Vertreter der Motette. Als charakteristisch für die Motette seiner Zeit beschreibt Niedt den Kirchenstil und die Verbindung von Bibelwort mit einem Choral.[92] Im Laufe des 18. Jahrhunderts trat an die Stelle des Kirchenstils und der polyphonen Elemente ein orchesterbegleiteter liedhaft-empfindsamer Satz. Zwar schrieben Komponisten wie Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Friedrich Doles durchaus Motetten, im Wesentlichen blieb die Motette a capella aber Angelegenheit kleinerer Kantoreien. Um den Bedarf an gottesdienstlicher Musik zu decken, griffen die Kantoren auf bereits existierende Motettensammlungen zurück. Beispielsweise benutzte Bach in Leipzig das Florilegium Portense (›Blütenlese aus Schulpforta‹) von Erhard Bodenschatz (1576–1636).[93] Als Beispiel für die Kantoreipraxis sei eine Sammlung von 34 Motetten angeführt, die ein unbekannter Kopist um 1780 anfertigte.[94] Zum einen soll ein Einblick in den Status quo der Motettenkomposition gegeben werden und zum andern sei der Frage nachgegangen, ob überhaupt ein zu Bach alternativer Komponist im Hinblick auf BWV 230 in Frage kommt.
Eine Sammlung von 34 Motetten
Die Sammlung enthält neben elf Motetten eines anonymen Komponisten je eine Motette von Johann Christian Gundelach (1738–1814),[95] Johann Matthäus Schmiedeknecht (1659–1715)[96] und Johann Michael Bach (1648–1694). Sechs Motetten stammen aus der Feder von Johann Konrad Geisthirt (1672– nach 1737),[97] acht Motetten von Johann Ludwig Bach (1677–1731) und sechs von Georg Philipp Telemann (1681–1767).
Etliche der Motetten sind dem stylus gravis verpflichtet, einer Schreibart in langsamer Bewegung mit wenig Dissonanzen.[98] Die gelegentliche Verwendung von schnelleren Notenwerten in manchen Motetten weist auf Einflüsse des stylus luxurians hin, der sich vom stylus gravis durch schnellere Bewegung und mehr Dissonanzen unterscheidet.[99] In formaler Hinsicht knüpfen die Sätze an die Motettenkunst von Lasso, Calvisius etc. an, zu deren Hauptmerkmalen Imitation, Vier- bis Achtstimmigkeit, wechselchöriges Musizieren sowie das Abwechseln von homophonen und polyphonen Abschnitten zählen. Der einzige der Zeit geschuldete Unterschied ist die Verbindung von einem Bibelwort mit einem Choral.
Fugentechnik
Einige Abschnitte aus den Motetten sind als Fugen beziehungsweise Fugenexpositionen gearbeitet. Meistens beschränken sich die Durchführungen auf vier bis fünf Themeneinsätze auf der I. und V. Stufe. Die Themenumfänge folgen den Maßgaben der consociatio modorum, was bedeutet, dass der Umfang von Dux und Comes zusammen eine Oktave ergibt. Beginnt der Dux mit der Quinte, so antwortet der Comes mit der Quarte und umgekehrt. Die Themen der Fugen in den 34 Motetten haben meist einen Quintumfang, gelegentlich auch eine Oktave, und ihr Ende wird in aller Regel durch eine Klausel markiert. Das folgende Beispiel 16 zeigt einen typischen Fugenbeginn.[100]
Beispiel 16: Anonymus, »Gott ist unsre Zuversicht«, T. 1–4 (Sopran und Alt)[101]
Der Dux hebt regulär auf dem Grundton an und kadenziert mit einer Diskantklausel in die V. Stufe. Der Comes beschreitet den umgekehrten Weg von der Quinte zurück zum Grundton. In Beispiel 17 dagegen füllt der Dux den Oktavraum aus; entsprechend antwortet der Comes.
Beispiel 17: Anonymus, »Herr auf dich traue ich«, T. 1–4 (Tenor und Bass)
Im Themenkopf des Comes sind zwei Regelverstöße zu erkennen. Mit dem zweiten Ton a tritt eine fremde Terz ein und mit dem dritten Ton c1 wird der Oktavambitus überschritten. Die fremde Terz muss im weiteren Verlauf korrigiert werden, und um eine Überschreitung des Ambitus zu kaschieren, müsste der Comes eigentlich in der Unterstimme stehen.
Wie schon in Beispiel 16 gezeigt, markiert die regelgemäße Kombination einer Diskant- und Tenorklausel auch das Ende der beiden Themen der Doppelfuge in der Motette »Habe deine Lust an dem Herrn« (Bsp. 18), so dass man beinahe von einer lehrbuchhaften Themenkonstellation sprechen könnte.
Beispiel 18: Anonymus, »Habe deine Lust an dem Herrn«, T. 51–61 (Sopran und Alt)
Auch die Zwischensätze treten aus ihrer Nebenrolle als Übergänge und ›Füllsteine‹ nicht heraus. Der umfangreichste Zwischensatz ist der folgende aus der Motette »Habe deine Lust an dem Herrn« (Bsp. 19).
Beispiel 19: Anonymus, »Habe deine Lust an dem Herrn«, T. 93–101 (Chor)[102]
In Takt 94 beginnt im Bass eine Sequenz mit Terzfall und anschließendem Sekundstieg, und in den Oberstimmen lösen sich Nonvorhalte in Dur- beziehungsweise Molldreiklänge auf. Die bloße Wiedergabe eines Sequenzgerüstes ohne jeglichen Ansatz von Auszierungen erweckt den Eindruck eines ausschließlich lehrbuchhaften Komponierens.
Unter den Motetten der bekannteren Komponisten wie Johann Ludwig Bach und Georg Philipp Telemann ragen jene von Johann Ludwig Bach aufgrund ihres Formenreichtums, der Dimensionen ihrer doppelchörigen Anlage und ihres kunstvollen Umganges mit Chorälen heraus.[103] In Telemanns Motetten finden sich selbstverständlich Synkopationen, Imitationen, Choralbearbeitungen und Fugen, zunehmend halten auch – dem Zeitgeschmack entsprechend – homophone, liedhafte Formteile Einzug.
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um einen Eindruck vom Motettenschaffen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu gewinnen. Es finden sich Beispiele von bedeutenden Komponisten wie Telemann oder Johann Ludwig Bach, aber auch Namen wie Geisthirt, Schmiedeknecht und Gundelach, die typische Vertreter der eingangs erwähnten Kantoreipraxis sind. Allerdings reichen die Motetten der Sammlung – jene von Johann Ludwig Bach und Telemann eingeschlossen – an die kontrapunktische Kunst in BWV 230 nicht heran.
Die Frage nach einem alternativen Komponisten zu Bach muss meines Erachtens dahingehend geändert werden, ob es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts überhaupt einen Komponisten gab, der Motetten mit ähnlichen kontrapunktischen Kunstfertigkeiten schrieb wie in BWV 230 nachgewiesen. Bei der Suche empfiehlt es sich, den Blick auf jene Personen zu richten, die Bach kannte und schätzte und die – so Martin Geck[104] – in etwa gleich alt wie Bach waren. Carl Philipp Emanuel Bach nennt einige Komponisten, die die besondere Wertschätzung seines Vaters genossen haben: »Haßen, beyde Graun, Telemann, Zelenka, Benda u. überhaupt alles, was in Berlin u. Dreßden besonders zu schätzen war.«[105] Telemann wurde schon erwähnt, und bei den anderen Komponisten ist festzuhalten, dass sie kaum oder nur wenige Motetten komponierten. Johann Adolph Hasse schrieb keine Motetten a capella, von den Gebrüder Graun gibt es nur wenige Sätze für Chor a capella, dasselbe gilt für Georg Benda.[106] Lediglich Jan Dismas Zelenka schrieb für den katholischen Hof in Dresden eine Fülle an Motetten a capella, die sich durch eine hohe kontrapunktische Kunstfertigkeit auszeichnen. Daher sollen im Folgenden Auszüge aus seinen Motetten als Option für einen alternativen Komponisten einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
Jan Dismas Zelenka
Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Zelenkas und Bachs Motetten liegt in der Verwendung der Sprache. Als katholischer Hofkomponist schrieb Zelenka ausschließlich lateinische Motetten, was ihn als alternativen Autor von BWV 230 zunächst auszuschließen scheint, es sei denn, die Hypothese einer ursprünglich lateinischen Textfassung bei BWV 230 ließe sich bestätigen. Zwischen Bach und Zelenka gibt es einige biografische Überschneidungen, die auf einen engen Kontakt der beiden Komponisten in den 1730er Jahren schließen lassen. 1733 bewarb sich Bach mit Unterstützung einiger Dresdner Kollegen um den Titel des »Königlichen Hof-Compositeurs«, der ihm im November 1736 verliehen wurde. Damit war Bach demselben katholischen Kurfürsten und König, August III., unterstellt wie Zelenka. Zudem gab es in den 1730er Jahren offenkundig mehrere Begegnungen zwischen Bach und Zelenka in Dresden.
Beim Erbhuldigungsgottesdienst am 21. April 1733 führte Bach in Leipzig Kyrie und Gloria aus seiner Messe in h-Moll BWV 232 auf. Außerdem arbeitete Bach während der Vorbereitung für die Dresdner Aufführung mit Gottfried Rausch zusammen, einem Kopisten Zelenkas.[107] Laut Christoph Wolff unterstützte Zelenka die Aufführung von Bachs Messe in h-Moll, was eine Mitwirkung Bachs in der Dresdner Hofkapelle nicht ausschließt.[108]
Es folgen einige Beispiele aus Zelenkas Motetten, die einen Eindruck von dessen kontrapunktischen Fähigkeiten vermitteln sollen. Stilistisch stehen seine Motetten in der Tradition des stylus gravis, was sich bereits am äußeren Schriftbild zeigt. Über das einfache Imitieren hinaus, begegnet man in Zelenkas Motetten auch Fugen und Doppelfugen mit paarweisen Engführungen sowie verschiedenen Kanons. In der Motette »Judas mercator« (Bsp. 20) beginnen die Frauenstimmen mit einem Kanon in der Quinte, der einige Takte später von den Männerstimmen übernommen wird.[109]
Beispiel 20: Zelenka, »Judas mercator«, T. 1–10 (Chor)
Im Gegensatz zu BWV 230 ist das Ende der Themen in dieser Motette eindeutig, denn sie schließen in Takt 7 mit Tenor- und Diskantklausel im Sopran bzw. Alt.
In der Motette »Tradiderunt me« (Bsp. 21) beginnt in Takt 97 eine Doppelfuge, bei der eine Stimme wie in BWV 230 einen langen Ton aushält (vgl. mit Bsp. 3).
Beispiel 21: Zelenka, »Tradiderunt me«, T. 97–100 (Chor)
Um diesen Orgelpunkt herum entwickelt Zelenka einen canon sine pausis, bei dem Sopran und Tenor in parallelen Terzen singen.
Eine weitere Doppelfuge findet sich in der Motette »Una hora« (Bsp. 22).
Beispiel 22: Zelenka, »Una hora«, T. 9–14 (Tenor und Bass)
Der Bass beginnt mit dem ersten Thema; der Einsatz des Comes im Tenor wird vom zweiten Thema im Bass begleitet. Diese Themenkonstellation ist nach dem Prinzip der consociatio modorum gebaut, bei welchem die Quarte im Bass durch die Quinte im Tenor zur Oktave ergänzt wird.
Gelegentlich finden sich bei Zelenka auch gehäuft ausdrucksstarke Dissonanzen (Bsp. 23).[110]
Notenbeispiel 23: Zelenka, »Una hora«, T. 1–8 (Chor)
Durch die steten Überbindungen ergeben sich in den Außenstimmen 4-3- und 7-6-Vorhalte. Dazu kommen in Takt 3 die Durchgänge gis1 und fis1 im Sopran, die im Bass auf ein f treffen.
Zelenkas kontrapunktische Fähigkeiten sind unbestritten hoch. Aber letztlich verharren die Motetten in vorgegebenen Modellen wie dem korrekten Einführen von Dissonanzen mit regelrechter Auflösung, der korrekten Fugenbeantwortung. Die Zwischensätze überschreiten den Status von Überleitungen und ›Füllsteinen‹ nicht. Dissonante Härten wie jene in obenstehendem Beispiel bleiben die Ausnahme. Im Folgenden ist zu zeigen, dass ein progressiver Umgang mit Dissonanzen zu den stilistischen Eigenheiten von BWV 230 zählt, und es sei die Behauptung gewagt, dass es sich dabei um eine Eigenheit von Bachs reifem Kompositionsstil handelt.
Figurae superficiales: transitus und syncopatio
Durchgänge und Überbindungen werden von Walther als figurae superficiales bezeichnet und gehören zu den substantiellen Figuren des stylus motecticus beziehungsweise stylus gravis. »Im Stylo gravi« werden, so Christoph Bernhard, »folgende Figuren [gebraucht]: (a) Transitus, (b) Quasi-Transitus, (c) Syncopatio, (d) Quasi-Syncopatio«.[111]
Beispiel 24: Transitus regulares nach Christoph Bernhard[112]
Beispiel 24 zeigt eine Reihe von transitus regulares mit Dissonanzbildung auf der zweiten oder vierten Viertel. Beispiel 25 zeigt sogenannte transitus irregulares mit Durchgangsdissonanzen auf der dritten und zusätzlichen Synkopendissonanzen auf der ersten Viertel.
Beispiel 25: Transitus irregulares nach Christoph Bernhard[113]
Der transitus irregularis steht der Regel entgegen, Dissonanzen vorzubereiten. Während die syncopatio eine für den stylus gravis charakteristische Figur ist, rät Bernhard von einer allzu häufigen Verwendung des transitus irregulares ab.[114] Bach kehrt diese Regel ins Gegenteil um und macht den häufigen Gebrauch dieser Figur zu einem seiner persönlichen Stilmerkmale. Das folgende Beispiel 26 zeigt mehrere transitus irregulares, die innerhalb einer Zählzeit (halbe Noten) durch die Achtelbewegungen entstehen und zugleich charakteristisch für BWV 230 wie auch andere Motetten Bachs sind.
Beispiel 26: Transitus irregulares in BWV 230, T. 7 und T. 20 f.
In Takt 7 entstehen zwischen Sopran und Bass durch die Durchgänge im Bass auf den Viertelzählzeiten Dissonanzen. Auf dem zweiten Viertel ergibt das b im Bass zum e2 im Sopran einen Tritonus; auf dem nächsten Viertel springt der Sopran zum a1 hinunter und verursacht mit dem Bass eine None. Auf dem vierten Viertel entsteht zwischen dem d1 im Tenor und dem e im Bass eine Septime. Diese transitus irregulares entstehen durch Hinzufügen eines Achtels vor der Hauptnote.
In Takt 20 werden die Hauptnoten durch vorausgehende Achtelnoten diminuiert. Auf das erste Viertel kommt eine Septime zwischen Tenor und Bass zu stehen. Im nächsten Viertel löst der Tenor mit f1 die Dissonanz durch einen Sekundschritt abwärts regulär auf, während im Bass zur Hauptnote a das b vorangestellt wird, was mit dem Sopran eine None ergibt. Die Durchgangsbewegungen im Bass ergeben auch auf den nächsten beiden Vierteln Dissonanzen: auf dem dritten Viertel mit Alt und Tenor und auf dem letzten Viertel mit dem Sopran.
Vergleiche von BWV 230 mit Werken aus anderer Hand gaben keine verlässliche Antwort auf die Frage der Urheberschaft. So bleibt als Letztes nur noch der Vergleich mit Bachs eigenen Motetten. In den Beiträgen der vier Kommentatoren wurde des Öfteren die Motette »Der Geist hilft unser Schwachheit auf« BWV 226 erwähnt. Diese Motette eignet sich deshalb gut für Vergleiche mit BWV 230, weil ein Abschnitt ebenfalls als Doppelfuge gebaut ist und einige Parallelen zu den Doppelfugen von BWV 230 aufweist, unter anderem Ähnlichkeiten in der Themenbildung.
BWV 226 im Vergleich
Die Themen der Doppelfuge werden im zweiten Teil der Motette wie in BWV 230 in je eigenen Expositionen vorgestellt und durchgeführt, bevor sie ab Takt 199 kombiniert werden.
Beispiel 27: Bach, Motette »Der Geist hilft unser Schwachheit auf« (BWV 226), T. 146–153 (Tenor und Bass)
Das erste Thema wird in Engführung von Tenor und Bass vorgestellt (Bsp. 27). Im Bass umfasst das Thema eine Quarte und endet mit einer Tenorklausel auf der V. Stufe. Ganz regulär erweitert der Tenor die Quarte zu einer Quinte und endet auf der I. Stufe. Beide Stimmen zusammen füllen den Raum eines plagalen Oktavambitus aus. Noch vor dem Ende setzen Alt und Sopran in Engführung ein, und nach einer kurzen Überleitung übernehmen Tenor und Bass nochmals das Thema. Im Anschluss daran folgt eine sehr außergewöhnliche Kombination der Themen (Bsp. 28).
Beispiel 28: BWV 226, T. 165–171 (Chor)
Nicht einfach nur wird eine vorherige Engführung wiederholt, sondern die Themen werden in eine Vorhaltskette eingebunden. Dadurch entsteht in Takt 167 ein Sekundakkord, der nicht wie üblich in einen Sext- oder Quintsextakkord aufgelöst, sondern in eine weitere Dissonanz, nämlich einen Septakkord, geführt wird. Die erste regelrechte Auflösung geschieht in Takt 168 auf dem letzten Viertel und im darauffolgenden Takt auf dem zweiten Viertel. Diese Sextakkorde sind allerdings als Durchgänge zu werten.[115]
Auch die Exposition des zweiten Themas wartet mit einer Überraschung auf (Bsp. 29).
Beispiel 29: BWV 226, T. 178–185 (Chor)
Das zweite Thema wird vollständig und wiederum in Engführung (Sopran und Alt) vorgestellt. Als Besonderheit aber wird das Thema in seine zwei Bestandteile zerlegt und bereits der Themenkopf mit seiner Fortspinnung kontrapunktiert. Bereits der Blick auf diese beiden Stellen offenbart eine besondere Kunstfertigkeit, die BWV 226 und BWV 230 gemeinsam ist, in den untersuchten Motetten anderer Urheberschaft allerdings nicht in vergleichbarem Maß nachgewiesen werden konnte.
Zusammenfassung
Die von Martin Geck angestoßene und von Ralph Leavis, Friedhelm Krummacher und Klaus Hofmann fortgesetzte Kontroverse um BWV 230 führte zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Die vorgebrachten stilkritischen Argumente müssten meiner Ansicht nach durch den Einbezug historischer musiktheoretischer Quellen fundiert wie geschärft werden. Die hier unternommene, historisch-stilkritisch geleitete Untersuchung von BWV 230 konnte die Gewichte zugunsten einer Autorschaft Bachs verschieben. Darüber hinaus konnte der innovative Umgang mit Stilmerkmalen der Gattung Motette wie vor allem auch der Einsatz avancierter kontrapunktischer Mittel und Dissonanzformen als charakteristisches Merkmal von Bachs Kompositionsstil aufgezeigt werden. Für die Zukunft bleibt zu wünschen, dass vergleichbare Ansätze auf der Basis musiktheoretischer Quellen, die ich an anderer Stelle als »historisch-theoretische Methode«[116] beschrieben habe, zu weiteren Ergebnissen in Echtheitsfragen bei Incertas in Bachs Schaffen führen.
Anmerkungen
Vgl. Bach 2017, Vorwort. | |
Die Motette »O Jesu Christ, meins Lebens Licht« BWV 118 ist ebenfalls ein Sonderfall. Das Stück wird aus gutem Grund in der Neuen Bach-Ausgabe den Motetten zugerechnet. Im Autograf bezeichnet Bach selbst das Stück als »Motetto«. In der Definition von Johann Gottfried Walther ist eine Motette sui generis ein Stück a cappella, deren Singstimmen jedoch durch Instrumente verstärkt werden können (vgl. Walther 2001, 424). Im Unterschied zu den Motetten BWV 225–230 werden in BWV 118 die Instrumente nicht colla parte, sondern selbstständig verwendet. Dies führte dazu, dass BWV 118 lange Zeit unter die Kantaten gerechnet wurde. Aber auch dort nahm das Stück aufgrund der Einsätzigkeit isolierte Stellung ein. Vgl. Krummacher 1974, 32. | |
Die Verbindung von Bibeltext und Choral ist typisch für die Gattung der Motette um 1700. Vgl. Niedt 1717, 35. | |
Vgl. Küster 1999, 527. | |
Vgl. Spitta 1979, 430, Fußnote 13. | |
Vgl. Kretzschmar 1905, 495. | |
Blankenburg 1978, 142. | |
Geck 1967. | |
Leavis 1971. | |
Krummacher 1974, 35. | |
Hofmann 2000. | |
Bach 2017, 10. | |
Vgl. Blanken/Wolff/Wollny 2022, 299. | |
Dass der Kommentar im neuen BWV im Widerspruch zu den Angaben der Neuen Bach-Ausgabe (NBA) steht, soll nicht verschwiegen werden. | |
Geck 1967, 58. | |
Ebd., 59. | |
Vgl. ebd., 62. | |
Ebd., 66. | |
Ebd. | |
Ebd. | |
Ebd., 67. | |
Ebd. | |
Ebd. | |
Ebd. | |
In diesem Kritikpunkt liegt Geck jedoch falsch, denn es handelt sich um einen Quartvorhalt, der zusammen mit dem Basston e einen Sextakkord ergibt. | |
Geck 1967, 67. | |
Ebd., 68. | |
Ebd., 69. | |
Ebd. | |
Leavis 1971. | |
Dabei handelt es sich um eine doppelchörige Messe mit Kyrie und Gloria eines unbekannten Komponisten. Vgl. https://www.bach-digital.de/receive/BachDigitalWork_work_00001478 (5.11.2024) | |
Vgl. Leavis 1971, 21. | |
Ebd., 22. | |
Ebd., 23. | |
Ebd., 25. | |
Ebd., 24. Bereits in seiner Lüneburger Zeit schrieb Bach die Fuge h-Moll BWV 951a nach einem Thema von Tomaso Albinoni, das einen Umfang von einer Dezime hat. | |
Leavis 1971, 24. | |
Ebd., 25. | |
Ebd., 26. | |
Ebd. | |
Krummacher 1974, 35. | |
Ebd. | |
Ebd., 38. | |
Ebd. | |
Ebd., 35. | |
Ebd., 40. | |
Hofmann 2000. | |
Ebd., 39. | |
Ebd., 40. | |
Ebd., 41. | |
Ebd., 43. | |
Hofmann 2003, 183. | |
Hofmann beschreibt einige dieser Zwischensätze, allerdings ist seine Auflistung unvollständig. Vgl. Hofmann 2003, 185 f. | |
Die Neue Bach-Ausgabe hat die von Konrad Ameln in seiner Ausgabe (1965) vorgeschlagenen Textvarianten übernommen. | |
Weitere ähnliche Ungeschicklichkeiten finden sich in Takt 10, 19 und 110 (Bass), Takt 10 (Sopran) sowie Takt 126 (Alt). | |
Vgl. https://www.bach-digital.de/receive/BachDigitalSource_source_00025306 (5.11.2024) | |
Hofmann 2000, 42. | |
Ebd., 45. | |
Ebd., 47. | |
Ebd., 48. | |
Ebd. | |
Hofmann 2003, 190. | |
Vgl. die Diskussionen um die Echtheit von Toccata und Fuge d-Moll BWV 565, Präludium und Fuge f-Moll BWV 534 sowie dem Choralvorspiel Ach Gott, vom Himmel sieh darein BWV 741. Vgl. die Zusammenfassung in Weil 2020, Einleitung und 24–30. | |
Hofmann 1991, 38. | |
Hofmann 2000, 43. | |
Walther 2001, 266. Siehe auch Mattheson 1999, 415, § 3. | |
An dieser Stelle sei kurz auf Hofmanns Bemerkung eingegangen, Bach weiche hier von dem Prinzip ab, jede Texteinheit nur einmal zu vertonen. Ungewöhnlich sei die zweifache Vertonung der Textpassage »Denn seine Gnade […]« ab Takt 58 bzw. 77 (vgl. Hofmann 2000, 43). Hofmanns Argument trifft jedoch nicht zu, denn in der Messe in h-Moll gibt es mehrere Textpassagen, die zweimal vertont sind: Das einleitende Kyrie komponierte Bach als Grave-Einleitung und als fünfstimmige Fuge und das »et expecto« erklingt zuerst in einem Adagio-Abschnitt und mündet anschließend in einen jubelnden Satz mit voller Orchesterbesetzung. | |
Geck 1967, 66. | |
Vgl. Marpurg 1753, 29, § 4. | |
Vgl. Walther 1955, 183, § 2. | |
Vgl. Marpurg 1753, 29, § 4. | |
Vgl. Leavis 1971, 25. | |
Walther 1955, 184, § 3. | |
Ebd., 163, § 23. | |
Mattheson 1999, 382, § 78. | |
Werckmeister 1687, 133. | |
Walther 1955, 186, Absatz q. | |
Mattheson spricht von einer dreigliedrigen Fugenregel (1999, 375, § 47): »Man soll die Gräntzen der Ton-Art nicht überschreiten, weder unten noch oben; mit dem Gefährten nicht in einem dem Modo zuwiederlauffenden Klange anheben; übrigens aber die Intervalle bey der Versetzung so gleich und ähnlich machen, als nur mit guter Art geschehen kann.« | |
Werckmeister 1687, 135. | |
Walther 1955, 185. | |
Mattheson 1999, 388, § 101. | |
Vgl. Deppert 1993, 152–169. | |
Vgl. Mattheson 1999, 388, § 101 und Marpurg 1753, 151, § 3. Der Begriff ›Zwischenspiel‹ wird meist im Zusammenhang mit Instrumentalfugen verwendet, daher werden diese Abschnitte im Folgenden ›Zwischensätze‹ genannt. | |
Walther 1955, 186, Absatz l. | |
Mattheson 1999, 388, § 101. | |
Ebd., § 102. | |
Marpurg 1753, 151, § 3. | |
Vgl. die Zwischenspiele der Fugen c-Moll BWV 847 und h-Moll BWV 869, in denen Bach Zwischenspiele im dreifachen Kontrapunkt schreibt. Unter den Orgelfugen sticht besonders die Fuge BWV 538 heraus, in der Bach Kanons in verschiedenen Intervallen setzte. | |
Müller-Blattau 1963, 127. | |
Wolff 1968, 102. Wolff erwähnt mehrere Beispiele aus Bachs Vokalschaffen, in denen Bach das Verfahren eines canon sine pausis anwendet, z. B. im ersten Satz des Symbolum nicenum (siehe ab T. 33) der Messe in h-Moll BWV 232. | |
Niedt 1717, 34. | |
Ebd., 34 f. | |
Vgl. Neumann/Schulze 1969, 294. Das Florilegium Portense beinhaltet Motetten unter anderem von Orlando di Lasso, Hans Leo Hassler, Jacobus Gallus und Seth Calvisius. | |
Vgl. http://vmirror.imslp.org/files/imglnks/usimg/8/81/IMSLP482257-PMLP781663-PPN870756729.pdf (5.11.2024) | |
Über Johann Christian Gundelach konnte ich außer dem Geburts- und Sterbejahr keine näheren biografischen Auskünfte finden. | |
Johann Matthäus Schmiedeknecht war ab 1685 Kantor in Ichtershausen bei Arnstadt und wurde im selben Jahr Stadtkantor und Lehrer in Gotha. Vgl. Kraft 2016. | |
Johann Konrad Geisthirt stammte aus Schmalkalden und war später Kantor und Lehrer in Berka und Eisenach. Von Bedeutung ist seine um 1718 verfasste Chronik von Schmalkalden. Sein Todesdatum ist nicht sicher. Vgl. https://www.deutsche-biographie.de/sfz20246.html (5.11.2024) | |
Vgl. Müller-Blattau 1963, 19. | |
Vgl. ebd. | |
Siehe Grandjean 1995 sowie Weil 2020, 165–175 für eine ausführliche Beschreibung der Schwierigkeiten bei der Beantwortung. | |
Weitere Themen dieser Art finden sich in den Motetten »Christus hat dem Tod« (Anonymus) und »Es ist in keinem andern Heil« (Anonymus). | |
Im drittletzten Takt liegt offensichtlich ein Schreibversehen vor. Möglicherweise sollte auf der ersten Zählzeit ein Nonakkord auf h oder aber ein A-Dur-Dreiklang stehen. | |
Möglicherweise stand die Motette »Wir wissen, unser irdisches Haus« Pate für Bachs Motette BWV 225. In beiden Motetten singt der zweite Chor einen vierstimmigen Choral, kontrapunktiert mit freien Stimmen vom ersten Chor. | |
Vgl. Geck 1967, 68. | |
Schulze 1972, 289. | |
Im Werkverzeichnis sind vier Motetten aufgeführt. Vgl. Allihn/Pilková 2016. | |
Wolff 2000, 398. | |
Vgl. ebd. | |
Weitere Motetten Zelenkas mit paarweisen Anfängen mit enggeführten Themen sind: »Amicus meus«, »Sicut ovis« und »Tradiderunt me«. | |
Die Motette ist für den Gründonnerstag bestimmt und vertont den Text »Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen«. | |
Müller-Blattau 1963, 63. An anderer Stelle nennt Bernhard den quasi-transitus auch transitus irregularis (ebd., 146). | |
Ebd. | |
Ebd., 147. Walther übernahm dieses und das vorherige Beispiel von Bernhard in seine Praecepta ohne Autorenangabe. Vgl. Walther 1955, 151. | |
Vgl. Müller-Blattau 1963, 146. | |
Eine Sequenz dieser Art konnte ich bisher in keiner Fuge Bachs ausmachen. Bei Synkopationen folgt in der Regel immer eine Auflösung in einen konsonanten Akkord. | |
Vgl. Weil 2020, 15–22. |
Literatur
Allihn, Ingeborg / Zdeňka Pilková (2016), »Benda, Georg (Anton)« [1999], in: MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter. https://www.mgg-online.com/mgg/stable/47506 (28.11.2024)
Bach, Johann Sebastian (1965), Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie III, Bd. 1: Motetten, hg. von Konrad Ameln, Kassel: Bärenreiter.
Bach, Johann Sebastian (2017), Das geistliche Vokalwerk, Bd. 17: Kantaten und Motetten, hg. von Uwe Wolf, Stuttgart: Carus.
Blanken, Christine / Christoph Wolff / Peter Wollny (Hg.) (2022), Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel.
Blankenburg, Walter (1978), »Die Bachforschung seit etwa 1965«, Acta Musicologica 50, 93–154.
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