Polth, Michael (2016), »Tonalität als geschichtliches System. ›Dogmatische Denkform‹ und historischer Nachweis«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 13/Sonderausgabe [Special Issue], 53–70. https://doi.org/10.31751/862
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 20/11/2016
zuletzt geändert / last updated: 26/09/2017

Tonalität als geschichtliches System

›Dogmatische Denkform‹ und historischer Nachweis

Michael Polth

Die Entstehung der harmonischen Tonalität bereitet einer wissenschaftlichen Erklärung insofern Schwierigkeiten, als Tonalität einen Gegenstand darstellt, der einerseits Systemcharakter besitzt, der andererseits aber geschichtlich aus dem allmählichen Zusammenwachsen der ihn konstituierenden Momente hervorgegangen ist. Das Verstehen eines Systems und dasjenige einer historischen Entwicklung setzen unterschiedliche Beobachtungsstrategien und Methoden der Absicherungen von Wissenschaftlichkeit voraus. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Strategien prägt unterschwellig den Charakter der Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität von Dahlhaus, weil es vom Autor zwar meist geschickt verdeckt, aber letztlich nicht beseitigt wird.

The development of harmonic tonality creates difficulties for a scientific rationale in so far as tonality, on the one hand, can be regarded as an object of systemic nature, but on the other hand, has emerged historically from the gradual convergence of its constitutive elements. Understanding a system and understanding a historical development call for different strategies of perception and methods of securing scientificity. The tension between these two strategies has a subliminal influence on the nature of Dahlhaus’s Studies on the Origin of Harmonic Tonality since the author succeeds – for the most part subtly – in concealing this tension but ultimately fails to resolve it.

Schlagworte/Keywords: Carl Dahlhaus; Geschichte der Tonalität; historical music theory; historische Musiktheorie; history of tonality; Methodik; methodology; systematic music theory; systematische Musiktheorie; Tonalität; tonality

Im zweiten Kapitel seiner Schrift Grundlagen der Musikgeschichte aus dem Jahre 1977 reflektiert Carl Dahlhaus über das Problem des Musikhistorikers, dessen zentrale Gegenstände, die Kompositionen der Vergangenheit, zugleich geschichtliche Dokumente und Kunstwerke darstellen:

Das Problem der Beziehung zwischen Kunst und Geschichte – das fundamentale Problem einer musikwissenschaftlichen Historik – bleibt unlösbar, solange man auf einer ästhetischen und einer historiographischen Dogmatik beharrt, also einerseits auf der Maxime, daß sich Kunst einzig in der isolierenden Betrachtung geschlossener Werke so zeige, wie sie eigentlich ist, und andererseits auf der Prämisse, daß Geschichte ausschließlich in Verkettungen von Ursache und Wirkung, Zweck und Ausführung bestehe. Musikgeschichte als Geschichte einer Kunst erscheint unter den Voraussetzungen der Autonomieästhetik einerseits und einer sich an den Begriff der Kontinuität klammernden Geschichtstheorie andererseits als unmögliches Unterfangen, weil sie entweder – als Sammlung von Strukturanalysen einzelner Werke – keine Geschichte der Kunst oder aber – als Rekurs von den musikalischen Werken zu den ideen- oder sozialgeschichtlichen Vorgängen, deren Verknüpfung dann den inneren Zusammenhalt der Geschichtserzählung ausmacht – keine Geschichte der Kunst ist.[1]

Doch zwischen den scheinbar unvereinbaren Perspektiven könne – so Dahlhaus – vermittelt werden:

Die Idee einer Vermittlung zwischen Autonomieästhetik und historischem Bewusstsein ist kaum anders einlösbar als durch eine Interpretation, die das einzelne Werk dadurch in der Geschichte zu sehen erlaubt, daß sie umgekehrt die Geschichte im einzelnen Werk zu erfassen vermag. Nur in dem Maße, wie ein Historiker von der inneren Zusammensetzung der Werke deren geschichtliches Wesen abliest, ist die Geschichtsschreibung, zu der er schließlich gelangt, auch ästhetisch substanziell, statt ein kunstfremdes, von außen an die Werke herangetragenes Arrangement zu bleiben.[2]

Dahlhaus hat diesen vermittelnden Ansatz Jahre später in einer Analyse von Monteverdis Ecco mormorar l’onde exemplarisch vorgeführt.[3]

In den Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität aus dem Jahre 1967[4] ist das Problem des Musikhistorikers in abgewandelter Form präsent: Die harmonische Tonalität, deren Vor- und Entstehungsgeschichte dargelegt werden soll, wird von Dahlhaus als ein System betrachtet, das sich aus dem funktionalen Zusammenwirken seiner Teile konstituiert (und was Teil der Tonalität ist, wird allein aus dem System heraus begreiflich). Der Systemcharakter von Tonalität kollidiert – ebenso wie der erwähnte Kunstcharakter – mit den Maximen der Geschichtsschreibung: Ähnlich wie sich »Kunst einzig in der isolierenden Betrachtung geschlossener Werke […] zeige«[5], so ist auch das System Tonalität nur einer Betrachtung zugänglich, die das Systemganze in den Blick nimmt und das Einzelne aus seiner Funktion für dieses Ganze begreift (dabei geht Dahlhaus allerdings nicht so weit, das Systemganze der harmonischen Tonalität in den konkreten Tonarten zu suchen, die durch einzelne Werke auskomponiert werden; er betreibt nicht Werk-, sondern – wenn überhaupt – Korpus-Analyse). Eine ›Geschichte der Tonalität‹ – auch eingegrenzt auf die ›Entstehung der harmonischen Tonalität‹ – erfordert somit jene Vermittlung, die Dahlhaus zehn Jahre nach den Untersuchungen vorgeschlagen hat. In der Tat wird die Spannung zwischen geschichtlicher und systemischer Betrachtung in der Habilitationsschrift thematisiert, und mit ›dogmatischen Standpunkten‹ setzt sich Dahlhaus explizit auseinander.

1. Dogmatik

Der Begriff ›Dogmatik‹, den Dahlhaus sowohl in den Untersuchungen als auch in der Musikgeschichte pflegt, ist ein neutraler, kein pejorativer. Er geht auf einen Beitrag zur Abgrenzung der Geistes- von den Naturwissenschaften von Erich Rothacker aus dem Jahre 1954 zurück.[6] In den Geisteswissenschaften gehe es um das Verstehen von Sinn und Bedeutung. Wer die Werke eines bestimmten Kunstsystems, beispielsweise die Gemälde der Barockzeit, verstehen möchte, der müsse sich in das damalige Kunstsystem hineinversetzen und die Bedeutung der Teilmomente aus der Perspektive der damaligen Kunstanschauung heraus erschließen. Er müsse eine »dogmatische Denkform«[7] einnehmen, d.h. die Prämissen der barocken Kunstanschauung als gültig annehmen. »Alle stilexplizierende Dogmatik ist perspektivisch«[8], und: »Dogmatik ist nichts anderes als Explikation eines in einem Werk implizierten Wahrheitsanspruches.«[9] Ein Historiker, der die Geschichte von Kunst rekonstruieren möchte, habe es mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kunstsysteme zu tun, die aus einer jeweils eigenen dogmatischen Perspektive heraus beschrieben werden müssen. Zwar bekenne sich der Historiker nicht zu einzelnen Perspektiven, er berichte lediglich über sie, aber was er über Kunst zu sagen habe, speise sich aus dem, was er innerhalb dieser Perspektiven beobachten könne: »So kommt es, daß unser gesamter Besitz geistiger Gehalte, der jeweilige Inhalt jedweden Bewußtseins aus Dogmatiken stammt.«[10] Wem die ›dogmatische Perspektive‹ verschlossen ist, der hat nichts zu berichten.

»In der Kennzeichnung als Dogmatik ein Verdikt zu sehen, wäre ein Mißverständnis.«[11] Nach Dahlhaus ist nicht die ›dogmatische Denkweise‹ als solche problematisch, sondern das Hypostasieren der Strukturen oder Ergebnisse dieser Denkweise zu überzeitlichen Normen: »Eine Verhärtung zu überzeitlichen Normen wäre dogmatisch im fragwürdigen Sinne des Wortes.«[12] Der Satz: »Sowohl die Stufen- als auch die Funktionstheorie sind als ›natürliche Systeme‹, nicht als Dogmatiken konzipiert worden«[13], benennt einen Mangel, dem eine ›dogmatische Konzeption‹ abgeholfen hätte. Auch die Benennung der Lehre Heinrich Schenker als »Dogmatik eines Epochenstils«[14], war nicht als Verdikt, sondern als nähere Bestimmung der Arbeitsweise bzw. deren Ergebnisse gemeint, die Dahlhaus bei Schenker – entgegen dessen Selbstverständnis – zu erkennen glaubte.

Dennoch besteht das nicht unerhebliche Problem, dass manche Kriterien, die in einer kunstwissenschaftlichen Explikation Beweiskraft besitzen, dem Anspruch eines Nachweises im Sinne der Geschichtsschreibung nicht genügen. Dass eine bestimmte Interpretation harmonischer Verhältnisse unter den Bedingungen einer werkimmanenten Betrachtung evident erscheinen mag, beweist nicht, dass die Menschen von damals diese Interpretation geteilt hätten. Weil die historische Existenz einer harmonisch-tonalen Interpretation nicht durch immanente Werkanalyse nachgewiesen werden kann, muss sich der Historiker Dahlhaus für die Klärung dessen, welche Auffassungen von tonalen und harmonischen Zusammenhängen in vergangenen Zeiten geherrscht haben, nach anderen Belegen umschauen.

2. Drei ›Tonalitäten‹ – drei Zugangsweisen

Die Untersuchungen nehmen drei unterschiedliche ›Tonalitäten‹ in den Blick: das System der harmonischen Tonalität, das spätestens vom 17. Jahrhundert an bestanden hat, die Modalität des 15. und 16. Jahrhunderts, aus der die harmonische Tonalität hervorgegangen ist, und einen Zwischenzustand um 1600, der sich sowohl von der Modalität als auch der harmonischen Tonalität unterscheidet. Die Aufgabe der Vermittlung zwischen kunstwissenschaftlichen und historiographischen Ansprüchen stellt sich für die drei ›Tonalitäten‹ unterschiedlich dar:

1. Bei harmonisch-tonalen Kompositionen – auch solchen, die mehrere Jahrhunderte alt sind – darf die entsprechende ›dogmatische Denkform‹ als bekannt vorausgesetzt werden. Das heißt zunächst nichts anderes, als dass auch heutige Hörer über ein (implizites) Wissen davon verfügen, wie die Ereignisse einer Komposition von Bach, Mozart oder Brahms in eine Vorstellung von Tonart zu integrieren sind. Zu erkennen ist dies an der Selbstverständlichkeit, mit der Praktiken wie die harmonische Analyse (verstanden als Chiffrierung von Akkorden mit Symbolen) betrieben werden, deren Durchführung voraussetzt, dass den Analysierenden das Phänomen der harmonischen Funktionen grundsätzlich zugänglich ist.[15] Auch Dahlhaus setzt mit der Art seiner Überlegung und Argumentation implizit voraus, dass ihm und anderen harmonische Tonalität erschlossen ist, und zwar nicht nur ästhetisch, sondern auch wissenschaftlich. Zum einen entscheidet er viele strittige Fragen zu Tonalität und Harmonik unter Berufung auf eigene Erfahrungen (und geht dabei von der Fähigkeit seiner Leser aus, diese Erfahrungen nachzuvollziehen), zum andern greift er für die Erörterung dessen, was harmonische Tonalität ist und ausmacht, ausschließlich auf vorhandene Theorien zurück. Mit den Ausführungen von Rameau, Sechter, Riemann, Halm und Kurth scheinen – nach Dahlhaus – angemessene (wenn auch oft auf einzelne Aspekte beschränkte) Darstellungen vorzuliegen, die (wenn sie zusammengeführt und von theorieimmanenten Ungereimtheiten befreit werden) die Entwicklung einer eigenen Theorie entbehrlich machen. Allerdings bleibt eben dadurch, dass Dahlhaus die Erörterungen über harmonische Tonalität als Diskussion über Theorien der harmonischen Tonalität anlegt, die fundierende Bedeutung seiner eigenen ›dogmatischen Perspektive‹ partiell verdeckt.

2. Anders verhält es sich mit der Musik vor 1600. Deren Rezeptionstradition war zwischenzeitlich unterbrochen, und es ist daher fraglich, ob der heute offenstehende Zugang den Vorstellungen Rothackers vom »Hineinversetzen in das damalige Kunstsystem« standhält (Zweifel daran nähren die zahlreichen Unsicherheiten darüber, wie einzelne Ereignisse in Kompositionen Alter Musik funktional einzuschätzen sind). Somit bestünde die Aufgabe von Dahlhaus im Falle der modalen Musik darin, eine angemessene ›dogmatische Denkform‹ allererst zu rekonstruieren. Dabei genügte es – wie angedeutet – nicht, dass der Kunstwissenschaftler Dahlhaus einen ästhetischen Zugang bahnt, indem er Arten und Weisen des funktionalen Hörens vorschlägt.[16] Vielmehr bedürfte es für den Historiker Dahlhaus weiterer Zeugnisse ›aus der Zeit‹ (beispielsweise musiktheoretischer Zeugnisse), die belegen, dass die ›künstlerische‹ Rekonstruktion auch eine ›geschichtliche‹ ist. In der Tat lässt sich Dahlhaus in seinen Analysen der ›modalen Musik‹ mehr von der Sichtung der Theoretikerzeugnisse als von Erkenntnissen des ›Hineinversetzens‹ leiten.

3. Noch anders verhält es sich in der Erörterung über den Zwischenzustand um 1600. Hier argumentiert Dahlhaus von einer ›dogmatischen Perspektive‹ aus, die er – anders als bei der harmonischen Tonalität – durch sein Buch allererst eröffnet. Belegt werden seine Thesen allein durch analytische Beobachtungen an den Madrigalen Claudio Monteverdis. Anders als bei der Modalität kann sich Dahlhaus nicht auf Theoretikerzeugnisse der Zeit stützen, weil Kenntnisse von der Struktur des ›Zwischenzustandes‹ in damaliger Zeit nicht bestanden haben (Dahlhaus ist sozusagen einem ›impliziten‹ Wissen der damaligen Komponisten und Hörer auf der Spur).

Die Wechsel, die zwischen den ›dogmatischen Perspektiven‹ geschehen, sind dem Sprachstil der Untersuchungen kaum anzumerken, weil Dahlhaus stets gleich auf nüchtern-sachliche Weise argumentiert. Sie zeigen sich jedoch, wenn der Blick auf die jeweilige Fundierung der Argumente fällt. Ihre Relevanz beziehen die Argumente vom zugrunde liegenden ›dogmatischen Standpunkt‹, und wie hoch die Überzeugungskraft ist, hängt damit zusammen, wie viel Vertrauen Dahlhaus in den Standpunkt setzt.

3. Tonalität als System

Tonalität als System zu verstehen, bedeutet, von einer Wechselwirkung zwischen dem Ganzen der Tonart und ihren Teilen auszugehen. ›Wechselwirkung‹ schließt ein, dass ein ›Teilmoment‹ nur dann als ›Merkmal‹ des Systems betrachtet werden darf, wenn dieses System als existent vorausgesetzt werden kann. Der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen System und dem Merkmalscharakter der Teilmomente dient Dahlhaus als Argument gegen die Thesen zahlreicher Autoren, die aus der Existenz einzelner satztechnischer oder harmonischer Konstellationen auf die tonale Verfasstheit der betreffenden Komposition geschlossen haben. Zu ihnen gehört der Machaut-Forscher Armand Machabey, der den Beginn der harmonischen Tonalität im 13. Jahrhundert ansetzt, weil es dort zum ersten Mal Klangfortschreitungen in einen Grundton gegeben habe (gemeint ist die Bewegung große Sexte – Oktave an Zeilenschlüssen). Für Heinrich Besseler beginnt die Tonalität um 1430, weil man in Kadenzen – beispielsweise bei Dufay – zum ersten Mal die dominantische Wirkung der Pänultima erfahren könne. Gegen Ernest Sanders, der – in einer Mischung der Standpunkte Besselers und Machbeys – Dominantkadenzen bei Machaut zu entdecken glaubt, schreibt Dahlhaus:

Gegenstand der Diskussion ist jedoch nicht, ob im 14. und 15. Jahrhundert Klangfolgen begegnen, die einem Hörer des 20. Jahrhunderts als Dominantkadenzen erscheinen, sondern ob die Interpretation als Dominantkadenzen historisch zu rechtfertigen ist.[17]

Sie sei nicht zu rechtfertigen, weil keine Hinweise darauf existieren, dass ein System ›harmonische Tonalität‹, das eine Dominantkadenz erst möglich gemacht hätte, vorgelegen hat.

Der Vorwurf gegen Machbey, Besseler und Sanders (die unberechtigte Übertragung einer ›dogmatischen Denkweise‹ des 20. Jahrhunderts auf die Musik des 14. und 15. Jahrhunderts) ist ein Vorwurf primär des Historikers Dahlhaus. Der Kunstwissenschaftler Dahlhaus nämlich kennt die Musik der Renaissance weniger durch ›Hineinversetzen‹ als vor allem durch Hinweise aus Theoretikerzeugnissen, auch wenn er deren Relevanz an den Kompositionen überprüft hat.[18] Sein ›dogmatischer Standpunkt‹ ist also vorzugsweise, wenn auch nicht ausschließlich, durch den Blick gelenkt, der den damaligen Theoretikern offen stand, aber eben dadurch auch beschränkt. Zu etwaigen Auffassungen, die ein damaliger Hörer in den Kompositionen seiner Zeit möglicherweise artikuliert fand und denen sich ein heutiger Hörer durch ›Hineinversetzen‹ nähern könnte, vermag Dahlhaus nichts zu sagen, eben weil in den musiktheoretischen Zeugnissen von solchen Auffassungen nicht die Rede ist (eine Ausnahme bildet – wie gesagt – die Monteverdi-Analyse von 1983).[19]

Dass die Hinweise der Musiktheoretiker dennoch genügen, um die Existenz eines Systems ›harmonische Tonalität‹ für die Musik des 14. und 15. Jahrhunderts auszuschließen, liegt daran, dass die Argumentation eine Widerlegung darstellt. Um nämlich die Existenz eines Systems auszuschließen, muss sich Dahlhaus der Alten Musik nicht ästhetisch nähern und den ihr angemessenen ›dogmatischen Standpunkt‹ näher ausführen. Es genügt der Hinweis auf das Fehlen anderer ›Teilmomente‹, ohne die das System nicht bestehen könnte. Es genügt – mit anderen Worten – der Hinweis auf einen beobachtbaren Mangel an systemischer Konsequenz. Gegen Edward Lowinsky argumentiert Dahlhaus:

Die ›vollständige Kadenz‹ I-IV-V-I erscheint im 16. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe zu satztechnischen Formeln, die keine tonale Interpretation zulassen; und die Annahme, daß das musikalische Hören während eines Werkes oder Satzes zwischen tonaler und nicht-tonaler Auffassung wechselte, wäre problematisch. Zwar können in einem Kompositions- und Hörsystem Relikte einer früheren Entwicklungsstufe als versteinerte Formeln mitgetragen werden; daß aber umgekehrt bloße Fragmente und verstreute Antizipationen des Neuen ein – sei es auch rudimentäres – Systembewußtsein einschließen, ist unwahrscheinlich.[20]

4. Entstehung des Systems ›harmonische Tonalität‹

Dass harmonische Tonalität ein System darstellt, das sich durch den funktionalen Zusammenschluss seiner Teilmomente konstituiert, konnte man als Musiktheoretiker des 20. Jahrhunderts bereits vor 1967 wissen. Neu bei Dahlhaus war hingegen seine These zur Entstehung des Systems: dass harmonische Tonalität aus einem systemischen Zusammenschluss von Teilmomenten entstanden sei, deren jedes eine eigene Vorgeschichte besitze. Die Kadenz beispielsweise erscheint innerhalb des Systems ›Tonalität‹ als konstitutives Teilmoment. Ihre Geschichte aber reicht bis in die Zeit vor der harmonischen Tonalität zurück. Aus der Tatsache, dass sie zu den fundierenden satztechnischen Prinzipien der harmonischen Tonalität gehört, folgt nicht, dass sie um der Tonalität willen oder zeitgleich mit ihr entstanden sei.

Die konstitutiven Teilmomente – es handelt sich um satztechnische Konstellationen oder Einheiten in einer bestimmten systemrelevanten Funktion – destilliert Dahlhaus aus den Schriften der bereits genannten modernen Autoren. In der harmonischen Tonalität gilt beispielsweise: dass der Bass als tragende Stimme, dass imperfekte Konsonanzen sowie Drei- und Vierklänge als unmittelbare Einheiten (Akkorde), dass die vertikale Vertauschung von Akkordtönen als Umkehrung, dass zwei Intervalle, die sich zur Oktave ergänzen, als Komplementärintervalle, dass der Tonsatz als simultan konzipiert, dass der vormalige Unterschied zwischen konsonanten und dissonanten Tönen als Unterschied zwischen harmonieeigenen und -fremden Tönen und dass die Kadenz als Tonartdarstellung verstanden werde(n), dass zwischen realem und Fundament-Bass, zwischen Stufe und Funktion im Allgemeinen und zwischen drei harmonischen Funktionen im Besonderen sowie zwischen differenten (Quinten und Sekunden) und indifferenten Fundamentbewegungen (Terzen) zu unterscheiden sei. Die ›Vorgeschichten‹ einzelner ›Teilmomente‹, also die Geschichte der satztechnischen Konstellationen und Einheiten innerhalb des Zeitraums, in dem sie noch nicht Teilmomente gewesen sind, zeigt Dahlhaus unter anderem am Beispiel der Akkordeinheit, der Umkehrung, der Bassbezogenheit und der ›Akkorddissonanz‹. Wechselnde Auffassungen beobachtet er an satztechnischen Konstellationen wie Kadenzen und Sequenzen, die über Jahrhunderte hinweg tradiert worden sind.

Beeindruckend ist bis heute, mit welcher Findigkeit Dahlhaus in Kompositionen und Theoretikerzeugnissen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts signifikante Passagen aufspürt, die belegen, dass der Grund der Entstehung oder des Bestehens von vermeintlich tonalen ›Teilmomenten‹ kein tonaler gewesen ist. In der Zeit vor 1600 können unterschiedliche ›Teilmomente‹, die innerhalb der Tonalität untrennbar zusammen gehören, wegen der fehlenden Bindung an das System vereinzelt oder – so scheint es – in beinahe beliebigen Teil-Kombinationen auftauchen. »Simultankonzeption aber impliziert nicht Baßbezug, Baßbezug nicht Akkordsatz und Akkordsatz nicht tonale Harmonik.«[21] Die Tonsätze der Madrigale von Monteverdi (aus der ›Übergangsphase‹) werden von Dahlhaus als simultan konzipierte Akkordsätze analysiert, deren Fundament die Bassstimme bildet, und obwohl zwischen den Akkorden eine Subordination herrscht, die ihrerseits auf einem System diatonischer Stufenrelationen fußt (es gibt Quint- und Terzbezüge), prägen die Madrigale keine tonale Harmonik aus.

Die Überzeugungskraft, mit der Dahlhaus seine These über die Entstehung der harmonischen Tonalität ausbreitet, beruht partiell wiederum darauf, dass für die Musik vor 1600 das Fehlen eines systematischen Zusammenschlusses, wie es ihn im 18. Jahrhundert gegeben hat, nachgewiesen wird. Zwar muss, wer »Simultankonzeption ohne Bassbezug« und »Bassbezug ohne Akkordsatz« behauptet, Sachverhalte an den Zeugnissen vor 1600 benennen, die als Kriterien für die betreffende Auffassung dienen können (wie gesagt, liefert Dahlhaus sie), aber in ihrem Beweisziel sind die Überlegungen letztlich abhängig von der ›dogmatischen Denkweise‹ der harmonischen Tonalität. Schließlich ist es etwas anderes, ob ein bestimmtes Konzept von systemischer Tonalität ausgeschlossen oder eine ›dogmatische Perspektive‹ darauf eröffnet wird, ›als was‹ die Tonarten und satztechnischen Konstellationen einer Musik aus vergangener Zeit wahrgenommen werden können. Der ›limitative Blickwinkel‹ wird besonders dann deutlich, wenn sich der Historiker Dahlhaus nach Blick in die musikalischen und musiktheoretischen Zeugnisse einer bestimmten Zeit nicht sicher ist, ob er ein harmonisch-tonales Verständnis ausschließen darf. In diesem Fall verzichtet er darauf, den Kunstwissenschaftler Dahlhaus zu befragen, und konstatiert Ungewissheit. Selbst bei Themen, zu denen Historiker und Kunstwissenschaftler gemeinsam etwas zu sagen hätten, kommen sie innerhalb der Untersuchungen nicht ins Gespräch: Den Beginn der harmonischen Tonalität setzt der Historiker Dahlhaus – in Ermangelung eindeutiger Zeugnisse – großzügig in einem Zeitraum zwischen dem frühen 15. und späten 17. Jahrhundert an[22], während der Kunstwissenschaftler im Analyseteil der Untersuchungen aufzeigt, dass Monteverdis Madrigale um 1600 bereits einen modal-tonalen ›Übergangszustand‹ ausprägen – woraus zu schließen ist, dass die harmonische Tonalität nicht vor 1605 entstanden sein kann.

Trotz dieses Einwandes gilt festzuhalten, dass die Untersuchungen gerade hinsichtlich ihrer Überlegungen zur ›Vorgeschichte‹ der harmonischen Tonalität den stärksten Einfluss auf die musiktheoretische Forschung der folgenden Jahrzehnte ausgeübt haben. Die Einsicht, dass Kadenzen und Sequenzen einen musikalischen Konnex durch Intervallprogression ausbilden können, ohne darum tonale Harmonik auszuprägen oder auf diese angewiesen zu sein, hat in den 1970er Jahren eine rege Forschung über satztechnische Modelle begründet, die bis heute anhält.[23]

5. Was versteht Dahlhaus unter harmonischer Tonalität?

Die Stärke der Untersuchungen rührt von der Scharfsichtigkeit des Historikers her, während der Kunstwissenschaftler sich größtenteils zurückhält. Der Blick auf die Musik vor 1600 geschieht von der ›dogmatischen Denkform‹ der harmonisch-tonalen ›Kunstform‹ aus, das Interesse ist primär auf den Nachweis gerichtet, die Relevanz dieser »Denkform« anhand klarer Kriterien auszuschließen. Es wäre verfehlt, dem Autor wegen dieses Vorgehens Vorwürfe zu machen; denn zur Klärung der Entstehung von harmonischer Tonalität darf die Musikgeschichte zuvor selektiv in den Blick genommen werden (zumal es an überraschenden Einsichten nicht mangelt). Ein Vorwurf könnte allerdings aus dem Umstand erwachsen, dass auch die für die Argumentation wichtigste ›dogmatische Denkform‹ ihrem Gegenstand, dem System ›harmonische Tonalität‹, nicht gerecht wird.

Harmonische Tonalität als System ist ein abstrakter Gegenstand. Er ist der Inbegriff der Prinzipien und Regeln, nach denen sich Teilmomente zum Ganzen einer Tonart funktional zusammenschließen. Es ist möglich, Tonalität ausschließlich als diesen Regelkomplex in den Blick zu nehmen – wenn man denn der Überzeugung ist, dass dieser bereits hinreichend genau aufgearbeitet worden ist. Wer hingegen am Vorliegen einer hinreichend genauen Vorstellung von Tonalität zweifelt oder wer das System unter den Bedingungen empirischer Wirklichkeit beobachten möchte, muss harmonisch-tonale Kompositionen daraufhin untersuchen, welche Prinzipien der Tonartdarstellung sich von ihnen ablesen lassen. Das Systemganze der harmonischen Tonalität wäre dann auch die jeweilige, durch die Komposition instantiierte Tonart, und wenn man davon ausgeht, dass Tonalität eine wesentliche Voraussetzung für die Konstitution eines in sich geschlossenen Kunstwerks darstellt, dann würde das Systemganze der Tonart mit dem Ganzen der Komposition zusammenfallen oder zumindest korrelieren.

Wie bereits erwähnt, verstand Dahlhaus die harmonische Tonalität als einen historischen Gegenstand, der ästhetisch und wissenschaftlich hinreichend erschlossen sei. Methodisch sind seine Ausführungen daher ausschließlich auf die Betrachtung von Prinzipien und Regeln der harmonisch-tonalen Akkordverkettung ausgerichtet, keine einzige harmonisch-tonale Komposition wird analysiert (oder auch nur erwähnt). Diese methodische Vorentscheidung entbindet Dahlhaus von der Verpflichtung, die Vielfalt der harmonisch-tonalen Phänomene, die sich in den Kompositionen ausgebreitet finden, in seine Überlegungen einzubeziehen. Was für eine Untersuchung methodisch von Vorteil sein kann, verhindert aber unter Umständen die Triftigkeit ihrer Resultate. Zweifel daran, dass Dahlhaus die Entstehung der harmonischen Tonalität historisch angemessen erklärt, nähren die drastischen Vereinfachungen, die er sich in vielen seiner Beschreibungen von tonalen Regeln und Prinzipien glaubte leisten zu können und die einer empirischen Überprüfung kaum Stand halten. Vier Beispiele seien exemplarisch genannt:

Eine Stufenfolge IV-V-I oder eine Funktionenfolge wie S-D-T besagt nichts über die Stimmführung, die absurd sein kann, ohne die ›harmonische Logik‹ aufzuheben.[24]

In der ›Kardinal‹-Vorstellung des Autors, die aus diesem Satz spricht, dass nämlich die Stimmführung von der Konstitution harmonischer Logik ausgeschlossen sei, liegt der ›Kardinal‹-Fehler der Untersuchungen (mit nicht zu unterschätzenden Konsequenzen für die argumentative Richtigkeit vieler Passagen). Dass ›dieselbe‹ Stufe ihre harmonische Bedeutung wechselt, wenn sie in unterschiedliche Stimmführungskontexte eingebunden wird, hätte Dahlhaus spätestens 1952 aus Felix Salzers Schrift Structual Hearing[25] lernen können (wobei die Bedeutung, die sich ändert, nicht diejenige ist, die die Funktionstheorie beschreibt).

Es ist, wie erwähnt, eines der Kriterien tonaler Harmonik, dass die Kadenz T-S-D-T nicht zu T-D-S-T umgekehrt wird. […] Die Progressionen V-II (D-Sp), III-IV (in der Bedeutung Dp-S und nicht Tl-S) und III-II (Dp-Sp) werden ebenso vermieden wie V-IV (D-S).[26]

Selbstverständlich lassen sich alle genannten Stufenfolgen, die angeblich vermieden werden, durch Beispiele in der Literatur belegen (und man kann Dahlhaus wohl kaum von dem Vorwurf befreien, er habe solche Beispiele nicht kennen können). Doch sind die rigiden Aussagen nicht nur im Einzelnen falsch, sie werden (als abstrakte Regeln) der Aufgabe einer qualifizierten Bestimmung harmonisch-tonaler Phänomene nicht im Mindesten gerecht. Wer die harmonische Bedeutung von Stufenfolgen kennenlernen möchte, muss die syntaktischen und formalen Verhältnisse der Kompositionen kennen, für deren Erreichen Satztechnik und Harmonik als Mittel dienen. Dann erst weicht die verzerrende Dichotomie zwischen Akkordprogressionen, die es angeblich gibt, und anderen, die angeblich vermieden werden, einer differenzierten Sicht auf Kontexte (aus denen dann ersichtlich wird, warum im einen Fall die harmonische Folge T-D-S-T, im anderen jedoch T-S-D-T sinnvoll ist).

Den Kontrapunktregeln entzieht sich erst der Septakkord der V. Stufe. Er ist im allgemeinen nicht als Synkopen- und auch nicht als Durchgangsdissonanz erklärbar: nicht als Synkopendissonanz, weil er unbetont ist, und nicht als Durchgangsdissonanz, weil die IV. oder die II. Stufe vorausgeht.[27]

Beide Behauptungen: dass der Septakkord der V. Stufe unbetont sei und dass ihm IV. oder die II. Stufe vorausgehe, stellen unzulässige Vereinfachungen dar.

Ob die Stufen II, III und VI als Nebenstufen aufgefasst wurden oder nicht, ist von zwei kompositionstechnischen Merkmalen ablesbar: von der Stellung der Akkorde im Takt und von den Fundamentschritten. Werden die Stufen II, III und VI regelmäßig oder in überwiegender Anzahl auf unbetonten Zählzeiten und durch Terzschritte des Fundaments exponiert, so sind sie als Nebenstufen gemeint. Ein Beispiel ist die III. Stufe in den Progressionen I-III-IV und I-III-V: Sie ist unbetonter Durchgangs- oder Antizipationsakkord und kann als ›Leittonklang‹ der Tonika – als Nebenform zu I – gedeutet werden, weil sie durch einen Terzschritt des Fundaments mit I verbunden ist.[28]

Auch hier gilt: Ohne Rekurs auf Beispiele, von denen konkrete satztechnische, syntaktische und formale Verhältnisse ablesbar sind, lässt sich über die harmonische Bedeutung irgendwelcher Akkordfolgen nichts Belastbares behaupten.

Mit anderen Worten: Es wird dem System harmonische Tonalität nicht gerecht, wenn es – wie von Dahlhaus – als Regelwerk typisierter Akkordfolgen erörtert und beschrieben wird, weil Akkordbedeutungen Teil des umfassenden ›Verweisungszusammenhangs‹ sind, als der die einzelne Komposition erscheint, und daher von satztechnischen, syntaktischen und formalen Umständen abhängen. Wenn es auch schwierig ist, die Vielfalt der harmonischen Funktionen, die innerhalb der Verweisungszusammenhänge entstehen können, theoretisch zu fassen, so darf man von einer Untersuchung über harmonische Tonalität doch erwarten, dass sie die Vielfalt zumindest in den Blick nimmt und nicht von vornherein eliminiert.

Die reduzierte Sicht der bereits zitierten, aber auch der folgenden Behauptungen fällt für die Beurteilung der Ergebnisse der Untersuchungen besonders negativ ins Gewicht, weil die Aussagen nicht als vorläufige ›thesenhafte‹ Statements gemeint sind, die durch spätere Differenzierung eingeholt werden, sondern als Argumente oder Belege dienen:

Dass tonale Harmonik die ›Molldominante‹ in Dur und die ›Dursubdominante‹ in Moll ausschließt, ist eines der Merkmale, an denen sie kenntlich ist.[29]

Oder auch:

Der moderne Hörer, dem die Kategorien der funktionalen Harmonik und Metrik zur zweiten Natur geworden sind, versteht die Tonika als Ziel der Dominante (Ganzschluß) oder die Dominante als Anhang der Tonika (Halbschluß); und zwar erscheinen ihm eine ›auftaktige‹ Gliederung, verbunden mit ›innerem Crescendo‹, und die Akkordfolge D-T als Norm, eine ›niedertaktige‹ Gliederung und die Akkordfolge T-D als Abweichung.[30]

* * *

Die eigentliche Frage dieses Kapitels, was Dahlhaus unter Tonalität verstanden hat, blieb in einer bestimmten Hinsicht bislang ungeklärt. Zweifellos wird das System der harmonischen Tonalität, dessen Entstehung rekonstruiert werden soll, im ersten Abschnitt der Untersuchungen dargestellt und erläutert. Ebenso eindeutig aber erfolgt die Darstellung der harmonischen Tonalität – wie bereits erwähnt – als Auseinandersetzung mit bestehenden Theorien (allen voran mit denjenigen von Riemann und Fétis). Ist die dargelegte Vorstellung von Tonalität daher nur eine zitierte, die Dahlhaus lediglich vorstellt und kritisiert, oder entspricht sie seiner eigenen Überzeugung? Die Antwort auf diese Frage ist relevant für die Beurteilung dessen, ob der sich andeutende ›dogmatische Standpunkt‹ der harmonischen Tonalität, von dem Dahlhaus aus argumentiert, eine basale Instanz der Untersuchungen darstellt oder nicht.

In der Tat lässt eine detaillierte Lektüre der Schrift ein verschwiegenes Bekenntnis von Dahlhaus zur Funktionstheorie Hugo Riemanns erkennen, an der er allerdings zahlreiche Korrekturen anbringt – so viele, dass man beinahe von einer eigenen Variante der Funktionstheorie bei Dahlhaus sprechen könnte. Das Bekenntnis lässt sich nur indirekt erschließen, und zwar anhand eben jener Korrekturen: Diejenigen Annahmen, die Dahlhaus den Korrekturen als Begründung zugrunde legt oder die sie leiten, stellen seine eigene Überzeugung dar, weil er sie für wahr hält.

1.

Zu den Irrtümern, von denen Riemanns, aber auch Hauptmanns Theorie zu befreien sei, gehöre der harmonische Dualismus. Der Einwand gegen den Dualismus gründet auf die Beobachtung, dass ›durale‹ und ›mollare‹ Stücke harmonisch analog angelegt seien (die analoge Stufen-Verwendung in Dur- und Moll-Tonarten nennt Dahlhaus im folgenden Zitat »Parallelismus«): »Denn unleugbar ist der Parallelismus zwischen Dur und Moll, den Hauptmann verkennt, eines der fundierenden Momente der tonalen Harmonik.«[31]

2.

Auf Seite 38 kündigt Dahlhaus an, die Funktionstheorie in einigen zentralen Gedanken umzuformulieren:

Die Selbständigkeit der II. Stufe wird von der Stufentheorie behauptet, von der Funktionstheorie geleugnet. Und der Unterschied läßt sich, wie eine Analyse des Funktionsbegriffs zeigen wird, nicht durch eine Korrektur der Stufentheorie, sondern nur durch die Umformulierung der Funktionstheorie auflösen. Zugleich wird deutlich werden, daß der Funktionsbegriff von Riemanns Methode, die Nebenstufen zu dissonierenden Varianten der Hauptstufen zu degradieren, getrennt werden kann, so daß es möglich wird, am Stufenbegriff festzuhalten, ohne den Funktionsbegriff preiszugeben.[32]

»Riemanns Methode, die Nebenstufen zu dissonierenden Varianten der Hauptstufen zu degradieren«[33], wird durch eine Qualifikation der Stufenrelationen ersetzt, in der sich angeblich eine Erfahrung niederschlägt, »die der Funktionstheorie zugrundeliegt«:

Die Erfahrung, die der Funktionstheorie zugrundeliegt, läßt sich am einfachsten durch den Satz ausdrücken, daß Akkorde im Quint- oder Sekundabstand funktional different und Akkorde im Terzabstand funktional indifferent sind.

Daß der Quintschritt das konstitutive Moment tonaler Zusammenhänge sei, ist der Fundamentalsatz der Stufentheorie. Allerdings verkannte Riemann, daß nicht die Verwandtschaft, sondern die funktionale Differenz zwischen Akkorden im Quintabstand entscheidend ist und daß ein Sekundabstand eine ähnliche Differenz begründet wie ein Quintabstand.[[34]]

Erst die Voraussetzung, daß Akkorde in Quint- oder Sekundabständen funktional different und Akkorde in Terzabständen funktional indifferent sind, läßt den Fundamentalsatz der Funktionstheorie, daß die Anzahl der tonalen Funktionen auf drei beschränkt sei, verständlich werden.[35]

Die Korrektur – gleichermaßen von Stufen- und Funktionstheorie – geschieht von einem Standpunkt, der an beiden Theorien vorbei auf die ›Wirklichkeit‹ harmonisch-tonaler Verhältnisse blickt.

3.

Von demselben Standpunkt aus befreit Dahlhaus die (für ihn zentrale) Einsicht der Funktionstheorie in die Differenz zwischen Stufe und Funktion von verbreiteten Inkonsequenzen. Die Inkonsequenz bestehe darin, dass beispielsweise in der Chiffre Tp der Buchstabe T die Funktion, das p jedoch eine von der eigentlichen Funktion T abweichende Akkordvariante bezeichne. Konsequent gedacht, müsste jedoch gelten:

Funktionen sind nicht an Stufen und Stufen nicht an Funktionen gebunden – ein Sachverhalt, den die Gewohnheit, Funktionschiffren als Zeichen für Stufen zu benutzen, verdeckt.[36]

Daraus folgt,

daß die Bedeutung einer Akkordstufe vom Kontext abhängt, also nicht feststeht, sondern wechselt, ohne dass ›moduliert‹ würde.[37]

Diese Kontextabhängigkeit betreffe Haupt- und Nebenstufen, und an ihr sei auch die Metrik als konstituierendes Moment beteiligt. So entscheide bei den Nebenstufen oft die Position des Erscheinens über die Bedeutung:

Nicht nur die III. und die VI. Stufe, die in Dur entweder als Parallelen der Dominante und der Tonika oder als ›Leittonwechselklänge‹ der Tonika und der Subdominante fungieren, sondern auch die II. und die I. Stufe sind doppeldeutig; die II. Stufe changiert in der Akkordfolge I-II-V-I zwischen den Funktionen der Subdominantparallele und der Dominante der Dominante, die I. Stufe als Anfang der Kadenz I-IV-V-I zwischen den Funktionen der Tonika und der Dominante der Subdominante. […]

In C-Dur ist der e-Akkord in der Progression C-e-G eher ›Leittonwechselklang‹ der Tonika und in der Umkehrung G-e-C eher ›Parallele‹ der Dominante.[38]

Bei aller Fragwürdigkeit der Interpretationen im Einzelnen breitet Dahlhaus hier ein radikales Verständnis von Funktionalität aus, das er keiner Funktionstheorie entnommen haben kann und das er folglich seiner eigenen ›dogmatischen Denkweise‹ verdankt.

4.

Aus demselben Grund kann Dahlhaus eine Prämisse der Funktionstheorie korrigieren, der zufolge »die Skala nicht als Voraussetzung und tragende[r] Grund der Tonart, sondern als Resultat einer Zerlegung der Funktionsakkorde« erscheint.[39] Denn die Skala kann unmöglich ein abhängiges Moment in der harmonischen Tonalität darstellen, weil umgekehrt die Fundierung des Akkordbestandes einer Tonart allein durch die Funktionsbeziehungen unliebsame Folgen zeitigt:

Der Tonart als geschlossenem Akkordbestand muß also außer dem funktionalen ein ›materiales‹ Prinzip zugrundeliegen, das erklärt, warum der h-Moll-Akkord aus der Tonart [C-Dur] herausfällt, obwohl die Funktionstheorie ihn postuliert, und warum die III. Stufe, deren Bedeutung der Begriff der ›Dp‹ nicht adäquat ausdrückt, einen Teil des Akkordbestandes der Tonart bildet. Und das ›materiale‹ Prinzip kann in nichts anderem als der Skala – der Diatonik – bestehen. Auch die Funktionstheorie ist also, um die Geschlossenheit des Akkordbestandes erklären zu können, gezwungen, die Skala vorauszusetzen.[40]

Dahlhaus konfrontiert das theoretische Gebäude der Funktionstheorie mit der ihm erschlossenen ›Wirklichkeit‹.

Zwei weitere Passagen bei Dahlhaus, die nicht einer Korrektur der Funktionstheorie dienen, lassen auf dezidiert eigene Vorstellungen von harmonischer Tonalität schließen:

A. Für Dahlhaus stellt der Bezug der Töne und Akkorde auf einen Grundton oder einen Grundakkord ein essentielles Moment der harmonischen Tonalität dar:

Der Verzicht auf das definierende Merkmal ›Zentrierung‹ läßt ›Tonalität‹ zu einer generellen Bezeichnung für Tonbeziehungen verblassen; ›Tonalität‹ und ›Tonsystem‹ werden synonyme Ausdrücke.[41]

Von dieser und einigen anderen Stellen lässt sich erschließen, wie Dahlhaus sich das Verhältnis zwischen Tonsystem und Tonalität denkt. Ein Tonsystem

bezeichnet einerseits eine ›Materialleiter‹, den Bestand von Tönen, über den eine musikalische Praxis verfügt, andererseits eine musikalische Anschauungsform, die ein Material von Tönen zu einem Komplex von Tonbeziehungen werden läßt.[42]

Das Dahlhaus’sche Tonsystem ist ein abstraktes Potential (ein ›Medium‹ im Sinne Niklas Luhmanns), das die ›basics‹ aller möglichen musikalischen Zusammenhänge enthält, ohne bereits konkrete Arten des Zusammenhangs zu realisieren (dies geschieht durch die einzelnen Kompositionen). Ein solches ›basic‹ wäre beispielsweise die große Terz, die als unmittelbare Tonbeziehung und nicht als Ditonus verstanden wird, oder die Quintrelation, die als enge Verwandtschaft gilt. Aus diesem Tonsystem kann gleichermaßen eine Musik wie die beschriebene von Monteverdi hervorgehen oder eine harmonisch tonale.

Daraus erhellt sich, dass harmonische Tonalität für Dahlhaus eine konkrete Inanspruchnahme des Tonsystems darstellt, eine solche, bei der bestimmte Akkordrelationen als Darstellung einer Tonart verstanden werden können. Die besonderen harmonisch-tonalen Relationen, die sich auf der Basis des Tonsystems konstituieren können, sind durch Dynamik gekennzeichnet:

Zwischen Akkorden mit Subdominant- und Dominantfunktion besteht eine Spannung, die zur Auflösung in die Tonika drängt. Sie kann durch Dissonanzen, durch die Sexte über dem Subdominant- und die Septime über dem Dominantklang, deutlicher ausgeprägt werden, ist aber nicht in ihnen begründet.[43]

Dass Akkorde ›Funktionen‹ ausprägen, meint dasselbe wie: An ihnen wird eine dynamische Strebetendenz erkennbar. Drängt innerhalb einer Quintbeziehung der quinthöhere Akkord zur Auflösung in den quinttieferen, dann ist der drängende eine Dominante, drängt umgekehrt der quinttiefere zur Auflösung in den quinthöheren, dann ist der erste Akkord eine Subdominante. Und eine Folge Subdominante-Dominante liegt dann vor, wenn die Akkorde nicht unmittelbar zueinander streben, sondern zu einem dritten.

B. Die ›harmonische Tonalität‹, die Dahlhaus untersucht, ist der Inbegriff lokaler, dynamischer Akkordverbindungen, deren Zentrum die Tonika bildet. Ist kein Akkord als Tonika erkennbar (fehlen also die charakteristischen ›Auflösungsspannungen‹), setzt Tonalität aus. Der Beginn etwa des ›Dissonanzenquartetts‹ von Mozart wäre für Dahlhaus erst von Takt 12 an tonal, weil dort zum ersten Mal ein Akkord mit identifizierbarer tonaler Strebetendenz zu hören ist (zuvor würde der musikalische Konnex allein durch einen Intervallsatz hergestellt). Zwei Stellen der Untersuchungen belegen diese Auffassung von Tonalität.

a. Die erste betrifft die Akkordfunktionen innerhalb einer vollständigen, nicht-modulierenden Quintfallsequenz. Obwohl die Quintfallsequenz ein einfaches satztechnisches Modell darstellt, führt eine funktionale Interpretation, die von der Unterscheidung zwischen differenten und indifferenten Stufenabstände ausgeht, zu einem widersprüchlichen Ergebnis. Einerseits impliziert jeder Quintfall (als differenter Stufenabstand) einen Funktionswechsel, andererseits führt ein konsequenter Funktionswechsel mit jedem Akkord zu einem absurden Ergebnis: Die I. Stufe am Ende der Folge I-IV-VII-III-VI-II-V-I besäße die Funktion Subdominante. Den ›Ort‹ des Problems sieht Dahlhaus bei der Stufenfolge III-VI. »Eine funktionale Interpretation [müßte] den Stufen III und VI der Dur-Sequenz Tonikafunktion zuschreiben.«[44] Zu diesem Ergebnis kommt Dahlhaus nicht etwa durch ein Kalkül (etwa durch die Überlegung, dass sich III. und VI. Stufe gemeinsam als Tonika interpretieren lassen; Ähnliches würde auch für andere Stufenfolgen gelten: VII-III als D7-Dp und VI-II als Sg-Sp), sondern aufgrund des Höreindrucks: Im Kontext einer Quintfallsequenz klingt die Stufenfolge III-VI, obwohl ein Quintfall, wie eine funktional indifferente Akkordverbindung. Darum die (gelegentlich missverstandene[45]) Conclusio: »Eine Theorie aber, die gerade dort versagt, wo auch das Phänomen, das sie erklären soll, ins Vage und Unbestimmte gerät, darf als adäquat gelten.«[46] Die Funktionstheorie beweist ihre Pertinenz auch dadurch, dass an Stellen, die keine klaren Funktionscharaktere aufweisen, die Möglichkeiten einer widerspruchsfreien Erklärung versagen.

b. Wie bereits erwähnt, begründet in der modalen Mehrstimmigkeit bereits die Intervallprogression einen musikalischen Konnex, ohne dass die Zusammenklänge einen Tonartenbezug erkennen lassen müssten (der Tonartbezug wird in der Modalität durch melodische Eigenschaften der Einzelstimmen hergestellt). Nun stellt Dahlhaus zu Recht fest:

Doch stehen sich die Systeme [Intervallprogression und harmonische Tonalität] nicht in starrer Ausschließlichkeit gegenüber. Reste von Intervallprogressionen ohne Grundton überleben in der tonalen Harmonik und werden zu Schwierigkeiten für die Theorie.[47]

Warum aber bereiten Überbleibsel der ›kontrapunktisch regulierten‹ Musik in harmonisch-tonaler Musik einer Theorie der harmonischen Tonalität Schwierigkeiten? Immerhin hat es bereits vor den Untersuchungen Ansätze gegeben, die den kontrapunktisch regulierten Tonsatz als ein Fundament auch der harmonischen Tonalität verstehen. Ein Problem können ›kontrapunktische Relikte‹ doch nur dann bereiten, wenn die betreffende ›Theorie‹ den musikalischen Konnex einer harmonisch tonalen Komposition allein im (unmittelbar wahrzunehmenden) Tonikabezug garantiert sieht. Dann nämlich muss die Theorie dort, wo der lokale Tonikabezug suspendiert ist (und insofern Tonalität insgesamt aussetzt), entweder die Existenz eines musikalischen Konnex leugnen oder aber ihren Anspruch darauf, eine umfassende Theorie des musikalischen Zusammenhangs darzustellen, aufgeben. Tatsächlich heißt es bei Dahlhaus zu einem entsprechenden Beispiel, dass der Akkordzusammenhang dort nur zu erklären sei, »wenn man Intervallprogressionen ohne Grundton […] als klangverbindendes Moment neben der ›Basse fondamentale‹ gelten läßt.«[48] Dass Intervallprogression ohne Grundton und ›Basse fondamentale‹ wie einander ausschließende Alternativen behandelt werden, bedeutet, dass Dahlhaus keinen harmonisch-tonalen Konnex jenseits des Tonikabezugs kennt.

* * *

Die geäußerte Kritik an den Untersuchungen verleugnet nicht, dass die Musiktheorie des ausgehenden 20. Jahrhunderts dieser Schrift die wichtigsten Anregungen und Impulse verdankt. Zudem ist die reduzierte Vorstellung von Tonalität, die Dahlhaus seinen Überlegungen zugrunde gelegt hat, ›aus der Zeit‹ heraus durchaus verständlich:

  • Die Beiträge einer Sektion zur Tonalität auf dem Leipziger Kongress von 1966[49] machen deutlich, dass beim Thema Tonalität immer nur von allgemeinen Normen und Regeln die Rede gewesen ist, über deren grundsätzliche Richtigkeit nicht gestritten werden musste.

  • Es ist durchaus als ein Verdienst anzusehen, dass Dahlhaus eine Perspektive aufgezeigt hat, wie über einen Gegenstand, der sich primär einer ›dogmatischen Denkform‹ erschließt, auch vom Standpunkt des Historikers aus präzise Aussagen getroffen werden können. Dazu war es notwendig, Wege zu bahnen, auf denen der Historiker, der die Existenz von Auffassungen in der Vergangenheit nachweisen möchte, ähnlich überzeugend argumentieren kann wie der Dogmatiker, der die Relevanz von Auffassungen in der gegenwärtigen ästhetischen Begegnung mit Kompositionen (der Vergangenheit) begründet. Die Vereinfachung der Vorstellungen von harmonischer Tonalität bildet eine Voraussetzung für die Möglichkeit einer solchen Argumentation. Paradoxerweise ist die Dogmatik der harmonischen Tonalität bei Dahlhaus schwach, wenn es um das ›dogmatische Verständnis‹ harmonisch-tonaler Kunstwerke geht, aber stark, wenn der Historiker mit ihr die Thesen seiner Kollegen widerlegt.

Anmerkungen

1

Dahlhaus 2000/GS1, 27 (Hervorhebungen original).

2

Ebd. 35.

3

Vgl. Dahlhaus 2001b/GS3.

4

Dahlhaus 2001a/GS3.

5

Dahlhaus 2000/GS1, 27.

6

Vgl. Rothacker 1954.

7

Ebd., 11ff.

8

Ebd., 36.

9

Ebd., 36.

10

Ebd., 36f.

11

Dahlhaus 2001/GS3, 57.

12

Dahlhaus 2000/GS1, 27.

13

Dahlhaus 2001/GS3, 59.

14

Dahlhaus/Zimmermann 1984, 426.

15

Dabei muss die Richtigkeit der historischen Hypothese, dass zwischen einem heutigen Zuhörer einer Haydn-Sinfonie und einem solchen aus dem 18. Jahrhundert Unterschiede in den Hörgewohnheiten bestehen können, nicht geleugnet werden. Vielmehr gilt, dass die Hypothese erst dann wissenschaftliche Relevanz erlangt, wenn konkrete Differenzen zwischen heutigen und damaligen Hörgewohnheiten beobachtet werden können, und für einen Vergleich zwischen unterschiedlichen Hörgewohnheiten ist es unabdingbar, dass der Beobachter beide zu vergleichenden Gewohnheiten als ›dogmatische Standpunkte‹ einnehmen kann – was bei vergangenen Hörgewohnheiten nur heißen kann: Der eingenommene Standpunkt muss mit Kriterien eines als historisch geltenden Zugangs ausgestattet sein, die allgemein akzeptiert sind.

16

Solches findet sich etwa in Schmidt 2004.

17

Dahlhaus 2001/GS3, 81.

18

Wie der Blick in Schmidt 2004 zeigen könnte, sehen Ergebnisse, die von einem radikal ›dogmatischen Standpunkt‹ aus getroffen werden, charakteristisch anders aus.

19

Vgl. Anm. 3.

20

Dahlhaus 2001a/GS3, 108.

21

Ebd., 92.

22

Vgl. ebd.

23

Auch an dem Gedanken vom musikalischen Konnex durch Intervallprogression ließe sich leicht aufzeigen, dass er das Ergebnis einer Limitation ist. Denn der Konnex harmonisch-tonaler Kompositionen beruht ebenfalls primär auf Intervallprogression. Nur kommt an dieser Progression außerdem ein funktionaler Zusammenhang durch Tonartdarstellung zustande. Die Intervallprogression ist ein Mittel oder eine Voraussetzung für Tonalität. Die These vom alleinigen Konnex durch Intervallprogression in mehrstimmiger modaler Musik hat nur im Blick, dass durch die Intervallprogression nicht eine harmonische Tonart dargestellt wird, und folgert daraus, dass sie ihren Zweck in sich haben müsse. Sie beobachtet Intervallprogression und schließt harmonische Tonalität aus. Nach einem möglichen alternativen Zweck wird nicht gefragt (er würde die Entwicklung oder Rekonstruktion einer eigenen ›dogmatischen Denkform‹ voraussetzen). Der Gedanke an eine solche Alternative liegt jedoch nahe, wenn man beobachtet, dass die Motetten Josquins und Lassos extrem unterschiedlich klingen, obwohl ihre Mehrstimmigkeit doch gleichermaßen auf ›kontrapunktisch regulierter‹ Intervallprogression beruht.

24

2001/GS3, 65.

25

Salzer 1952.

26

Dahlhaus 2001/GS3, 62.

27

Ebd., 61.

28

Ebd.

29

Ebd.

30

Ebd., 100.

31

Ebd., 184.

32

Ebd., 38.

33

Ebd.

34

Hier wäre zu ergänzen, dass nach Dahlhaus eine Folge von zwei Akkorden im Sekundabstand durch einen dritten Akkord vermittelt werden muss, der zu den beiden vorherigen im Quintabstand steht (vgl. hierzu beispielsweise ebd., 91).

35

Ebd., 55.

36

Ebd., 229.

37

Ebd.

38

Ebd.

39

Ebd., 155.

40

Ebd., 156.

41

Ebd., 21f.

42

Ebd., 159.

43

Ebd., 228.

44

Ebd., 56.

45

Vgl. Daniel 2000, 57.

46

Dahlhaus 2001/GS3, 56.

47

Ebd., 67.

48

Ebd.

49

Vgl. Dahlhaus/Kluge/Meyer/Wiora 1970.

Literatur

Dahlhaus, Carl (2000/GS1), »Grundlagen der Musikgeschichte«, in: Allgemeine Theorie der Musik I. Historik – Grundlagen der Musik – Ästhetik (= Gesammelte Schriften 1), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber, 11–155 [Erstdruck: Köln: Gerig 1977].

––– (2001/GS3), Alte Musik. Musiktheorie bis zum 17. Jahrhundert – 18. Jahrhundert (= Gesammelte Schriften 3), hg. von Hermann Danuser in Verbindung mit Hans-Joachim Hinrichsen und Tobias Plebuch, Laaber: Laaber.

––– (2001a/GS3), »Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität« (= Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft 2), in: ––– 2001/GS3, 11–307 [Erstdruck: Kassel u.a.: Bärenreiter 1967].

––– (2001b/GS3), »›Ecco mormorar l’onde‹. Versuch, ein Monteverdi-Madrigal zu interpretieren«, in: ––– (2001/GS3), 474–492 [Erstdruck in: Chormusik und Analyse. Beiträge zur Formanalyse und Interpretation mehrstimmiger Vokalmusik, hg. von Heinrich Poos, 2 Bde., Mainz: Schott 1983, 139–154].

––– / Reiner Kluge / Ernst H. Meyer / Walter Wiora (Hg.) (1970), Bericht über den internationalen musikwissenschaftlichen Kongress Leipzig 1966, Kassel u.a.: Bärenreiter.

––– / Michael Zimmermann (Hg.) (1984), Musik zur Sprache gebracht, München/Kassel: dtv und Bärenreiter.

Daniel, Thomas (2000), Der Choralsatz bei Bach und seinen Zeitgenossen, Köln: Dohr.

Rothacker, Erich (1954), Die dogmatische Denkform in den Geisteswissenschaften und das Problem des Historismus (= Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse Jahrgang 1954, Nr. 6), Mainz: Verlag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz.

Salzer, Felix (1952), Structural Hearing. Tonal Coherence in Music, New York: Charles Boni.

Schmidt, Christopher (2004), Harmonia modorum. Eine gregorianische Melodielehre, Sonderband der Reihe Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis, Publikationen der Schola Cantorum Basiliensis, Hochschule für Alte Musik, Winterthur: Amadeus.

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