Sprau, Kilian (2023), »Geordnete Verhältnisse. Temporelationen als Mittel performativer Formbildung in Robert Schumanns Lenau-Liedern op. 90«, Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 20/2, 7–40. https://doi.org/10.31751/1193
eingereicht / submitted: 14/04/2023
angenommen / accepted: 11/06/2023
veröffentlicht (Onlineausgabe) / first published (online edition): 30/12/2023
zuletzt geändert / last updated: 29/01/2024

Geordnete Verhältnisse

Temporelationen als Mittel performativer Formbildung in Robert Schumanns Lenau-Liedern op. 90

Kilian Sprau

Der Artikel schließt an Arbeiten aus Interpretationsforschung und Performance Studies zur Tempogestaltung bei der Aufführung zyklischer Musikwerke an (z. B. PETAL, Graz 2017–2020). Zunächst wird durch Analyse der originalen Metronomzahlen zu Robert Schumanns Sechs Gesängen von N. Lenau und Requiem op. 90 gezeigt, inwiefern Temporelationen zwischen einzelnen Sätzen zyklischer Werke als Element musikalischer Formgebung verstanden werden können. Anschließend demonstriert die Analyse zehn verschiedener Einspielungen des Werks, dass Interpret:innen dadurch, wie sie ihre Tempi konkret wählen, Einfluss auf die Formwirkung des Werks als Ganzen nehmen. Die Aufnahmeanalyse macht deutlich, dass Musizierende durch autonome Tempowahl einen eigenen Beitrag zur Formung des Werkverlaufs leisten. Die Temporelationen zwischen den einzelnen Liedern setzen eigenständig Akzente und interagieren mit anderen Ebenen der Formgestaltung. Letzteres wird mit Bezug auf die narrative Struktur der von Schumann vertonten Gedichtvorlagen demonstriert. Maßgeblich ist dabei, wie die Abfolge der einzelnen Tempi zum Eindruck von ›Kontinuität‹ und ›Wandel‹ im Formverlauf beiträgt, Zäsuren setzt und über mehrere Lieder hinweg für globale Tempoverlangsamung bzw. -beschleunigung sorgt. Insgesamt bestätigt und erweitert der Beitrag vorliegende Erkenntnisse darüber, wie Interpret:innen musikalischer Werke Tempogestaltung als performatives Mittel zyklischer Formgebung einsetzen.

The contribution refers to existing research in the field of Interpretationsforschung/performance studies concerning tempo shaping in the performance of cyclical music works (e. g., PETAL, Graz 2017–2020). Firstly, an analysis of the original metronome markings in Robert Schumann’s Sechs Gesänge von N. Lenau und Requiem op. 90 shows the extent to which tempo relations between individual movements of cyclical works can be understood as an element of the music’s formal design. Subsequently, the analysis of ten different recordings of the work demonstrates that performers exert influence on the formal impact of the work as a whole by how they specifically choose their tempi. The recording analysis reveals how musicians, by making autonomous tempo decisions, contribute in a particular way to the work’s formal process. Tempo relations between individual songs set their own benchmarks and interact with other levels of formal shaping which is exemplified with reference to the narrative structure of the poems set to music by Schumann in this work. A crucial factor is how the sequence of individual tempi contributes to the impression of ›continuity‹ or ›change‹, using caesuras and processing general deceleration or acceleration over several songs. Overall, the contribution confirms and expands existing knowledge about how performers of musical works apply tempo shaping as a perfomative means of structuring cyclical form.

Schlagworte/Keywords: Aufnahmeanalyse; cyclical form; Interpretationsforschung; Liederzyklus; performance studies; recording analysis; Robert Schumann; song cycle; tempo relations; tempo shaping; Tempogestaltung; Temporelationen; zyklische Form

Inwiefern trägt die Tempogestaltung bei der Aufführung zyklischer Kompositionen zur einheitlichen Wirkung eines Werkverlaufs bei? Seit einiger Zeit ist diese Frage Gegenstand eingehender musikwissenschaftlicher Forschung. Wesentliche Anregungen in theoretisch-systematischer Hinsicht verdankt der Diskurs David Epstein, der (zusammenfassend: 1995) die Auffassung vertritt, Musiker:innen tendierten bei Tempowechseln innerhalb eines Werks zur Wahl proportional relationierter Zeitmaße. Zeugnisse namhafter Dirigenten belegen die konkrete Bedeutung solcher Überlegungen für die musikalische Praxis.[1] Empirische Untersuchungen zur Frage, wie Musiker:innen in mehrsätzigen Werken mit Temporelationen umgehen, wurden jüngst im Rahmen des Forschungsprojekts PETAL an der Kunstuniversität Graz durchgeführt (Performing, Experiencing and Theorizing Augmented Listening; 2017–2020).[2] Vergleichende Untersuchungen zahlreicher Einspielungen u. a. von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen, Ludwig van Beethovens Diabelli-Variationen und Franz Schuberts Winterreise konnten belegen, dass Musiker:innen Tempogestaltung als performatives Mittel zyklischer Formgebung einsetzen.[3] Die Wahl eines bestimmten Tempos für einen bestimmten Abschnitt eines Werks lässt sich demnach nicht nur zur kompositorischen Struktur der betreffenden Passage in Beziehung setzen, sondern auch zur Tempowahl in anderen Abschnitten desselben Werks. Tempogestaltung erscheint unter diesem Aspekt als Instrument der Modellierung von zyklischem Zusammenhang, und zwar als Strategie, die nicht ausschließlich dem Komponisten/der Komponistin, sondern in mindestens ebenso hohem Maß den ausführenden Musiker:innen zur Verfügung steht. Zyklizität erweist sich in diesem Zusammenhang als Kategorie nicht nur der kompositorischen, sondern ebenso der »performative[n] Form«.[4]

Als Untersuchungsgegenstand im Schnittfeld von Werkanalyse und Performanceforschung wurde im Projekt PETAL auch Robert Schumanns Zyklus von Klavierstücken Kinderszenen op. 15 in den Blick genommen. Schumann hat in der zweiten Edition von 1839 allen 13 Sätzen des Werks Metronomisierungen vorangestellt, die, wie die Grazer Forschungsergebnisse nahelegen, als strukturelles Element der zyklischen Werkkonzeption gedeutet werden können. Schumanns Metronomangaben prägen eine veritable »Tempodramaturgie« aus, die sich u. a. in der Zuweisung annähernd identischer Zeitmaße an die »Achsen-Szenen«[5] manifestiert: Die Eröffnungsstücke Nr. 1 (M.M.  = 108) und Nr. 2 (M.M.  = 112), der Mittelsatz Nr. 7 (M.M.  = 100) und das Schlussstück (M.M.  = 112) bilden »Tempoplateaus«, deren »›architektonische‹ Wiederkehr […] interne zyklische Beziehungen«[6] stiftet. Im Zuge der Grazer Forschung wurde eine Einspielung des Werks erstellt, die sich an den originalen Metronomisierungen Robert Schumanns orientiert; ihre Auswertung führte zur Feststellung, die Zyklizität der Tempodramaturgie werde in der klingenden Ausführung tatsächlich »deutlich nachvollziehbar«.[7]

Der folgende Beitrag widmet sich einem weiteren Werk Robert Schumanns, dessen Sätze der Komponist konsequent mit Metronomzahlen bezeichnet hat: den Sechs Gesängen von N[ikolaus] Lenau und Requiem op. 90. Das Werk entstand im August 1850, kurz vor dem Umzug der Familie Schumann von Dresden nach Düsseldorf. Die Texte stammen vom österreichisch-ungarischen Dichter Nikolaus Lenau (1802–1850), mit Ausnahme des abschließenden Lieds Requiem, das auf der Übersetzung eines anonymen spätlateinischen Gedichts beruht. Inhaltlich lässt sich die Gedichtfolge als Erzählung einer unglücklichen Liebe verstehen. Clara Schumann bezeichnet das Werk als insgesamt »sehr melancholisch«, lediglich Requiem schließe »einigermaßen mildernd«[8] ab. Ich habe an anderer Stelle ausführlich über die zyklischen Aspekte dieses zentralen Opus aus Schumanns späterem Liedschaffen geschrieben; vor diesem Hintergrund gehe ich im Folgenden davon aus, dass das Werk als Liederzyklus zu verstehen ist.[9] Dabei widme ich mich einem Spezialaspekt zyklischer Formgestaltung: der Tempodisposition im Sinne einer das Werk übergreifenden und einheitsstiftenden Strategie. Zur Diskussion stehen einerseits Angaben, die die Partitur diesbezüglich macht, andererseits die Tempogestaltung auf verschiedenen Einspielungen des Werks. Insofern damit notentextanalytische und interpretationsanalytische Fragestellungen aufeinandertreffen, ist der folgende Beitrag im Schnittfeld von Werkanalyse und Interpretationsforschung angesiedelt.

Zu den Metronomangaben in Schumanns op. 90

In seinen grundlegenden Studien zum Spätwerk Robert Schumanns weist Reinhard Kapp auf die Tendenz des Komponisten hin, »ein unverändertes Tempo ganzen Sätzen, ja Stücken zugrundezulegen«.[10] Nun kann man für Schumanns Opus 90, obgleich die verbalen Tempobezeichnungen alle in eine ähnliche Richtung weisen (siehe unten), zwar nicht von einem Einheitstempo im wörtlichen Sinn sprechen, durchaus aber davon, dass die Tempi der einzelnen Lieder zueinander in einem wohl austarierten Verhältnis stehen. Diese Tempi lassen sich mathematisch exakt bestimmen, da der Komponist allen sieben Liedern eine Metronomzahl beigegeben hat. Es ist für Liedwerke Schumanns keineswegs selbstverständlich, dass diese Maßnahme tatsächlich für alle sieben Lieder getroffen wird,[11] und wenn der Komponist außerdem bei zwei Liedern (Nr. 5 Einsamkeit und Nr. 6 Der schwere Abend) zu Beginn auf die sonst übliche verbale Tempoangabe bzw. Vortragsbezeichnung verzichtet, hebt das die Bedeutsamkeit der Metronomisierungen noch hervor. Nachfolgende Übersicht listet die von Schumann in Opus 90 verwendeten Taktarten, Vortragsbezeichnungen und Metronomisierungen auf:

  • Nr. 1 Lied eines Schmiedes: 4/4, »Ziemlich langsam, sehr markirt«, M.M.  = 108

  • Nr. 2 Meine Rose: 6/8, »Langsam, mit innigem Ausdruck«, M.M.  = 108

  • Nr. 3 Kommen und Scheiden: 6/8, »Mit inniger Empfindung«, M.M.  = 60

  • Nr. 4 Die Sennin: 3/8, »Nicht schnell«, M.M.  = 92

  • Nr. 5 Einsamkeit: 2/2, [keine verbale Angabe], M.M.  = 96

  • Nr. 6 Der schwere Abend: 3/4, [keine verbale Angabe], M.M.  = 104

  • Nr. 7 Requiem: 4/4, »Langsam«, M.M.  = 63

Die Metronomzahlen wurden von Schumann eigenhändig in die von einem Kopisten geschriebene Stichvorlage für den Erstdruck eingetragen;[12] im Erstdruck selbst (Schumann 1850) sind sie ebenso wiedergegeben (siehe die folgenden Notenbeispiele). Auch die maßgeblichen Folgeeditionen[13] enthalten die Metronomzahlen. Diese sind also zu jedem Zeitpunkt der Rezeptionsgeschichte Teil der in der Partitur kodifizierten Werkgestalt gewesen. Gleichwohl wäre es unangemessen, sie als absolut sichere Indikatoren der vom Komponisten intendierten Tempi zu sehen: Die mangelnde Präzision im 19. Jahrhundert gebrauchter Metronome durchkreuzt solche Hoffnungen.[14] Die folgende Untersuchung berücksichtigt diese Metronomisierungen allerdings nicht (in erster Linie) als absolute Größen: Sie ist vor allem an ihren wechselseitigen Relationen interessiert; diese befragt sie auf ihre Funktion für die zyklische Formbildung.[15] Zunächst fällt auf, dass drei der sieben Lieder nahezu identisch metronomisiert sind: Nr. 1 (M.M.  = 108), Nr. 2 (M.M.  = 108) und Nr. 6 (M.M.  = 104). Die Angaben für zwei weitere Lieder, Nr. 4 (M.M.  = 92) und Nr. 5 (M.M.  = 96), liegen auf der gebräuchlichen Metronomskala nur wenige Striche darunter. Damit fallen lediglich die Tempi der Lieder Nr. 3 (M.M.   = 60) und Nr. 7 (M.M.  = 63) aus dem Rahmen, die wiederum untereinander bemerkenswert homogen metronomisiert sind.

Natürlich bleibt die Angabe eines Tempos abstrakt, wenn man nicht auch den »Tempoeindruck«[16] berücksichtigt – eine Kategorie, die nicht zwangsläufig mit empirisch-hörpsychologischen Daten hinterlegt werden muss, sondern auch im Rahmen einer reinen Notentextanalyse zur Anwendung gelangen kann. Sie besagt, dass ähnlich metronomisierte Musik ganz verschieden wirken kann, da der ›Tempoeindruck‹ wesentlich von der Einteilung metrisch gegliederter Zeit durch den konkreten Rhythmus abhängt. So kann etwa die Unterteilung von Viertelzählzeiten in Achteltriolen einen ganz anderen Tempoeindruck erzielen als – bei gleicher Metronomisierung der Viertelebene – eine Sechzehntelfiguration. Andererseits können metrisch verschieden strukturierte Musikstücke unter Umständen einen ähnlichen Tempoeindruck hervorrufen: Das Eröffnungslied von Schumanns Opus 90 etwa, Lied eines Schmiedes, steht im 4/4-Takt, die darauffolgende Nr. 2 Meine Rose hingegen im 6/8-Takt. Da die identische Angabe M.M. = 108 sich für Nr. 1 auf einen gleichmäßigen Viertelpuls, für Nr. 2 hingegen auf die Ebene fortlaufender Achtelnoten bezieht, kann der Tempoeindruck in beiden Liedern ähnlich ausfallen (Bsp. 1 und 2). Dass die verbale Tempobezeichnung in beiden Fällen »Langsam« lautet, trägt dem Rechnung.

Abbildung

Beispiel 1: Robert Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1, T. 1–9[17]

Abbildung

Beispiel 2: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2, T. 1–9[18]

Lied Nr. 3 Kommen und Scheiden hingegen wird man sowohl im Hinblick auf die nominellen Metronomwerte als auch auf den Tempoeindruck als verschieden vom vorangehenden Lied empfinden: Die Metronomangabe lautet M.M.  = 60 und signalisiert damit gegenüber Nr. 2 eine Verlangsamung. Andererseits steht Nr. 3 wie Nr. 2 im 6/8-Takt, und der Klaviersatz ist an vielen Stellen von Achtelfigurationen geprägt (Bsp. 3). Vergleicht man beide Lieder auf dieser metrischen Ebene, bedeutet die Metronomangabe M.M.  = 60 eine Beschleunigung des Pulses. (Dass auf metrisch hintergründige Weise zwischen Nr. 2 und Nr. 3 zugleich auch Tempokontinuität existiert, wird weiter unten ausgeführt.)

Abbildung

Beispiel 3: Schumann, Kommen und Scheiden op. 90 Nr. 3, T. 1–9[19]

Die Kategorie ›Tempoeindruck‹ negiert nicht die Bedeutung der numerischen Metronomangaben, aber sie macht bewusst, dass Temporelationen auf verschiedenen metrischen Ebenen bestehen können. So hängt auch die Frage, ob man Nr. 4 Die Sennin als eher gemäßigtes oder eher geschwindes Lied auffasst, davon ab, ob man sich auf die kleinste Zähleinheit, das triolische Sechzehntel, bezieht – dann ist das Lied bewegter als die vorangehende Nr. 3 –, oder aber auf die Achtelebene, die vom vorgezeichneten Metrum (3/8) in den Fokus gerückt wird (ihr gilt sicherlich die Tempovorschrift »Nicht schnell«; Bsp. 4). Auf der Achtelebene jedenfalls steht Die Sennin mit M.M.  = 92 den ersten beiden Metronomangaben des Zyklus deutlich näher als der Gangart des dazwischen platzierten Kommen und Scheiden.

Abbildung

Beispiel 4: Schumann, Die Sennin op. 90 Nr. 4, T. 1–6[20]

Die Tendenz einer Rückkehr zum Anfangstempo des Zyklus setzt sich in den Liedern Nr. 5 und Nr. 6 fort. Dabei berücksichtigt die Metronomangabe für Nr. 5 Einsamkeit, M.M. = 96, nicht das vorgezeichnete 2/2-Metrum, sondern bezieht sich auf die Viertelzählzeit. Dies ist insofern stimmig, als die Viertelebene auch auf anderen Gestaltungsebenen betont wirkt, etwa durch ausdrucksstarke Vorhaltsfigurationen im Klavierpart (Bsp. 5).

Abbildung

Beispiel 5: Schumann, Einsamkeit op. 90 Nr. 5, T. 1–8[21]

Die Viertelzählzeit ist auch für den Tempoeindruck von Nr. 6 Der schwere Abend konstitutiv; jedenfalls wird sie in der Rhythmik des kurzen Klaviervorspiels wirksam in Szene gesetzt. Dem entspricht auch die Taktvorzeichnung 3/4; der Zyklus ist nun mit M.M.  = 104 beinahe wieder bei seinem Ausgangstempo angekommen (Bsp. 6).

Abbildung

Beispiel 6: Schumann, Der schwere Abend op. 90 Nr. 6, T. 1–12[22]

Das abschließende Lied Nr. 7 Requiem ist dann wieder bedeutend langsamer metronomisiert (M.M.  = 63). Allerdings kann die Sechzehntelfiguration im Klavierpart auch den Eindruck eines gegenüber der vorangegangenen Nr. 6 gesteigerten Tempos auslösen (Bsp. 7). Empfindet man beim Hören einen Achtelpuls, so wäre von M.M. = 126 auszugehen. Andererseits lässt die Oberstimme des Klaviervorspiels zu Beginn die Viertelebene hervortreten, auf die sich gewiss die Tempovorschrift »Langsam« bezieht. Durch die Metronomisierung dieser Ebene wird das Requiem dem dritten Lied Kommen und Scheiden angenähert (dort galt M.M.  = 60).

Abbildung

Beispiel 7: Schumann, Requiem op. 90 Nr. 7, T. 1–4[23]

Insgesamt könnte man für die Lieder Nr. 1, 2, 4, 5 und 6 von einem nur geringfügig modifizierten Grundtempo innerhalb des gesamten Werkzusammenhangs sprechen: Durch die sehr ähnlichen Metronomangaben weisen diese Lieder eine ausgesprochene Homogenität des Zeitmaßes auf (Abb. 1).

Abbildung

Abbildung 1: Schumann, Lieder op. 90, Tempi der sieben Einzellieder (x-Achse),
angegeben in beats per minute (y-Achse) gemäß Schumanns Metronomisierung

Freilich stellt sich unter dem Aspekt der zyklischen Werkeinheit die Frage, ob die von der Metronomzahl her ›abseits‹ liegenden Lieder, Nr. 3 Kommen und Scheiden und Nr. 7 Requiem, eine tatsächlich gänzlich extraterritoriale Position einnehmen, oder ob nicht auch sie zu den übrigen Liedern des Opus in plausible Temporelation gesetzt werden können. Dies ist tatsächlich der Fall, und zwar wenn man zusätzlich zu den Metronomzahlen als solchen die Möglichkeit einer Überlagerung unterschiedlicher metrischer Ebenen in Betracht zieht, wie dies etwa Harald Krebs für einige Lieder aus Schumanns Opus 90 mit analytischem Gewinn getan hat.[24] In Nr. 6 Der schwere Abend etwa wird der vorgezeichnete 3/4-Takt wiederholt durch duolische Rhythmisierung der Gesangsstimme irritiert. Wiederholt bleiben Klangereignisse auf der Viertelebene sogar völlig aus (siehe Bsp. 6, T. 2 f.[25]) und überlassen damit den metrisch dissonierenden Duolen gänzlich das Feld. Die Duolenviertel nun laufen mit ca. 69 bpm (beats per minute) ab, also nur geringfügig schneller als die Viertel des nachfolgenden Lieds Nr. 7 Requiem (M.M.  = 63). Das ›aus dem Rahmen fallende‹ Zeitmaß von Requiem erscheint daher durch die metrischen ›Dissonanzen‹ des vorangegangenen Lieds vorbereitet.[26]

Ähnliches lässt sich für Nr. 3 Kommen und Scheiden beobachten. Im vorhergehenden Lied, Nr. 2 Meine Rose, wird der vorgezeichnete 6/8-Takt häufig durch hemiolische Strukturen überlagert oder zumindest relativiert (siehe Bsp. 3, T. 1–3[27]). Die Zähleinheit des punktierten Viertels steht dort also in Konflikt mit der einfachen Viertelnote, die auch im Klaviernachspiel (T. 50–54) durch wiederholte Synkopenbildung nochmals ausdrücklich profiliert wird. Die einfachen Viertel haben (da ja M.M.  = 108 gilt) eine Geschwindigkeit von 54 bpm, und das liegt nur wenig unter dem Tempo der punktierten Viertel, die dann im folgenden Lied Nr. 3 Kommen und Scheiden die metronomisierte Zähleinheit darstellen (siehe Bsp. 3; dort gilt: M.M.  = 60).

Eine ähnliche Korrelation ist schließlich auch für Nr. 3 Kommen und Scheiden und das anschließende Lied Nr. 4 Die Sennin festzustellen. Ein voller 6/8-Takt von Nr. 3 müsste mit M.M.  = 30 angegeben werden; dies entspricht in der Länge ziemlich genau einem vollen 3/8-Takt von Nr. 4, der mit M.M.  = 31 bezeichnet werden müsste. So prägen Schumanns Metronomisierungen in Opus 90 insgesamt ein Tempokonzept aus, das sich als »Kontinuität im Wechsel«[28] bezeichnen lässt: Auch an solchen Liedübergängen, die durch stark abweichende Metronomzahlen markiert sind, liegt auf einer komplexeren metrischen Ebene Kontinuität zum Vorangegangenen vor. Man kann Schumanns Metronomzahlen somit als Hinweis auf zyklische Gesamtdisposition des Werks werten.

Zyklische Ordnung in Opus 90 lässt sich aber auch erkennen, wenn man neben den abstrakten Größen der Metronomzahlen zusätzlich die Kategorie des Tempoeindrucks berücksichtigt. So wird in Nr. 2 Meine Rose, allen hemiolischen Irritationen zum Trotz, die ternär schwingende Qualität des 6/8-Metrums ohne Weiteres hörbar; eine Metronomangabe für die halben Takte müsste M.M.  = 36 lauten. Vor diesem Hintergrund ist, wie erwähnt, nicht unwahrscheinlich, dass der Übergang von Nr. 2 zu Nr. 3 Kommen und Scheiden (6/8-Takt; M.M.  = 60) beim Hören nicht als Verlangsamung, sondern als Beschleunigung empfunden wird. Diesem Eindruck eines Tempoanstiegs schließt sich dann mit Nr. 4 Die Sennin (3/8-Takt; M.M.  = 92) eine erneute Beschleunigung an, wenn man von Schumanns Klavierfiguration, die die Achtel hier triolisch zerlegt, als Grundlage der Relation ausgeht (siehe oben). Auf diese Weise lässt sich die Liedfolge Nr. 2–4 als Teilgruppe innerhalb des Zyklus verstehen, deren Glieder durch einen stufenweise vollzogenen Anstieg des Tempoeindrucks miteinander verbunden sind.

Nr. 5 Einsamkeit erscheint vom vorhergehenden Lied durch ein ausgedehntes Schlussritardando an dessen Ende abgegrenzt (Nr. 4, T. 38–41: »zurückhaltend«). Anschließend dient Nr. 5 (M.M.  = 96) dann als Ausgangspunkt eines erneuten globalen Tempoanstiegs: Zunächst schließt Nr. 6 Der schwere Abend im 3/4-Takt mit nur leicht beschleunigter Metronomisierung an (M.M.  = 104); die binär geteilten Achtel der Klavierbegleitung zu Nr. 7 Requiem lassen sich dann als Fortsetzung der Aufwärtskurve betrachten (siehe Bsp. 7; dieser metrischen Ebene entspricht die Metronomisierung M.M.  = 126). So stellt sich die Kurve der von Schumann per Metronomisierung vorgeschriebenen Tempi unter Berücksichtigung des Höreindrucks dar wie in Abbildung 2 wiedergegeben: Die zyklische Gesamtdisposition des Opus verläuft aus dieser Perspektive, nach dem eröffnenden Lied eines Schmiedes, als Folge zweier jeweils dreigliedriger Anstiegsverläufe (Nr. 2–4, Nr. 5–6).

Abbildung

Abbildung 2: Schumann, Lieder op. 90, Disposition der sieben Einzeltempi gemäß Schumanns Metronomangaben (y-Achse)
unter Berücksichtigung des Tempoeindrucks; Bildung von Liedgruppen durch innerzyklische Beschleunigungsdramaturgie

In summa lässt sich den von Schumann für die Einzellieder seines Opus 90 angegebenen Metronomzahlen klar das Potenzial zu werkübergreifender Kohärenzbildung attestieren: Die Zeitmaße mehrerer Lieder sind einander stark angenähert; aus diesem Tempo-Rahmen fallende Lieder (Nr. 3; Nr. 7) sind untereinander durch ähnliche Metronomisierung, außerdem mit den Tempi der übrigen Lieder auf metrisch komplexer Ebene verbunden. Insgesamt erscheint die Tempodimension relevant für die Modellierung der zyklischen Gesamtform.

Formbildung durch Tempogestaltung: Aufnahmeanalysen

Der folgende zweite Teil des Beitrags untersucht zehn Einspielungen von Schumanns Opus 90 im Hinblick auf werkinterne Temporelationen und setzt diese ins Verhältnis zu den durch Schumanns Metronomzahlen angegebenen Relationen. Folgende Liste enthält die Namen der beteiligten Sänger:innen und Pianist:innen sowie das jeweilige Aufnahmejahr[29]:

  • Gérard Souzay / Dalton Baldwin: 1961

  • Barry McDaniel / Hertha Klust: 1965

  • Peter Schreier / Norman Shetler: 1972 oder 1973

  • Wolfgang Holzmair / Daniel Levy: 1990

  • Christian Gerhaher / Gerold Huber: 2004

  • Nathan Berg / Julius Drake: 2007

  • Thomas E. Bauer / Uta Hielscher: 2008

  • Darren Chase / Sergey Schepkin: 2013

  • Christina Landshamer / Gerold Huber: 2015

  • Christian Gerhaher / Gerold Huber: 2021.

Mit Ausnahme der Aufnahme von Wolfgang Holzmair und Daniel Levy (1990), die das abschließende Requiem auslässt, handelt es sich um Gesamteinspielungen. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Es geht nicht darum, etwa die Aufführungsgeschichte des Werks, soweit auf Tonträger dokumentiert, lückenlos nachzuvollziehen. Vielmehr zielt die Korpusbildung auf eine Anzahl von Werkdarbietungen ab, die klein genug ist, um in ihrer Gesamtheit überschaubar zu bleiben, aber groß genug, um eine Typologisierung von Interpretationskonzepten zu gestatten. Schon auf Basis der genannten zehn Aufnahmen ist Letzteres möglich: Wie zu zeigen sein wird, können bestimmte Maßnahmen in der Tempowahl einzelner Lieder als Ausprägungen performativer Formkonzepte gedeutet werden, die sich in verschiedenen Aufnahmen wiederfinden und somit als Typen performativer Formbildung beschrieben werden können. Immerhin erscheint angesichts der Prominenz der vertretenen Künstler:innen die Annahme nicht übertrieben, dass den ausgewählten Aufnahmen, wenngleich nicht quantitative, so doch qualitative Repräsentativität für die Aufführungspraxis von Schumanns Opus 90 zukommt.

Übrigens kann keineswegs davon gesprochen werden, dass die vom Komponisten vorgegebenen Metronomangaben in den untersuchten Einspielungen grundsätzlich berücksichtigt würden. Tabelle 1 gibt die Tempi der Einzellieder in den zehn Aufnahmen in bpm an; Aufnahmen, deren Tempowahl der Schumann’schen Metronomisierung entspricht, sind durch Fettdruck gekennzeichnet.[30] Dabei wird für die Kategorie der ›Tempoidentität‹ ein Toleranzrahmen von 10 % (gemessen am langsameren jeweils zweier Tempi) angenommen[31] – ein Spielraum, der immerhin eine Auf- oder Abwärtsdifferenz zu Schumanns Metronomzahlen um zwei bis drei Striche auf einer herkömmlichen Metronomskala zulässt und also nicht zu eng gewählt sein dürfte, wenn man bedenkt, dass Schuman selbst unmittelbar benachbarte Metronomzahlen zur Differenzierung seiner Tempovorstellungen nutzt (Lieder Nr. 4 und Nr. 5). Weniger als die Hälfte aller ausgewerteten Einspielungen von Einzelliedern liegen jedenfalls innerhalb dieses Toleranzbereichs von 10 %, nämlich 32 von 69. Die meisten Übereinstimmungen mit den von Schumann angegebenen Metronomzahlen weist die Einspielung von Darren Chase und Sergey Schepkin (2013) auf: Bei fünf von sieben Liedern stimmen dort die Tempi (annähernd) mit den vom Komponisten angegebenen überein. Umgekehrt ist Lied Nr. 1 Lied eines Schmiedes dasjenige, das auf den meisten Aufnahmen im ungefähren Originaltempo musiziert wird. Der Schumann’schen Metronomzahl kommt die Aufnahme von Christina Landshamer und Gerold Huber (2015) am nächsten (Audiobsp. 1).

Abbildung

Tabelle 1: Schumann, Lieder op. 90, Tempoangaben in beats per minute (bpm) für zehn Einspielungen

Audiobeispiel 1: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 (Anfang); Christina Landshamer /
Gerold Huber [Aufnahme 2015], Lieder, Oehms Classics OC 1848, © 2016, Track 19 (0'00"–0'11")

Die Feststellung freilich, dass über 50 % aller ausgewerteten Liedaufnahmen von Schumanns Metronomzahlen abweichen, ist für den vorliegenden Beitrag (so interessant sie als interpretationsanalytischer Befund sein mag) nur von untergeordnetem Belang. Hier wird ja davon ausgegangen, dass es die Relationen zwischen den einzelnen Tempi sind, die zum zyklischen Zusammenhang des Werks als Ganzen beitragen, und diese Relationen können durchaus, auch wenn die absoluten Tempowerte abweichen, mit den von Schumann metronomisch bezifferten Relationen übereinstimmen.[32] (Analog reproduziert ja auch eine Folge konsequent transponierter Tonarten die tonalen Verhältnisse der originalen Folge, wenngleich sie von dieser hinsichtlich der absoluten Tonhöhen abweicht.) Im Folgenden stehen die Verhältnisse zwischen den gemessenen Tempowerten, nicht diese selbst zur Diskussion.

Relationen zwischen Einzelliedern

Untersucht man für Opus 90 die Tempoverhältnisse paarweise zusammengestellter Lieder, so lässt sich von drei verschiedenen Arten der Relation sprechen: von ›naheliegenden‹ Relationen dort, wo zwei Lieder im zyklischen Verlauf unmittelbar aufeinanderfolgen; von ›entfernten‹ Relationen dort, wo zwei Lieder entlegene Positionen innerhalb des Zyklus besetzen; von ›komplexen Relationen‹ dort, wo die Relationierung des Zeitmaßes durch Bezugnahme auf einander überlagernde metrische Ebenen erfolgt.

Naheliegende Relationen

Bei drei Paaren unmittelbar benachbarter Lieder stellt Schumanns originale Metronomisierung, wie oben dargestellt, (annähernd) Tempoidentität her:

  • Im Fall von Nr. 1 Lied eines Schmiedes () und Nr. 2 Meine Rose () lautet die Angabe jeweils M.M. = 108.

  • Bei der Aufeinanderfolge von Nr. 4 Die Sennin (M.M.  = 92) und Nr. 5 Einsamkeit (M.M.  = 96) findet eine Beschleunigung um nur 4 % statt, was nach den oben aufgestellten Kriterien (Toleranzrahmen 10 %) als annähernde Tempoidentität zu werten ist.

  • Am Übergang von Nr. 5 zu Nr. 6 Der schwere Abend (M.M.  = 104) erfolgt dann abermals eine leichte Anhebung des Tempos um 8 %, ein Betrag, der noch immer unterhalb der 10 %-Marke liegt.

Diese von Schumann selbst hergestellten Verhältnisse werden im Folgenden mit den Temporelationen auf den untersuchten Aufnahmen verglichen. Tabelle 2 zeigt die Quotienten aus den jeweils gemessenen Tempi, wobei stets der Betrag für das schnellere der beiden Lieder durch den des langsameren geteilt wird.

Abbildung

Tabelle 2: Schumann, Lieder op. 90, Temporelationen zwischen benachbarten Liedern,
angegeben als Quotient der in 10 Einspielungen gemessenen Tempi[33]

Für alle drei Liedpaare finden sich jeweils vier Einspielungen, die (annähernd) Tempoidentität erzielen. Immerhin fünf Einspielungen stellen bei jeweils zwei Liedpaaren (annähernd) Tempoidentität her; Thomas E. Bauer und Uta Hielscher (2008) sind sogar nur knapp von drei Relationen innerhalb des Toleranzbereichs entfernt (die Tempodifferenz Nr. 4/5 beträgt auf ihrer Aufnahme 11 %). Der vollkommenen Tempoidentität, die Schumann für das Liedpaar Nr. 1/2 vorsieht, kommen Chase/Schepkin 2013 mit 1 % Differenz am nächsten; allerdings lässt der intensive Rubatogebrauch zu Beginn von Nr. 2 dies möglicherweise nicht auf Anhieb sinnfällig werden (Audiobsp. 2a). Bei Landshamer/Huber 2015 ist die Nähe der gewählten Tempi aufgrund der insgesamt stabileren Agogik leichter nachvollziehbar, obgleich die Differenz mit 8 % rechnerisch größer ist als bei Chase/Schepkin 2013 (Audiobsp. 2b). Den größten Abstand zu den Schumann’schen Temporelationen zeigen bei diesem wie bei den anderen zwei Liedpaaren Barry McDaniel und Hertha Klust (1965; Audiobsp. 3).

Audiobeispiel 2a: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 und Meine Rose op. 90 Nr. 2 (Anfänge); Darren Chase /
Sergey Schepkin [Aufnahme 2013], Liederkreis, Arabesque Recordings Z6852, © 2013, Tracks 13 (0'00"–0'12") und 14 (0'00"–0'14")

Audiobeispiel 2b: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 und Meine Rose op. 90 Nr. 2 (Anfänge); Christina Landshamer /
Gerold Huber [Aufnahme 2015], Lieder, Oehms Classics OC 1848, © 2016, Tracks 19 (0'00"–0'11") und 20 (0'00"–0'14")

Audiobeispiel 3: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 und Meine Rose op. 90 Nr. 2 (Anfänge); Barry McDaniel / Hertha Klust
[Aufnahme 1965], Barry McDaniel. Hertha Klust. Aribert Reimann. Schubert. Schumann. Wolf. Duparc. Ravel. Debussy, Audite 23.426,
© 2012, CD 1, Tracks 11 (0'00"–0'10") und 12 (0'00"–0'16")

Entfernte Relationen

Bei drei Paaren von Liedern, die im Zyklusverlauf voneinander entfernte Positionen einnehmen, signalisieren Schumanns Metronomzahlen (annähernd) Tempoidentität:

  • Nr. 1 Lied eines Schmiedes (M.M.  = 108) und Nr. 6 Der schwere Abend (M.M.  = 104) weichen nur um 4 % voneinander ab.

  • Das Gleiche gilt für Nr. 2 Meine Rose (M.M.  = 108) und Nr. 6 Der schwere Abend.

  • Im Fall von Nr. 3 Kommen und Scheiden (M.M.  = 60) und Nr. 7 Requiem (M.M.  = 63) fällt die Abweichung mit 5 % kaum höher aus.

Tabelle 3 zeigt bei diesen drei Liedpaaren für alle untersuchten Aufnahmen die Quotienten aus den jeweils gemessenen Tempi.

Abbildung

Tabelle 3: Schumann, Lieder op. 90, Temporelationen zwischen entfernt positionierten Liedern,
angegeben als Quotient der in 10 Einspielungen gemessenen Tempi[34]

Wie ersichtlich, werden entfernte Temporelationen seltener im Sinne der Schumann’schen Metronomisierungen realisiert als naheliegende Relationen: Für jedes Liedpaar stellt jeweils nur eine einzige Aufnahme annähernd Tempoidentität her (allerdings liegen zwei weitere Differenzwerte nur knapp über 10 %; siehe Holzmair/Levy 1990 und Berg/Drake 2007). Es fällt auf, dass Chase/Schepkin 2013 auch in dieser Tabelle wieder mit zwei Werten innerhalb des Toleranzbereichs vertreten sind (Audiobsp. 4). Durchschnittlich am weitesten von Schumanns Relationen entfernt musizieren hier Peter Schreier und Norman Shetler (1972/73; Audiobsp. 5).

Audiobeispiel 4: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 und Der schwere Abend op. 90 Nr. 6 (Anfänge);
Darren Chase / Sergey Schepkin [Aufnahme 2013], Liederkreis, Arabesque Recordings Z6852, © 2013,
Tracks 13 (0'00"–0'12") und 18 (0'00"–0'13")

Audiobeispiel 5: Schumann, Lied eines Schmiedes op. 90 Nr. 1 und Der schwere Abend op. 90 Nr. 6 (Anfänge);
Peter Schreier / Norman Shetler [Aufnahme 1972 oder 1973], Schumann. Lieder Vol. IV, Berlin Classics BC 2113-2, © 1993,
Tracks 16 (0'00"–0'12") und 21 (0'00"–0'23")

Komplexe Relationen

Bei drei Paaren von Liedern sorgen Schumanns Metronomangaben für annähernde Tempoidentität bzw. starke Ähnlichkeit des Tempos, wenn man einander überlagernde metrische Ebenen in den Blick nimmt.

  • Die Hemiolenviertel in Nr. 2 Meine Rose (6/8-Takt; M.M.  = 108) folgen einander mit 54 bpm; die punktierten Viertel in Nr. 3 Kommen und Scheiden (6/8-Takt) haben ein um 11 % schnelleres Tempo (M.M.  = 60). Diese Relation entspricht nicht mehr ganz einem ›annähernd identischen‹ Tempo gemäß den obigen Kriterien, liegt aber so nahe an der 10 %-Marke, dass sie im Folgenden als ›ähnliches Tempo‹ dennoch berücksichtigt werden soll.

  • Den vollen Takten in Nr. 3 Kommen und Scheiden (6/8-Takt), die bei M.M.  = 60 ein Tempo von 30 bpm haben, entsprechen fast genau die vollen Takte in Nr. 4 Die Sennin (3/8-Takt; M.M.  = 92) mit 31 bpm.

  • Den Duolenvierteln in Nr. 6 Der schwere Abend (3/4-Takt; M.M.  = 104) mit 69 bpm entsprechen annähernd die Viertel in Nr. 7 Requiem (4/4-Takt; M.M.   = 63; Differenz: 10 %).

Tabelle 4 listet für diese drei Liedpaare die in den Aufnahmen gemessenen Temporelationen auf.

Abbildung

Tabelle 4: Schumann, Lieder op. 90, komplexe Temporelationen zwischen ausgewählten Liedern,
angegeben als Quotient der in zehn Einspielungen gemessenen Tempi[35]

Am häufigsten wird annähernde Tempoidentität für das Paar Nr. 2/3 umgesetzt (sechs von zehn Einspielungen). Für die beiden anderen Paare liegen nur jeweils drei einschlägige Einspielungen vor. ›Spitzenreiter‹ sind in dieser Tabelle Bauer/Hielscher 2008, die für alle drei Fälle annähernde Tempoidentität herstellen. Im Fall des Liedpaars Nr. 2/3 befinden sie sich mit nur 1 % Abweichung näher an der ›Identität‹ als Schumann selbst (11 % Abweichung); dies gilt allerdings auch für einige andere Einspielungen. Exakt einer Schumann’schen Relation entspricht die Tempowahl von Christian Gerhaher und Gerold Huber (2021) in den Liedern Nr. 2 und Nr. 3 (Audiobsp. 6).

Audiobeispiel 6: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2 und Kommen und Scheiden op. 90 Nr. 3 (Anfänge); Christian Gerhaher / Gerold Huber
[Aufnahme 2021], Schumann. Alle Lieder, Sony Classical 19439780112, © 2021, CD 11, Tracks 23 (0'00"–0'18") und 24 (0'00"–0'13")

Besonders weit von Schumanns Temporelation entfernt sind Gérard Souzay und Dalton Baldwin (1961) im Fall des Liedpaars Nr. 3/4 (Audiobsp. 7): Mit 83 % Prozent liegt hier der zweithöchste aller im vorliegenden Beitrag überhaupt gemessenen Abweichungswerte vor. (Die Ursache dafür ist, dass dieses Duo für Nr. 3 ein im Vergleich sehr langsames, für Nr. 4 aber das schnellste aller gemessenen Tempi wählt; siehe Tab. 1).

Audiobeispiel 7: Schumann, Kommen und Scheiden op. 90 Nr. 3 und Die Sennin op. 90 Nr. 4 (Anfänge); Gérard Souzay / Dalton Baldwin
[Aufnahme 1961], Gérard Souzay chante Schumann, BnF Collection, © 2015, Tracks 19 (0'02"–0'19") und 20 (0'01"–0'11")

Bildung von Liedgruppen durch Temporelationen

Die durch Schumanns Metronomisierung vorgenommene Disposition von Einzeltempi ermöglicht, wie oben ausgeführt, eine Zusammenfassung aufeinander folgender Lieder zu mehreren Dreiergruppen mit interner Tempodramaturgie.

  • In der Abfolge Nr. 2 Meine Rose – Nr. 3 Kommen und Scheiden – Nr. 4 Die Sennin lässt sich, bei Berücksichtigung des Tempoeindrucks, eine sukzessive Beschleunigung der ternären metrischen Einheiten beobachten.

  • Eine Beschleunigung binär unterteilter Zählzeiten findet bei Berücksichtigung des Tempoeindrucks in der Abfolge Nr. 5 Einsamkeit – Nr. 6 Der schwere Abend – Nr. 7 Requiem statt.

Die Abbildungen 3a und 3b zeigen die Disposition der sieben Einzeltempi, gemäß den an den Gesamteinspielungen vorgenommenen Messungen, in Kurvenform und verdeutlichen so die jeweilige Tempodramaturgie innerhalb der genannten beiden Liedgruppen. Jede Einzelgrafik zeigt den Kurvenverlauf einer bestimmten Einspielung im Vergleich mit der von Schumanns Metronomisierung vorgesehenen Tempodramaturgie (siehe Abb. 2). Um bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden die Tempowerte pro Lied nicht in absoluten Werten, sondern in Relation zum Tempo des ersten Lieds angegeben (das folglich stets den Wert 1 hat).

Abbildung

Abbildung 3a: Schumann, Lieder op. 90, Disposition der sieben Einzeltempi (relativ zu Nr. 1) für fünf Einspielungen, dargestellt in Kurvenform;
Bildung von Liedgruppen durch innerzyklische Beschleunigungsdramaturgie (Datenbeschriftungen beziehen sich auf die jeweils untersuchte Aufnahme)


Abbildung

Abbildung 3b: Schumann, Lieder op. 90, Disposition der sieben Einzeltempi (relativ zu Nr. 1) für fünf weitere Einspielungen, dargestellt in Kurvenform;
Bildung von Liedgruppen durch innerzyklische Beschleunigungsdramaturgie (Datenbeschriftungen beziehen sich auf die jeweils untersuchte Aufnahme)

Wie ersichtlich, ist für alle zehn Aufnahmen in der Gruppe Nr. 2/3/4 ein globaler Anstieg des Tempos bzw. Tempoeindrucks zu verbuchen (exemplarisch: Audiobsp. 8), wenngleich mit unterschiedlichen, teils schwach ausgeprägten Steigungsgraden. Einen Sonderfall stellt die Einspielung Schreier/Shetler 1972/73 dar, da hier der Anstieg von Nr. 2 zu Nr. 3 gleich Null ist (Abb. 3b); jedenfalls aber handelt es sich nicht um einen Abstieg.

Audiobeispiel 8: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2, Kommen und Scheiden op. 90 Nr. 3 und Die Sennin op. 90 Nr. 4 (Anfänge);
Thomas E. Bauer / Uta Hielscher [Aufnahme 2008], Schumann Lied Edition, Vol. 6: Myrthen. 6 Gedichte und Requiem,
Naxos 8.557079, © 2011, 28 (0'00"–0'13"), 29 (0'00"–0'12"), 30 (0'00"–0'12")

Prinzipielle Unterschiede treten erst in der Gruppe Nr. 5/6/7 auf: Die Hälfte der Aufnahmen (Abb. 3a) folgt hier dem Muster Schumanns und realisiert einen erneuten Anstieg; die andere Hälfte (Abb. 3b) drosselt das Tempo von Nr. 5 zu Nr. 6 (teils nur sehr geringfügig) und sorgt erst beim anschließenden Wechsel zu Nr. 7 wieder für eine Beschleunigung des Tempoeindrucks. (Einen Sonderfall bildet hier Gerhaher/Huber 2021 mit Tempoidentität zwischen Nr. 5 und Nr. 6). Die Einspielung Holzmair/Levy 1990 lässt sich der ersten Gruppe zuordnen, obgleich sie auf das abschließende Requiem verzichtet. Eine besondere Nähe zur Tempodramaturgie Schumanns wird für das Duo Chase/Schepkin (2013; Abb. 3a) und – trotz der grundsätzlichen Abweichung in der zweiten Gruppe – für Bauer/Hielscher 2008 ersichtlich (Abb. 3b).

  • Durch Schumanns Metronomisierungen wird außerdem die Trias Nr. 4 Die Sennin – Nr. 5 Einsamkeit – Nr. 6 Der schwere Abend zu einer Gruppe zusammengefasst, in der zweimal hintereinander annähernd identische Tempi folgen.

Tabelle 5 gibt die Einzeltempi innerhalb dieser Dreiergruppe (siehe auch Tab. 1) sowie den Quotienten aus dem jeweils größten und kleinsten Wert der Gruppe an.

Abbildung

Tabelle 5: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 4–6, Einzeltempi (bpm) für zehn Einspielungen
sowie Quotient aus dem jeweils höchsten und niedrigsten Tempowert

Wie ersichtlich, bleiben in dieser Dreiergruppe nur zwei Einspielungen innerhalb des von Schumann gesteckten Relationsrahmens (13 % Tempounterschied): Bauer/Hielscher 2008 mit einem Wert von 11 % sowie Christian Gerhaher und Gerold Huber (2021) mit einem Wert von lediglich 6 %. In der letztgenannten Aufnahme liegt damit – ein singulärer Fall unter den hier analysierten Einspielungen – der Tempowert für alle drei Lieder im Bereich der annähenden Tempoidentität. Die Zusammengehörigkeit dieser Liedgruppe innerhalb der zyklischen Gesamtform erscheint in dieser Aufnahme also besonders betont (Audiobsp. 9).

Audiobeispiel 9: Schumann, Die Sennin op. 90 Nr. 4, Einsamkeit op. 90 Nr. 5 und Der schwere Abend op. 90 Nr. 6 (Anfänge);
Christian Gerhaher / Gerold Huber [Aufnahme 2021], Schumann. Alle Lieder, Sony Classical 19439780112,
© 2021, CD 11, Tracks 25 (0'01"–0'13"), 26 (0'00"–0'18"), 27 (0'00"–0'19")

Dateninterpretation

Der folgende Abschnitt deutet die erhobenen Daten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Das Profil der Musizierenden gerät in den Fokus, wenn überprüft wird, wie nahe die einzelnen Interpretationen Schumanns Disposition annähernder Tempoidentitäten kommen. Wenn anschließend untersucht wird, welche Perspektiven die bei der Aufnahmenanalyse gewonnenen Daten auf die formale Struktur von Schumanns Opus 90 eröffnen, rückt die Schumann’sche Komposition in den Mittelpunkt.

Zu den Aufnahmeanalysen: vergleichende Beobachtungen

Die vorangegangenen Untersuchungen erlauben eine statistisch formulierte Antwort auf die Frage, wie stark die einzelnen Liedduos zur Umsetzung der von Schumann vorgesehenen annähernden Tempoidentitäten neigen. Tabelle 6 markiert, als Zusammenfassung der Tabellen 1–5, für jedes Duo und jede der untersuchten Temporelationen, ob Nähe zu Schumanns Konzeption vorliegt oder nicht.

Abbildung

Tabelle 6: Schumann, Lieder op. 90, Übereinstimmung diverser Temporelationen mit Schumanns Originalkonzeption in zehn Einspielungen

Die Tabelle attestiert den Aufnahmen Bauer/Hielscher 2008 und Chase/Schepkin 2013 die größte Nähe zu Schumanns Konzeption. In allen vier untersuchten Kategorien (naheliegende Relationen, entfernte Relationen, komplexe Relationen, Gruppenrelationen) realisieren diese beiden Einspielungen Tempoverhältnisse, die der IdentitätRe nahekommen, insgesamt jeweils in zwei Dritteln aller Fälle (acht von zwölf). Nochmals sei daran erinnert, dass dies nicht zwangsläufig eine Übereinstimmung der absolut gewählten Tempi mit Schumanns Metronomzahlen bedeutet (siehe Tab. 1): Die Ähnlichkeit zur Originalkonzeption bezieht sich auf die Temporelationen, nicht auf die Tempi selbst (Audiobsp. 10 und 11).

Audiobeispiel 10: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 1–7 (Anfänge); Thomas E. Bauer / Uta Hielscher [Aufnahme 2008], Schumann Lied Edition,
Vol. 6: Myrthen. 6 Gedichte und Requiem
, Naxos 8.557079, © 2011, Tracks 27 (0'00"–0'11"), 28 (0'00"–0'13"), 29 (0'00"–0'12"),
30 (0'00"–0'12"), 31 (0'00"–0'14"), 32 (0'00"–0'16"), 33 (0'00"–0'15")

Audiobeispiel 11: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 1–7 (Anfänge); Darren Chase / Sergey Schepkin [Aufnahme 2013],
Liederkreis, Arabesque Recordings Z6852, © 2013, Tracks 13 (0'00"–0'12"), 14 (0'00"–0'14"), 15 (0'00"–0'12"),
16 (0'00"–0'13"), 17 (0'00"–0'14"), 18 (0'00"–0'13"), 19 (0'00"–0'14")

Relativ häufig findet sich annähernde Tempoidentität auch bei Nathan Berg und Julius Drake (2007; fünf von zwölf Fällen). Interessanterweise neigt diese Einspielung eher zur Umsetzung komplexer Relationen und zur Bildung kohärenter Liedgruppen (insgesamt vier ›Treffer‹) als etwa zu ›einfachen‹ Beziehungen wie der analogen Tempowahl für aufeinanderfolgende Lieder (hier nur ein ›Treffer‹). So weist diese Aufnahme zum Beispiel für die direkt benachbarten, von Schumann identisch metronomisierten Lieder Nr. 1 und Nr. 2 die verhältnismäßig große Abweichung von 35 % auf (siehe Tab. 1 und 2), was einem Unterschied von mehr als acht Strichen auf der Metronomskala entspricht (Audiobsp. 12)

Audiobeispiel 12: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 1–7 (Anfänge); Nathan Berg / Julius Drake [Aufnahme 2007],
Lieder Recital, Atma Classique ACD2 2571, © 2008, Tracks 7 (0'00"–0'09"), 8 (0'00"–0'15"), 9 (0'00"–0'13"),
10 (0'00"–0'12"), 11 (0'00"–0'16"), 12 (0'00"–0'13"), 13 (0'00"–0'14")

Interessant ist auch das recht unterschiedliche Ergebnis für die beiden Einspielungen des Duos Gerhaher/Huber (2004 und 2021): In der älteren wurde nur zweimal Übereinstimmung mit Schumanns Disposition annähernd identischer Tempi festgestellt, in der jüngeren hingegen sechsmal, was die dritthöchste ›Trefferquote‹ innerhalb der hier vorgelegten Untersuchung bedeutet. Dafür verantwortlich ist u. a. eine deutlich veränderte Tempowahl für das Lied Nr. 4: Für die Aufnahme von 2004 gilt hier  = 93 bpm, für die Aufnahme von 2021 hingegen  = 83 bpm. Für dieses Einzellied bedeutet das so veränderte Zeitmaß zunächst eine Entfernung von Schumanns Partitur (Tempoangabe dort: M.M.  = 92). Gerade aus dieser absoluten Entfernung vom Original ergibt sich jedoch eine Annäherung auf der Ebene der Relationen: Die absoluten Tempi liegen bei Gerhaher und Huber schon 2004 meist unter den von Schumann angegebenen Werten; durch die ›Anpassung‹ der Nr. 4 an dieses Umfeld nähert sich die Einspielung von 2021 den originalen Relationen an (Audiobsp. 13a und 13b).

Audiobeispiel 13a: Schumann, Die Sennin op. 90 Nr. 4 (Anfang); Christian Gerhaher / Gerold Huber [Aufnahme 2004],
Schumann. Dichterliebe, RCA Red Seal 82876 58995 2, © 2004, Track 20 (0'00"–0'11")

Audiobeispiel 13b: Schumann, Die Sennin op. 90 Nr. 4 (Anfang); Christian Gerhaher /Gerold Huber [Aufnahme 2021],
Schumann. Alle Lieder, Sony Classical 19439780112, © 2021, CD 11, Track 25 (0'01"–0'13")

Besonders wenig zur Umsetzung der von Schumann angegebenen Tempoverhältnisse neigt die Aufnahme Schreier/Shetler 1972/73: In keiner einzigen der hier untersuchten Relationen wurde dort Übereinstimmung mit Schumanns Konzeption konstatiert,[36] obgleich die absoluten Tempi in zumindest zwei Fällen durchaus nahe bei Schumanns Metronomzahlen liegen (Nr. 1 und Nr. 2; siehe Tab. 1). Die geringe ›Trefferquote‹ bei dieser Aufnahme dürfte mit der exorbitant langsamen Tempowahl für die Lieder Nr. 3 und Nr. 6 zusammenhängen, die in vielen der hier untersuchten Relationen eine Rolle spielen: Für diese Lieder wählen Schreier und Shetler jeweils Minimalwerte, verglichen mit den übrigen Einspielungen (siehe Tab. 1). Gerade die Einspielung von Schreier und Shetler gibt aber Anlass, zu betonen, dass eine Abweichung von Schumanns Tempoverhältnissen keineswegs eine Ablehnung des Konzepts ›zyklische Ordnung durch Temporelationen‹ überhaupt bedeutet. Es ist ja möglich, durch stark vom Original abweichende Zeitmaße neue, eigene Relationen herzustellen, und hierfür bietet gerade diese Aufnahme zwei prägnante Beispiele. Die Künstler geben dem Lied Nr. 2 ein mit Schumanns Metronomisierung quasi identisches Tempo (Schumann: M.M.  = 108; Schreier/Shetler:  = 109 bpm). Das darauffolgende Lied Nr. 3 musizieren sie ungleich langsamer als Schumann es vorschreibt (Schumann: M.M.  = 60; Schreier/Shetler:  = 36 bpm). Da jedoch beide Lieder im 6/8-Takt stehen, wählen Schreier und Shetler für diese beiden Lieder quasi dasselbe Zeitmaß – eine direktere Strategie zur Herstellung von Kontinuität erscheint auf der Tempoebene kaum denkbar (siehe Abb. 3b). Wenn Schreier und Shetler dann das anschließende Lied Nr. 4 im Tempo  = 72 bpm darbieten, während Schumann M.M.  = 92 vorschreibt, realisieren sie natürlich nicht die komplexe Schumann’sche Relation, bei der ein voller Takt von Nr. 3 einem vollen Takt von Nr. 4 entspricht (siehe Tab. 4). Dafür aber dauert bei Schreier/Shetler ein Halbtakt in Nr. 3 doppelt so lang wie eine Achtelzählzeit in Nr. 4, was zumindest rechnerisch einer schlagend einfachen Relation entspricht: Da der Klavierpart sowohl die Halbtakte in Nr. 3 als auch die Achtelzählzeiten in Nr. 4 ternär gliedert, entsteht auf der Ebene des Tempoeindrucks eine Verdopplung des Zeitmaßes. Dabei sorgt eine agogische Maßnahme für fließenden Übergang zwischen beiden Liedern: Ein allmähliches ›Anrollen‹, mit dem Schreier und Shetler das Lied Nr. 4 Die Sennin beginnen lassen, relativiert und vermittelt jeden etwaigen Eindruck eines Tempo-Bruchs zum vorhergehenden Lied. Die auf diese Weise realisierten Temporelationen entsprechen nicht der Konzeption Schumanns; doch stellen sie auf eigene Weise eine Verbindung zwischen den drei Liedern her und können so einen Beitrag zu einer zyklischen Gesamtwirkung des Werks leisten (Audiobsp. 14).

Audiobeispiel 14: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2, Kommen und Scheiden op. 90 Nr. 3 und Die Sennin op. 90 Nr. 4 (Anfänge);
Peter Schreier / Norman Shetler [Aufnahme 1972 oder 1973], Schumann. Lieder Vol. IV, Berlin Classics BC 2113-2,
© 1993, Tracks 17 (0'00"–0'14"), 18 (0'00"–0'18"), 19 (0'00"–0'15")

Performative Tempogestaltung als Beitrag zur Formbildung

Versteht man die Tempodisposition der konkreten Darbietung eines Werks als performativen Beitrag zur Formbildung, bietet es sich an, sie zu anderen Ebenen der musikalischen Formgestaltung in Beziehung zu setzen. So ist es möglich, die in verschiedenen Performances von Schumanns Opus 90 gewählten Tempodispositionen auf die in der Partitur kodifizierte Werkgestalt zu projizieren und zu untersuchen, welchen Veränderungen diese in solch wechselhafter Beleuchtung unterworfen wird. Hierfür böte sich z. B. eine Überblendung der oben untersuchten Tempokurven mit Schumanns Tonartenplan an, der das Werk mit einem beziehungsreichen Netz wechselseitiger Relationen überzieht.[37] Doch präsentiert der überwiegende Teil der hier untersuchten Aufnahmen das Werk in transponierten Versionen, wie sie etwa die Edition Peters im dritten Band ihrer Schumannlieder-Gesamtausgabe vorschlägt.[38] Nur drei Aufnahmen bieten die Originaltonarten;[39] auf den sieben übrigen Einspielungen ist das Werk in Versionen zu hören, die nicht nur von Schumanns originalen Tonarten abweichen, sondern – dank durchweg unregelmäßiger Transposition – auch deren Relationen verändern (eine im Liedgesang gängige Praxis, die der Aufführungsforschung dringend als Gegenstand empfohlen sei).[40] Als Vergleichsgesichtspunkt für die herausgearbeiteten Tempokurven wird daher im Folgenden ein anderer Aspekt der Werkgestalt herangezogen, der für alle zehn Aufnahmen derselbe ist, nämlich der über die Textvorlagen der sieben Einzellieder hinweg zu beobachtende narrative Bogen. Die das Opus umspannende narrative Struktur ist zwar nicht unmittelbar gegeben, da die Textvorlagen unterschiedlichen Kontexten entstammen, als Ganzes mithin eine Kompilation Schumanns darstellen; doch lässt sich bei adäquater Kontextualisierung ein erzählerischer ›roter Faden‹ erschließen.[41] Demnach beginnt das Werk mit einem mahnenden, doch zuversichtlich gestimmten Segensspruch (Nr. 1 Lied eines Schmiedes). Dieser optimistische Beginn erfährt dann durch das Nachfolgende eine ironische Brechung: Vom zweiten bis zum sechsten Lied wird aus der Perspektive eines lyrischen Ich in verschiedenen Stationen die Geschichte einer heillos unglücklichen Liebe erzählt. So richtet Nr. 2 Meine Rose den Blick nach innen, auf ein zerrüttetes Gefühlsleben. Nr. 3 Kommen und Scheiden erinnert an vergangene, in glücklicher Zweisamkeit verbrachte Zeit. Nr. 4 Die Sennin thematisiert die Vergänglichkeit alles Schönen. Nr. 5 Einsamkeit wendet sich von der Hoffnung auf irdisches Glück ab und einer transzendenten Instanz zu (»Gott«; T. 49). Nr. 6 Der schwere Abend berichtet von endgültiger Trennung und Todeswunsch. Das abschließende Lied Nr. 7 Requiem wechselt noch einmal die Perspektive: Es lässt sich als Trauergesang einer Frau um einen Mann verstehen, der in einem von »schmerzensreichen Mühen« geprägten Leben nach Erfüllung seines »Liebesglühen[s]« gestrebt hat (T. 3–6).

Gemäß Abbildung 2 teilt Schumanns metronomische Tempodramaturgie diesen narrativen Verlauf in drei ungleiche Abschnitte. Nach den einleitenden Worten des Hufschmieds (Nr. 1) gibt eine erste Folge sich beschleunigender Tempoeindrücke die Suche nach Problemlösung mit irdischen Mitteln wieder (Nr. 2–4): Das vierte Lied, Ziel dieser Beschleunigungsstrecke, konfrontiert erstmals im Zyklus mit dem Begriff »Tod« (T. 28). Mit Nr. 5–7 setzt dann eine zweite Serie sich beschleunigender Tempoeindrücke ein, die über dornige Pfade »dem Himmel zu«[42] führen. Dabei mag man die Tatsache, dass das letzte Lied vor dem letalen Requiem, Nr. 6 Der schwere Abend, nahezu mit derselben Metronomisierung versehen ist wie das erste Lied nach dem einleitenden Segensspruch, Nr. 2 Meine Rose, als symbolhaft für ein auswegloses In-sich-Kreisen empfinden: Beide Metronomangaben (M.M. = 108 bzw. 104) beziffern ein ternäres Metrum und sind daher leicht aufeinander zu beziehen. Diese Korrespondenz von Anfang und Ende passt zu einer Liebesgeschichte, die keine eigentliche Entwicklung ausprägt, die vielmehr den wiederholten, doch scheiternden Versuch schildert, einer melancholischen Grundstimmung lichtvolle Akzente entgegenzusetzen, und die letztlich keine Problemlösung anbietet, es sei denn im Tod.

An zwei ausgewählten Einspielungen von Opus 90 lässt sich zeigen, wie auch eine von Schumanns Vorgaben abweichende Tempowahl die Narration in stimmiger Weise ›formen‹ kann. Die erste dieser beiden Einspielungen ist die von Holzmair und Levy (1990). Zwar wird darin das abschließende Requiem ausgespart, doch demonstriert gerade diese Aufnahme in den vorangehenden Liedern, wie durch vom Original abweichende Temporelationen individuelle Akzente gesetzt werden können. Wie oben ausgeführt, ist die Tempokurve dieser Einspielung prinzipiell der Schumann’schen ähnlich (siehe Abb. 3a); durch Abweichungen in der absoluten Tempowahl jedoch (siehe Tab. 1) etabliert sie ein eigenes, von Schumann abweichendes Verhältnis aus Kontinuität und Brüchen. Zunächst nimmt Nr. 2 Meine Rose bei Holzmaier/Levy eine langsamere Gangart an als Nr. 1; hierdurch wird der Aspekt eines ›Tempo-Neustarts‹ zu Beginn des zweiten Abschnitts betont. Nr. 4 Die Sennin wiederum liegt im absoluten Tempo deutlich unterhalb der nachfolgenden Nr. 5 Einsamkeit, wodurch zu Beginn des dritten Abschnitts in Nr. 5 der Eindruck einer Fortsetzung des globalen Tempoanstiegs begünstigt wird. Da auch der Tempoanstieg von Nr. 5 zu Nr. 6 Der schwere Abend steiler ausfällt als bei Schumann, vermittelt die Interpretation von Holzmair/Levy insgesamt einen Eindruck von Kontinuität innerhalb der Liedgruppe Nr. 2–6, die zudem vom einleitenden Lied Nr. 1 klar abgesetzt erscheint (Audiobsp. 15). Diese Dramaturgie ließe sich zum Gesamtverlauf einer ›Rahmenform‹ ergänzen, wenn man etwa das Tempo des abschließenden Requiem betont langsam, vom Vorangehenden abgesetzt wählen würde. Der einleitende Segensspruch des Hufschmieds und die abschließende Totenklage der Frau um den verstorbenen Mann könnten in einer solchen Inszenierung als narrative Klammer für eine in sich geschlossene Folge von Liedern dienen, deren Texte den traurigen Verlauf einer Liebesgeschichte zum Inhalt haben.

Audiobeispiel 15: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 1–6 (Anfänge); Wolfgang Holzmair / Daniel Levy [Aufnahme 1990],
Lieder on Poems by Heine, Lenau and Geibel, Edelweiss Records ED 1023, © 1990, Tracks 14 (0'00"–0'10"),
15 (0'00"–0'15"), 16 (0'00"–0'11"), 17 (0'00"–0'14"), 18 (0'00"–0'15"), 19 (0'00"–0'11")

Einen auf eigene Weise vom Original abweichenden Kontext erhält die Erzählung der Liedtexte auch durch die Tempodisposition in der Einspielung Schreier/Shetler 1972/73 (siehe Abb. 3b). Singulär innerhalb der hier untersuchten Aufnahmen ist erstens, dass Nr. 2 Meine Rose und Nr. 3 Kommen und Scheiden (jeweils 6/8-Takt) erwähntermaßen im fast exakt selben Zeitmaß musiziert werden und daher besonders eng zusammengehörig wirken (siehe Tab. 1). Der anschließende Tempowechsel zu Nr. 4 Die Sennin ist dann, wie beschrieben, erheblich. Zweitens vollzieht die Tempokurve mit Nr. 6 Der schwere Abend, von Schumann abweichend, eine steile Wendung nach unten: Schreier und Shetler präsentieren dieses Lied um fast 40 % langsamer als Schumanns Metronomisierung vorgibt ( = 64 bpm stellt den Minimalwert im Rahmen der hier untersuchten Aufnahmen dar). So wird bei Schreier/Shetler die interne Gliederung der Liebesgeschichte anders vorgenommen als bei Schumann oder Holzmair/Levy: Die auch textlich in sich gekehrten Lieder Nr. 2 und 3 bilden ein eng verklammertes, quasi meditatives Paar. Mit der hoffnungsvollen Wendung zur Natur in Nr. 4 ist dann ein beschleunigender Tempoeindruck verbunden: ein belebender Effekt, der spätestens mit der geradezu eingefrorenen, extrem langsam dargebotenen Nr. 6 wieder zunichtegemacht wird. In dieser Deutung der Narration kommen die nachdenklichen Farben, die Vergeblichkeit einer Suche nach Licht und Lösung, das Deprimierende einer ausweglos verfahrenen Situation besonders zum Tragen (Audiobsp. 16).

Audiobeispiel 16: Schumann, Lieder op. 90 Nr. 1–7 (Anfänge); Peter Schreier / Norman Shetler [Aufnahme 1972 oder 1973],
Schumann. Lieder Vol. IV, Berlin Classics BC 2113-2, © 1993, Tracks 16 (0'00"–0'12"), 17 (0'00"–0'14"), 18 (0'00"–0'18"),
19 (0'00"–0'15"), 20 (0'00"–0'17"), 21 (0'00"–0'23") und 22 (0'00"–0'29")

Dabei ist nochmals zu betonen, dass Schumanns Tempodisposition an manchen Stellen für eigentümliche Ambivalenzen sorgt. Das Zeitmaß von Nr. 2 kann sowohl als Fortsetzung des vorangegangenen Lieds (Metronomzahl auf der Achtelebene) wie als Temporeduktion verstanden werden (halbtaktige Ebene im 6/8-Metrum). Das nachfolgende Lied Nr. 3, ebenfalls im 6/8-Takt stehend, kann – je nachdem, welche metrischen Ebenen man zueinander in Bezug setzt – gegenüber der vorangehenden Nr. 2 als beschleunigend oder verlangsamend empfunden werden. Das abschließende Requiem stellt auf der Achtelebene einen Tempogipfel dar, auf der Viertelebene jedoch schwingt es in großzügiger Langsamkeit. Die Möglichkeit, beim Zuhören unterschiedliche metrische Ebenen in den Fokus zu nehmen, erlaubt es den Hörenden, die Balance zwischen Bruch und Kontinuum, die »Kontinuität im Wechsel«[43] der Zeitmaße selbst zu beeinflussen, zu stören oder zu bewahren, je nachdem, wie sie ihre Höraufmerksamkeit justieren. Zur ›performativen Formgebung‹ leisten damit in letzter Konsequenz nicht nur die Musizierenden, sondern auch die Hörenden einen konstitutiven Beitrag.

Zusammenfassung und Ausblick

Die hier vorgelegten Notentext- und Aufnahmeanalysen zeigen, dass und inwiefern Temporelationen zwischen einzelnen Sätzen zyklischer Werke als Element musikalischer Formgebung wirksam werden können. Insbesondere machen sie deutlich, dass Interpret:innen dadurch, wie sie die Zeitmaße im Rahmen einer konkreten Werkdarbietung wählen, prägenden Einfluss auf die Formwirkung des Werks als Ganzen ausüben. Schumanns Metronomangaben zu seinem Opus 90 Sechs Gesänge von N. Lenau und Requiem lassen sich als Ausgestaltung der zyklischen Form auf der Tempoebene verstehen. Die Untersuchung zehn verschiedener Einspielungen des Werks macht aber deutlich, dass Interpret:innen diese Angaben im Notentext offenbar nicht als verbindlich betrachten. Die Aufnahmeanalyse zeigt vielmehr, dass Musizierende sich die Freiheit zu eigenständiger Tempowahl nehmen und auf diese Weise einen eigenen, gegebenenfalls sehr individuellen Beitrag zur Formung des Werkverlaufs leisten. Betrachtet man etwa die narrative Dimension des Werks im Licht unterschiedlich gestalteter Tempokurven, so zeigt sich, dass diese den Werkverlauf eigenständig profilieren und mit anderen Ebenen der Formgestaltung interagieren. Die aus der Wahl des Zeitmaßes resultierenden Temporelationen zwischen einzelnen Liedern können dabei, müssen aber nicht der von Schumann selbst angegebenen Tempokurve ähneln. Ausschlaggebend für den individuellen Kurvenverlauf ist, wie die Abfolge der einzelnen Tempi zur Suggestion von ›Kontinuität‹ oder ›Wandel‹ im Formverlauf beiträgt, ob und inwieweit sie zäsurbildende Wirkung entfaltet und wie sie Strecken mittelfristiger Tempoverlangsamung bzw. -beschleunigung zur Gruppenbildung innerhalb der Liedfolge einsetzt. So können etwa in der narrativen Struktur der vertonten Gedichtvorlagen, je nach Disposition der Temporelationen und der dadurch bedingten Gruppierung der Einzellieder, die narrative Rahmung (Lieder Nr. 1 und 7), das Streben nach Auswegen aus einer Krisensituation (Nr. 2–4; Nr. 5–7) oder der unaufhaltsame Abstieg zum letalen Ende hin (Nr. 6) akzentuiert werden. Insgesamt bestätigt und vertieft der vorliegende Beitrag Beobachtungen, die im Rahmen vorangegangener Forschung an anderen Beispielen zyklischer Musikwerke gemacht wurden: Die Tempogestaltung der klingenden Darbietung musikalischer Werke fungiert als performatives Mittel zyklischer Formgebung. Dabei macht die Tatsache, dass Tempoeindrücke auf verschiedenen metrischen Ebenen empfangen werden können, deutlich: Zur Gestaltung performativer Form tragen letztlich nicht nur die Musizierenden, sondern auch die Hörenden selbst bei.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind ausbaufähig. Schon im Hinblick auf die Tempovorschriften in Schumanns Lenau-Liedern op. 90 wurden noch keineswegs alle denkbaren Fragen gestellt. So fordert Schumann etwa in zweien der sieben Lieder per Vortragsanweisung nicht metronomisch präzisierte Modifikationen des Grundtempos ein. In Nr. 4 Die Sennin soll das Tempo in der Schlussphase verlangsamt werden (T. 38–41: »zurückhaltend«); Nr. 7 Requiem soll ab Takt 21 »Nach und nach belebter« vorgetragen, mit Einsatz der Reprise (T. 46) soll dann das »Erste[] Tempo« wiederhergestellt werden. Für beide Lieder wäre zu untersuchen, wie – gegebenenfalls: wie unterschiedlich – diese Anweisungen auf verschiedenen Aufnahmen umgesetzt werden und ob sich dadurch neue spezifische Bezüge zwischen den Temporelationen der sieben Lieder auftun. Zu analysieren wäre dabei, genau welches (verlangsamte) Tempo eine Aufnahme in den Schlusstakten von Nr. 4 (T. 42–45) erreicht und in welchem Verhältnis dieses etwa zum Tempo des nachfolgenden Lieds steht. Im Fall von Nr. 7 Requiem wäre für die einzelnen Aufnahmen zu klären, ob die vorgeschriebene Beschleunigung noch vor dem Eintritt der Reprise zu einem Ende findet und – falls ja – ob das dabei erreichte Zieltempo sich zum Zeitmaß vorangegangener Lieder in ein bedeutsames Verhältnis setzen lässt. Dass Interpret:innen außerdem durch eigenständige, vom Notat nicht vorgegebene Tempomodifikationen fließende Übergänge schaffen können, demonstriert beispielhaft das erwähnte ›Anrollen‹, mit dem auf der Aufnahme Schreier/Shetler 1972/23 das Lied Nr. 4 Die Sennin beginnt: Dieser Fall erinnert daran, dass (wie oben angedeutet) eine genauere Untersuchung des Rubatogebrauchs zu einer weiteren Differenzierung der Kategorie ›Tempoeindruck‹ führen könnte. Vertiefende Aufnahmeanalysen, gegebenenfalls auch eine empirisch-hörpsychologisch orientierte Studie böten hierfür geeignete Rahmenbedingungen. Darüber hinaus könnte ein umfangreicheres Aufnahmenkorpus als das hier vorgelegte eventuell Aufschlüsse zu übergeordneten Fragestellungen ermöglichen, so zu interpretations-stilhistorischen Entwicklungen oder zum Einfluss interpretationsstilistischer ›Schulen‹. Allerdings dürften sich für solche Untersuchungen andere Kompositionen, die eine höherrangige Position im ›Kanon‹ für sich beanspruchen dürfen – und daher eine umfangreichere Diskographie aufweisen – eher anbieten als Schumanns Opus 90, das erst verhältnismäßig spät in den Gesichtskreis des Publikums wie der Fachwelt geraten ist (im Vergleich etwa zu früh prominent gewordenen ›Dauerbrennern‹ wie Schumanns Dichterliebe op. 48 oder seinem Liederkreis op. 39 nach Gedichten von Joseph von Eichendorff).[44] Überhaupt können Untersuchungen wie die hier vorgelegten natürlich auch an zahlreichen anderen Werken vorgenommen werden. Die konsequente Metronomisierung eines großangelegten Opus findet sich für den Liedbereich etwa auch in Hugo Wolfs Italienischem Liederbuch (1891/96). Der Aufführungstradition (und dem ›Liederbuch‹-Konzept) entsprechend wird die Reihenfolge der insgesamt 46 Lieder bei Gesamt- und Teilaufführungen oft von den Interpret:innen selbst festgelegt. Die Frage nach beziehungsreicher Tempogestaltung ist in diesem Fall also besonders interessant, weil den Musizierenden ohnehin hohe Eigenverantwortung für eine eventuell zyklische Gesamtwirkung der Liederfolge übertragen ist. Es scheint, als werde sich das Thema der Tempogestaltung im Sinne performativer Formung auch für künftige Vorhaben im Bereich Interpretationsforschung/Performance Studies als Fundgrube erweisen.

Anhang: Herleitung des Toleranzrahmens für ›Tempoidentität‹

Die Marke von 10 % Abweichung als Toleranzrahmen für annähernde Tempoidentität findet sich auch anderswo in interpretationsanalytischer Literatur.[45] Sie ist aber zugleich mit konkretem Bezug zum hier untersuchten Gegenstand gewählt, und zwar mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen flexibler Agogik und Durchschnittstempo. Die dem vorliegenden Beitrag zugrundeliegenden Tempomessungen basieren auf Durchschnittswerten, nivellieren also die Beschleunigungen und Verlangsamungen, die sich während des Musizierens aus dem Gebrauch von Tempo rubato ergeben. Dies lässt sich gut anhand der verschiedenen Aufnahmen von Nr. 2 Meine Rose demonstrieren. Schumanns Tempobezeichnung für dieses Lied ist »Langsam, mit innigem Ausdruck«, eine Angabe, die – wie auf mehreren Aufnahmen zu hören – den Gebrauch von Tempo rubato begünstigt. Die agogischen Schwankungen lassen sich aufgrund der in Achtelnoten pulsierenden Begleitfigur des Klaviers (siehe Bsp. 2) deutlich nachvollziehen. So wird etwa in Takt 3 der Aufnahme von Bauer und Hielscher (2008) eine deutliche Verlangsamung spürbar: Während das für diese Aufnahme gemessene Durchschnittstempo rund 20 bpm pro Takt beträgt (siehe Tab. 1), müsste Takt 3 mit rund 17 bpm metronomisiert werden; rechnerisch exakt handelt es sich um eine Abweichung von 13 % (Audiobsp. 17).[46]

Audiobeispiel 17: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2 (Beginn); Thomas E. Bauer / Uta Hielscher [Aufnahme 2008],
Schumann Lied Edition, Vol. 6: Myrthen. 6 Gedichte und Requiem, Naxos 8.557079, © 2011, Track 28 (0'00"–0'13")

Für jede Aufnahme dieses Lieds lässt sich ein mittlerer Wert solcher Abweichungen vom Grundtempo angeben (Tab. 7).

Abbildung

Tabelle 7: Schumann, Meine Rose op. 90 Nr. 2, T. 1–14 in zehn verschiedenen Aufnahmen;
durchschnittliche Abweichungen vom mittleren Tempo, ermittelt in bpm pro Takt (s = Standardabweichung)

Bei der Festlegung des Toleranzrahmens für ›Tempoidentität‹ wurde davon ausgegangen, dass dieser Rahmen nicht kleiner ausfallen sollte als die durchschnittliche Abweichung vom Durchschnittstempo im Rahmen einer rubato musizierten musikalischen Einheit. Aus dieser Überlegung folgte die Marke von 10 % (siehe Tab. 7, Aufnahme McDaniel/Klust 1965). Nicht berücksichtigt wurden bei der Berechnung jeweils der am stärksten beschleunigte und der am stärksten verlangsamte Takt einer Aufnahme (im Beispiel Bauer/Hielscher 2008 also z. B. der besprochene Takt 3), dies auf Basis der Annahme, dass solche Extremwerte nicht mehr als Ausprägungen eines ›Grundtempos‹ aufgefasst werden müssen.

Anmerkungen

1

Vgl. Loesch 2022, 483.

2

Vgl. https://institut1.kug.ac.at/petal/ (1.3.2023).

3

Vgl. Motavasseli 2021; Gingras 2021; Rector 2021; Hell 2021; Glaser 2021; Zenck 2021; Utz 2021; Sprau 2021.

4

Glaser/Linke/Sprau/Utz 2021, 7.

5

Utz 2020, 349.

6

Ebd., 350.

7

Ebd. Aufnahme verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=zCu7G9HlkcU (1.3.2023).

8

Litzmann 1905, 221.

9

Vgl. Sprau 2016. Der folgende Abschnitt »Zu den Metronomangaben in Schumanns op. 90« greift ebd. (192–198) angestellte Überlegungen in vertiefender Weise auf.

10

Kapp 1984, 110, mit Bezug auf das Jahr 1853.

11

Von seinen Liedwerken für Solostimme und Klavier versieht Schumann außerdem die Opera 95, 107, 117 und 125 durchgehend mit Metronomzahlen.

12

Für diese Auskunft danke ich Timo Evers (Neue Robert-Schumann-Gesamtausgabe, Mainz).

13

Schumann 1887; Friedlaender (Hg.) (o.J.), 36–53.

14

Vgl. Wendt 2012, 219.

15

Tatsächlich könnte Schumann allerdings auch ein inkorrekt skaliertes Metronom benutzt haben (vgl. ebd., 221 f. und 229). In diesem Fall wäre die Aussagekraft auch der Temporelationen erheblich reduziert. Zumindest als nominelle Größen wären sie aber selbst in diesem Fall noch bedeutsam.

16

Bengen/Frobenius/Behne 1998. Vgl. Synofzik 2020, 241.

17

Schumann 1850, 3; Quelle: Klassik Stiftung Weimar/Herzogin Anna Amalia Bibliothek/Signatur F 553 (ebenso für Beispiele 2–7).

18

Ebd., 4.

19

Ebd., 7.

20

Ebd., 9.

21

Ebd., 12.

22

Ebd., 16.

23

Ebd., 19.

24

Vgl. Krebs 2011. Metrische Besonderheiten und ihr expressiver Gehalt sind bereits das Thema der auf Schumanns Gesamtwerk bezogenen Monographie desselben Autors (Krebs 1999).

25

Ebenso: Nr. 6, Takte 6, 22 f. und 26.

26

Den Begriff der metrischen ›Dissonanz‹ verwendet Krebs einerseits für die Überlagerung metrisch unterschiedlich geordneter Muster (grouping dissonance; dieser Fall liegt in Lied Nr. 6 vor), andererseits für die Verschiebung eines rhythmischen Geschehens gegen den Grundpuls (displacement dissonance; vgl. Krebs 1999, 31–33). Die Termini grouping dissonance und displacement dissonance übernimmt Krebs von Peter Kaminsky (vgl. ebd., 31 und 260, Anm. 16).

27

Ebenso bzw. ähnlich: Nr. 2, Takte 12, 14–16, 25, 27 f., 30 f., 35, 37–39, 48 und 50–52.

28

Kapp 1984, 110.

29

Die exakten Quellenangaben zu den Aufnahmen sind im Anhang zu finden.

30

Diese Tempi wurden in jeder Liedaufnahme als Durchschnittswert pro angegebener Zählzeit für diejenige Taktgruppe ermittelt, die sich aus der Einleitung für Klavier solo und der Vertonung der ersten Textstrophe ergibt (Nr. 1: T. 1–9; Nr. 2: T. 1–14; Nr. 3: T. 1–8; Nr. 4: T. 1–10; Nr. 5: T. 1–12; Nr. 6: T. 1–16; Nr. 7: T. 1–14). Ausgespart wurden die erste Hälfte von Takt 1 in Nr. 3 (da die Musik dort erst auf der zweiten Achtelzählzeit einsetzt) und Takt 8 in Nr. 5 (da er die Angabe ritard. und eine Fermate enthält). Zur Methodik vgl. Synofzik 2020, 257.

31

Zur Begründung dieses Toleranzrahmens siehe Anhang.

32

Vgl. etwa in den Tabellen 1 und 2 die Werte für die Lieder Nr. 4 und Nr. 5 in der Einspielung von Nathan Berg und Julius Drake (2007).

33

Jeweils schnelleres Tempo im Zähler, langsameres Tempo im Nenner.

34

Jeweils schnelleres Tempo im Zähler, langsameres Tempo im Nenner.

35

Jeweils schnelleres Tempo im Zähler, langsameres Tempo im Nenner.

36

Allerdings sind die Messwerte gelegentlich nicht weit davon entfernt; siehe Tabelle 2.

37

Vgl. Sprau 2016, 187–191.

38

Vgl. Friedlaender (Hg.) (o.J.), 36–53. Die dort gewählte Tonartenfolge Es-Dur / As-Dur / E-Dur / A-Dur / Es-Dur (es-Moll) / cis-Moll / Des-Dur findet sich bei Holzmair/Levy 1990, Gerhaher/Huber 2004, Bauer/Hielscher 2008 und Gerhaher/Huber 2021.

39

Schreier/Shetler 1972/73, Chase/Schepkin 2013 und Landshamer/Huber 2015.

40

Zum Umgang der im Kunstliedbereich üblichen Transpositionspraxis mit originalen Tonartenrelationen vgl. kritisch informativ Spring 2022, 218–221. Zu Max Friedlaenders Schubertlieder-Ausgabe als dem Ausgangspunkt seiner Zusammenarbeit mit der Edition Peters vgl. Günther 2016, 289–302 (dort finden sich Aufschlüsse über pragmatische Aspekte, die für die in Peters-Ausgaben getroffenen Transpositionsentscheidungen maßgeblich waren).

41

Vgl. Sprau 2016, besonders 214–280.

42

Zur komplex-zerquälten Struktur der Lieder Nr. 5 Einsamkeit bzw. Nr. 6 Der schwere Abend vgl. Velten 1998, 93–96 (Nr. 5) und Mahlert 2002, 479–486 (Nr. 6). Zitat: Nr. 1 Lied eines Schmiedes, 3. Strophe.

43

Kapp 1984, 110.

44

Vgl. Sprau 2016, 11–13.

45

Vgl. Motavasseli 2021, 27, Table 2.

46

Durchschnittstempo: 20,14 bpm pro Takt; Tempo für Takt 3 allein: 17,46 bpm.

Literatur

Bengen, Irmgard / Wolf Frobenius / Klaus-Ernst Behne (1998), »Tempo«, in: MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter. https://www.mgg-online.com/mgg/stable/12907 (14.12.2023)

Epstein, David (1995), Shaping Time. Music, the Brain, and Performance, New York: Schirmer.

Gingras, Bruno (2021), »Using Linear Mixed-Effects Models to Analyze Historical Trends in Performance Strategies. Commentary on Majid Motavasseli’s Article ›Interpretation of Cyclic Form in Bach’s Goldberg Variations through Performance History‹«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 71–77. https://doi.org/10.31751/1120

Glaser, Thomas (2021), »Formgestaltung aus aufführungspraktischer Perspektive. Zur Interpretationsgeschichte von Beethovens 33 Veränderungen über einen Walzer von A. Diabelli op. 120«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 253–285. https://doi.org/10.31751/1128

Glaser, Thomas / Cosima Linke / Kilian Sprau / Christian Utz (2021), »Editorial«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 5–16. https://doi.org/10.31751/1118

Günther, Martin (2016), Kunstlied als Liedkunst. Die Lieder Franz Schuberts in der musikalischen Aufführungskultur des 19. Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner.

Hell, Michael (2021), »Überlieferte Tempoangaben im 17. und 18. Jahrhundert und ihre mögliche Übertragung auf Bachs ›Goldberg-Variationen‹«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 113–131. https://doi.org/10.31751/1122

Kapp, Reinhard (1984), Studien zum Spätwerk Robert Schumanns, Tutzing: Schneider.

Krebs, Harald (1999), Fantasy Pieces. Metrical Dissonance in the Music of Robert Schumann, New York: Oxford University Press.

Krebs, Harald (2011), »Meter and Expression in Robert Schumann’s Op. 90«, in: Rethinking Schumann, hg. von Roe-Min Kok und Laura Tunbridge, New York: Oxford University Press, 183–205.

Litzmann, Berthold (1905), Ehejahre 1840–1856 (= Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, Bd. 2), Leipzig: Breitkopf & Härtel.

Loesch, Heinz von (2022), »Tempo und Tempomodifikationen«, in: Aspekte – Parameter (= Geschichte der musikalischen Interpretation im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 3), hg. von Heinz von Loesch, Rebecca Wolf und Thomas Ertelt, Kassel: Bärenreiter / Berlin: Metzler, 440–499.

Mahlert, Ulrich (2002), »Der schwere Abend (Nikolaus Lenau) – Vertonungen der Schumann-Zeit im Vergleich«, in: Schumanniana nova. Festschrift Gerd Nauhaus zum 60. Geburtstag, hg. von Bernhard R. Appel, Ute Bär und Matthias Wendt, Sinzig: Studio, 449–486.

Motavasseli, Majid (2021), »Interpretation of Cyclic Form in Bach’s ›Goldberg Variations‹ through Performance History«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 19–69. https://doi.org/10.31751/1119

Rector, Michael (2021), »Performing Structure. Tempo in Glenn Gould’s ›Goldberg Variations‹«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 79–112. https://doi.org/10.31751/1121

Sprau, Kilian (2016), Liederzyklus als Künstlerdenkmal. Studie zu Robert Schumann, Sechs Gedichte von Nikolaus Lenau und Requiem op. 90. Mit Untersuchungen zur zyklischen Liedkomposition und zur Künstlerrolle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, München: Allitera.

Sprau, Kilian (2021), »Gemessenes Wandern. Zur performativen Umsetzung von Tempo-Taktart-Korrespondenzen in Schuberts Winterreise«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 433–478. https://doi.org/10.31751/1133

Spring, Rudi (2022), »Kom-ponierte Mosaike. ›Philosophie der Programmgestaltung‹«, in: Rudi Spring. Komponist, Pianist, Pädagoge, hg. von Bernd Oberdorfer, Kilian Sprau und Wolfgang Steger, München: Allitera, 211–223.

Synofzik, Thomas (2020), »Tempo«, in: Musik aufführen. Quellen – Fragen – Forschungsperspektiven, hg. von Kai Köpp und Thomas Seedorf, Laaber: Laaber, 235–264.

Utz, Christian (2020), »Zur Poetik und Interpretation des offenen Schlusses. Inszenierungen raum-zeitlicher Entgrenzung in der Musik der Moderne«, Die Musikforschung 73/4, 324–354. https://doi.org/10.52412/mf.2020.H4.3

Utz, Christian (2021), »Exzentrisch geformte Klang-Landschaften. Dimensionen des Zyklischen im Lichte von 106 Tonaufnahmen von Schuberts Winterreise aus dem Zeitraum 1928–2020«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 341–431. https://doi.org/10.31751/1132

Velten, Klaus (1998), »Robert Schumanns Lenau-Vertonungen op. 90«, in: Robert Schumann. Philologische, analytische, sozial- und rezeptionsgeschichtliche Aspekte, hg. von Wolf Frobenius, Ingeborg Maaß, Markus Waldura und Tobias Widmaier, Saarbrücken: SDV, 90–96.

Wendt, Matthias (2012), »Tempora mutantur oder Wie viele Metronome besaß Robert Schumann eigentlich?«, in: Schumann-Studien, Bd. 10, hg. von Thomas Synofzik, Sinzig: Studio, 217–240.

Zenck, Martin (2021), »Das Hörbar-Machen von zyklischen Potentialen in der musikalischen Interpretation. Eduard Steuermanns Live-Mitschnitt der ›Diabelli-Variationen‹ vom 13. Mai 1963«, in: Musikalische Interpretation als Analyse. Historische, empirische und analytische Annäherungen an Aufführungsstrategien musikalischer Zyklen, Sonderausgabe der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie, 287–305. https://doi.org/10.31751/1129

Noten

Friedlaender, Max (Hg.) (o. J.), Robert Schumann. Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung Band III. Ausgabe für mittlere Stimme, Frankfurt: Peters.

Schumann, Robert [1850], Sechs Gedichte von N. Lenau und Requiem altkatholisches Gedicht für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 90, Leipzig: Kistner.

Schumann, Robert (1887), Sechs Gedichte von N. Lenau und Requiem (altkatholisches Gedicht). Op. 90. Serienausgabe, in: Robert Schumann’s Werke Serie XIII, Nr. 24, hg. von Clara Schumann, Leipzig: Breitkopf & Härtel.

Aufnahmen

Gérard Souzay / Dalton Baldwin [Aufnahme 1961], Gérard Souzay chante Schumann, BnF Collection, © 2015, Tracks 17–23.

Barry McDaniel / Hertha Klust [Aufnahme 1965], Barry McDaniel. Hertha Klust. Aribert Reimann. Schubert. Schumann. Wolf. Duparc. Ravel. Debussy, Audite 23.426, © 2012, CD 1, Tracks 11–17.

Peter Schreier / Norman Shetler [Aufnahme 1972 oder 1973], Schumann. Lieder Vol. IV, Berlin Classics BC 2113-2, © 1993, Tracks 16–22.

Wolfgang Holzmair / Daniel Levy [Aufnahme 1990], Lieder on Poems by Heine, Lenau and Geibel, Edelweiss Records ED 1023, © 1990, Tracks 14–19 [ohne Nr. 7 Requiem]

Christian Gerhaher / Gerold Huber [Aufnahme 2004], Schumann. Dichterliebe, RCA Red Seal 82876 58995 2, © 2004, Tracks 17–23.

Nathan Berg / Julius Drake [Aufnahme 2007], Lieder Recital, Atma Classique ACD2 2571, © 2008, Tracks 7–13.

Thomas E. Bauer / Uta Hielscher [Aufnahme 2008], Schumann Lied Edition, Vol. 6: Myrthen. 6 Gedichte und Requiem, Naxos 8.557079, © 2011, Tracks 27–33.

Darren Chase / Sergey Schepkin [Aufnahme 2013], Liederkreis, Arabesque Recordings Z6852, © 2013, Tracks 13–19.

Christina Landshamer / Gerold Huber [Aufnahme 2015], Lieder, Oehms Classics OC 1848, © 2016, Tracks 19–25.

Christian Gerhaher / Gerold Huber [Aufnahme 2021], Schumann. Alle Lieder, Sony Classical 19439780112, © 2021, CD 11, Tracks 22–28.

Dieser Text erscheint im Open Access und ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

This is an open access article licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License.