›Unendliche Melodie‹
Aufbereitung einer Chiffre zu einer Kategorie der Wagner-Analyse
Ariane Jeßulat
Carl Dahlhaus hat zur Beschreibung des Motivgewebes in Richard Wagners Musikdramen auffällig oft mit dem prekären Terminus ›unendliche Melodie‹ gearbeitet. Am konkretesten wird der Gewinn dieser begrifflichen Unbekannten als Analysekategorie dann, wenn Dahlhaus ihn als ein Weiterdenken der interaktiven Wagner- und Bach-Rezeption Ernst Kurths benennt und, wie in seinem späten Text »Wagner und Bach«, Kurths ästhetische Prämissen mit einem zugespitzten Vergleich zwischen dem Parsifal-Vorspiel und der Fuge fis-Moll aus dem WTK II BWV 883 verbindet. Der Beitrag versucht, den Hintergrund dieser Pointe musikalisch und theoriegeschichtlich aufzuarbeiten.
Carl Dahlhaus used to apply the term »Unendliche Melodie« as a describing tool for the motivic net in Richard Wagner´s Musikdrama. Although »Unendliche Melodie« turns out to be problematic as a term due to its multiple scientific and literary contexts, Dahlhaus obviously took advantage of its blurred frame. Understanding the term through the filter of Ernst Kurth’s writings on Bach and Wagner, as he did in his late essay »Wagner und Bach«, Dahlhaus succeeds to work out fruitful categories for music analysis combining Kurth’s aesthetical premises with a pointed comparison between the Parsifal-Vorspiel and the fugue in f#-minor WC II BWV 883. This paper tries to illustrate the musical and theoretical background of Dahlhaus’s punch line.
›Unendliche Melodie‹ scheint – wie ›absolute Musik‹ – zu denjenigen Formulierungen Wagner’scher Prägung zu gehören, deren große Nähe zur Metapher sie von jeher eher zum Schlagwort als zum Begriff prädestiniert. Aufgekommen in der Zeitungssprache um 1850 als Aspekt der Kritik der Lohengrin-Aufführungen[1] verfestigte sich ›unendliche Melodie‹ als Ausdruck bei Gegnern wie bei Anhängern Wagners und wurde von ihm selbst schließlich ein einziges Mal in der Schrift Zukunftsmusik von 1860 verwendet.[2] Das führte aber kaum zu einer begrifflichen Eingrenzung im kompositionstechnischen Sinne.[3] Vom späten Wagner wird eine durchaus häufige Verwendung der Formulierung im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Wohltemperierten Klavier berichtet.[4] Später, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, machte ›unendliche Melodie‹ eine von Wagner und sogar von der Musikwissenschaft nahezu losgelöste Karriere, die auch zum Esoterischen abdriftete.[5]
Insofern überrascht es kaum, wenn Dahlhaus dem Ausdruck rückblickend seine wissenschaftliche Untauglichkeit attestiert:
Andererseits läßt sich an einem Ausdruck wie ›unendliche Melodie‹ der in Wagners Schriften nur einmal vorkommt (Zukunftsmusik 1860) zeigen, daß eine immense, sogar in die Theorie anderer Künste als Metapher übergreifende Karriere eines Terminus ein bloßes Mißverständnis sein kann. Entweder war der Begriff der Fehldeutung ausgesetzt, es handle sich um die Vermeidung von Zäsuren und Kadenzen: er wurde unerträglich banalisiert. Oder man verstand zwar das eigentliche von Wagner gemeinte Postulat, daß jeder Ton ›melodisch‹ im Sinne von ›expressiv bedeutsam‹ sein solle, war dann aber gezwungen, die ästhetische Prämisse zu akzeptieren, daß eine ›Melodie‹, um die Bezeichnung zu verdienen, dramatisch ›motiviert‹ sein müsse: eine Prämisse, die vom umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes ›Melodie‹ so weit abwich, daß in der Formel von der ›unendlichen Melodie‹ (was den auf die Vokabel ›unendlich‹ fixierten Exegeten entging) der Ausdruck ›Melodie‹ als der eigentlich erklärungsbedürftige Bestandteil erscheint.[6]
Gleichwohl ließ Dahlhaus von 1957 an bis zum Ende seines Lebens nicht davon ab, sich dem Ausdruck ›unendliche Melodie‹ mit einer Intensität und einem Streben nach Präzision zuzuwenden, das für gewöhnlich nur ›wissenschaftlichen‹ Begriffen zukommt. Dahlhaus hat dabei aus der Geschichte des Terminus eine Reihe von Aspekten ausgewählt und sprachlich zu einer Art Begriffsgeschichte aufbereitet, wobei er diese – wie es mir scheint – in gewissen Teilen eher selbst entworfen als rezipiert hat.
1957, in »Vom Elend der Musikkritik«[7], ist es noch der distanzierte Umgang mit einem Schlagwort der Wagner-Kritik, das die Aufhebung der Trennung von Rezitativ und Arie als Merkmal des Musikdramas beschreibt. Einen Teil dieses Verständnishorizonts wird Dahlhaus als Negativfolie konstant beibehalten, nämlich das als Missverständnis zu entlarvende Vorurteil, bei der ›unendlichen Melodie‹ handele es sich nur um das Ergebnis der Überbrückung von Zäsuren und Kadenzen.[8]
In der 1972 publizierten Melodielehre verwendet er den Ausdruck zur Beschreibung einer besonderen Qualität von Linearität, die er vor allem in Ernst Kurths Grundlagen des linearen Kontrapunkts verbal vorgeprägt findet, ein Werk, das er andernorts als »Bach-Rezeption im Geiste Wagners« charakterisiert:
Kurths These vom ›linearen Kontrapunkt‹ erweist sich im Rückblick, aus geschichtlicher Distanz gesehen, geradezu als Bach-Interpretation im Geiste Wagners: Was Wagner andeutete, wenn er von ›unendlicher Melodie‹ im Wohltemperierten Klavier sprach, ist von Kurth expliziert worden.[9]
Ein noch direkterer Vorläufer für eine Gleichsetzung von ›unendlicher Melodie‹ und ›Bach-Rezeption im Geiste Wagners‹ findet allerdings an exponiertem Orte statt, in Ernst Kurths Romantische Harmonik, und zwar im Kapitel »Die unendliche Melodie«.[10] So klingen auch Echos an Kurths Formulierungen an, wenn Dahlhaus – ebenfalls in der Melodielehre – einen Zusammenhang zwischen einer in jedem Moment »beredten Melodie«, wobei er die Formulierung aus Zukunftsmusik aufgreift, und dem Gewebe der Leitmotive im Ring herstellt, in dem Kadenzfloskeln durch motivische Beziehungen ersetzt werden.[11]
Lässt sich demnach festhalten, dass zwei grundlegende Aspekte von Dahlhaus’ Deutungssystem, nämlich Linearität im Sinne von Ernst Kurths Bachdeutung, und das Auffangen von floskelhaften Formulierungen im Motivgewebe des Musikdramas schon um 1975 klar formuliert sind, so kommt 1978 in Die Idee der absoluten Musik eine weitere Bedeutungskomponente hinzu, die vermutlich auf eine erneute Lektüre von Zukunftsmusik zurückgeht: Es ist dies ein Aneinanderrücken der Vorstellung einer »beredten Melodie« mit der sinfonischen Form, die durch ein besonderes Verhältnis von erwartbarer Konvention und motivischer Entwicklung in jedem Punkt das Verhältnis von Motiv und formaler Zeit erkennen lässt.[12] Diesen Gedanken wird Dahlhaus sehr breit und in Zusammenarbeit mit Norbert Miller besonders in der Auseinandersetzung mit Franz Liszts Sinfonischen Dichtungen ausführen, differenzieren und an Werken exemplifizieren.[13]
Auch noch nach Abschluss dieses dritten Bedeutungsaspekts nahm Dahlhaus Mitte der 1980er Jahre[14] in die späte Kompilation Klassische und Romantische Musikästhetik erneut ein Kapitel zur ›unendlichen Melodie‹ auf. Eingebettet in das Oberkapitel »Wagner und Bach« erscheint der Ausdruck als eine Art roter Faden der Wagner’schen Bach-Rezeption.[15]
* * *
Obwohl Dahlhaus keineswegs die ältere Auseinandersetzung aus der Zeit der Melodielehre bloß neu formuliert, basiert der Text in Klassische und Romantische Musikästhetik trotzdem auf der von ihm selbst erstellten, künstlichen Begriffsgeschichte. Wenn Cosimas Tagebuch-Protokolle der gemeinsamen Studien des Wohltemperierten Klaviers als Zeugen aufgeführt werden, scheint neben Wagner, Liszt und Rubinstein immer noch Ernst Kurth als anachronistischer, durch Dahlhaus’ Charakterisierung legitimierter Zeuge mit in der Runde zu sitzen.
Allerdings geht Dahlhaus in Klassische und Romantische Musikästhetik selbst einen Schritt weiter, indem er mit der fis-Moll-Fuge aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers und dem Beginn des Parsifal-Vorspiels ein Bezugspaar herstellt, aus dem er zusammen mit einer Passage aus Cosimas Tagebuch und den bis dahin aufgestellten Kategorien
Linearität einer polyphonen Gesamtmelodie im Sinne Kurths,
Dynamische Motivbeziehungen im Sinne der sinfonischen Form und
Bach-Rezeption
eine Vorstellung von ›unendlicher Melodie‹ entwirft, die das Konkreteste ist, was wir von Dahlhaus darüber erfahren.
Abends drei Pr. und Fugen von Bach aus dem 2ten Teil von Herrn R. [gemeint: Anton G. Rubinstein], sehr schön gespielt. Von der ersten (fis-moll, (14)), der schönsten, sagt R[ichard]: ›Das ist wie die unverständige und unverstehbare Natur, das ist auch die unendliche Melodie!‹[16]
Als Begründung für die Zusammenführung mit dem Parsifal-Vorspiel gibt Dahlhaus an:
Das Fugenthema hält sich durch Synkopierungen, die das Taktgerüst unkenntlich machen, in einem rhythmischen Schwebezustand, der entfernt – wenn man ästhetische Analogien unabhängig von stilistischen Divergenzen gelten läßt – an den Anfang des Parsifal-Vorspiels erinnert.[17]
Bereits bei Ernst Kurth heißt es, wobei der einstimmige Beginn des Parsifal-Vorspiels als Notenbeispiel beigegeben ist:
So beginnen schon Bachs Motive typischerweise mit einem sog. ›unbetonten‹ Taktteil, u.z. ohne darum mit einem als minder wesentlich empfundenen Ton einzusetzen; diese Einfügungsart ins äußere Taktbild drückt auch bei ihm etwas Schwebendes, von der Erdenschwere Gelöstes aus.[18]
Dahlhaus’ Vergleich fehlt nicht nur der bibliographische Hinweis, sondern ist aus wissenschaftlicher Perspektive auch nur schwer nachzuvollziehen. Es erscheint daher legitim, an den Verzerrungen seines Vergleichs Anstoß zu nehmen: Ist das mit dem Schwebezustand des Fugenthemas nicht vollkommen übertrieben? Ist man bei einem so typischen Themenverlauf überhaupt in der Lage, die Synkopen nicht auf die schwere Taktzeit hin zu hören? Warum hat Dahlhaus zum Vergleich nicht wenigstens das Siegfried-Idyll herangezogen, dessen Formverlauf, in dem der jeweils neue Formabschnitt zum bereits bestehenden motivischen Kontrapunkt noch ein weiteres Thema hinzufügt, der thematischen Arbeit der Tripel-Fuge in fis-Moll am nächsten kommt? Wie kann man denn nur über die ›unendliche Melodie‹ als »bindenden Zusammenhang über das ganze Werk« reden – immer wieder auf diese Formel aus Oper und Drama[19] zurückkommend – und dann lediglich zwei einstimmige Anfänge miteinander vergleichen und diese mehr als dünn kommentieren?
Eleonore Büning hat die Kunst der Pointe in Carl Dahlhaus’ Stil anhand seiner Zeitungskritiken kongenial beschrieben: Der Leser wisse unter Umständen nicht einmal, was an diesem Abend gespielt worden sei, dennoch sei durch bestimmte Formulierungen – Pointen –, durch das blitzartige Setzen und Verlassen von Verstehenshorizonten scheinbar jedem klar, was er gehört haben müsste, hätte er das Konzert mit hörenden Ohren besucht.[20]
In diesem Sinne ist der Vergleich zwischen dem Parsifal-Vorspiel und Bachs fis-Moll-Fuge eine Pointe, ein Witz im Sinne Jean Pauls[21], der als »sinnlicher Scharfsinn« zusammen mit dem vorher aufgestellten ›common sense‹ durch die Verstehenshorizonte Linearität, motivische Arbeit, polyphone Gesamtmelodie in der Bach-Rezeption und in der Zusammenführung der als bekannt vorausgesetzten Werke zu einer ähnlichen »Offenbarung« führen soll, wie Wagner sie durch das Bachspiel Liszts erlebte.[22] Anstatt im Sinne eines Vergleichs von Modell und Rezeption den analytischen Blick auf das Parsifal-Vorspiel einzuengen, wie man zunächst glauben könnte, verleiht dieser eher auf Assoziation denn auf Analogien beruhende Vergleich dem analytischen Horizont die nötige Weite, um überhaupt eine Chance zu haben, Dahlhaus’ perspektivische Zusammenschau der beiden Werke auf angemessenem Niveau nachzuvollziehen.
Ich will nun, da es sich meiner Meinung nach um eine besondere, fast hermetische Pointe handelt, da weitermachen, wo Christian Thorau 1999 aufgehört hat, als er die Kategorien für ›unendliche Melodie‹ in einer sehr schlüssigen Analyse der fis-Moll-Fuge nachwies[23] – nämlich mich darauf einlassen, den in den Anfängen angesetzten Vergleich zwischen beiden Werken unter Zuhilfenahme der von Dahlhaus genannten Kategorien nachzuvollziehen, vermittelt durch seine Gewährsleute Wagner und Kurth sowie seine eigenen Kommentare.
I. Metrische Irregularität
Dahlhaus’ Beschreibung der metrischen Irregularität beider einstimmiger Anfänge geht in ihrer Absolutheit, besonders, was das Fugenthema betrifft, zu weit. Allerdings setzt eine metrische Analyse in Abhängigkeit von der harmonischen Planbarkeit beider Themen durchaus Erkenntnisse frei, wobei die Werkanfänge gegenseitig als Folie dienen. Beide Melodien sind ab einem bestimmten Zeitpunkt mit ziemlich präzisen harmonischen Erwartungshaltungen verbunden, und zwar am grundlegendsten mit der fallenden Quintschrittsequenz.
Beispiel 1: J.S. Bach, einstimmiger Beginn der Fuge fis-Moll BWV 883, T. 3–4
Beispiel 2: R. Wagner, einstimmiger Beginn der Parsifal-Vorspiels, T. 1–6
Von Bedeutung ist, dass in beiden Fällen die harmonische mit der metrischen Fasslichkeit zusammenfällt und sich somit das Irreguläre des Anfangs präzise nachvollziehen lässt. Weder das Fugenthema noch der Parsifal-Beginn lassen sich hörend auf einfachere Verhältnisse zurückführen. Die Wechselwirkung von harmonischer Planbarkeit und metrischer Irregularität lässt sich in beiden Fällen umkehren, wenn die Regularität des einen Parameters Raum für die Irregularität des anderen Parameters schafft:
Im Parsifal fällt der erste Moment metrischer Sicherheit mit der Keimzelle des harmonisch Ungeheuren in der Auskomposition der III. Stufe in Takt 3 zusammen, die schon in der zweiten Phrase gesteigert und alteriert und zur Voraussetzung eines der Hauptmotive des Parsifal wird.[24]
Beispiel 3: Harmonisierung der zweiten Phrase des Parsifal-Vorspiels, T. 28–31
In der Fuge bilden ebenfalls metrische Impulse Keimzellen für die weitere Themenbildung, und zwar genau derart wie es Dahlhaus formuliert hat:
Die Technik der polyphonen Melodiebildung, die sich demnach charakteristisch für die ›unendliche Melodie‹ erweist, – sei es in der Form des Fugenkontrapunkt oder der Ergänzung von ›Versmelodie‹ und ›Orchestermelodie‹ –, ist nun in dem Verhältnis zwischen dem Thema und den Kontrapunkten der fis-Moll-Fuge geradezu paradigmatisch ausgeprägt.[25]
Der Vorgang erschöpft sich allerdings nicht in dem, was Dahlhaus angibt. Dass der Kontrapunkt die Synkopen des Themas dissonant einlöst, ist sicher nicht nur für die fis-Moll-Fuge charakteristisch. Zudem geht die Leistung des 1. Kontrapunkts und später auch des 2. darüber hinaus (Bsp. 4):
Beispiel 4: J.S. Bach, Fuge fis-Moll BWV 883, Thema und erster Kontrapunkt, T. 4–7
Der Kontrapunkt 1 gibt eben nicht im rhythmischen Gleichmaß die schlichte Quintfallsequenz wieder, sondern teilt durch das sequenzierte Pattern einer Variante des Dur-Moll-Parallelismus das Thema in zwei Abschnitte, und zwar genau in die zwei Abschnitte, die später das zweite Thema einnehmen wird (Bsp. 5):
Beispiel 5: J.S. Bach, Fuge fis-Moll BWV 883, Markierung des zweiten Themas durch den ersten Kontrapunkt, T. 1–4
Eine weitere ahnungsvolle Raumergreifung des zweiten Themas in der Exposition des ersten Themas mag noch mehr dem Eindruck der »unverständigen und unverstehbaren Natur« nahekommen, die Wagner zu hören glaubte, und wieder schafft eine metrische Eigenwilligkeit Raum für die motivische Keimzelle:
Beispiel 6: J.S. Bach, Fuge fis-Moll BWV 883, Entwicklung des Motivkerns des zweiten Themas, T. 916
Die zunächst eher zufällig erscheinende Nachbarschaft von dis und d – Folge des unerwarteten Einsatzes von Kontrapunkt 2 auf relativ betonter Zeit, der die Quintfallsequenz geradezurücken scheint, während die Oberstimme mit dem in der Figuration angedeuteten Sekundgang dis-eis-fis an den Kontrapunkt 1 erinnert – initiiert gleich zwei motivische Keimzellen des zweiten Themenabschnitts: die Chromatik der Kontrapunkte und die intervallische Formel, aus der das zweite Thema sukzessive entwickelt wird (in Bsp. 6 in eckigen Klammern).
II. Die in jedem Moment der Form beredte polyphone Gesamtmelodie
Während die Form der fis-Moll-Fuge in ihrer Besonderheit dahingehend zu bestimmen ist, dass das zweite und das dritte Thema aus dem ersten abgeleitet sind und in Form von Resümees am Ende jedes Themenabschnitts mit dem Thema simultan erklingen, bis in den letzten drei Themenphasen alle drei Themen vereint sind, müssen für eventuelle Analogien im Parsifal-Vorspiel zunächst die formalen Voraussetzungen in der Betrachtung geschaffen werden. Natürlich sind in dieser Variante der langsamen Introduktion vorerst Züge einer Sonatenhauptsatzform zu erkennen: mit dem Erreichen der Oberquinttonart in Takt 43 und der Reprise in Takt 78. Bei dem Versuch, diese sonatenhafte Form von Themendurchführungen überlagert zu verstehen, hilft jedoch, dass Wagner mit dem Dresdner Amen einen ›cantus prius factus‹ zum Herzstück des Vorspiels macht, der an ›Objektivität‹ einem Fugenthema gleichkommt.
Beispiel 7: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, ›Grals-Motiv‹ mit dem Dresdner Amen als Abschluss, T. 3941
Es ist nun zu zeigen, inwieweit auch im Parsifal-Vorspiel die Hypothese Halt finden kann, dass die durchgeführten Themen einen gemeinsamen Erfindungskern haben und sich somit in einer polyphonen Gesamtmelodie gegenseitig bedingen.
Das vermutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandene und in der bekannten Fassung Johann Gottlieb Naumann zugeschriebene Dresdner Amen erfüllt selbst Kriterien für eine polyphone Gesamtmelodie im Sinne der ›unendlichen Melodie‹. Die Kombination dieser Amen-Formel mit einer imitatorischen Verarbeitung des alten Ut-Re-Fa-Soggettos und seinem Krebs war spätestens seit dem posthumen Druck von Mendelssohns Reformationssinfonie 1868 eine öffentliche Tatsache, also vor der Abfassung des Parsifal:
Beispiel 8: F. Mendelssohn, Reformationssinfonie, Einleitung des 1. Satzes, T. 15 (Reduktion)
Beispiel 9: F. Mendelssohn, Reformationssinfonie, Einleitung des 1. Satzes, T. 3336
Mendelssohn führt in der Einleitung zum ersten Satz das Dresdner Amen mit dem Schulkanon des Ut-Re-Fa-Soggettos zusammen, den er schon 1821 als Etüden-Entwurf an den befreundeten Geiger Ritz (Rietz) geschickt hatte.[26]
Nach dieser bereits vorgeprägten Motiv-Analyse durch Mendelssohn ergäbe sich folgendes Kontrapunkt-Schema für die Fassung des Dresdner Amen im Parsifal, in der Wagner von der Standard-Fassung der Formel, die er in Tannhäuser und Lohengrin noch verwendet, abweicht und in seinem hybriden neuen Motiv durch die sequenzielle Erweiterung die bei Mendelssohn stattfindende Imitation in einen algorithmischen Ausdruck zwängt:
Beispiel 10: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, ›fraktale‹ Fassung des Dresdner Amen im ›Grals-Motiv‹
Beispiel 11: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, Auskomposition des Modells aus Bsp. 10, T. 3943
Alle motivischen Bestandteile der Außenstimmen sind aus dem Ut-Re-Fa-Soggetto abgeleitet, die Mittelstimmen sind Projektionen im doppelten Kontrapunkt der Dezime. Der erste Takt ist Generator für eine potentiell unbegrenzte Kette von Sequenzgliedern. Das Unverständliche und Unverwechselbare der Anlage, das Wagner im Übrigen im Verlauf des Parsifal nicht ein einziges Mal verändert, ist die klausulierende Figuration[27], die mit der ungewöhnlichen Antizipation der Schlussnote in der Oberstimme die stilisierende Palestrina-Nachahmung verrät. Es scheinen sich das Soggetto und sein Krebs in der Diminution in einer flüchtigen Andeutung darin zu finden.
Beispiel 12: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, das in der Figuration versteckte Soggetto, T. 3941
Andererseits kommt es nach Kurth zu einem ›Ineinandergreifen der Höhepunkte‹ oder zu einem ›Stimmentausch‹[28], da im Vergleich mit der hier zugrunde liegenden Klauselnorm die beiden Oberstimmen während der Tonleiter in parallelen Sexten heteroleptisch getauscht haben.
Beispiel 13: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, die ›Durchkreuzung der Höhepunkte‹ in der Figuration des Dresdner Amen nach Kurth
Das obligate Verhältnis der Themen innerhalb des Parsifal-Vorspiels zum Dresdner Amen wird in der Zusammenschau der Motivbestandteile deutlich:
Beispiel 14: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, das Soggetto in der einstimmigen Eröffnung, T. 1–6
Das sogenannte »Motiv des Liebesmahls« bildet mit dem Ut-Re-Fa-Soggetto um die Keimzelle[29] der auskomponierten III. Stufe eine Klammer. Das dritte Thema, das sogenannte »Erlösungs-Motiv«, ist eine Reduktion des vorher gehörten, Sequenz und Kanon dieses Motivs sind eine weitere Reduktion und Verdichtung:
Beispiel 15a: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, Reduktion des Soggettos und des Dresdner Amen im ›Erlösungsmotiv‹, T. 45m.A.–46
Beispiel 15b: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, Reduktion des Soggettos und des Dresdner Amen in der Sequenz des ›Erlösungsmotivs‹, T. 63m.A.–65
Die Gerüstintervalle der hier vorliegenden ›Fuga ad minimam‹, die fallende Quarte und die steigende Terz, sind die konstitutiven Intervalle des Ut-Re-Fa-Soggettos.
Auffällig ist, dass die erste Sequenz des Motivs die Unterstimme nicht aus dem Oktavkanon gewinnt, sondern aus der im Dezimenkontrapunkt abgeleiteten Mittelstimme. Dadurch wird auch hier die Betonung der III. Stufe kontrapunktisch erklärt.[30]
Beispiel 16: R. Wagner, Vorspiel zu Parsifal, T. 51–52
Zu beachten ist schließlich, dass der Abfolge der Themen im Parsifal-Vorspiel in ihrer Entwicklung auseinander ein Zug zum Abstrakten, ›Objektiven‹ innewohnt. Hat Wagner dem Dresdner Amen als ›Ahnung‹ mit dem »Motiv des Liebesmahls« eine individuellere Formulierung vorauskomponiert, so sind die folgenden Motive abstrakte Abspaltungen, die verschiedene Aspekte des Dresdner Amens herausstellen, und schließlich mit dem Engführungskanon wieder bei ›objektivierbarem‹ Material, dem Schulkontrapunkt, herauskommen.
Dieser Zug zur Entindividualisierung ist auch bei den Themenbildungen von Bachs Tripelfuge in fis-Moll zu beobachten: Das erste Thema ist eine hochindividuelle Neuformulierung eines allgemeinen Thementyps, das zweite eine Kadenzformel, das dritte eine gleichmäßig figurierte Tonleiter. Das ist insofern bedeutsam als der Vergleich mit der Tripelfuge in cis-Moll aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers zeigt, dass die Entwicklung nicht so geradlinig verlaufen muss.
Doppelter Kontrapunkt der Dezime
Die Technik des doppelten Kontrapunkts der Dezime, die dazu verwandt wird, zweistimmige Sätze durch Parallelführungen von imperfekten Konsonanzen in die Mehrstimmigkeit zu überführen, andererseits Sequenzverläufe und Gerüstsätze durch das Verlagern in die parallele Nachbarstimme durchlässig zu machen, zu verlangsamen, zu beschleunigen und motivisch zu verklammern, ist so selbstverständlich in Bachs Kontrapunkt, dass ihre Verwendung bei der Themenbildung der fis-Moll-Fuge nichts Besonderes darstellt. Fast alle Beispiele für die Linearität der polyphonen Gesamtanlage, die Kurth aus Bachs Werken anführt, sind von diesem Prinzip getragen oder zumindest betroffen[31], auch wenn Kurth das satztechnische Zustandekommen dieser Momente nicht benennt, sondern nur seine linear-energetische Wirkung beschreibt. Folgt man aber Dahlhaus in der Hypothese, Ernst Kurth als Sprachrohr der Wagner’schen Bach-Rezeption zu verstehen in leicht modifizierter Form dahingehend, dass Spuren dieser Technik im Parsifal-Vorspiel auf eine bewusste Verwendung schließen lassen, so wie die »Modulation« von Klängen und Motiven durch oben und unten hinzugefügte Terzen auch im Ring ein Thema ist[32], so verdient das Phänomen durchaus Aufmerksamkeit. Eventuell ist es eine Spielart der Bach-Rezeption des späten Wagner im Horizont dessen, was Dahlhaus unter ›unendlicher Melodie‹ verstanden hat.
Für das zweite und dritte Thema der fis-Moll-Fuge Bachs und ihre jeweilige Kontrapunktierung des ersten Themas ist der Dezimenkontrapunkt konstitutiv und wird auch auskomponiert:
Beispiel 17a: J.S. Bach, Fuge fis-Moll BWV 883, zweites und drittes Thema als Konstruktion aus dem doppelten Kontrapunkt der Dezime
Beispiel 17b: J.S. Bach, Fuge fis-Moll BWV 883, zweites und drittes Thema in den Engführungen des zweiten Themas
Unter dieser Voraussetzung wäre die zweite Themenphrase des Parsifal-Vorspiels eine in den Alterationen mutwillige Ableitung der ersten aus dem doppelten Kontrapunkt der Dezime, oder umgekehrt eine ebenso mutwillig eingerichtete Ableitung eines Comes auf dem halben Wege zur Oberquinte. Die in gewisser Weise verabsolutierten III. Stufen des Parsifal[33] wären eine Transformation des Dezimenkontrapunkts auf die Ebene der Harmonik. Dafür spricht auch die Variante des »Liebesmahls-Motivs« in der Reprise, wenn die Unterdezime F in den Bässen erklingt, als handele es sich um einen kontrapunktischen Ausgleich in die Gegenrichtung im Dienste einer übergeordneten Symmetrie.
III. Der »in der Oberstimme gleichsam zusammengezogene Canto«
Wie in der fis-Moll-Fuge wäre in der Reprise des Parsifal-Vorspiels eine Synthese aller Themen zu erwarten – und synthetische Momente gibt es: Der Kleinterzzirkel wird geschlossen, das »Liebesmahls-Motiv« wird in den Kanon eingearbeitet, die letzte Phrase des »Liebesmahls-Motivs« wird dem Kanongerüst aus steigenden Terzen und fallenden Quarten unterzogen, der Halbtonschritt g-as, der zu Beginn die harmonische Irregularität auslöste, wird als regulärer Vorhalt zur VI. Stufe von As-Dur in die Konvention zurückgeführt. Die große synthetische Geste, die in der fis-Moll-Fuge Bachs ab T. 55 stattfindet, bleibt jedoch aus, was dem Umstand geschuldet sein mag, dass das Parsifal-Vorspiel sich als langsame Einleitung zum Ende hin öffnet. Es gibt aber einen ähnlich überleitenden Moment in dem der fis-Moll-Fuge vorausgehenden Präludium, der vielleicht helfen kann, die womöglich rätselhafteste Passage bei Dahlhaus zu beleuchten.
Auf den bei Cosima protokollierten Rat Wagners an Rubinstein, beim Spielen »den Canto immer sehr hervorzuheben«[34] reagiert Dahlhaus mit einem erneuten Rekurs auf Kurth:
Nicht die Selbständigkeit der Stimmen, die gewöhnlich als Kriterium von Polyphonie gilt, erschien ihm wesentlich, sondern die ›Gesamtmelodie‹, die aus dem Ineinandergreifen der Stimmen entsteht und sich in der Oberstimme gewissermaßen konzentriert.[35]
Die von Dahlhaus auch hier nicht explizit kenntlich gemachte Bezugsstelle bei Kurth lautet:
Immer bedeutsamer wurde der Melodie gegenüber der Zug, den man als die Gesamtmelodik bezeichnen könnte, und der nun von jener Hauptmelodie stets mehr Unabhängigkeit gewann, zu immer größeren Strecken sie sogar sich selbst unterordnete.[36]
Zur Einleitung der Finalkadenz des fis-Moll-Präludiums erklingt eine in ihrer Linearität auffällige Prolongation der Akkordfolge Doppeldominante-Dominante-Tonika in fis-Moll.
Beispiel 18: J.S. Bach, Präludium fis-Moll BWV 883, T. 3739
Auch hier zeigt die Figuration in der imitatorischen Arbeit mit einem drei- bis viertönigen Tonleiterausschnitt eine algorithmische Struktur, die von einem Hauptmotiv[37] bestimmt wird. Die Entfaltung des Hauptmotivs kann durchaus gegen die Oberstimme gehört werden, deren reine Sekundbewegung im rhythmischen Gleichmaß die Passage an der Oberfläche des Satzes zusammenzieht.
Beispiel 19a: J.S. Bach, Präludium fis-Moll BWV 883, Reduktionsmöglichkeit der Dreistimmigkeit unter Verwendung des ›Entwicklungsmotivs‹
Beispiel 19b: J.S. Bach, Präludium fis-Moll BWV 883, eine weitere Reduktionsmöglichkeit der Dreistimmigkeit unter Verwendung des ›Entwicklungsmotivs‹
Eine Variante dieses dreitönigen Hauptmotivs nimmt allerdings den aufwärts gerichteten Tonleiterausschnitt des Kontrapunkt 1 der Fuge voraus, von dem die Impulse, der Unruheherd für die weitere thematische Entwicklung ausgehen werden.
Fragt man nun rückblickend, welche Analysekategorien Dahlhaus’ Diskussion des Terminus ›unendliche Melodie‹ dem heutigen Leser an die Hand geben, dann muss man ehrlich antworten: viele und gar keine. Ich habe nicht einmal den Eindruck, im pedantischen Nachvollzug eine evidente Pointe zu erklären versucht zu haben. Es ist vielmehr so, als habe Dahlhaus im Zusammenführen von Zitaten, großenteils selbst zugespitzten Vor-Urteilen und Werkbeispielen, deren Zusammengehörigkeit keineswegs evident ist, eine Art Kōan hinterlassen, das zwar kein Kategoriengebäude bildet, dafür aber Kategorien in einer Reihe von Anstößen anwendet, die im Sinne Gadamers den hermeneutischen Diskurs auszulösen[38] und diesen Diskurs in der analytischen Anwendung erstaunlich präzise zu lenken scheinen. Die Rolle des nur dünn kommentierten Beispiels ist dabei extrem wichtig; ein zentrales Merkmal des Parsifal-Vorspiels von fern anzielend, dass eine metrische Unbestimmbarkeit den Raum – und beim Parsifal-Vorspiel mit seinen wandernden Einstimmigkeiten ist das wörtlich zu nehmen – für die Keimzelle einer motivischen Ungeheuerlichkeit schafft, wird durch den Vergleich mit der fis-Moll-Fuge gefiltert. Der Vergleich stellt somit die Aufforderung und auch letztlich die Methode dar, an-stößige Thesen in Wechselwirkung mit dem Gegenstand immer wieder neu zu überprüfen. Angesichts dieser dialektischen Grundfigur enthalten Dahlhaus’ Texte nicht eine einzige Aussage über die ›unendliche Melodie‹. Sie setzen hingegen einen Prozess in Gang, in dem ein gewisses mit dem Terminus mögliches Ideenpotential in Arbeit gesetzt wird, was für die Fruchtbarkeit musikalischer Analysen fast wichtiger sein dürfte als klare Begriffsdefinitionen, da dieser Prozess den Begriffen vorausgehen muss.
Anmerkungen
Vgl. Reckow 1970, 85 Anm. 23. | |
Vgl. ebd., 84. | |
Ebd., 90: »Da nun Wagner das Wort ›unendlich‹ sowohl bei der kompositionstechnischen Beschreibung als auch bei der kompositorischen Wertung offensichtlich meidet, muß angenommen werden, daß die an jener stilistisch wie inhaltlich ausgezeichneten Stelle [in Zukunftsmusik] von ihm gemeinte ›Unendlichkeit‹ der ›unendlichen Melodie‹ gänzlich jenseits des kompositorischen Verfahrens liegt.« | |
Vgl. Dahlhaus, 2001b/GS2, 136 und 147–148; Dahlhaus 2001c/GS2, 273; Dahlhaus 2003a/GS5, 796–800. Reckow 1970, 98. | |
Vgl. Reckow 1971, 1521. | |
Dahlhaus 2007/GS10, 625. | |
Vgl. Dahlhaus 2001a/GS2, 79. | |
Vgl. Dahlhaus 2002/GS4, 101f. | |
Dahlhaus 2001c/GS2, 273. Vgl. Dahlhaus 2001b/GS2, 136 und 147 sowie – verkürzter in Form – in Dahlhaus 2001d/GS2, 293. | |
Kurth 1923, 444–571. | |
Vgl. Dahlhaus 2001b/GS2, 147. | |
Vgl. Dahlhaus 2002/GS4, 101. | |
Vgl. Dahlhaus 2007/GS10, 737744 und 1982, 744751. Beides auch in Dahlhaus 2003a/GS5. Miller 1975, 223287. | |
Vgl. Dahlhaus 2003b/GS5. | |
Vgl. Dahlhaus 2003a/GS5, 790808. | |
Dahlhaus 2003a/GS5, 796. Das Zitat stammt aus C. Wagner 1977, II, 307f. (Tagebucheintrag vom 13.11.1878) | |
Dahlhaus 2003a/GS5, 796. | |
Kurth 1923, 461 (Hervorhebung original). | |
»Die zu genau unterscheidbaren, und ihren Inhalt vollkommen verwirklichenden melodischen Momenten gewordenen Hauptmotive der dramatischen Handlung bilden sich in ihrer beziehungsvollen, stets wohlbedingten […] Wiederkehr zu einer einheitlichen künstlerischen Form, die sich nicht nur über engere Theile des Drama’s, sondern über das ganze Drama selbst als ein bindender Zusammenhang erstreckt […].« (Wagner 1983a, 341) Die von Dahlhaus oft zitierte Passage findet sich in Reckow 1970, 84f. sowie in Dahlhaus 2004/GS7, 380. | |
Vgl. Büning 2011, 364. | |
Vgl. Richter 1963, 175. | |
»[…] er [Liszt] spielte mir das vierte Präludium und Fuge (cis-Moll). Nun hatte ich wohl gewußt, was mir Liszt am Klaviere zu erwarten stand; was ich jetzt kennenlernte, hatte ich aber von Bach selbst nicht erwartet; so gut ich ihn auch studiert hatte. Aber hier ersah ich eben, was alles Studium ist gegen Offenbarung: Liszt offenbarte mir durch den Vortrag dieser einzigen Fuge Bach, so daß ich nun untrüglich weiß, woran ich mit diesem bin, von hier aus in allen Teilen ihn ermesse, und jedes Irrewerden, jeden Zweifel an ihm kräftig gläubig mir zu lösen vermag.« (Wagner 1983, 191f.) Dahlhaus zitiert diese Passage in Dahlhaus 2003a/GS5, 790. | |
Vgl. Thorau 1999, 174184. | |
Vgl. Cohn 2006, 246. | |
Dahlhaus 2003a/GS5, 797. | |
Vgl. Mendelssohn Bartholdy 2008, 74 (Brief vom 4.11.1821). | |
Vgl. Cohn 2006, 233, wo nur dieser Teil, das eigentliche Dresdner Amen, nicht nach Kriterien der Neo-Riemannian-Theory aufzuschlüsseln versucht, sondern als feste, inkommensurable Formel belassen wird. | |
Vgl. Kurth 1956, Kapitel »Durchkreuzung der Höhepunkte und Steigerungen«, 361–373 und »Schärfung der Höhepunktwenden«, 374382. Vgl. zu letzterem auch Schönberg 1977, 70–73 sowie Salzer/Schachter 1969, 153–199, Kapitel »Melodic-Contrapuntal Prolongations« (wobei diese Form der linearen Durchbrechung in Kriterien der Schenkerian Analysis sowohl als ›Interchange of Voices‹ als auch als ›Unfolding‹ verwandter Registertransfers beschrieben wird). | |
In Cohn 2006 findet sich ein Verweis auf einen Tagebucheintrag Cosima Wagners, die von »seed of the whole« gesprochen habe – leider ohne bibliographische Angabe zur Fundstelle (236). | |
Zur Analyse der Sequenz des »Erlösungsmotivs« vgl. Cohn 2012, 190. | |
Vgl. schon die Synkopenkette des ersten Beispiels dieses Kapitels in Kurth 1956, 352: J.S. Bach, Toccata und Fuge in fis-Moll, T. 75–79 (Nr. 225). | |
Vgl. Jeßulat 2010, 235241. | |
Vgl. Cohn 2006, 235 und Anmerkung 12 auf S. 247 sowie McCreless 1983, 64. | |
C. Wagner 1977, II, 268 (Tagebucheintrag vom 22.12.1878); zit. in Dahlhaus 2003a/GS5, 791. | |
Dahlhaus 2003a/GS5, 791. | |
Kurth 1923, 547. | |
Nach Kurth handelt es sich annähernd um ein »Entwicklungsmotiv«, wobei bei diesem die Grenze zwischen konkreter Notierbarkeit und virtueller Energiewelle fließend ist: »Man könnte sie als die unsichtbaren Motive der Musik bezeichnen; nicht nur weil man an ihnen leicht vorübergeht, sondern weil sie dem Schaffenden selbst unbewußt in den Zug der Verarbeitung einfließen. Sie liegen in gewisser Beziehung noch unterhalb der Urmotive des Musikdramas, indem noch gar nicht die Beziehung auf eine noch so allgemeine Idee die Linie in ihre bestimmten Formen treibt; sie sind reflexartige Züge, in denen sich die gestalterischen Formen herausbilden; da sie im Treiben und Drängen der musikalischen Formentwicklung entstehen, nenne ich sie Entwicklungsmotive.« (1923, 536537) | |
Vgl. Gadamer 1960, 272. |
Literatur
Büning, Eleonore (2011), »Die Kunst der Pointe oder: Carl Dahlhaus als Musikkritiker«, in: Carl Dahlhaus und die Musikwissenschaft. Werk Wirkung Aktualität, hg. von Hermann Danuser, Peter Gülke und Norbert Miller in Verbindung mit Tobias Plebuch, Schliengen: Argus, 363374.
Cohn, Richard (2006), »Hexatonic Poles and the Uncanny in ›Parsifal‹«, in: Opera Quarterly 22, 230248.
––– (2012), Audacious Euphony. Chromaticism and the Triad’s Second Nature, Oxford: Oxford University Press.
Dahlhaus, Carl (2001/GS2), Allgemeine Theorie der Musik II. Kritik – Musiktheorie / Opern- und Librettotheorie – Musikwissenschaft (= Gesammelte Schriften 2), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber.
––– (2001a/GS2), »Vom Elend der Musikkritik«, in: ––– 2001/GS2, 7784 [Erstdruck in: Melos 24 (1957), 132136].
––– / Lars-Ulrich Abraham (2001b/GS2), Melodielehre, in: ––– 2001/GS2, 121257 [Erstdruck: Köln: Gerig 1972].
––– (2001c/GS2), »Rhythmus im Großen«, in: ––– 2001/GS2, 270275 [Erstdruck in: Melos/Neue Zeitschrift für Musik 1 (1975), 439441].
––– (2001d/GS2), »Zur Theorie der musikalischen Form«, in: ––– 2001/GS2, 284275 [Erstdruck in: AfMw 34 (1977), 2037].
––– (2002/GS4), »Die Idee der absoluten Musik«, in: 19. Jahrhundert I. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien (= Gesammelte Schriften 4), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber, 11126, Erstdruck: Kassel: Bärenreiter 1978].
––– (2003/GS5), 19. Jahrhundert II. Theorie / Ästhetik / Geschichte: Monographien (= Gesammelte Schriften 5), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber.
––– (2003a/GS5), »Klassische und Romantische Musikästhetik«, in: ––– 2003/GS5, 393850, [Erstdruck: Laaber: Laaber 1988].
––– (2003b/GS5) »Wagner und Bach«, in: ––– 2003/GS5, 790–808 [Erstdruck in: Programmhefte der Bayreuther Festspiele 1985 VII: Der fliegende Holländer, hg. von Wolfgang Wagner, 118].
––– (2004/GS7), »Zur Geschichte der Leitmotivtechnik bei Wagner«, in: –––, 19. Jahrhundert IV. Richard Wagner – Texte zum Musiktheater (= Gesammelte Schriften 7), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber, 362383 [Erstdruck in: ––– (Hg.), Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 23), Regensburg: Bosse 1970].
––– (2007/GS10), »Richard Wagner Das Werk«, in: –––, Varia (= Gesammelte Schriften 10), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber, 622–670 [Erstdruck: zunächst in englischer Sprache: »Richard Wagner«, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hg. von Stanley Sadie, London: Macmillan 1981, Vol. 20, 114–136 (132); deutscher Erstdruck in: ––– / John Deathridge, Wagner, Stuttgart: Metzler 1994, 71–146.
Gadamer, Hans-Georg (1960), Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (= Gesammelte Werke I), Tübingen: Mohr.
Jeßulat, Ariane (2010), »Hässliche Musik. Parodie, Deformation, Entstellung und Negativ-Schönes in Richard Wagners ›Ring des Nibelungen‹«, in: Musiktheorie als interdisziplinäres Fach, hg. von Christian Utz, Saarbrücken: Pfau, 227242.
Kurth, Ernst (1923), Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners »Tristan«, Reprint Hildesheim: Olms 1998, 4. Nachdruck der Auflage Berlin: Hesse 1923 [Erstauflage Berlin/Leipzig: Haupt 1920].
––– (1956), Grundlagen des linearen Kontrapunkts. Bachs melodische Polyphonie, Reprint Hildesheim: Olms 1996, 2. Nachdruck der 5. unveränderten Auflage Bern: Krompholz 1956 [Erstauflage Bern: Drechsel 1917].
McCreless, Patrick (1983), »Ernst Kurth and the Analysis of the Chromatic Music of the Late Nineteenth Century«, Music Theory Spectrum 5, 5657.
Mendelssohn Bartholdy, Felix (2008), [Briefe] 1816 bis Juni 1830 (= Sämtliche Briefe 1), hg. von Juliette Appold und Regina Back, Kassel u.a.: Bärenreiter.
Reckow, Fritz (1970), »Zu Wagners Begriff der ›unendlichen Melodie‹«, in: Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk, hg. von Carl Dahlhaus, Regensburg: Bosse, 81110.
––– (1971), »Unendliche Melodie«, in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hg. von Albrecht Riethmüller, Ordner VI, Stuttgart: Steiner.
Richter, Jean Paul (1963), Vorschule der Ästhetik, in: Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. Levana oder Erziehungslehre. Politische Schriften (= Jean Paul Werke, 1. Abt. Bd. 5), hg. von Nobert Miller, München: Hanser, 7–456 [Erstdruck Berlin: Perthes 1804].
Salzer, Felix / Carl Schachter (1969), Counterpoint in Composition. The Study of Voice Leading, New York: Columbia University Press.
Schönberg, Arnold (1977), Vorschule des Kontrapunkts [Preliminary exercises in counterpoint, London: Faber and Faber 1963], eingeleitet und kommentiert von Leonard Stein. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Friedrich Saathen, Wien: Universal Edition.
Thorau, Christian (1999), »Richard Wagners Bach«, in: Heinemann, Michael und Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bach und die Nachwelt Bd. 2: 1850–1900, Laaber: Laaber.
Wagner, Cosima (1977), Die Tagebücher, 2 Bde., ed. und hg. von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich: Pieper.
Wagner, Richard (1983), Richard Wagner. Dichtungen und Schriften, Jubiläumsausgabe in zehn Bänden, hg. von Dieter Borchmeyer, Frankfurt a.M.: Insel.
––– (1983a) [1851], Oper und Drama (= Wagner 1983, Bd. 7).
––– (1983b), »Über das Dirigieren«, in: Musikästhetik. Reformschriften. 1854–1869 (= Wagner 1983, Bd. 8), 129–213.
Universität der Künste Berlin [Berlin University of Arts]
Dieser Text erscheint im Open Access und ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
This is an open access article licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License.