Scharenberg, Sointu (2011), »Let’s talk about music!«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 8/1, 35–36. https://doi.org/10.31751/614
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 14/06/2011
zuletzt geändert / last updated: 23/07/2012

Let’s talk about music!

Sointu Scharenberg

Die Diskussion ist nicht neu: musica mundana, humana und instrumentalis beanspruchten mindestens seit der Antike jede für sich, zu – je unterschiedlichem – Erkenntnisgewinn beizutragen, weshalb gut überlegt sein wollte, welchem Mitglied der Gesellschaft der Zugang zu welcher Weltsicht in wieweit nützen oder schaden würde. Platon erkennt, dass diejenigen, die über die Grundlagen des Instrumentalspiels hinaus zu künstlerischer Gestaltung fortschreiten wollen, hierfür wohl das Gros ihrer Lebenszeit benötigen würden, kontinuierliches Üben würde kontinuierliches Staatsdenken verhindern – jedem seine Profession.

Und so ein wenig Platon scheint noch immer die Diskussion zu beeinflussen. Während in anderen Disziplinen längst das Miteinander und Aufeinander-Zu praktiziert wird, steht innerhalb der Musikhochschulen nicht selten eine Art Besitzstandswahrung im Weg: Was ist wichtiger für den künftigen Schulmusiker? Ein gutes musikwissenschaftliches Fundament? Eine fundierte Einsicht in die musiktheoretischen Zusammenhänge? Eine didaktisch-methodische Basis auf aktuellem Stand?

Manchmal hilft in solchen Fällen ein Blick auf die Wissenschaftstheorie weiter: Auf welcher Ebene ist solch ein ECTS-Punkte-gestütztes (oder -verbrämtes?) Tauziehen um die studentische Aufmerksamkeit eigentlich angesiedelt? Der Soziologe Rudolf Stichweh hat eine – wie ich finde, vielfältig einsetzbare – Definition für den Begriff der Disziplin veröffentlicht[1], die Dagmar Simon wie folgt paraphrasiert hat:

Er [Stichweh] charakterisiert eine Disziplin als einen homogenen Kommunikationszusammenhang, einen akzeptierten Korpus wissenschaftlichen Wissens und als Set von Fragestellungen, Forschungsmethoden sowie paradigmatischen Problemlösungen. Ferner muss die angestrebte Karriere spezifisch für diese Disziplin sein. Und auch die berufliche Sozialisation des wissenschaftlichen Nachwuchses hat durch die eigenen Institutionen zu erfolgen.[2]

Demzufolge handelt es sich bei den drei vorgeblichen ›Disziplinen‹ Musikwissenschaft, Musiktheorie und Musikpädagogik allenfalls um ›Subdisziplinen‹ – aber sub wozu?

Versuchen wir es einmal mit einer Kompetenz: Das Studium der Schulmusik sollte (hier besteht vermutlich Einigkeit) zur sowohl künstlerisch-praktisch als auch theoretisch vertieften Einsicht in die Gestaltung von Musik, ihre historischen und aktuellen Bezugssysteme und ihre Vermittlung als Teil der kulturellen Kompetenz führen, die eine aktive Teilnahme am kulturellen Leben auch in seinen politischen Zusammenhängen ermöglicht.

Sowohl die Fragestellungen als auch die Gegenstände, mit denen sich die drei Subdisziplinen beschäftigen, überschneiden sich – je nach Erkenntnisinteresse. Und gerade diese Überschneidungsfelder bieten (im Übrigen ausreichend viele) Möglichkeiten, um die Vielfalt der Perspektiven für einen vertieften Einblick nutzbar zu machen. Kompositionen sind Ideengebäude und lebendiger Auseinandersetzung mit der Geschichte (damit auch der Gegenwart) verpflichtet. Ebenso müssen sich die Fragestellungen im Wechsel zwischen tradierten Erkenntnissen und neugieriger Suche bewegen. Sich hier auf die vorgebliche Sicherheit eines Methodenrepertoires der einen oder anderen Subdisziplin verlassen zu wollen, würde dem komplexen Phänomen Musik sicher nicht gerecht. – Überflüssig zu erwähnen, dass diese Überlegungen sowohl für das Studium als auch für das anschließende Berufsleben gelten, das u.a. auch in Schule stattfinden kann, denn das Staatsexamen beendet nicht den Prozess des Kennenlernens und Eroberns und ›situationshalber anwesende Schüler‹ (übrigens durchaus lieber anders herum zu lesen: ›situationshalber anwesende Lehrer‹) stören ihn nicht, sondern befördern ihn bestenfalls durch häufig ungeschütztere, unvermitteltere Fragen.

Wie schreibt Stichweh? Eine Disziplin kennzeichnet sich u.a. durch einen homogenen Kommunikationszusammenhang. »Let’s talk about music!«

Literatur

Stichweh, Rudolf (Hg.) (1994), Wissenschaft, Universität, Professionen. Soziologische Analysen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Simon, Dagmar, »Was macht ein Fach zu einer wissenschaftlichen Disziplin? Welches sind die Kriterien?«. http://www.wissenschaft-im-dialog.de/aus-der-forschung/wieso/detail/browse/4/article/was-macht-ein-fach-zu-einer-wissenschaftlichen-disziplin-welches-sind-die kriterien.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=87&cHash=caf1363e08

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