Hugo Distlers früher Vokalkontrapunkt
Versuch einer ›Genealogie‹ der Satztechnik[1]
Christian Strinning
Hugo Distlers früher Vokalkontrapunkt ist zwar grundlegend für dessen Bekanntheit, gerade dafür aber verhältnismäßig wenig erforscht. In der vorliegenden Studie werden ausgehend von Dokumenten aus Distlers Leipziger Studienzeit bekannte Stilmerkmale um weitere ergänzt. Dabei werden insbesondere in Hermann Grabners Der lineare Satz und in den entsprechenden Kontrapunktaufgaben Distlers, aber auch in Das Organistenamt von Günther Ramin Keimzellen einiger satztechnischer Eigenheiten des Stils gefunden.
Hugo Distler’s early vocal counterpoint — although fundamental to his fame — has been comparatively little researched. In the present study, documents from Distler’s time as a student in Leipzig are used as a basis for adding further stylistic features to those already known. In particular, Hermann Grabner’s Der lineare Satz and Distler’s corresponding counterpoint exercises, but also Günther Ramin’s Das Organistenamt are shown to contain the origins of some of the peculiarities of his contrapuntal technique.
Ausgangslage
Hugo Distler ist in Kreisen der Kirchen- und Chormusik zwar durchaus bekannt, über Art und Herkunft seines Stils weiß man aber noch verhältnismäßig wenig. Wichtige Stilmerkmale wurden zuletzt unter anderem von Mark Jerome Bergaas (1978), Friedrich Neumann (1979), Angela Sievers (1989), Stefan Pontz (1990), Dirk Lemmermann (1996) und Winfried Lüdemann (2002) benannt. Über diese analytischen Annäherungen hinaus bleibt allerdings gerade zur Satztechnik des frühen Vokalkontrapunkts, auf dem Distlers Ruhm hauptsächlich gründet, noch einiges zu sagen.
Dies ist einerseits sicher dem Umstand geschuldet, dass sowohl die kompositorische als auch die analytische und methodisch-didaktische Auffassung von Kontrapunkt im frühen 20. Jahrhundert im Wandel war[2] und dass sich Distler, anders als Zeitgenossen wie Paul Hindemith[3]und Ernst Pepping[4], nie in einer eigenen Kontrapunktlehre diesbezüglich geäußert hat. Es gibt zwar eine Funktionelle Harmonielehre (1941), diese geht aber »über ihren im Titel bezeichneten Gegenstand kaum hinaus«[5] und eignet sich nicht für eine Beurteilung früher Motetten wie etwa in der Sammlung Der Jahrkreis von 1933. Fakt ist, dass Gruppierungen wie die »Lübecker ›Jungen‹«[6] oder die »typischen Leipziger Komponisten«[7] in den Abhandlungen über die Musik des 20. Jahrhunderts neben der Avantgarde bisher kaum Platz gefunden haben. Das teilweise in dieser Marginalisierung begründete Fehlen einer eigenen Analysetradition erschwert die Auseinandersetzung mit der Musik Distlers bis heute.
Wolfgang Herbst bemerkt, dass der politische Kontext, »in den er [Distler] sich zwar eingefügt hat, der ihm aber auch zu schaffen gemacht hat«, nicht ohne Einfluss auf Hugo Distlers Schaffen geblieben ist,[8] und Sven Hiemke stellt fest, »daß sich Distlers Ästhetik und die nationalsozialistische Kunstanschauung in zentralen Punkten deckten oder zumindest berührten.«[9] Distlers Hinwendung zu einer »volkhaften, allgemeinverständlichen, lapidaren, ebenso primitiven wie eindringlichen Sprache«[10] geht wohl auch auf seine Studienzeit in Leipzig zurück. Sein Orgellehrer Günther Ramin verkehrte mit ranghohen NS-Funktionären.[11] Distlers Tonsatz- und Kompositionslehrer Hermann Grabner hatte noch über das Studium hinaus großen Einfluss auf seine Kompositionsästhetik[12] und entschied sich 1932 »für einen von den aufstrebenden Nationalsozialisten propagierten volkstümlichen, diatonischen Stil.«[13]
Im Folgenden steht die Frage im Zentrum, unter welchen Bedingungen Distler seinen frühen Vokalstil entwickelt hat. Dabei geht es nicht primär um eine Aufarbeitung politischer Einflüsse der Leipziger Studienzeit und der frühen Lübecker Jahre, sondern zunächst darum, herauszuarbeiten, was seinen Vokalkontrapunkt ausmacht und was davon auf Lehrer wie Grabner oder Ramin zurückgeht: Inwiefern geben Grabners Lehrbuch Der lineare Satz und andere Dokumente aus Distlers Leipziger und Lübecker Zeit Aufschluss über satztechnische Eigenheiten in der Sammlung geistlicher Chorgesänge Der Jahrkreis op. 5? Oder umgekehrt: Was aus Distlers Studienzeit wird im Jahrkreis wie reflektiert? Im Fokus stehen dabei Satzmodelle, die typisch sind für die Musik des 16. und 17. Jahrhunderts, welche gemeinhin als Ausgangspunkt von Distlers Schaffen gilt.
Der Unterricht bei Hermann Grabner
Hugo Distler studierte ab Herbst 1927 in Leipzig Dirigieren, Klavier und im Nebenfach Tonsatz. Auf Anraten seines Tonsatzlehrers Hermann Grabner änderte er nach einem Semester seine Pläne und studierte ab 1928 Komposition bei Grabner sowie (neben Dirigieren) Orgel bei Günther Ramin.[14] Nach dem Tod seines Großvaters musste Distler sein Studium Ende 1930 aus finanziellen Gründen ohne Abschluss beenden.[15] Es folgte eine erste Anstellung als Organist an der evangelisch-lutherischen Kirche St. Jakobi in Lübeck.[16]
Der Unterricht bei Grabner handelte im Wesentlichen vom Kontrapunkt[17] und basierte ab 1930 ausschließlich auf dessen Lehrbuch Der lineare Satz.[18] Grabner selbst bestätigt, dass dieses auch die »Methode« zeige, »nach der Distler den Kontrapunktunterricht bei [ihm]« durchlaufen habe.[19] Im Lehrbuch positioniert sich Grabner gegen eine Methodik, welche »den Kontrapunktunterricht auf dem vierstimmigen harmonischen Satz aufbaut und durch kunstvolle Figuration ein kontrapunktisches Gefüge zu erreichen sucht«.[20] Vielmehr erscheint für Grabner »das Klangliche als Ergebnis des Nebeneinander [sic] der Linien«.[21] Mit diesem Begriff von Linearität, für den Ernst Kurths Schriften grundlegend sind, wendet er sich gegen Hugo Riemann (1888), nach dessen Methode er selbst bei Max Reger unterrichtet wurde. Denn während bei Kurth »der Kontrapunkt nicht harmonisch fundiert werden«[22] darf, sollte der oder die Studierende laut Riemann zumindest anfangs erst dann eine Gegenstimme schreiben, »wenn [er oder sie] fühlt (um nicht zu sagen ›weiß‹), wie [der cantus firmus] sich harmonisch-rhythmisch […] gliedert«.[23] Es handelt sich bei Grabners Lehrbuch aber nicht um eine praktische Umsetzung von Kurths Grundlagen des linearen Kontrapunkts (1917).[24] In vielem widerspricht er Kurth gar, und insbesondere in den Übungen findet sich auch einiges von Riemann wieder. Die offensichtlichste Abweichung von Kurth besteht darin, dass Grabner seinen Lehrgang zweiteilt. Vor dem instrumentalen Kontrapunkt wird der vokale Kontrapunkt behandelt:
Die Mängel, die Kurth dem Vokalen zuschreibt, wie die zu engen Grenzen und der geringe Stimmumfang sind eher als Vorzüge für eine methodische Entwicklung hinzustellen, während der Einwand, daß der Gesang mehr zu akkordlicher Schreibweise hinneigt, schon durch die Hochblüte der niederländischen vokalen Linearpolyphonie hinreichend widerlegt ist.[25]
Grabner scheint im Vokalen sowohl eine Art Vorübung zu sehen – »vom Vokalen zum Instrumentalen«[26] – als auch eine Notwendigkeit:
Erst später erkannte ich aus dem Studium Regerscher Vokalwerke, […] daß ein an Riemann geschulter Instrumentalstil unmöglich auf den Chor übertragen werden kann, und daß mir selbst eine kontrapunktische Schulung im Vokalstil vollkommen fehlte. […]
Wie Sie sehen, wurde ich aus eigenem Erlebnis zu der Erkenntnis geführt, daß, bei aller Würdigung Riemanns, doch seiner kontrapunktischen instrumentalen Methode unbedingt die vokale kontrapunktische Schulung vorausgehen müßte, und diese wiederum in einer dem genetischen Prinzip zufolge historischen Entwicklung […].[27]
Gegen dieses ›genetische‹ Prinzip verstößt in Der lineare Satz unter anderem der Rekurs auf Fux und seine fünf Gattungen, welche Grabner zumindest im zweistimmigen Vokalsatz noch durchführt. Er teilt zwar sowohl Riemanns als auch Kurths Einwände gegen Fux, gibt aber zu bedenken, dass die Erfahrung die »praktische Bewährtheit dieses Verfahrens in all jenen Fällen evident bewiesen [habe], in denen das Gefühl der klanglichen Beziehungen der Linien untereinander beim Studierenden noch nicht durch die Veranlagung gegeben war«.[28] Bei der Unterweisung ausreichend begabter Studierender konnte also von der Behandlung der ersten »primitiven Vorübungen« bis hin zu den »kleinen Imitationssätzen« abgesehen werden.[29] Es ist aber zu erwähnen, dass Grabner bei der Beurteilung der entsprechenden Kontrapunktübungen laut Berichten seiner Schüler durchaus streng war:
Hier allerdings verstand er [Grabner] in puncto Sorgfalt und Methodik keinen Spaß und konnte bei aller sonstigen Gelassenheit sogar recht empfindlich werden, wenn der Schüler in jugendlichem Überschwang sich etwa anmaßte, Richtlinien zu missachten, die ja schließlich nur zu seinem Besten dienten.[30]
Distlers Hausaufgaben aus dem Unterricht bei Grabner sind überliefert.[31] Die ersten Übungen im vokalen Kontrapunkt sind auf den Seiten 1–16 zu finden. Sechs von diesen Seiten sind mit »Hausaufgaben« versehen[32] und teilen die Übungen in entsprechende sechs Unterrichtseinheiten. In der ersten geht es um die Struktur und die elementaren Charakteristika der Kirchentonarten,[33] in der zweiten um die Erfindung isometrischer Linien,[34] in der dritten um zweistimmige Aufgaben erster und zweiter Gattung,[35] in der vierten um zweistimmige Aufgaben dritter, vierter und fünfter Gattung,[36] in der fünften um imitatorische Sätze zu vorgegebenen Texten[37] und in der sechsten um Imitationssätze über gegebene Choräle.[38] Darauf folgen Übungen im instrumentalen Kontrapunkt zu Riemannschen cantus firmi. Den eigentlichen Aufgaben ist jeweils eine Darstellung der zu befolgenden Regeln vorangestellt. Distler gibt zu Beginn in Worten,[39] später vornehmlich in Notenbeispielen und Beispiellösungen[40] im Großen und Ganzen den Inhalt der entsprechenden Kapitel in Der lineare Satz wieder.
Zunächst fällt das hohe Tempo auf, in dem der Lehrer mit seinem Schüler voranschritt. Die ersten beiden Unterrichtslektionen sind mit dem 21. und 28. September 1927 überschrieben.[41] Die folgenden Hausaufgaben sollten für den 30. September gelöst werden,[42] die Übungen der sechsten Unterrichtseinheit wiederum für den 25. Oktober 1927.[43] Dass der ein- bis zweistimmige Vokalsatz in lediglich fünf Wochen abgehandelt wurde, lässt zunächst vermuten, dass die gestellten Aufgaben Distler keine Mühe bereitet haben. Dem ist aber nicht so: Alle Bögen zeigen mehr oder weniger deutliche Spuren von Korrekturen. Bemerkenswert ist dabei, dass trotz der Korrekturen eine akzeptable Lösung oft fehlt. Teils harsche Verstöße gegen Grabners Anweisungen sind unangetastet geblieben und wiederholen sich gar in späteren Aufgaben.
Abbildung 1: Distler, Kontrapunkt, Aufgaben in erster, zweiter und vierter Gattung mit Grabners Korrekturen[44]
In Abbildung 1 ist Distlers dritte Aufgabe im Satz ›1 gegen 1‹ und ›2 gegen 1‹ sowie die erste Aufgabe in Synkopen zu sehen. Viele Lösungen überzeugen kaum. Sie verwenden entweder zu viele Sprünge[45] oder folgen nicht dem Idealtyp »Spannung«, »Höhepunkt« und »Entspannung«.[46] Zudem wurden die folgenden Anweisungen aus Grabners Lehrbuch weder befolgt noch korrigiert (vgl. die Auszüge aus dem Faksimile mit Anmerkungen in Bsp. 1):
»[…] Ausgeschlossen sind [melodisch]: alle Septimen, ferner verminderte und übermäßige Intervalle.«[47] (A)
»[…] Nach Sprung muß Gegenbewegung, womöglich mit Sekundanschluß erfolgen.«[48] (B)
»Auf die Hauptzeit muß stets eine Konsonanz gebracht werden.«[49] (C)
»Jede Dissonanz muß stufenweise ein- und weitergeführt werden.«[50] (D)
»Die Auflösung der Vorhaltsdissonanz erfolgt gewöhnlich stufenweise abwärts«.[51] (E)
Beispiel 1: Auszüge aus Abb. 1 mit markierten Irregularitäten und einer möglichen Beurteilung nach Riemanns Kontrapunkt (Riemann 1888)
Die Irregularitäten in Distlers Kontrapunktaufgaben zeugen auf den ersten Blick nicht unbedingt vom »jungen Genie«,[52] das Grabner in Distler sah. Vielmehr zeigt sich hier die Mühe, die der junge Student mit dem alten Stil offensichtlich gehabt hat. Distler selbst reflektierte dies wie folgt: »[Grabner] erkennt als Allermodernstes die Rückkehr zur asketischen Kunst der vorbachschen Zeit. […] sich an den mönchschen Ernst jener vergessenen, uns von Geburt und Natur wesensfernen linearen Kunst zu gewöhnen – ist schwer«.[53] Es bleibt die Frage, wieso Grabner nicht eingehendere Korrekturen gefordert hat.
Möglicherweise bezog Grabner bei der Beurteilung dieser Hausaufgaben neben seiner eigenen auch Riemanns Methode mit ein. Als »gute zweistimmige Vertretung« von Drei- und Vierklängen gelten bei diesem auch Terz und Septime eines Septakkords,[54] Terz und Sext eines Sextakkords[55] und ferner Quart-, Leitton- und Nonvorhalte.[56] Überhaupt ist bei Riemann durch das Konzept der »i m G e w a n d e d e r K o n s o n a n z a u f t r e t e n d e n D i s s o n a n z e n«[57] einiges erlaubt, und man kann sich gut vorstellen, dass dies dem jungen Distler zunächst näher war als der ›mönchsche Ernst‹ des linearen Satzes. Immerhin kam er in Leipzig an als »eifrige[r] Wagnerianer, der sich gern an romantischen Klangschwelgereien berauschte«.[58] Allerdings entsprechen Distlers Kontrapunkte kaum einer idealen Interpretation des cantus firmus im Sinne Riemanns. Auch für diesen gelten im zweistimmigen Satz Sekunden und Septimen, zumindest bei Harmoniewechseln, als problematisch.[59] Korrekturen wären also auf jeden Fall angebracht gewesen. Offenbar sollten die cantus-firmus-Übungen aber als Vorübungen, wenn überhaupt notwendig, dann als notwendiges Übel so schnell wie möglich absolviert werden. Denn »ein kontrapunktischer Satz muß in seiner Gesamtheit ein Eigenwerk des Schülers sein, das sicher auch in seiner Unbeholfenheit wertvoller erscheinen wird, als ›einwandfreie Cantus firmus-Interpretationen‹.«[60] Was aber ist der Sinn einer Übung, wenn man sich nicht einmal an ihren grundsätzlichsten Anforderungen abarbeitet?
Vielleicht hat Grabner in einigen Regelverstößen nicht bloß »jugendlichen Überschwang«,[61] sondern darüber hinaus ein Potential gesehen. Vielleicht zeugten gerade die fraglichen Quarten, Sekunden und Septimen Grabners Ansicht nach von einem »Gefühl der klanglichen Beziehungen der Linien«, immerhin sind sie später ein wichtiges Stilmerkmal für Distlers Musik.[62] Es lässt sich zumindest erahnen, dass die Kontrapunktaufgaben im Unterricht diskutiert wurden und dass sich hier etwas offenbart hat:
Bei den ersten Übungen [trat] seine eigenwillige und persönliche Art der Linienführung in Erscheinung, Vorahnung seiner späteren meisterlichen Vokalpolyphonie, die, den Rhythmus unter ihre Herrschaft zwingend, seinem Stil das Gepräge eines außerordentlich bewegten und frei schwingenden Metrums gab. Bei der leidenschaftlichen Art, mit der er schon damals diese stilistischen Eigenheiten vertrat, ergaben sich oft Diskussionen, welche mich als Lehrer zu einer Stellungnahme zwangen, die weit über den durch Reger erfaßten Bereich des erweiterten, aber immerhin noch durch klassisch-romantische Verwandtschaftsverhältnisse fundierten Tonraums in ein Neuland verheißungsvoll vorstieß.[63]
Grabner habe danach gestrebt, »alles zu vermeiden, was für den Schüler nur irgendwie zu einer Einengung des Persönlichkeitswachstums hätte führen können.«[64] Wenn Grabner also in der »stilistischen Haltung der niederländischen und der Barockepoche« die Quelle neuer Kraft für das zeitgenössische Schaffen sieht,[65] so zielt sein Interesse – anders als beispielsweise jenes Knud Jeppesens (1935) – dabei nicht auf eine historische Satzlehre oder gar das Erstellen von Stilkopien.[66] Vielleicht erwartete er also auch im Falle von Distler gerade nicht ein Verinnerlichen der aufgestellten Regeln, sondern bestand bloß auf der Konfrontation damit. Als Ziel seiner Methode nennt er »die Erweckung des schöpferischen linear-polyphonen Gefühles«:[67] Es gehe dabei um »das E r l e b e n desselben und um die Fähigkeit, dieses Erlebnis auf produktivem Wege zum Ausdruck zu bringen.«[68] Es ist also weniger von Interesse, inwiefern die Regeln aus Grabners Lehrbuch in Distlers frühen Vokalkompositionen angewendet wurden, sondern, wie Distler diese erlebt und auf produktivem Wege zum Ausdruck gebracht hat.
Polymetrik und metrische Mehrdeutigkeit
Distlers Der Jahrkreis von 1933 ist eine »Sammlung von 52 zwei- und dreistimmigen geistlichen Chormusiken zum Gebrauch in Kirchen-, Schul- und Laienchören«.[69] Die erste Hälfte ist noch 1931 in Lübeck entstanden und enthält unter anderem Stücke aus einer unveröffentlichten Luther-Kantate vom Juni 1931.[70] In vielen der Motetten finden sich Stellen, welche auf einem Gerüstsatz im ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ basieren.[71] In der Motette Bei stiller Nacht (Bsp. 2) etwa finden sich bei »Ich nahm in acht« zwischen Ober- und Mittelstimme Sextparallelen, während Mittel- und Unterstimme zwischen Quinten und Terzen alternieren.
Bei Grabner wird dieses Modell nicht explizit behandelt. Wahrscheinlich ist Distler durch das Studium von Literaturbeispielen[72] damit in Berührung gekommen. Spätestens durch seine berufliche Tätigkeit in Lübeck, hat eine eingehendere Beschäftigung mit älterer Musik stattgefunden, die sicher auch entsprechende Sätze umfasste:
[Es] standen ihm in St. Jakobi zwei Orgeln zur Verfügung, von denen die kleinere […] ein Meisterwerk vorbarocker Orgelbaukunst war und deren einmaliger Klang Distlers schöpferische Phantasie stark anregte. Drittens lernte Distler durch sein Kantorenamt […] den Chor […] als musikalischen Klangkörper aus unmittelbarer, eigener Erfahrung sehr gut kennen. Ferner […] gelang [es] ihm, als Cembalist und Dirigent, die Leitung eines kleinen Orchesters eigens zur Pflege solcher [alter] Musik aufgetragen zu bekommen.[73]
Inwiefern die Auseinandersetzung mit der Orgel zur Beschäftigung mit Gegenstimmenmodellen geführt haben könnte, soll später thematisiert werden. Uns interessiert in Beispiel 2 zunächst nicht das Modell selbst, sondern wie es rhythmisch-metrisch gesetzt wurde. Die Sprachakzente sind so verteilt, dass sich die Oberstimme in 2+3+3, die Mittelstimme umgekehrt in 3+3+2 und die Unterstimme in 2+1+3+2 Viertel gliedert. Legt man die Textsilben übereinander, wird der Gerüstsatz bestehend aus Gegenstimmenmodell und parallel verschobenen Dreiklängen sichtbar. Es ist denkbar, dass Distler ausgehend von diesem Gerüstsatz in der Unterstimme die Silben »acht« und »sie« gekürzt hat, damit sich das ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ zwischen Unter- und Mittelstimme mit den Zusammenklängen d1-a1 und e1-g1 fortsetzen kann. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Polymetrik an sich für die endgültige Gestalt des Tonhöhenmodells verantwortlich ist und nicht umgekehrt. Die Unterteilung von acht in 3+3+2 Schläge wurde als Stilmerkmal Distlers beschrieben.[74] Allerdings kommen viele verschiedene ungerade Unterteilungen des Takts vor, sodass es treffender ist, mit Stefan Pontz ganz allgemein von einem »ständige[n] Widerstreit zwischen Rhythmus und Metrum«[75] zu sprechen.
Beispiel 2: Distler, Der Jahreskreis, Bei stiller Nacht, T. 12–14[76]
Es ist gut möglich, dass Distler über Grabner, Reger und Riemann mit Moritz Hauptmann in Kontakt gekommen ist und durch dessen folgende Aussage dazu angeregt wurde, Kontrapunkt auch als Problem der Metrik zu verstehen: »Der Contrapunct verlangt einen Gegensatz der Bewegung, d. h. der Richtung im melodischen Gange der verschiedenen Stimmen, und einen Gegensatz der rhythmischen und der metrischen Beschaffenheit derselben.«[77] Grabner selbst geht in Der lineare Satz nicht explizit auf Metrik ein. Riemann wiederum hat sich in seinem Handbuch der Musikgeschichte (1912) mit Problemen der Metrisierung auseinandergesetzt.[78] Sowohl von ihm als auch von Hugo Leichtentritt[79] lagen entsprechende Bearbeitungen von Auszügen aus Monteverdis Orfeo vor,[80] als Distler sich spätestens ab 1935 vertieft für diesen – allerdings in der Bearbeitung Carl Orffs – zu interessieren begann.[81] Zu erwähnen sind hier auch Leichtentritts Bearbeitungen von Monteverdis Madrigalen (1909), in welchen die Stimmen einzeln, ausgehend vom jeweiligen Text polymetrisch notiert sind.[82] Es ist unwahrscheinlich, dass entsprechende Phänomene im Unterricht nicht zumindest erwähnt wurden.[83] Mit Sicherheit haben einzelne Kontrapunktaufgaben zwischen Grabner und Distler zu Diskussionen über Metrik geführt, insbesondere über Distlers Versuch, neben dem eigentlichen ein anderes Metrum zu etablieren.
Beispiel 3: Distler, Kontrapunkt, Aufgabe in Synkopen aus Abb. 1 mit Korrektur durch alternative Metrisierung (oben)
In Beispiel 3 ist die angesprungene Septime g-f1 nämlich dann unproblematisch, wenn man den Kontrapunkt metrisch umgedeutet als cantus firmus und den cantus firmus als Kontrapunkt liest. Verschiebt man den Taktstrich entsprechend um eine Halbe, bildet die Oberstimme zur Unterstimme eine reguläre Synkopendissonanz. In den Motetten der Jahrkreis-Sammlung lässt sich Ähnliches feststellen. Hier springen Vorhaltsdissonanzen zuweilen zwar ab[84] oder werden indirekt in einer Nebenstimme,[85] sonst aber meist regulär durch Sekundfall aufgelöst. Dabei sind sie sehr oft auf leichter Zeit platziert und erzeugen so metrische Ambivalenz.[86] Die Weihnachtsgeschichte op. 10 ist 1933 kurz nach der Choralpassion op. 7 entstanden, wobei Letztere teils parallel zum zweiten Teil von Der Jahrkreis komponiert wurde. Beide Werke setzen die dortigen stilistischen Bestrebungen nicht nur fort, sondern bilden einen ersten Höhepunkt derselben.[87] Besonders deutlich zeigt dies die polymetrische Faktur des zweiten Satzes der Weihnachtsgeschichte (Bsp. 4). Der Tenor ist nicht wie die anderen Stimmen im 4/4- sondern im 3/2- und 5/4-Takt gesetzt. Über die notierte Taktmetrik hinaus finden sich einige Synkopen sowie im Tenor vor »aus« eine rhythmische Raffung.[88]
Beispiel 4: Distler, Die Weihnachtsgeschichte, 2. Satz, Beginn,[89] darunter: metrisch relevante Stimmpaare
Zwischen einzelnen Stimmpaaren ergeben sich ähnliche Situationen wie in der Kontrapunktaufgabe in Beispiel 3. Die Sekunden zwischen Alt und Sopran (*) werden wie reguläre Synkopendissonanzen vorbereitet und aufgelöst, sind aber relativ unbetont gesetzt und fallen auf eine unbetonte Textsilbe. Das gis1 im Sopran (***) funktioniert im Kontext des Basses als Durchgang und das dis1 im Alt an der gleichen Stelle (****) als Teil einer Figur, die an die »Fuxsche Wechselnote«[90] erinnert. Beide implizieren damit entgegen dem notierten Takt und der Textbetonung eine metrisch leichte Position. Quarten sind in der Weihnachtsgeschichte omnipräsent und werden meist nicht als Dissonanz behandelt. Und doch fallen klischeehafte Wendungen auf, die an die Behandlung betonter Dissonanzen im Kontrapunkt des 16. und 17. Jahrhunderts erinnern und so metrisches Gewicht evozieren. Dies ist bei dis1-gis1 oder cis1-fis1 zwischen Alt und Tenor (**) der Fall. Hier entsteht – unterstützt von Textbetonung und akzentuierter rhythmischer Raffung – zwischen der Silbe »sprun[gen]« im Alt und »aus« in Tenor und Bass kurzzeitig die Wirkung eines Dreiertakts. Distlers Satz ist demnach nicht nur polymetrisch, sondern was die Metrik angeht mehrdeutig, denn diese wird sowohl durch den notierten Takt als auch durch den Text und bei entsprechender Hörhaltung punktuell durch tradierte Kontrapunktregeln bestimmt.
Aufschlussreich ist der folgende Bericht Distlers über die Ausführung einer Kompositionsaufgabe:
In der Stimmführung – sie ist streng vierstimmig – war ich äußerst frei, da gibt’s Quinten- und Quarten- und Septimen- und Sekundleitern, keine Stimme kümmert sich um die andere besonders viel. Die Sache ist ungefähr so, als wenn ein paar Freunde um den Nürnberger Ring gingen, der eine links rum, der andere übern Plärrer, nach einer bestimmten Zeit treffen sie sich schon irgendwo, je nachdem der andere schneller oder langsamer ging! [Da] gibt’s natürlich oft reizende Rendezvous.[91]
Dies beschreibt den eben betrachteten Ausschnitt zunächst insofern, als die Verteilung von ›schwer‹ und ›leicht‹ in fast jeder polymetrischen Struktur mal zwischen den einen, dann zwischen den anderen Stimmen übereinstimmt. Ähnliches scheint auf den Tonsatz als Ganzes zuzutreffen, indem sich zwischen unterschiedlichen Stimmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehr oder weniger reguläre zweistimmige Sätzchen ergeben, welche ihre jeweils eigene, oft widersprüchliche Metrik generieren. Es wird sich im Folgenden zeigen, dass es durchaus vorstellbar ist, dass Distler im vierten Takt seiner Bearbeitung von Es ist ein Ros entsprungen zum cantus firmus im Sopran zunächst den Bass schrieb, dann – ohne sich um diesen ›viel zu kümmern‹ – wiederum zum Sopran den Alt und zu Letzterem wiederum den Tenor.
›Sukzessive Stimmerfindung‹ und ›Stimmanlehnung‹
Lüdemann bezeichnet Distlers Mehrstimmigkeit als »vertikale Reihung«.[92] Es handle sich »um eine lockere Addition […], die sogar die Möglichkeit für ›zufälliges‹ Zusammentreffen« enthalte.[93] Wahrscheinlich hat Grabner die Voraussetzungen für diesen Satz geschaffen, der »in [seinen] Bauelementen ein hohes Maß an ›Selbstverantwortlichkeit‹«[94] erlange. Ein bedeutendes Verdienst von Riemanns Kontrapunktlehrbuch ist laut Grabner das »Prinzip der sukzessiven Stimmerfindung«, wobei aber »daselbst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, die sich durch diese Methode für die lineare Satzanlage ergeben.«[95] Riemann beschreibt dieses Prinzip wie folgt:
Eine Fertigkeit im Erfinden zweier gut melodisch sich entfaltenden und rhythmisch selbständigen Stimmen ist nur zu erwerben, indem man erst längere Zeit die s u c c e s s i v e K o m p o s i t i o n d e r b e i d e n K o n t r a p u n k t e übt, d. h. erst die eine und nach deren Vollendung die zweite Gegenstimme erfindet. […] Wir werden der Reihe nach unsere zweistimmigen Arbeiten durch Hinzufügung einer dritten Stimme zu dreistimmigen machen […].[96]
Grabner unterscheidet zwischen dem zweistimmigen Satz, wo er »die g l e i c h z e i t i g e E r f i n d u n g b e i d e r L i n i e n«[97] empfiehlt, und dem mehrstimmigen Satz, wo nur auf die Hauptzeiten »Konsonanzzustand aller Stimmen […] herrschen«[98] soll.
Für die Nebenzeiten ist in erster Linie das Verhältnis der Mittel- zur Oberstimme [also der zweiten zur ersten Gegenstimme] im Sinne eines regulären zweistimmigen Satzes zu beurteilen. Die Mittelstimme kann sich linear frei entfalten, […] wenn die [bezüglich der Hauptzeiten] gegebenen Anweisungen berücksichtigt werden.«[99]
Letzteres ist insofern bemerkenswert, als dass für Grabner ein dreistimmiger Satz aus drei Stimmpaarungen besteht und dass für die entsprechenden zweistimmigen Sätze offenbar unterschiedliche Regeln gelten. In seiner Allgemeinen Musiklehre geht er noch weiter und legt mit dem folgenden Kurth-Zitat eine gänzlich freie lineare Entfaltung der Stimmen nahe: »Zusammenklangsrücksichten sind Hemmnisse der Erfüllung.«[100] Wenn nun für Grabner ›Zusammenklangsrücksichten‹ zwischen bestimmten Stimmen abhängig von der metrischen Position – auf Haupt-, nicht aber auf Nebenzeiten – gelten, dann haben Diskussionen über Metrik im Unterricht wohl auch die Möglichkeit einer kompromisslos sukzessiven Stimmerfindung beinhaltet. Wahrscheinlich gehörte ein Satz, welcher in diesem Sinne reguläre zweistimmige Sätzchen derart kombiniert, dass die einzelnen Stimmen untereinander irregulär dissonieren, zu jenem »verheißungsvollen Neuland«,[101] in welches die Diskussionen zwischen Grabner und Distler vorstießen.
Auch der Begriff der ›Stimmanlehnung‹ geht auf Riemann zurück[102] und beschreibt einen Spezialfall der sukzessiven Stimmerfindung:
Die dritte Stimme erscheint nicht vollständig selbständig, sondern ›angelehnt‹ an die zweite oder erste, d. h. in einem intervallischen und rhythmischen Abhängigkeitsverhältnis. Dies ist der Fall, wenn sie sich in Terzen und Sexten und im gleichen Rhythmus mit der anderen Stimme bewegt.[103]
Riemann weist zusätzlich darauf hin, dass »solche Setzweise gerade in der konsequenten Durchführung dieser Parallelität ihr Wesen und ihre Wirkung hat«.[104] ›Konsequent‹ heißt hier nichts anderes, als dass bei der Parallelführung einer zusätzlichen Stimme im Sinne der sukzessiven Stimmerfindung keine Rücksicht auf den restlichen Satz genommen wird, und Riemann beschreibt en détail, wie zwei Stimmen im Voraus einzurichten sind, damit ein solches Vorgehen möglich ist.
Lüdemann schreibt allgemein von einem »grouping of voices«[105] und hat damit insofern recht, als dass ein »intervallisches und rhythmisches Abhängigkeitsverhältnis« zwischen einzelnen Stimmen sowohl bei Distler als auch Grabner oft nicht nur in parallelen Terzen oder Sexten besteht. Grabner selbst verwendet in seinen Orgelwerken gerne parallele Quarten.[106] In seiner Oper Die Richterin von 1930 findet sich eine Stelle (Bsp. 5), in der ein zweistimmiger Satz durch an die Oberstimme ›angelehnte‹ Quarten und an die Unterstimme ›angelehnte‹ Quinten[107] zu einem vierstimmigen Satz erweitert wurde.[108]
Beispiel 5: Grabner, Die Richterin, 2. Aufzug, Nr. 5, Beginn und Ziffer 140, Klavierauszug des Orchesters[109]
Laut Mark Jerome Bergaas sind parallele Quinten und Quarten »one of the hallmarks of German music of Distler’s period«.[110] Gerade in Bezug auf den Jahrkreis lohnt es sich aber, Grabners ›Stimmanlehnung‹ nicht bloß auf diese, sondern auf jegliche mechanische Koppelung von Stimmen auszuweiten. Die oben betrachtete Stelle von Bei stiller Nacht (Bsp. 2) zerfällt entsprechend in zwei Stimmpaare: das Gegenstimmenmodell selbst und die parallelen Sexten. Am Schluss der Motette (Bsp. 6) finden wir in den Unterstimmen erneut das Gegenstimmenmodell, statt in parallelen Sexten, sind die Oberstimmen nun aber bei »hin mein Au[gen]« (Mittelstimme) zunächst in parallelen Terzen, dann in parallelen Quarten geführt. Dabei wird in den Außenstimmen statt eines ›8-10-Folgemodells‹[111] ein dissonantes ›5-7-Modell‹ in Kauf genommen. Naheliegend ist nun, dass Distler hier ›sukzessive‹ zunächst die Unterstimmen und nachträglich die Oberstimme als zur Mittelstimme regulär, zur Unterstimme aber irregulär erfunden hat.
Beispiel 6: Distler, Der Jahreskreis, Bei stiller Nacht, Schluss[112]
Die ›praktische Unterweisung am Instrument‹ und der doppelte Kontrapunkt
Laut Grabner hat die »geistige Formung durch Anschauung […] ihr Pendant in der praktischen Unterweisung am Instrument.«[113] In Bezug auf Distlers Ausbildung erwähnt Grabner die »beglückende Zusammenarbeit« mit dessen Klavierlehrer Carl Adolf Martienssen, der wiederum Grabner in seiner Methodik des individuellen Klavierunterrichtes als wegweisend für die Übertragung des ihm »aus der Praxis des pianistischen Lehrens« erkenntlich gewordenen linearen Prinzips auf die Praxis des Theorieunterrichts bezeichnet hatte.[114] Distlers Verständnis des linearen Satzes dürfte also auch auf seiner instrumentalen Ausbildung fußen. Dass in dieser auch die Vermittlung schematischer Modelle und insbesondere der kreative Umgang damit wichtig war, berichtet sein Lehrer für liturgisches Orgelspiel Friedrich Högner:
Ich habe mit ihm vor allem alle möglichen Arten der Choralbearbeitung und des Choralvorspiels durchgenommen. Nichts fiel ihm eigentlich schwer, aber mir fiel bald auf, daß er nicht wie seine Kommilitonen dem Lehrer die schulmäßigen Schemata abnahm, sondern mit eigenen Gestaltungen […] antrat. Er nahm Anregungen geradezu hungrig auf, wie ich mich selbst an seinen eigenartigen Improvisationen sehr gefreut habe. Was wir miteinander in diesem Unterricht durchdacht haben, davon haben Sie einen Niederschlag in seinem »Jahrkreis« […].[115]
Distler hat in Leipzig auch regelmäßig die Freitagsmotetten besucht, und es ist anzunehmen, dass er hier einen ersten Einblick in die Klangwelt des 16. und 17. Jahrhunderts bekam.[116] »Hinzu trat das Erleben der großen Gestaltungs- und Improvisationskunst Günther Ramins«,[117] von der sich im Orgel-Hauptfachunterricht wohl auch etwas auf Distler übertragen hat, denn dessen Improvisationsleistung sei »allerersten Ranges, wie man sie selten findet«.[118] Und nicht nur davon hat sich etwas übertragen, denn in Ramins Das Organistenamt (1931) finden sich Hinweise darauf, welchen Einfluss die praktische Unterweisung an der Orgel auf die Satztechnik der Jahrkreis-Motetten konkret gehabt haben könnte. Im ersten Kapitel geht es darum, exemplarisch zu zeigen, »wie man möglichst zielbewusst die harmonische Grundform einer Modulation mit künstlerischen Elementen durchwirken kann.«[119] Das ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ spielt dabei in so vielen Beispielen eine Rolle, dass es wohl zu jener theoretischen Grundlage gezählt werden darf, von welcher ausgehend »die harmonischen Gegebenheiten rhythmisch und thematisch selbständig zu gestalten«[120] seien. Im dritten Takt der ersten Modulation (Bsp. 7) findet man nun die gleiche Situation wie am Ende von Distlers Bei stiller Nacht (Bsp. 6): das ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ zwischen Sopran und Bass und das dissonante ›5-7-Modell‹ zwischen Bass und dem in Untersexten an den Sopran angelehnten Tenor.
Beispiel 7: Ramin, Das Organistenamt, 1. Modulationsbeispiel (C+–Cis+)[121]
Grabner pflegte zu Ramin nicht nur einen »engen Kontakt«,[122] sondern habe sich zudem mit der »in den 1920er-Jahren beginnenden Orgelbewegung sofort identifizieren können«[123] und der Orgel im theoretischen Unterricht eine »besondere Berücksichtigung«[124] zukommen lassen. Es ist also nicht auszuschließen, dass sich die Diskussionen aus dem Kontrapunktunterricht im Orgelunterricht fortgesetzt haben und umgekehrt. Mit Sicherheit hat spätestens in Lübeck Distlers Tätigkeit als Organist und Lehrer und mit dieser Ramin auf die Entstehung der Jahrkreis-Motetten Einfluss genommen.
Beispiel 8: Ramin, Das Organistenamt, 50. Modulationsbeispiel (a0–g0)[125] mit hervorgehobenen Modellen
In den Takten 5 und 6 von Ramins 50. Modulation (Bsp. 8) sind Pedal und Sopran in einem ›4-6-Modell‹ geführt. Dieses ergibt sich aus dem doppelten Kontrapunkt des ›5-3-Gegenstimmenmodells‹, das in den ersten beiden Takten exponiert ist. In Takt 6 kommt zu der Anlehnung des Soprans an den Pedalbass in ebendiesem ›4-6-Modell‹ die Anlehnung des Manualbasses an den Pedalbass im ›5-3-Gegenstimmenmodell‹. Dabei werden parallele Nonen zwischen Pedal und Sopran in Kauf genommen.
Ramins Lehrer und Grabners Vorgänger Stephan Krehl ist in seinen Ausführungen zum doppelten Kontrapunkt Quarten gegenüber recht aufgeschlossen. Er weist lediglich am Rande eines Beispiels darauf hin, dass Quartsextakkorde nicht »schlecht ein- und ausgeführt« werden sollen[126] und fordert ganz allgemein, »daß eine Melodie, mag sie in der Oberstimme oder Unterstimme liegen, in erster Linie verständlich sei und logisch sich entwickle.«[127] Logisch ist die Stelle bei Ramin einerseits durch ihren modellhaften Satzbau, andererseits durch das imitatorische Verhältnis zwischen Pedal und Sopran.
Auch Riemann und Grabner bemängeln Quarten nicht grundsätzlich. Ersterer warnt zwar vor zu vielen Quartsextakkorden hintereinander,[128] bemerkt aber auch, dass »Quartenparallelen […] im einfachen Kontrapunkt selbst im zweistimmigen Satze sehr wohl möglich und von gutem Effekt« sind.[129] Grabner hält es gar für unumgänglich »daß sich bei der Umkehrung Quartsextakkordwirkungen ergeben«.[130] Er fordert lediglich, dass man diese am Anfang und am Schluss vermeide. Es erstaunt also kaum, dass man das ›4-6-Modell‹ auch bei Distler finden kann. Allerdings wird bei Distler der Quartsextakkord nicht bloß als unumgehbar toleriert, sondern »als klangliches Ereignis eigener Qualität«[131] in den Fokus gerückt.
Beispiel 9: Distler, Der Jahreskreis, Bei stiller Nacht, T. 4–6[132]
Die Takte 4–6 (Bsp. 9) und 12–14 (Bsp. 2) der bereits betrachteten Motette Bei stiller Nacht sind insofern vergleichbar, als dass jeweils auf ein aufsteigendes ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ absteigend parallelverschobene Grundakkorde folgen. Ab Takt 5 entsteht durch Oktavversetzung der Oberstimme des Modells allerdings ein ›4-6-Modell‹ gefolgt von Quartsextakkordparallelen. Die Dissonanzen der 2-3-Konsekutive in den beiden Oberstimmen fallen typischerweise oft auf unbetonte Textsilben.
Die Stelle ist auch deswegen interessant, weil zunächst keine der Unterstimmen an den cantus firmus in der Oberstimme angelehnt ist. Die Bezugsstimme für das ›4-6-Modell‹ ist wohl die Mittelstimme, während der cantus firmus darüber liegen bleibt und dabei teils harsch dissoniert.[133] Der cantus firmus ist also nicht immer Anknüpfungspunkt des Modells – im Gegenteil. Grabner schreibt zu Beginn seines Lehrbuchs: »Anstelle des Cantus firmus-Prinzipes tritt das Imitationsprinzip, der Zwang der Nachahmung.«[134] In der Motette Nun komm, der Heiden Heiland (Bsp. 10) bleibt das ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ zwischen den Außenstimmen fast durchgehend bestehen. Maßgebend scheint dabei weniger der cantus firmus als ein kontrapunktisches Spiel mit dem Kopf des cantus firmus (A) und dessen Kontrapunkt (B). Diese erscheinen im doppelten Kontrapunkt, rhythmisch variiert und transponiert.
Beispiel 10: Distler, Der Jahreskreis, Nun komm, der Heiden Heiland[135] mit hervorgehobenen Motiven
Pentatonik, Gegenbewegung und Klangfolgen
Pentatonik ist insbesondere für die Jahrkreis-Motetten typisch,[136] gehört aber zu den grundlegenden Stilmerkmalen von Distlers Musik. Friedrich Neumann vermutet als Ursache eine Auseinandersetzung mit Gregorianik:
[…] in den Lektions- und Orationstönen der Gregorianik spielen die kleine Terz und neben ihr insbesondere der Ganztonschritt eine große Rolle. […] Diese beiden Intervalle verbinden sich zwanglos zu pentatonischen oder auch nur pentatonisierenden Gebilden von vielfach auch melismatischer Natur.[137]
Abbildung 2: Distler, Kontrapunkt, ›Isometrische Linien‹,[138] pentatonische Anklänge umrahmt
Grabner erwähnt Pentatonik in seiner Musiklehre in einer Randbemerkung zur »Musik der ältesten Kulturvölker«,[139] und Distler selbst ordnet sie später zwischen einer »Vorpentatonik« und dem »endgültigen Zustand« der Diatonik ein: »Offenbar geht jede Musikkultur, soweit sie überhaupt zur Tonalität findet, durch diese Vorstadien der Tonalität hindurch.«[140] Vielleicht ist Distlers offenkundige Vorliebe für pentatonische Wendungen tatsächlich Ausdruck der »Begeisterung für die Musik vom 16. Jahrhundert zurück bis zu den alten Franzosen«,[141] die er mit den Lübecker Jungen teilt. Allerdings zeigen bereits die ersten Kontrapunktaufgaben eine entsprechende Tendenz. Grabner hat mit Distler zwar zunächst die Kirchentonarten besprochen und geübt,[142] die folgenden ›isometrischen Linien‹ (Abb. 2) zeichnen sich aber kaum durch die Charakteristika der Kirchentonarten aus. Vielmehr vermeiden sie mit Ausnahme der phrygischen Aufgaben gerade zu Beginn und am Ende Halbtonschritte und enthalten immer wieder Anklänge an Pentatonik.
In den Anweisungen zu der entsprechenden Aufgabe hat Distler Fux’sche cantus firmi notiert, die sich eher durch Diatonik auszeichnen, und auch in Grabners Der lineare Satz spielt Pentatonik vordergründig keine Rolle. Im Gegenteil: »Man verwende vorläufig ausschließlich die gebräuchliche Durskala und die melodische oder äolische Mollskala.«[143] Interessant sind aber die Beispiele, die Grabner zwecks »Erfindung einer kurzen Vokalmelodie« anführt (Bsp. 11). Auch sie lassen gerade zu Beginn Pentatonik anklingen.
Beispiel 11: Grabner, Der lineare Satz, Beispiele für kurze Vokalmelodien,[144] pentatonische Anklänge in Klammern
Pentatonik spielt für Distlers Melodik also bereits zu Beginn seines Studiums eine Rolle. Später nimmt sie konkret auf seine Satztechnik Einfluss. Neumann beschreibt diesbezüglich ein Phänomen, welches für die Stimmanlehnung von Bedeutung ist:
Als Analogon zu den Terzparallelen im Bereich der Diatonie [sic] könnten die sogenannten pentatonischen Parallelen gelten. Wie sich aus der Parallelbewegung von Terzen im diatonischen Raum bald große, bald kleine Terzen ergeben, so führt hier die Parallelbewegung zu Quartenparallelen mit Einmischung einer großen Terz.[145]
In Beispiel 12 sind Stellen mit Quart-, Terz- und pentatonischen respektive partiell pentatonischen Parallelen[146] zusammengetragen. Alle sind auch Beispiel für ein »harmonic device«, das sich laut Lüdemann folgendermaßen beschreiben lässt: »all voices move simultaneously in an identical rhythm, but instead of moving parallel […] one or more voices move in contrary motion. This contrary motion usually occurs between the outer voices.«[147] Dabei kommt es analog zu den partiell pentatonischen Parallelen auch zu partiell pentatonischer Gegenbewegung.[148]
Weder Grabner noch Riemann gehen in ihren Lehrbüchern auf Gegenbewegung speziell ein. Letzterer warnt aber vor dem »Wahn […], dass eine Stimme recht gegensätzlich kontrapunktiere, sobald sie sich in steter Gegenbewegung gegen den Cantus firmus befinde«[149] und prädestiniert sie damit für die Stimmanlehnung, welche eben gerade nicht »vollständig selbständig«[150] sein, sondern in einem »intervallischen und rhythmischen Abhängigkeitsverhältnis«[151] erscheinen soll.
Beispiel 12: Beispiele für Lüdemanns Satzmodell aus Distler, Der Jahrkreis
Wenn Stimmanlehnung nun sowohl Parallelführung in Terzen, Sexten und Quarten als auch partiell pentatonische Parallelen und Gegenbewegung bedeuten kann, müsste im dreistimmigen Satz eine Vielzahl an Klängen und Klangfortschreitungen zur Verfügung stehen. Betrachtet man die in Beispiel 12 zusammengetragenen Passagen, fällt aber auf, dass die verschiedenen zweistimmigen Modelle bei Distler weder völlig willkürlich kombiniert werden noch sich gänzlich frei entfalten. Selten umfasst die Anwendung eines Modells mehr als drei oder vier Schritte, und die unterschiedlichen Stimmanlehnungen werden dabei oft so kombiniert, dass die resultierenden Klangfortschreitungen immer wieder aus den gleichen Klängen bestehen. Diese entsprechen im Wesentlichen dem, was Grabner in Der lineare Satz als »möglich« erachtet.[152] Auffallend sind die unvollständigen Dreiklangsbildungen, die er ausdrücklich als »vollwertige vertikale Bildung«[153] verstanden haben möchte. Die wenigen Dissonanzen sind vereinzelte Septimen oder Sekunden, welche oft effektvoll als Höhepunkt melismatischer Passagen fungieren. Weit entfernt scheint die Idee, dass »Zusammenklangsrücksichten Hemmnisse der Erfüllung«[154] sind.
Philipp Pelster bemerkt, dass »das von Grabner ausgeübte Komponieren einer zunächst radikal linearen Polyphonie […] damals keine statische, sondern eine ständig in Entwicklung befindliche Technik dar[stellte].«[155] Es ist also fraglich, ob Grabner selbst zum Zeitpunkt des Unterrichts mit Distler bei ›sukzessiver Stimmerfindung‹ einen dissonanten Satz im Sinn hatte. Zu beachten ist hier die Stilwende hin zu nationalsozialistischen Idealen, welche Grabner um 1932 vollzog:
In Zusammenhang mit dem […] – zumindest teilweisen – Verzicht auf Kontrapunktik, anspruchsvolle Harmonik und Chromatik hätte eine Stilwende in Grabners Schaffen kaum deutlicher ausfallen können. Er schloss sich quasi über Nacht einem »›Lapidar-Stil‹ […] an, der die Entindividualisierung zum obersten Ziel hatte«. Wollte ein Komponist Deutschland nicht verlassen und trotzdem erfolgreich sein, hatte er sich zwangsläufig entsprechend anzupassen.[156]
Diese Stilwende hatte wohl auch auf Distler Auswirkungen. Distler, der »zu Beginn seines Studiums verschiedene Strömungen der moderneren Musik geradezu enthusiastisch aufgenommen […] hatte«,[157] schreibt 1934:
Die neue Staatsidee muß prinzipiell jede Art künstlerischen Gestaltens ablehnen, die nicht dem Wollen und Empfinden – ganz einfach: des Volksganzen, in all seinen Schichten und Ordnungen und Landschaften, in all der Vielheit und Vielgestaltigkeit seines ständigen Aufbaus, zugänglich wäre.[158]
Es ist naheliegend, die Reduktion der Zusammenklänge und Klangfolgen auf diese ›Zugänglichkeit‹ respektive auf eine gewisse Vorhersehbarkeit bzw. Verständlichkeit zurückzuführen: »Eben das Impulsive, oft Rudimentäre, oft Überspannte, das Plötzliche, das Unvorhergesehene, Unvorhersehbare ist es, was unsere heutige musikalische Auffassungsart nicht mehr verstehen kann, noch darf.«[159] Terzlose Klänge und die Stimmanlehnung in Quarten oder Quinten – also das, was Distler von Grabner gelernt hat – ist für viele »dem Nationalsozialismus dienende Komponisten charakteristisch«.[160]
Zuerst sei die bei Grabner bereits bekannte Verwendung von terzlosen Akkorden und die damit einhergehende, an ein Organum erinnernde parallele Verschiebung von Quarten und Quinten genannt. Hierdurch wird eine altertümliche Atmosphäre erzeugt, die […] der gewünschten Rückbesinnung [auf] vermeintlich alte, germanische Traditionen entsprach.[161]
Außerdem ist im Zusammenhang mit modalen Wendungen die Anreicherung von Akkorden mit Septimen typisch: »Die septimhaltigen Akkorde finden sich nicht nur in zahlreichen […] Kompositionen Grabners, sondern ebenfalls in NS-konformen Werken seiner Zeitgenossen.«[162]
Ein gewisser politischer Einfluss Grabners auf Distler ist kaum überraschend. Immerhin beinhaltet Kompositionsunterricht immer eine ästhetische und damit wohl zwangsläufig auch politische Positionierung. Allerdings muss hinter Distlers reduzierter Harmonik nicht zwingend eine politische Haltung stecken. Die Polymetrik seines Satzes würde dem zumindest widersprechen. Denn hier kann nicht von einer »volkhaften, allgemeinverständlichen, lapidaren, ebenso primitiven wie eindringlichen Sprache«[163] die Rede sein. Vielleicht ist es das, was Distlers Schüler Siegfried Reda meint, wenn er 1965 – die problematische Nähe von Distlers Kompositionsästhetik zur nationalsozialistischen Kunstanschauung außer Acht lassend – Folgendes sagt:
In Distlers Musik zeigt sich eine gewisse »Perspektivelosigkeit« [sic] des Harmonischen, die durch die kaum vertikal bezogene Rhythmik noch weiter relativiert wird. Die Stimmen scheinen wie ein hauchdünnes Spinnengewebe über einen Abgrund gespannt zu sein. Dieser freiwillige Verzicht auf eine zur Zeit strapazierte Dimension des Klanges […] ist in jedem Falle mehr, als das bloße Ordnungszitat eines vielschichtigen zwölftönigen Akkordes. Und die Entschiedenheit, mit der Distler diese Bewußtseinswende in seinem Werk vollzieht, würde heute einer Kirchenmusik zur Ehre gereichen, die auf dem Wege ist, die form- und ausdrucksbildenden Kräfte des Harmonischen neu zu erleben.[164]
›Hauchdünnes Spinnengewebe‹
Mit der ›Vorhersehbarkeit‹ des Klanglich-Harmonischen rückt das Lineare in den Vordergrund. Genauer: die Art und Weise, wie sich die Stimmen zueinander verhalten. Die verschiedenen Stimmanlehnungen wechseln sich zuweilen in schneller Folge ab, wobei ein ähnlich vielschichtiges Bild entsteht, wie wir es eingangs bezüglich der Metrik beobachtet haben. Gegen Ende der Motette Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser (Bsp. 13) verlaufen die Außenstimmen in Gegenbewegung. Die Oberstimme ist dabei zwischen Takt 25 und 27, die Unterstimme ab Takt 27 pentatonisch. Der Ausschnitt kann aber auch so verstanden werden, dass die Oberstimme in pentatonischen Parallelen an die Mittelstimme und die Unterstimme bei g-f-g und später bei »[Ange]sicht schaue« als ›5-3-Gegenstimme‹ an die Oberstimme und bei as-b analog an die Mittelstimme angelehnt ist. Beim Taktwechsel von Takt 26 zu Takt 27 entsteht dabei in den Außenstimmen jenes ›5-7-Modell‹, welches wir schon aus den Beispielen 6 und 7 kennen. Während die Außenstimmen also durch Gleichschaltung in Gegenbewegung verbunden sind, und die Oberstimmen in unterschiedliche Parallelen zerfallen, koppelt ein ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ zunächst die Außenstimmen, dann die Unter- und schließlich wieder die Außenstimmen aneinander.
Beispiel 13: Distler, Der Jahreskreis, Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, Schluss[165] mit Gerüstsatz
In der Motette Ach Gott, vom Himmel sieh darein (Bsp. 14) finden wir im ersten Takt zunächst das von Lüdemann beschriebene Modell. Die Oberstimmen sind in Quarten parallelgeführt, die Unterstimme verläuft dazu in Gegenbewegung. Betrachtet man die Fortsetzung, drängt sich aber auch hier eine alternative Analysemöglichkeit auf. Bei »darein« und im zweiten Teil bei »Wort man lässt« sind die Unterstimmen im ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ geführt und die Oberstimme ist in Oberterzparallelen an die Mittelstimme angelehnt. Das zwischen den Außenstimmen resultierende ›5-7-Modell‹ besteht bereits zu Beginn zwischen den Unterstimmen. Hier verläuft die Mittelstimme in Oberterzen und die Oberstimme in Obersexten zu einer hypothetischen ›5-3-Gegenstimme‹ zur Unterstimme.
Beispiel 14: Distler, Der Jahreskreis, Ach Gott, vom Himmel sieh darein, T. 1–3 und T. 6–8[166] mit Gerüstsatz
In Herr, schicke, was du wilt (Bsp. 15) bildet das ›5-7-Modell‹ das Gerüst. Man findet es zunächst zwischen den Unterstimmen im doppelten Kontrapunkt als ›4-2-Modell‹, dann zwischen den Oberstimmen und bei »beides« schließlich wieder zwischen den Unterstimmen. Hinzu kommen unterbrochene Quartparallelen zwischen den Außenstimmen sowie pentatonische Parallelen zwischen den Unterstimmen da, wo diese das ›5-7-Modell‹ an die Oberstimmen abtreten. Die verschiedenen Stimmanlehnungen überlagern sich dabei so, dass sich fast mit jedem Klang etwas an der Disposition des Gerüstsatzes ändert. Das Durcheinander verschiedener Arten der Bezugnahme zwischen den Stimmen entspricht dabei nicht nur Redas Bild vom »Spinnengewebe«, sondern auch der Forderung Grabners:
[…] hier wird häufig ein wechselweises Vor- und Zurücktreten der einzelnen Linien, ein gegenseitiges Durchdringen und wellenartiges Überschneiden der Höhe- und Tiefpunkte in Erscheinung treten, so dass eine oder zwei Stimmen jeweils die Herrschaft des polyphonen Spieles an sich reißen, um sie im nächsten Augenblick wiederum anderen Stimmen zu überlassen.[167]
Beispiel 15: Distler, Der Jahreskreis, Herr, schicke, was du wilt, erster Choreinsatz[168] mit Gerüstsatz
Schluss
Neben andernorts bereits Erwähntem sind die folgenden Merkmale typisch für die Satztechnik in Der Jahrkreis: 1. Der Satz ist polymetrisch. Dies betrifft sowohl die Notation als auch die Textrhythmisierung. Darüber hinaus ergeben sich zwischen einzelnen Stimmen Situationen, die aufgrund tradierter Kontrapunktregeln und der entsprechenden Hörhaltung als schwer bzw. leicht wahrgenommen werden können. 2. Selten stimmen die Schwerpunkte in Bezug auf Text, Notation und Kontrapunkt überein, sodass die Metrik insgesamt mehrdeutig erscheint. 3. Der mehrstimmige Satz zerfällt in schnell wechselnde Stimmpaare, welche a) in parallelen Terzen, Sexten, Quarten und ferner auch Quinten oder in pentatonischen und partiell pentatonischen Parallelen geführt sind, b) als ›5-3-‹ respektive ›5-7-‹ oder ›4-6-Gegenstimmen‹ funktionieren oder c) in diatonischer oder partiell pentatonischer Gegenbewegung verlaufen. Dabei können 4. die Stimmen unterschiedlicher Stimmpaare untereinander dissonieren, tun dies 5. aber oft nur begrenzt, denn insgesamt beschränkt sich Distler auf eine kleine Auswahl von Zusammenklängen und Klangfortschreitungen.
Bereits in Dokumenten aus Distlers Leipziger Studienzeit lassen sich Keimzellen dieser Merkmale feststellen. Vieles scheint sich auf den Unterricht bei Grabner zu stützen, welcher ausgehend von Riemann Konzepte wie die ›sukzessive Stimmerfindung‹ und die ›Stimmanlehnung‹ propagiert. Die polymetrische Faktur des Satzes geht wohl auf die Auseinandersetzung mit vorbachscher Musik zurück. Außerdem scheinen Orgelunterricht und Orgelimprovisation in Form von teils umgestalteten Gegenstimmenmodellen im Vokalkontrapunkt aus der Lübecker Zeit ihren Niederschlag gefunden zu haben. Distlers früher Vokalstil basiert also zu einem wesentlichen Teil auf dem, was er in seiner Studienzeit und während seiner frühen Tätigkeit als Kirchenmusiker gelernt und kennengelernt hat. Wenn also Grabner in Erinnerung an seinen Schüler dessen »eigenwillige und persönliche Art der Linienführung«[169] lobt, so kann man ihm nach näherer Betrachtung nicht zustimmen. ›Eigenwillig‹ ist Distlers Satztechnik nur bedingt, zu viel davon ist in seinem Umfeld schon angelegt.
Daraus ergibt sich auch eine Nähe zu ästhetischen Positionen seiner Lehrer und zu nationalsozialistischen Idealen. Die »magere Harmonik«[170] muss aber nicht zwingend politisch motiviert sein, denn durch die Reduktion der Komplexität in diesem Bereich verlagert sich der Fokus vom Klanglich-Harmonischen auf die rhythmisch-metrische Faktur des Satzes und die Disposition der Stimmführungsmodelle. Diese wiederum entsprechen nicht der politischen Forderung nach Entindividualisierung, nach einer Musik für das Volksganze. Im Gegenteil: Ganz dem Bild der Freunde am Nürnberger Ring folgend, scheint es Distler darum zu gehen, wie sich die Stimmen zueinander verhalten, wie sie sich immer wieder neu und anders gruppieren, wie sie auseinandergehen und wieder zueinander finden.
Anmerkungen
Für Virginia. | |
Vgl. Kapp 1979. | |
Vgl. Hindemith 1937. | |
Vgl. Pepping 1943 und 1957. | |
Lüdemann 2002, 19. | |
Distler an Waldemar Klink, 13. Februar 1933, zitiert nach ebd., 49. | |
Distler-Harth 2008, 62. | |
Herbst 2015, 15. | |
Hiemke 1997, 53. | |
Distler 1932, Nachwort. | |
Vgl. Wörner 2023. | |
Hiemke 1997, 46 f. | |
Pelster 2015, 107 f. | |
Vgl. Distler-Harth 2008, 52–57. | |
Vgl. ebd., 73. | |
Vgl. ebd., 76 f. | |
Vgl. Rózsa 1982, 24. | |
Vgl. Pelster 2015, 61. | |
Grabner an Oskar Söhngen, 24. November 1959, zitiert nach Lüdemann 2002, 34. 1958 beschreibt Grabner seine Lehrmethode im Falle Distlers hingegen als »in der vom protestantischen Choral ausgehenden Kontrapunktlehre H. Riemanns und im Schaffen Max Regers begründet« (Grabner 1958, 72). Dazu später mehr. | |
Grabner 1930a, 13. Damit sind zunächst Ernst Friedrich Richter (1872), Salomon Jadassohn (1884) sowie Felix Draeseke (1902) gemeint (ebd.). | |
Grabner 1930a, 10. | |
Kurth 1917, 446, zitiert nach Grabner 1930a, 91. Das Zitat bei Kurth lautet wie folgt: »Der Kontrapunkt ist nicht harmonisch zu f u n d i e r e n, sondern harmonisch a u s z u g l e i c h e n.« | |
Riemann 1888, 6. | |
Vgl. Pelster 2015, 64–69. | |
Grabner 1930a, 16. | |
Ebd., 12. | |
Grabner an Oskar Söhngen, 24. November 1959, zitiert nach Lüdemann 2002, 35. | |
Grabner 1930a, 17. | |
Ebd., 31. | |
Vortrag von Eberhard Otto anlässlich der Feier von Grabners 80. Geburtstag, 13. Mai 1966, zitiert nach Pelster 2015, 60 f. | |
Distler 1927/28. | |
Vgl. ebd., 1, 4, 6, 8, 12 und 15. | |
Vgl. ebd., 1 f. | |
Vgl. Grabner 1930a, 27 f. | |
Vgl. ebd., 32–35. | |
Vgl. ebd., 35–41. | |
Vgl. ebd., 41–44. | |
Vgl. ebd., 45–51. | |
Vgl. Distler 1927/28, 3 und 5 f. | |
Vgl. ebd., 7, 12 und 14. | |
Vgl. ebd., 1 und 3. | |
Vgl. ebd., 4. | |
Vgl. ebd., 15. Es ist nicht auszuschließen, dass Distler mehr als einmal pro Woche Unterricht hatte. Begabte Studierende förderte Grabner mit zusätzlichem Privatunterricht (vgl. Pelster 2015, 60). | |
Distler 1927/28, 7 und 9. | |
Vgl. Grabner 1930a, 25. | |
Ebd., 24. | |
Ebd., 25. | |
Ebd., 26. | |
Ebd., 34. | |
Ebd. | |
Ebd., 38. Leittonvorhalte und Sekunddissonanzen (2-3) dürften auch nach oben aufgelöst werden (ebd.). | |
Grabner 1964, 4. | |
Distler an Ingeborg Heinsen, 29. Februar 1928, zitiert nach Lüdemann 2002, 34. | |
Vgl. Riemann 1888, 8. | |
Vgl. ebd., 9. | |
Vgl. ebd., 10. | |
Ebd. | |
Herrmann 1972, 10. | |
Vgl. Riemann 1888, 11 und 9. | |
Grabner 1930a, 18. | |
Eberhard Otto, zitiert nach Pelster 2015, 60 f. | |
Lüdemann 2002, 410; Lemmermann 1996, 122 f. und 131 f.; Bergaas 1978, 206 f. | |
Grabner 1958, 6. Obwohl Grabner mit ›Neuland‹ eher auf Fragen der Harmonielehre anzuspielen scheint, bezieht er die Anmerkung insgesamt auf die Kontrapunktlehre. | |
Eberhard Otto, 13. Mai 1966, zitiert nach Pelster 2015, 61. | |
Grabner 1930a, 10. | |
Vgl. ebd., 19. | |
Ebd., 11. | |
Ebd. | |
Distler 1933, Vorwort. | |
Lüdemann 2002, 61 f. | |
Vgl. Jans 1986, 106 f. | |
Grabner schlägt einzelne Ausgaben der Folge Lose Blätter der Musikantengilde als Unterrichtsmaterial vor (vgl. Grabner 1930a, 20), darunter beispielsweise Nr. 63, Gelobet seist du, Jesu Christ, von Balthasar Resinarius (1544) mit längeren Passagen im ›5-3-Gegenstimmenmodell‹ zwischen Bass und Tenor. | |
Lüdemann 2002, 45. | |
Vgl. Neumann 1979, 17; Lemmermann 1996, 96 f. Auch in Der lineare Satz spielt dieser Rhythmus eine Rolle. So gibt Grabner für die »Erfindung einer einstimmigen Instrumentalmelodie mit Verwendung eines rhythmisch markanten Motives« unter anderen genau diesen Rhythmus vor (Grabner 1930a, 86). | |
Pontz 1990, 98. | |
Distler 1933, 24. Beispiel 2 wie auch die folgenden Beispiele 6 und 9 folgen demselben Aufbau: oben wird der Notentext im Original wiedergegeben, in der Mitte folgt eine metrische Deutung ausgehend vom Text und unten der Gerüstsatz. | |
Hauptmann 1874, 94. | |
Vgl. Apfel 1976. | |
Leichtentritt dürfte zumindest mit seiner Formenlehre Eingang in Grabners Unterricht gefunden haben (Grabner 1926, 32). | |
Vgl. Epstein 1927. | |
Vgl. Lüdemann 2002, 56 und 201 f. | |
Leichtentritt/Monteverdi 1909. Auch in Der Jahrkreis notiert Distler teilweise polymetrisch. Als Fußnote zur ersten Motette O Heiland, reiß die Himmel auf bemerkt er: »Nur bei einigen besonders typischen Sätzen wurde in der Notierung auf die polyrhythmische [sic] Selbständigkeit der einzelnen Stimmen Rücksicht genommen.« (Distler 1933, 4.) Die Notation mit Mensurstrichen, welche Distler zum Beispiel in der Geistlichen Chormusik (1934–1942) verwendet, verdeutlicht übrigens nicht bloß dessen Affinität zur Musik der vorbachschen Zeit (Lemmermann 1996, 90), sondern wird bereits von Grabner (1930a, 35) angeregt: »Für diese und folgende Übungen empfiehlt es sich, die Taktstriche […] nicht ganz durchzuziehen […]. Der Verfasser folgt hier der […] vorzüglich übersichtlichen Taktstrichanordnung, die die rhythmische Struktur deutlich erkennen läßt und doch auch das Bild der einzelnen Linien in geschlossener Form zum Ausdruck bringt.« Distler selbst bevorzugt es zu diesem Zeitpunkt aber offensichtlich, gar keine Taktstriche zu verwenden (Distler 1927/28, 15 f.). | |
Immerhin untersuchen Fellerer (1928), Schering (1929) und später Hermelink (1959) Ähnliches bei Palestrina und Schütz, und Zeitgenossen wie Bartok (siehe etwa die 44 Duos für zwei Violinen) und Hindemith (siehe etwa die Sonate für vier Hörner) setzen sich ebenfalls mit Polymetrik auseinander. Mit Letzteren hat sich Distler nachweislich beschäftigt (Lüdemann 2002, 52 f.), bei Hindemith sollte er zeitweise gar studieren (ebd., 56). | |
So etwa in Beispiel 2 die Oberstimme mit e2-c2 oder in Beispiel 1 (unten links) ebenfalls die Oberstimme mit c2-f1. | |
So zum Beispiel in der Motette Jesu, deine Passion (Distler 1933, 25) in den Unterstimmen des fünften Taktes. | |
So etwa in Beispiel 2 die Mittelstimme bei »was«. | |
Vgl. Lüdemann 2002, 73 f. | |
»Eine Phrase oder eine melodische Linie wird nicht bis zu ihrem eigentlichen Ende ausgehalten, sondern wird durch den ›verfrühten‹ Einsatz der nächsten Phrase abrupt abgebrochen« (Lemmermann 1996, 100). Inwiefern das »aus« im Tenor sich dabei in seiner metrischen Bedeutung vom »aus« im Bass unterscheidet, ist schwierig zu sagen. | |
Distler 2015, 7. | |
Diese besser als cambiata bekannte Figur nimmt in den Erläuterungen Grabners verhältnismäßig viel Raum ein (Grabner 1930a, 36). | |
Distler an Ingeborg Heinsen, 29. Februar 1928, zitiert nach Lüdemann 2002, 330. | |
Lüdemann 2002, 386. | |
Ebd. | |
Ebd. | |
Grabner 1930a, 15. | |
Riemann 1888, 56. Entsprechende Übungen sind bei Distler ab dem 9. Dezember 1927 (»9.XI[I].27«) zu finden (Distler 1927/28, 32). | |
Grabner 1930a, 40. | |
Ebd., 58. | |
Ebd. | |
Kurth 1917, 101, zitiert nach Grabner 1924, 153. Das Zitat bei Kurth lautet wie folgt: »Das Hauptziel des Satzentwurfs besteht darin, daß die L i n i e n z ü g e i n g l e i c h z e i t i g e r E n t f a l t u n g d u r c h z u d r i n g e n vermögen und daß sie sich m ö g l i c h s t u n g e h i n d e r t d u r c h R ü c k s i c h t e n a u f Z u s a m m e n k l a n g s e r s c h e i n u n g e n d u r c h s e t z e n können […]. Halten wir dieses Prinzip als die Tendenz des Kontrapunkts fest, so sind Zusammenklangsrücksichten (in rein t e c h n i s c h e r Hinsicht) H e m m n i s s e seiner Erfüllung«. | |
Grabner 1958, 6. | |
Vgl. »Stimmenvermehrung in Terzparallelen« (Riemann 1888, 77 f.). | |
Grabner 1930a, 131. Grabner betont die Bedeutung der »Stimmanlehnung« für den instrumentalen Satz, erwähnt sie aber auch für den vokalen (ebd., 61). | |
Riemann 1888, 78. | |
Lüdemann 1984, 63. | |
Vgl. Pelster 2015, 97. | |
Die Quart A-d ist unter anderem wohl dem geschuldet, dass die Unterstimmen in Pentatonik gehalten sind. Vgl. später die Ausführungen zu ›pentatonischen Parallelen‹. | |
Interessant an diesem Beispiel ist auch der Querstand fis1-F. Auf ähnliche Phänomene in Distlers Vokalkontrapunkt haben unter anderen Neumann (1979, 19 f.) und Lemmermann (1996, 127 f.) hingewiesen. | |
Grabner 1930b. Notentext gemäß Pelster 2015, 98 f. | |
Bergaas 1978, 265. | |
Vgl. Jans 1986, 111. | |
Distler 1933, 24. | |
Grabner an Oskar Söhngen, 24. November 1959, zitiert nach Lüdemann 2002, 35. | |
Ebd. | |
Friedrich Högner an Ursula Herrmann, 26. Mai oder 29. August 1968, zitiert nach Herrmann 1972, 21. | |
Vgl. Herrmann 1972, 24. | |
Ebd. | |
Wilhelm Stahl über Distlers Probespiel für die Stelle an St. Jakobi in Lübeck am 30. November 1930, zitiert nach Herrmann 1972, 33. | |
Ramin 1931, III. | |
Ebd., IV. | |
Ebd., 1. | |
Pelster 2015, 71 f. | |
Ebd., 70. | |
Ebd., 69 f. | |
Ramin 1931, 13. | |
Krehl 1908, 88. | |
Ebd., 89. | |
Vgl. Riemann 1888, 102. | |
Ebd. | |
Grabner 1930a, 139. | |
Pontz 1990, 88. Auch Lemmermann stellt den Quartsextakkord als Stilmerkmal heraus (1996, 119 f.). | |
Distler 1933, 24. | |
Lüdemann nennt den Orgelpunkt als strukturelles Prinzip für Distlers Stil: Er sei »eine unter anderen Möglichkeiten der selbständig-linearen Stimmführung« (2002, 343). | |
Grabner 1930a, 18. | |
Distler 1933, 6. | |
Vgl. Lemmermann 1996, 115. | |
Neumann 1979, 17 f. | |
Distler 1927/28, 4. | |
Grabner 1924, 1 f. Die Bemerkung selbst zeigt chauvinistische Züge und soll hier nicht zitiert werden. | |
Distler 1941, 7. | |
Distler an Waldemar Klink, 13. Februar 1933, zitiert nach Lüdemann 2002, 49. | |
Vgl. Distler 1927/28, 1 f. | |
Grabner 1930a, 25. | |
Ebd., 24. | |
Neumann 1979, 19. | |
In den Jahrkreis-Motetten gibt es nicht nur Parallelbewegung im pentatonischen Raum, häufig ist nur eine der beiden parallelgeführten Stimmen pentatonisch, die andere aber diatonisch. | |
Lüdemann 1984, 61. | |
Siehe in Beispiel 12 Auf diesen Tag bedenken wir Takt 9 oder Hinunter ist der Sonne Schein Takt 7. | |
Riemann 1888, 8. | |
Grabner 1930a, 131. | |
Ebd. | |
Ebd., 56. | |
Ebd. | |
Ernst Kurth, zitiert nach Grabner 1924, 153. | |
Pelster 2015, 43. Nach Grabners Weihnachtsoratorium (UA 1922) habe das »dissonierende Nebeneinander der Linien spürbar ab[genommen]« (ebd.). | |
Ebd., 108. | |
Hiemke 1997, 46. | |
Distler 1934, 341. | |
Distler 1931, 856. | |
Pelster 2015, 121. | |
Ebd. | |
Ebd., 122 f. | |
Distler 1932, Nachwort. | |
Reda 1965, 306. | |
Distler 1933, 72. | |
Ebd., 50. | |
Grabner 1930a, 149. | |
Distler 1933, 86. | |
Grabner 1958, 6. | |
Reda 1965, 306. |
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Zürcher Hochschule der Künste
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