Vom Wald zum Meer in die Stadt
Symbolistische Instrumentationstechniken in Alexander von Zemlinskys Orchesterlied Die drei Schwestern wollten sterben
Olja Janjuš
Die Unterschiede zwischen der Klavierfassung von Zemlinskys Opus 13 Nr. 1 nach einem Gedicht Maurice Maeterlincks und der Fassung für Orchester sind darauf zurückführbar, dass der Komponist in extremer Weise auf die klangfarblichen und ästhetischen Ansprüche der jeweiligen Genres reagiert. In diesem Beitrag wird untersucht, welche Eigenschaften des Orchestersatzes ein emphatisches Gattungsverständnis transportieren. Mit seiner Orchestration gehört das Lied einer Gattung an, die, als die Lieder Nr. 1–4 des Zyklus’ in dem ›Wiener Skandalkonzert‹ 1913 uraufgeführt wurden, auf der Höhe der Zeit stand. Nach 1918, mit den in ihrer Existenz bedrohten Riesenorchestern der Vorkriegszeit, ging das ästhetische Interesse an Orchesterliedern mehr und mehr verloren (vgl. Bork 2004). Zemlinsky vertrat mit der Orchesterfassung dezidiert die Position symbolistischen Komponierens am Fin de Siècle. Bevor Ähnliches in Besetzungen der Wiener Schule üblich wurde, fügte er der gewöhnlichen Orchesterbesetzung Instrumente wie das Harmonium und das Klavier hinzu. Mit der Harfe bilden diese einen eigenen Strang akkordfähiger Orchesterinstrumente. Dieser Strang offeriert drei unterschiedliche Einzelfarben und drei Weisen ihrer Kombination: Sämtliche oder je zwei von ihnen lassen sich verbinden. Die Koloristik bietet neue dramaturgische Möglichkeiten. Die drei Orte des Textes – Wald, Meer und Stadt – werden als drei Zeiten gefärbt: Mit jeweils anderem Instrumentarium schreibt Zemlinsky der Zukunft eine relative Nähe, der Vergangenheit Ferne und der Gegenwart vieldeutigen Rausch zu. Untersucht werden im Detail die Begleittexturen, die Zemlinsky für die Orchesterfassung des Liedes neu erfand, warum er Abschnitte der Singstimme oktavierte und ergänzte und welchen Sinn die mehrtaktigen Passagen erzeugen, die er hinzufügte. So vermittelt das neue Vorspiel mit den leeren Flageoletten der hohen Streicher eine Ahnung davon, wie exquisit der Tod ist, dem Maeterlincks drei Schwestern zustreben.
The differences between the piano version of Zemlinsky’s Opus 13 No. 1, based on a poem by Maurice Maeterlinck, and the orchestral version can be traced back to the fact that the composer responded in an extreme way to the timbral and aesthetic demands of the respective genres. This contribution examines which properties of the orchestral set convey an emphatic understanding of the genre. With its orchestration, the song belongs to a genre which was at its peak as the songs nos. 1–4 of the cycle were premiered in ›Vienna’s Skandalkonzert‹ in 1913 but lost its aesthetic interests with the existence of gigantic orchestras of the pre-war period after 1918 being at stake (cf. Bork 2004). Zemlinsky, with his orchestral composition, determined the position of symbolistic composing at fin-de-siècle. Before similar things even became customary in the orchestral settings of the Viennese school, he added the usual scoring instruments such as the harmonium and the piano. With the harp, they form an individual strand of orchestral instruments capable of playing chords. This strand offers three different individual colors and three modes of their combination: all or two of them can be connected. The colorfulness offers new dramatic possibilities. Three places in the text – the forest, the sea and the city – are colored as three times: with different settings in each case, Zemlinsky gives the future a relative closeness, the past a distance, and the present an ambiguous intoxication. This paper will explore in detail the accompaniment textures, which Zemlinsky reinvented for the orchestral version of the song: specifically, why he octavated and supplemented some sections of the singing voice and what the sense is of the multiple bars of passages he added. Thus, the new prelude with the empty harmonics of the high strings conveys an inkling of how exquisite death is to which Maeterlinck’s three sisters strive.
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
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