Vom Klavier zum Orchester
Eine Untersuchung anhand von Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen
Jonathan Stark
Was geschieht, wenn ein Komponist aus einem Klavierlied ein Orchesterlied macht? Dieser Frage geht dieses Paper anhand von Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen mit besonderem Schwerpunkt auf dem zweiten Lied des Zyklus, »Ging heut’ morgen über’s Feld«, nach. Dass dieses Lied nicht nur in einer Klavier- und Orchesterfassung existiert, sondern auch in Mahlers erster Sinfonie zitiert wird, macht einen Vergleich auf mehreren Ebenen möglich. Die bisherige Forschung beschäftigt sich intensiv mit der Entstehungsgeschichte der Gesellenlieder (Roman 1974, Mitchell 2005) sowie, Bezug nehmend auf die in großer Zahl auftretenden Zitate verschiedenster Komponisten, mit der Einordnung des Werks in seinen kulturellen, literarischen und musikhistorischen Kontext (Celestini 2010). Weniger erschöpfend wird die Frage behandelt, inwiefern der Instrumentalklang bei Mahler ein eigener Kompositionsparameter ist (Riehn 1996). Einen umfassenden Vergleich zwischen Klavier- und Orchesterfassung auf der Grundlage der Musik selbst gibt es hingegen auch in den größeren Mahler-Monografien (Schmierer 1991, Mitchell 2005) bislang nicht. Daher werden im Paper durch eine detaillierte Materialerfassung zuerst die Klavier- und die Orchesterfassung hinsichtlich Gesangsverdopplung, harmonischer Auffüllung des musikalischen Satzes und Ausgestaltung der Basslinie miteinander verglichen. Anschließend wird untersucht, welche Änderungen sich wiederum bei der Übertragung von der vokalen Gattung Orchesterlied in die rein instrumentale Gattung Sinfonie ergeben. Anknüpfend an die Ergebnisse dieses Vergleichs wird der Versuch unternommen, Mahlers Klangideal in dieser frühen Phase seines Schaffens zu formulieren.
What happens if a composer creates an orchestra song on the basis of a piano song? This paper deals with this question by taking a deeper look at »Ging heut’ morgen über’s Feld« from Gustav Mahler’s Lieder eines fahrenden Gesellen. Not only does this song exist in a version both for piano and voice and orchestra and voice, but Mahler also quotes it in his first symphony. This makes it possible to conduct a multi-layered comparison. While previous research has focused on the genesis of the Gesellenlieder (Roman 1974, Mitchell 2005), their cultural, literary and music historical context (Celestini 2010) and Mahler’s skill in composing Klang (Riehn 1996), there is no detailed comparison of the piano and orchestra song versions existent to this day, not even in the more extensive monographs on Gustav Mahler (Schmierer 1991, Mitchell 2005). Therefore, this paper first compares the piano song with the orchestra song with the main emphasis on vocal doubling, arrangement of the middle voices and the bass line. Subsequently, the transfer from the vocal genre Orchesterlied into the instrumental genre of the symphony is examined. Based then on the results of these comparisons, it shall be attempted to formulate Mahler’s sound ideal in this early stage of his compositional output.
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
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