Verfahren der Modusdarstellung in Gioseffo Zarlinos Musici quinque vocum moduli
Roman Lüttin
Die 1549 publizierten Musici quinque vocum moduli sind die erste selbstständige Veröffentlichung Gioseffo Zarlinos und zugleich der früheste Beleg für eine Glarean-Rezeption in Italien. Mit den Begriffen Ionisch, Hypoionisch und Äolisch werden sieben der 19 Motetten mit Termini überschrieben, die zuerst 1547 in Glareans Dodekachordon erscheinen. Der Druck enthält weiterhin acht Vertonungen, die auf einen unvollendeten Motetten-Zyklus im damals noch gängigen, traditionellen System der acht Modi verweisen. Es scheint, als habe Zarlino im Zeitraum von 1547 bis 1549 das zwölftönige Modussystem von Glarean übernommen und dadurch die Idee eines achttönigen Zyklus verworfen. Seine Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Modalität lässt sich auch in den Werken selbst nachvollziehen. Eine Analyse dreier Motetten versucht Verfahrensweisen und Modelle offenzulegen, die Zarlino nutzt, um einen Modus im mehrstimmigen Satz darzustellen und klanglich zu etablieren. Die identifizierten kompositorischen Verfahren Zarlinos können dazu beitragen, den Tonarten-Begriff der 1558 publizierten Istitutioni harmoniche zu präzisieren.
Musici quinque vocum moduli, published in 1549, is Gioseffo Zarlino’s first independent publication and is also the earliest evidence of Glarean’s reception in Italy. Seven of the nineteen motets are headed with terms that first appear in Glarean’s Dodekachordon in 1547: Ionic, Hypoionic, and Aeolian. The volume also contains eight settings that refer to an uncompleted cycle of motets in the traditional system of eight modes still common at this time. It seems that Zarlino adopted Glarean’s twelve-tone mode system in the period from 1547 to 1549, thereby discarding the idea of his eight-tone cycle. His examination of the thematic complex modality can furthermore be traced in the works themselves. An analysis of three motets reveals procedures and models that Zarlino uses to represent and sonically establish a mode in a polyphonic composition. Zarlino’s compositional procedures, as identified here, can help clarify the central concepts of his later treatise Istitutioni harmoniche from 1558.
In den musiktheoretischen Schriften des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts ereignet sich ein vielschichtiger Diskurs um die Modi als tonale Strukturen mehrstimmiger Musik. Dabei stehen nicht nur Anzahl und Herleitung der Modi zur Debatte, sondern auch die Frage, wie bzw. ob ›in‹ einem Modus komponiert werden kann und welche Kriterien einen Modus überhaupt definieren. Neben dem aus der Choralpraxis stammenden Finaliskriterium eint vor allem das 1476 in Johannes Tinctoris’ Liber de natura et proprietate tonorum[1] formulierte Tenorprinzip die verschiedenen Schriften – als fundamentum relationis stellt der Tenor den gemeinsamen Bezugspunkt aller Stimmen dar und bestimmt so den Gesamtmodus eines Werkes. Die Lehre Tinctoris’ erfährt durch Franchino Gaffurios Practica musice[2] eine weite Verbreitung. Gaffurio verknüpft das Regelwerk der Modi dabei auch mit (einstimmigen) Zäsur- und Kadenztönen, den distinctiones. 1525 erweitert Pietro Aaron in seinem Trattato della natura[3] diese Lehren sodann um die flexibel aufzufassende Kategorie des processo: Zur modalen Beurteilung eines Werkes soll nun der Melodieverlauf aller Stimmen herangezogen werden. Zusätzlich erklärt Aaron auch mehrstimmige Kadenzen zu moduskonstituierenden Elementen. 1547 führt Heinrich Glarean in seinem Dodekachordon[4] mit der phrasis schließlich eine weitere, eher unscharfe Kategorie zur Beurteilung des Melodieverlaufs und damit zur Modusbestimmung ein.[5]
Konkrete Hinweise zur Darstellung eines Modus im Satzverlauf finden sich in den Traktaten insgesamt eher selten, und so bleibt auch die Frage nach angemessenen Analysekriterien der tonalen Organisation von Werken aus dieser Zeit bis heute relevant.[6] Die genannten Schriften liefern gleichwohl Ansätze für Analysen und dienen als Ausgangspunkt des vorliegenden Aufsatzes, in dem die 1549 bei Antonio Gardano publizierten Musici quinque vocum moduli von Gioseffo Zarlino betrachtet werden. Die Moduli bilden als erste Publikation Zarlinos eines von zahlreichen Zeugnissen seiner auch musikpraktisch stattfindenden Auseinandersetzung mit den Modi. Nach einigen allgemeinen Anmerkungen zu dem Motettendruck werden im Folgenden drei Werke in den Blick genommen, um Verfahrensweisen nachzuspüren, durch die Zarlino einen Modus kompositorisch darstellt. Die Untersuchung seiner musikpraktischen Moduskonzeption soll ein Gegengewicht zur vielzitierten Moduslehre der Istitutioni harmoniche herstellen und dazu beitragen, Zarlino nicht nur als Theoretiker, sondern auch als Komponisten wahrzunehmen.[7] Seine Werke werden bewusst nicht vor dem Hintergrund seiner neun Jahre später veröffentlichten Theorie diskutiert, sondern ausgehend von den Kategorien Gaffurios, Aarons und Glareans in den Blick genommen.
Zarlinos Musici quinque vocum moduli
Der Moduli-Druck umfasst 19 fünfstimmige Motetten, von denen 16 mit modalen Labels versehen sind.[8] Indem sieben Motetten von Zarlino mit den zuerst 1547 in Glareans Dodekachordon erscheinenden Termini Ionisch, Hypoionisch und Äolisch überschrieben werden, liefert dieser Druck den frühesten Beleg für eine Glarean-Rezeption in Italien. Die Moduszuordnungen sind jeweils in einer der Stimmen mit dem modusdefinierenden Finaliston abgedruckt. Sie stehen bei den meisten Werken im Tenor, drei Mal jedoch auch im Quintus. Die Sortierung der Werke innerhalb des Drucks erfolgt aus der Kombination von Schlüsselung, Finalis und Cantus-Vorordnung (siehe Tab. 1), die Harold S. Powers unter dem Begriff der tonal types zusammenfasst.[9]
Abbildung 1: Frontispiz der Musici quinque vocum moduli, D-WRha, Mus.pr. A 234, Tenor
Tabelle 1: Übersicht über die Musici quinque vocum moduli
Im Druck finden sich acht Vertonungen aus dem Hohelied Salomos, die Teil eines zunächst intendierten, jedoch nie vollendeten Zyklus aus Hohelied-Vertonungen sind (siehe Tab. 2). Es scheint, als habe Zarlino die acht Hohelied-Kapitel im traditionellen System der acht Modi als modalen Zyklus vertonen wollen. Mehrere Motetten ergeben jeweils ein Kapitel. Erst Christle Collins Judd entdeckte nach über 450 Jahren das Fragment gebliebene Vorhaben,[10] das sie als »extraordinary undertaking« bezeichnet: »It appears to be the first polyphonic cycle setting texts from the Song of Songs, and it sheds light on important musical, theoretical, and theological questions central to our understanding of sacred music in Venice in the 1540s.«[11]
Durch die Nutzung Glarean’scher Termini im Druck liegt nahe, dass Zarlino im Zeitraum von 1547 bis 1549 das zwölftönige Modussystem von Glarean übernommen und dadurch die Idee des Zyklus – basierend auf dem achttönigen System – verworfen hat. Der vermeintlich abgebrochene Zyklus sollte sodann durch die separate Publikation einiger Hohelied-Vertonungen in Sammeldrucken[12] sowie durch die unregelmäßige Anordnung im Gardano-Druck verschleiert werden:
Zarlino did not discard these motets in light of Glareanus’ theories. Instead, he expediently rearranged motets from the cycle in the service of his publication ambitions in 1549: one motet from each chapter [aus den bereits zu großen Teilen vertonten Hohelied-Büchern 1–3] is missing from the Musici quinque vocum moduli, the motets are reordered, and other works are inserted between members of the cycle.[13]
Auch die Modusbezeichnung der Motette Ego veni in hortum meum (siehe Abb. 2) suggeriert, dass Glareans Theorie für den Abbruch des Zyklus verantwortlich war. Zarlino vertont mit der Motette den Beginn des fünften Hohelied-Kapitels, deklariert sie im Gardano-Druck jedoch als ionisch (und gerade nicht als lydisch).
Abbildung 2: Tenorstimme der Motette Ego veni in hortum meum mit ionischem Moduslabel, D-WRha, Mus.pr. A 234, 12
Tabelle 2: Übersicht über den geplanten Hohelied-Zyklus
Die modale Kategorisierung der Werke, die Anordnung im Druck nach tonal types[14] sowie die Ansätze (bzw. Überreste) eines modalen Zyklus belegen die gedankliche Auseinandersetzung Zarlinos mit dem Themenkomplex Modalität. Wie bereits Wolfgang Horn feststellt, dürfte jedoch neben den Hohelied-Motetten auch ein nicht unwesentlicher Teil der elf übrigen Motetten bereits »vor Zarlinos Glarean-Lektüre komponiert worden sein, da nur sieben der zwölf möglichen Modusnamen Verwendung finden.«[15] Ausgehend von den eingangs skizzierten Moduskriterien Gaffurios, Aarons und Glareans, deren Schriften Zarlino im Venedig der 1540er-Jahre kennengelernt haben dürfte,[16] werden nun die konkreten kompositorischen Verfahren der Modusdarstellung erörtert.[17]
Osculetur me: ›Dorisch-diatonisch‹
Die Hohelied-Motette im dorischen Modus ist a voce piena disponiert: Tenor, Quintus und Superius umfassen einen authentischen, Alt und Bass einen plagalen Ambitus. Bis auf wenige -Vorzeichnungen finden sich keine Akzidenzien, das Stück verläuft im diatonischen Rahmen. Die prima pars schließt mit einem Plagalschluss auf a, die secunda pars mit einer Kadenz auf d. Eine Betrachtung der Textverteilung ermöglicht eine weitere Unterteilung in zehn untergeordnete Abschnitte, die sich fast immer überschneiden.[18] Nur selten stehen Kadenzen mit einer syntaktischen Funktion am Ende der Abschnitte. Diese heben sich indes durch verschiedene Motivkomplexe voneinander ab, die als flexible soggetti zu verstehen sind. Den Versanfängen wird am Beginn eines Abschnitts ein rhythmisches Deklamationsmodell zugewiesen, das melodisch frei variiert werden kann. Die Modelle können mit melodischem Material verknüpft sein, müssen es aber nicht. Zwei der fünf Stimmen bilden dabei durch eine intervallgetreue Imitation oft einen Rahmen, in den sich die weiteren Stimmen melodisch frei, rhythmisch jedoch relativ streng gebunden einfügen. Das Verfahren findet sich in allen Hohelied-Vertonungen der Moduli. Einen größeren formalen Zusammenhang stiften in dieser Motette eben nicht die Motivkomplexe oder soggetti, sondern der Ablauf des Textes und – wie zu zeigen ist – die Darstellung des Modus.
Zunächst zur Disposition des Exordiums (siehe Bsp. 1): Die fünf Stimmen setzen quasi-imitativ auf den Finalis- und Repercussa-Stufen d und a ein. Eine intervallgetreue Imitation gibt es nur zwischen Tenor und Bass (T. 4–6, 8–10). Zwischen Alt und Superius sowie zwischen Tenor und Quintus ergibt sich der Quintklang d-a. In den Einzelstimmen wird der Modus dabei durch rhythmisch-melodische Schwerpunkte nahegelegt. So setzt etwa der Superius auf der Repercussa a ein und umkreist in seiner Anfangsphrase zumeist diesen Ton. In Takt 5 durchläuft er die Quintspezies re-la und beschließt die Phrase in Takt 9 erneut auf a. Im Tenor zeigen sich einmal die Quintspezies sowie der Rahmen der Quartspezies des dorischen Modus (T. 8 f.).
Beispiel 1: Osculetur me, T. 1–10
Bedingt durch die a voce piena-Disposition und die Fortschreitung in Terz-Quint-Klängen prägen die Stimmen im Melodieverlauf bestimmte ›Bereiche‹ der dorischen Oktav jeweils unterschiedlich stark aus. Die Modusdarstellung in den Einzelstimmen wird dadurch aber nicht weniger deutlich. Ein Beispiel liefert der besonders plagale Charakter des Basses, der sich vor allem an den Enden der beiden partes äußert (T. 42–49, 102–108; siehe Bsp. 2).
Beispiel 2: Osculetur me, Bass, T. 42–49 sowie 102–108
Die Modusdarstellung erfolgt vor allem durch rhythmisch-melodisch exponierte ›Zentraltöne‹ sowie durch die melodische Omnipräsenz der Quintspezies re-la. Als Beispiel für die Exposition dieser ›Zentraltöne‹ eignet sich der Beginn der secunda pars ab Takt 50 (siehe Bsp. 3). Das Motiv des Abschnittes »Trahe me post te« besteht im Wesentlichen aus einem betonten Durchlaufen der Quint und einer Exposition der Rahmentöne der durchschrittenen Spezies. Als Zieltöne werden diese durch die synkopische Anlage bzw. Punktierungen rhythmisch noch hervorgehoben. Das Motiv der Quintspezies re-la mit einer punktierten Halben und dem anknüpfenden Viertelaufstieg wird bereits in der prima pars mehrfach (auch in der Umkehrung als la-re) verwendet. Vor allem zu Beginn und am Ende beider partes ist eine verstärkte Präsenz dieser Quintspezies zu beobachten (vgl. T. 5, 8, 50 f., 55 f., 58 sowie T. 38, 42 f., 101 f., 106 f.). Bereits in der prima pars, im quasi-imitativen Rahmen der Eröffnung des zweiten Abschnitts und in der Mitte der secunda pars tritt das Motiv aber auch in der Gestalt anderer Spezies auf (vgl. ut-sol in T. 10, 12, 23, 29 und mi-mi in T. 59 f., 62 f.). Der Modus scheint als ›Formfaktor‹ vor allem an den Randbereichen der partes im Rahmen melodischer Ausfüllungen wirksam. Das Viertelmotiv der re-la-Quintspezies kann als Melisma und verbindendes motivisches Moment zudem eine Art ›dorischen Kitt‹ zwischen den Abschnitten und ihren unterschiedlichen soggetti herstellen.
Beispiel 3: Osculetur me, T. 50–60
Die Gesamtanzahl der Kadenzen fällt durch das dichte Satzgefüge eher gering aus. Bis auf die Finalkadenzen der partes finden sich keine weiteren Kadenzen auf d und a. Gelegentlich wird auf f, am häufigsten jedoch auf c und e kadenziert.[19] Bei Aaron werden diese Stufen im ersten Ton als clausulae peregrinae benannt. Die Kadenzen erscheinen zudem oft als cadenze semplici, sfuggite oder in mi. Sie haben selten eine hörbare Zäsurwirkung. In den Klauseln der Einzelstimmen, Gaffurios distinctiones, zeigt sich ebenfalls eine Affinität zu den Stufen c und e. Viele der Klauseln zielen jedoch auch auf a und d. Kadenzen und Klauseln spielen hier allenfalls eine geringe Rolle für die Artikulation des Dorischen. Der Ton c indes wird nicht nur in Kadenzen immer wieder hervorgehoben, sondern etwa auch als Zielpunkt der Themenformulierung am Beginn der secunda pars (T. 51 f.) oder durch die Quintspezies ut-sol (etwa T. 59 f.). Er kann als dritter Zentralton neben d und a gelten.
Im Durchlaufen modusfremder Quintspezies (ut-sol, mi-mi) wird ein diatonisches Moment der Modi deutlich, das vor allem in der Mehrstimmigkeit zum Tragen kommt. Es scheint, als würde Zarlino dies auch nutzen, um dem Ideal einer klanglichen varietas gerecht zu werden. Klangverbindungen scheinen im Rahmen der Kadenzbildung zwar als Merkmale des Modus benutzt werden zu können, wie es am Ende der partes zu beobachten ist (vgl. d-a-d-a in T. 47–49 bzw. d-a-d in T. 106–108). Der Modus bildet jedoch keinesfalls das Prinzip, das die Disposition der Zusammenklänge, vor allem im Inneren von Abschnitten, beherrscht. Ihm sind in dieser Motette zuvorderst horizontal-melodische und nur bedingt vertikale Momente eingeschrieben.
O beatum pontificem: ›Dorisch-mollar‹
Die dorische Motette O beatum pontificem basiert auf der gleichnamigen Antiphon,[20] ist a voce piena disponiert und endet auf der Finalis g im Cantus mollis. Der Choral wird von Zarlino in die Oberquart transponiert, melodisch ausgeschmückt und rhythmisch ausgearbeitet. Er taucht als Cantus firmus im Tenor auf und wird im Abstand von sechs Takten als Oberoktavkanon auch im Superius disponiert. Die Kanonstruktur bildet das klangliche wie formale Gerüst des fünfstimmigen Satzes. Es kann davon ausgegangen werden, dass Zarlino zunächst einen passenden Abstand für eine Kanonstruktur des Cantus firmus gesucht und die Vorlage dann rhythmisch-melodisch ausgearbeitet hat. Dieser zweistimmige Gerüstsatz scheint mit den weiteren Stimmen ausgefüllt worden zu sein.
Durch die Kanonstruktur, in der sich beide Stimmen regelmäßig überschneiden, ergibt sich eine formale Gliederung in sechs Abschnitte.[21] Der Superius deklamiert zumeist noch den Vers, den der Tenor und die anderen Stimmen bereits abgeschlossen haben. In den Überschneidungsphasen zwischen alter und neuer Versmelodie entstehen mehrere Klänge, die für das Klangbild der Motette konstitutiv sind. In den meisten Fällen ergeben sich Terz- und Quintklänge auf g und b im (Duo-)Dezimabstand, die Zarlino im fünfstimmigen Satz beinahe durchgehend in Terz-Quint-Klänge integriert. Auf den Stufen g und b finden sich – bedingt durch die exponierte Stellung im Cantus firmus – auch die meisten Kadenzen. Fünf der zehn Kadenzen sind an Versenden zu finden (T. 10, 16, 60, 78, 92). Ihnen kommt bei der Modusbildung eine bedeutendere Rolle als in der Motette Osculetur me zu.
Beispiel 4: Kanonstruktur zwischen Tenor und Superius in O beatum pontificem, T. 11–22
Die Modusdarstellung erfolgt zuerst über den ausgearbeiteten zugrundeliegenden Choral. Beginnend auf der siebten Stufe f liefert dieser im ersten Versabschnitt des Tenors (T. 5–11) bereits eine für die gesamte Motette wesentliche Wendung: das Terzrahmen-Motiv in Takt 6. Das g steht am Taktbeginn und wird durch die Punktierung und Wiederholung in Takt 8 als Ausgangspunkt der Speziesordnung hervorgehoben. Der Abschluss der Phrase mit einer Diskantklausel weist g als Finalis aus. Ein dorischer Charakter lässt sich im Cantus firmus auch im weiteren Werkverlauf gut verfolgen. So sind in der Ausarbeitung der Choralvorlage im Tenor im Abschnitt von Takt 11–22 (siehe Bsp. 4) rhythmisch und melodisch immer wieder die Finalis g und Repercussa d hervorgehoben, im Abschnitt von Takt 28–38 die Stufen g und b. Das Terzrahmen-Motiv erscheint als einzig vorherrschende Melodiewendung. Es ist in allen Stimmen zu finden, aufsteigend von g (z. B. T. 6, 8, 12, 14, 19) oder absteigend von b bzw. d (z. B. T. 18, 24 f., 32, 34 bzw. z. B. T. 13, 16, 22, 23).
Beispiel 5: O beatum pontificem, T. 1–11
Der Modus wird im Werkverlauf zwar deutlich exponiert, das Exordium beginnt modal jedoch eher uneindeutig und könnte auch als ionisch auf f verstanden werden, da Bass, Alt und Quintus jeweils auf f und c einsetzen. Zudem wird die Finalis g in der Melodiebildung zunächst umgangen. Obwohl die Repercussa d in der Themenantizipation bereits hervorgehoben wird, erfährt der Satz erst ab Takt 6 (siehe Bsp. 5) mit dem ersten g-Klang eine deutliche Darstellung des Dorischen. Kein Zweifel am Modus bleibt nach der Kadenz in Takt 10 und ihrer Wiederholung in Takt 16.[22]
Wie Zarlino die siebte Stufe im Dorischen hervorgehoben hat, wurde anhand der Motette Osculetur me gezeigt. Im vorliegenden Werk wird die Stufe f (im transponierten Cantus-System die siebte Stufe) abgesehen vom Exordium jedoch nicht besonders exponiert. Zu bemerken ist dagegen, dass die vierte Stufe c (vor allem im Bass) deutlich hörbar hervorgehoben wird. So finden sich allein zwischen Takt 32–45 (siehe Bsp. 6) zehn Quintsprünge zwischen g und c. Zudem tendiert diese Motette deutlich zu ›mollaren‹ Klängen. Diese werden durch die häufige Alteration des e zum es erreicht (z. B. T. 8, 10, 11, 12, 14).
Beispiel 6: O beatum pontificem, T. 32–45
Durch diese Alteration des e nimmt Zarlino, wie in Werken des 16. Jahrhunderts nicht unüblich, der dorischen Skala das Charakteristikum, wodurch sie sich vom äolischen Modus unterscheidet. Es scheint, als habe er damit auf die klangliche Vorprägung der Motette durch die starke dritte Stufe b im Choral und ihre Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Klangbildung in der Mehrstimmigkeit reagiert. Das b lässt sich durch die häufige Verwendung des es nicht mehr nur als Grundton von B- oder Kleinterz von g-Klängen nutzen, sondern auch als Quint in Klängen auf es. Das es wiederum wird häufig auch als Kleinterz in c-Klängen genutzt, wodurch das dorische Klangspektrum geweitet wird.
Die Exposition der vierten und sechsten Stufe evoziert sowohl aus melodisch-horizontaler als auch aus vertikal-klanglicher Perspektive eine explizit ›mollare‹ Seite des dorischen Modus. Demgegenüber steht die Nivellierung des dorischen Klangbildes durch eine Verschiebung der Klänge hin zum gesamten diatonischen Tonvorrat, wie sie phasenweise in der Motette Osculetur me zu beobachten ist. Die dortige Modusdarstellung über ein standardisiertes Durchlaufen der Quintspezies würde hier eine allgemein agilere Fortschreitung der Einzelstimmen verlangen, die mit dem Gestus des Cantus firmus nur schwer zu vereinbaren wäre. Die vorliegende Betonung ›mollarer‹ Qualitäten indes scheint dem dorischen Modus a priori als grundsätzliche Möglichkeit eingeschrieben zu sein.
Nemo potest venire: ›Hypoionische Imitation‹
Die hypoionische Motette vertont einen Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Sie ist ebenfalls a voce piena disponiert, steht im Cantus mollis und gliedert sich in zwei Teile zu je sechs Abschnitten.[23] Die prima pars schließt mit einer Kadenz auf c, die secunda pars auf einem F-Klang. Der Tonvorrat des Cantus mollis wird kaum verlassen, Alterationen des e zum es finden sich nur selten. In der Motivgestaltung bedient sich Zarlino zwar mitunter auch der an Osculetur me beschriebenen Technik rhythmischer Deklamationsmuster, die den Abschnittsanfängen zugewiesen werden. Entscheidendes satztechnisches Merkmal ist hier jedoch ein durchimitierender Stil, bei dem die Motive mit Rücksicht auf den Zusammenklang häufig im Sinne einer ›modalen Imitation‹ beantwortet werden. Diese Technik kann – wie zu zeigen ist – als primäres Moment der Modusdarstellung gelten.
In den Exordien lässt sich erneut die melodische Exposition der Stufen I, III und V beobachten.[24] Beispiele für einen modustypischen Melodieverlauf sind sodann auch im Werkverlauf zahlreich zu finden. Bei einem Blick in den Notentext werden wie in der Motette Osculetur me betonte Quintspeziesdurchläufe auf ut-sol bzw. sol-ut sichtbar (z. B. T. 21, 29, 32, 37, 49, 53), aber auch wie in der Motette O beatum pontificem Motive in Terzrahmen und mit punktierten Rhythmen auf den ›Zentraltönen‹ f, a und c (z. B. T. 4, 5, 6, 10, 15). Es finden sich zudem zahlreiche Kadenzen:[25] Allein zu den Wörtern »erunt omnes« erklingen in fünf Takten vier Kadenzen auf f und eine Kadenz auf c (siehe Bsp. 7, T. 36–40). Zu bemerken ist, dass diese Kadenzreihe gerade durch eine mehrstimmig-flächige Modusdarstellung in Gestalt eines spezifischen Imitationsgefüges entsteht. In den Motiven der Hohelied-Motetten der Moduli – die immerhin knapp die Hälfte des Druckes ausmachen – können zumeist rhythmisch strikte, aber melodisch freie Quasi-Imitationen beobachtet werden. In der vorliegenden Motette werden die Stimmeinsätze hingegen so disponiert, dass (zumeist) alle fünf Stimmen auf den Stufen I oder V einsetzen können und für zumindest zwei Takte eine ›modale‹ (also nicht zwangsläufig intervallgetreue) Beantwortung bzw. Imitation gewährleistet wird. Die Motive werden so konstruiert, dass sie einen sukzessiven Einsatz der weiteren Stimmen auf den Stufen I oder V zulassen, ohne dabei das Satzgefüge auffällig zu verdichten oder zu lockern. Im Imitationsverfahren werden die Motive so angepasst, dass sich stets ein Vollklang aus verschiedenen Terz-Quint-Klängen ergibt.
Beispiel 7: Nemo potest venire, T. 31–42
Als Beispiel eignet sich der Beginn des dritten Abschnittes (siehe Bsp. 7: »est scriptum in prophetis«, T. 31–42). Dort fallen ›modale Imitation‹, Klausel- und Kadenzbildung zusammen. Das Motiv des Alts (f-f-c-f-e-f-c) wird vom Quintus, Superius und Tenor in der Unterquint übernommen und angepasst (u. a. wird der Quartsprung f-c durch einen Terzsprung c-a ersetzt). Der Bass imitiert den Alt intervallgetreu in der Unteroktav. Durch den Halbtonschritt f-e-f im Alt und Bass ergeben sich Kadenzen auf f. Der Halbtonschritt wird in den beiden weiteren auf c einsetzenden Stimmen nicht übernommen. Im direkt anschließenden Segment auf »erunt omnes« (siehe Bsp. 7, T. 37–40) finden sich jedoch durch die Klauselwendungen f-e-f und c-h-c Kadenzen auf beiden Stufen. Erneut wird das Motiv des Alts ›modal beantwortet‹, hier vom Tenor und Bass in den Unteroktaven und vom Superius in der Oberquint. Eine detaillierte Beschreibung aller ›modalen Imitationen‹ erscheint nicht notwendig; das Prozedere wiederholt sich mehrfach am Beginn neuer Versabschnitte: in Takt 43–46 zu »omnis, qui audivit« (A., S., B., Q.), in Takt 52–55 zu »non quia« (S., T., B., A., Q.), in Takt 70–74 zu »Amen« (B., S., T., A., Q.), in Takt 123–125 zu »ut si quis« (T., A., S., B., Q.; hier auf Stufen I und IV) sowie in Takt 156–163 zu »et panis« (Q., T., S., B.; A. auf Stufe VI). Die Aufnahme moduskonstituierender Quinten und Quarten in die Imitationsmotive selbst (vgl. etwa die Quart-/Quintsprünge mit den Spezies ut-fa/ut-sol in T. 52–55) verstärkt die Moduspräsenz zusätzlich. Die Darstellung des Modus erhält durch den konstanten und gleichberechtigten Einsatz der Verfahrensweise in allen Stimmen zudem eine ausgenommen polyphone Qualität.
Fazit: Modale Praxis bei Zarlino
Die Kategorien Gaffurios, Aarons und Glareans – etwa die Beachtung der Klauseln, Kadenzen und des Melodieverlaufs in einem weiteren Sinne – sind als Ausgangspunkte modaler Analysen durchaus nützlich. Die Vielfalt und Varianz modusdarstellender Verfahren im Satzinneren erfassen sie jedoch nur selten. Im Folgenden wird versucht, eine Systematik der Modusdarstellung zu skizzieren, die sich zumindest für Zarlinos Motetten besser eignet. Die Beobachtungen beziehen sich auf die diskutierten Werke, schließen aber auch die weiteren Motetten der Moduli ein, die hier aus Platzgründen nicht vorgestellt werden können.
Alle Werke enden auf der ersten Stufe, und sofern sie in zwei partes geteilt sind, endet die prima pars immer auf der fünften Stufe des Modus.[26] Das Ende der prima pars kann als Binnenzäsur betrachtet werden. Die Finalis entspricht stets der Modusbezeichnung im Druck.
In den Exordien sowohl der prima pars als auch der secunda pars werden die Stufen I und V des Modus rhythmisch-melodisch in einem quasi-imitativen Rahmen hervorgehoben. Der erste mehrstimmige Klang ist zumeist eine Oktave oder Quinte auf der ersten Stufe. Zarlino weicht von diesem Prozedere nur selten und nie grundlos ab (meist bedingt durch den jeweiligen Cantus firmus).
Im Verlauf einer Motette wird in jeder Einzelstimme – zumindest für einen kurzen Zeitraum – eine Art modale phrasis in Gestalt einer rhythmisch-melodischen Exposition der ›Zentraltöne‹ auf den Stufen I, III und V deutlich.
Kadenzen sind insgesamt selten und stehen meist auf den Stufen I und V. Im Durchlaufen modusfremder Spezies können jedoch auch andere Stufen in Kadenzen exponiert werden. Durch Klauselwendungen in einzelnen Motiven tauchen im Rahmen ›modaler Imitationen‹ gegebenenfalls ganze Kadenzreihen auf (vgl. Nemo potest venire). Kadenzen spielen für die Modusdarstellung eine eher akzidentielle Rolle, auch da sie sich im Werkverlauf zumeist nur durch die Bewegung zweier Stimmen ergeben und selten mit einer Zäsurwirkung verbunden sind. Am Ende der partes finden sich regelmäßig die Kadenz- oder Klangfolgen I-V (prima pars) bzw. V-I (secunda pars).
Durch Motivdispositionen mit ›modaler Imitation‹ realisiert Zarlino eine polyphone Modusbildung. Die Imitationsgefüge bestimmen mit ihrer flächigen Exposition der Stufen I und V das Klangbild des Satzes vor allem an Abschnittsanfängen. Diese Technik zeigt sich deutlich in der Motette Nemo potest venire, ist aber auch in vielen hier nicht besprochenen Werken (z. B. Ego veni in hortum meum und Si bona suscepimus) zu beobachten.
In den meisten Motetten sind abschnittsübergreifende Gestalten (z. B. die extensive Wiederholung der Quintspezies sowie das Terzrahmen-Motiv) zu verzeichnen, die durch die kontinuierliche Exposition von ›Zentraltönen‹ einen modalen und zugleich motivischen ›Kitt‹ zwischen den Phrasen bzw. Versabschnitten herstellen.
Neben und mit dem Text, der durch seine syntaktische Struktur ein erstes gliederndes Moment der Kompositionen liefert, sind die Modi bei Zarlino für die Konstruktion musikalischer Großform konstitutiv. Als Orientierungsmarken legen sie nicht nur die abwechselnde Disposition von authentischen und plagalen Stimmen sowie Zielpunkte des Melodieverlaufs fest, sondern prägen auch die gegebenenfalls mehrstimmigen soggetti. Gerade bei der Einführung neuer soggetti wird die Modusdarstellung oft explizit – so durch das Verfahren der ›modalen Imitation‹ oder den Miteinbezug der Speziesrahmen in die Motive. Nach der Erstartikulation des Versanfanges tritt die Darstellung der Modi in den einzelnen Versabschnitten jedoch oftmals hinter ihrer diatonischen Grundlage zurück.
Sieht man von der äolischen Motette Si bona suscepimus ab, fügen sich alle Werke der Moduli problemlos in das achttönige Modussystem ein – sofern die ionischen Stücke als ›alteriertes Lydisch‹ verstanden werden. Es scheint daher auch, als habe Zarlino Glareans Begriffe mühelos in den Druck der Moduli übernehmen können, ohne die Werke tatsächlich vor dem Hintergrund eines zwölftönigen Systems konstruiert zu haben.
Als Rezeptionsachse von Glareans Dodekachordon zu seinen eigenen Theorieschriften – 1558 führt Zarlino im vierten Buch der Istitutioni harmoniche neun Motetten der Moduli als Beispiele für seine eigene Moduslehre an[27] – bieten die Werke nicht allein Beispiele für verschiedene Zugriffe auf modales Komponieren in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie können auch als Möglichkeit begriffen werden, Zarlinos theoretischer Moduskonzeption in Forschung und Lehre ein angemessenes Gegengewicht aus der Praxis gegenüberzustellen.
Anmerkungen
Tinctoris 1476. | |
Gaffurio 1496. | |
Aaron 1525. | |
Glarean 1547. | |
Glarean nutzt den Begriff der phrasis ohne genauere Definition; laut Werbeck (2006, 178) im Sinne einer »Allzweckwaffe«. Bis heute wird er, »from octave species to personal style« (Powers 2001), verschiedentlich interpretiert, z. B. als »modustypische Melodieführung« (Horn 1995, 301) oder »melodic trajectory« (Fuller 1996, 205); mitunter wird er sogar als Beschreibungsmodell einer »aesthetic quality of music« verstanden (Wiering 2001, 151). | |
Vgl. zusammenfassend zum Diskurs über die Modi vom späten 15. bis frühen 17. Jahrhundert: Rempp 1989 sowie Wiering 2001. | |
Für das kompositorische Œuvre Zarlinos sind neben den Moduli vor allem die 1566 bei Francesco Rampazetto publizierten Modulationes sex vocum mit 13 Motetten bedeutsam. Weiterhin sind nur vereinzelt Kompositionen (acht geistliche sowie 13 weltliche Werke) in vorwiegend venezianischen Sammeldrucken überliefert. Vgl. zu einer vollständigen Übersicht aller Kompositionen Horn 2007. Entscheidenden Vorschub in der Erforschung von Zarlino als Komponisten leisten seit den 2000er-Jahren Christle Collins Judd und Katelijne Schiltz. Sie verantworten Studien zu intertextuellen Bezügen zwischen Zarlinos theoretischen und kompositorischen Opera, zu einzelnen Kompositionen – u. a. vor dem Hintergrund ihrer imitatio-Traditionen und ihren liturgischen Kontexten – sowie die erste Gesamtedition aller Motetten Zarlinos. Vgl. Judd 2001, 2002, 2005, 2006, 2007, 2013; Schiltz 2008, 2010; Schiltz und Chemotti 2021; Zarlino 2006, 2007, 2015. | |
Zu den drei Motetten ohne Label siehe die Anmerkungen unter Tabelle 1. | |
Mit dem tonal type schlägt Harold S. Powers, angelehnt an Siegfried Hermelinks »Tonartentyp« (Hermelink 1960, 11–16), ein alternatives Klassifizierungsmodell zu den Modi vor. Es umfasst diejenigen Elemente, die ein Komponist bei der Ausarbeitung eines neuen Werkes nach Powers mindestens zu bedenken hatte: Cantus-Vorordnung, Schlüsselung und Grund- bzw. Finaliston. Als »pre-compositional entities« sind tonal types nicht mit Modi gleichzusetzen. Eine Korrelation zwischen beiden Konzepten kann vorliegen, eine Kausalität jedoch nicht: »In short, a mode is always a tonal type, but a tonal type is not always a mode.« (Powers 1981, 461) | |
Vgl. hierzu Judd 2001 und Zarlino 2006. | |
Judd 2006, vii. | |
Si ignoras erscheint im Primo Libro de Motetti a Cinque Voci (Scotto 1549), Adjuro vos filiae Jerusalem im Terzo Libro di Motetti a Cinque Voci di Cipriano di Rore (Gardano 1549). | |
Judd 2001, 237. | |
Neben der Verschleierung des Hohelied-Zyklus und der Anordnung nach tonal types sind weitere Ordnungskriterien zu beachten. So eignet sich die Motette Veni sancte spiritus besonders als Eröffnungsstück einer Sammlung, die einem Funktionär des Ordens des Heiligen Geistes gewidmet wurde, und die Positionierung des Pater noster als Schlussmotette des Druckes folgt der zeitgenössischen Konvention, größer besetzte Werke an den Schluss von Sammlungen zu stellen. Auch die inhaltlichen Schwerpunkte der Motettentexte konnten – wie in der Folge der beiden Klagemotetten Si bona suscepimus und Clodia quem genuit zu beobachten ist – die Anordnung des Druckes beeinflussen. Vgl. hierzu ausführlich Judd 2002, 211–217. | |
Vgl. Horn 2007. Da Zarlino in seinen Hohelied-Motetten auf eine Neuübersetzung aus dem Hebräischen zurückgreift (Chiari 1544), lässt sich der Entstehungszeitraum dieser zehn Werke vermutlich auf den Zeitraum zwischen 1544 und 1547 eingrenzen. | |
Vgl. Edwards 2018, 361–365. | |
Im analytischen Zugriff auf die Motetten knüpfen die folgenden Überlegungen an die Untersuchungen von Wolfgang Horn an, der in seiner Habilitationsschrift u. a. das Verhältnis zwischen Zarlinos musiktheoretischer und kompositionspraktischer Tonartenkonzeption diskutiert. Die Studie konzentriert sich zwar auf Zarlinos Istitutioni harmoniche und die daran anknüpfenden Dimostrationi. Horn liefert jedoch auch einen kurzen Überblick über die wesentlichen Charakteristika der Moduli und der 1566 erschienenen Modulationes sex vocum. Im Anhang der Studie befindet sich ein Katalog, in dem die meisten Kadenzorte aus den 19 Motetten der Moduli systematisch aufgelistet werden. Eine genauere Untersuchung im Hinblick auf die modale Disposition liefert Horn für Zarlinos Motette Osculetur me. Vgl. Horn 1995, »Bemerkungen zu Zarlinos Motettendrucken« (272–289), »Zarlinos Motette Osculetur me: ›dorisches procedere‹« (291–299) sowie »Anhang 4. Katalog I. Zarlinos Moduli (1549)« (448–466). Die Untersuchung liegt nur in maschinenschriftlicher Form vor und wurde bedauerlicherweise nie publiziert. | |
Das erste Auftreten eines Versabschnittes bildet den Anfangstakt, das letztmalige Auftreten des Schlusswortes eines Verses den Schlusstakt des Abschnittes. Die Motette gliedert sich folgendermaßen: 1. T. 1–14, 2. T. 11–22, 3. T. 18–27, 4. T. 24–36, 5. T. 33–49, 6. T. 50–61, 7. T. 59–72, 8. T. 71–87, 9. T. 84–92, 10. T. 90–108. Vgl. zur vollständigen Edition Zarlino 2006, 3–10. | |
In der Motette finden sich folgende Kadenzen: T. 13 C sf. (ST), T. 17 c sf. (BS), T. 20 e-mi (QB), T. 21 C sf. (SQ), T. 22 e-mi sf. (TQ), T. 27 c sp. (QB), T. 34 f sp. (BT), T. 35 f sf. (AS), T. 49 A (AT) T. 54 e-mi sf. (TB), T. 72 f (AT), T. 77 e-mi sp. (AB), T. 80 f (AQ), T. 96 C sp. (SQ), T. 98 C sp. (TA), T. 108 D (AT). Als Kadenzen werden hier mindestens zweistimmige Fortschreitungen verstanden, bei denen die Stimmen mit einer Diskant- und Tenorklausel in die Oktave bzw. den Einklang geführt werden. Die Taktzahlen geben jeweils den Takt an, in dem die Ultima erreicht wird. Kadenzen mit einem Quintfall bzw. Quartsprung sind durch einen Großbuchstaben gekennzeichnet. Cadenze semplici, sfuggite und in mi sind als solche gekennzeichnet. Als Grundlage der Übersicht wurde Horns Kadenzkatalog zu den Moduli (Horn 1995, 452–466) konsultiert und erweitert. | |
Vgl. zur Choralvorlage O beatum pontificem Anonym 1961. | |
Die Motette gliedert sich in folgende Abschnitte: 1. T. 1–17, 2. T. 6–28, 3. T. 27–50, 4. T. 44–60, 5. T. 59–80, 6. T. 73–93. Vgl. zur vollständigen Edition Zarlino 2007, 16–21. | |
In der Motette finden sich folgende Kadenzen: T. 10 g (TQ), T. 16 G (SQ), T. 24 B sf. (AS), T. 55 a-mi (AB), T. 60 b (BS), T. 78 f (AT), T. 86 g sf. (AT), T. 92 G (AS), T. 93 G. | |
Die Motette gliedert sich folgendermaßen: 1. T. 1–24, 2. T. 23–34, 3. T. 31–43, 4. T. 43–54, 5. T. 52–72, 6. T. 70–89, 7. T. 90–113, 8. T. 112–124, 9. T. 122–135, 10. T. 131–145, 11. T. 142–157, 12. T. 156–172. Vgl. zur vollständigen Edition Zarlino 2007, 22–32. | |
Um eine einfachere Vergleichbarkeit der Stufenausprägungen zu gewährleisten, wird die Zählweise des plagalen Modus an die der authentischen Modi angepasst. Die erste Stufe im hypoionischen Modus bleibt nach dieser Zählung f, die dritte a, die fünfte c. | |
In der Motette finden sich folgende Kadenzen: T. 12 F sp. (TB), T. 30 F (AQ), T. 33 F (AT), T. 36 f sf. (BA), T. 38 c (SQ), T. 39 f (TS), T. 40 f (BA), T. 41 F (AT), T. 52 d-mi (QA), T. 69 f sf. (BQ), T. 79 a-mi (QS), T. 81 f sp. (AS), T. 87 f (BA), T. 87–89: f-(d)-C, T. 96 f sp. (AQ), T. 102 f sf. (SA), T. 104 f (QA), T. 132 f sf. (BT), T. 151 f (BS), T. 157 F (AB), T. 160 c (ST), T. 162 f (AB), T. 172 f (QB). | |
Die prima pars der phrygischen Werke endet auf der vierten Stufe. | |
Vgl. zu Zarlinos strategischer Publikationskultur insbesondere Judd 2002 und Schiltz 2010. |
Quellen
Aaron, Pietro (1525), Trattato della natura et cognitione di tutti gli tuoni di canto figurato, Venedig: Vitali.
Chiari, Isiodori (1544), Canticum canticorum Salomonis, Venedig: Gioliti.
Gaffurio, Franchino (1496), Practica musice, Mailand: Signer.
Gardano, Antonio (Hg.) (1549), Terzo libro di motetti a cinque voci di Cipriano di Rore, Venedig: Gardano.
Glarean, Heinrich (1547), Dodekachordon, Basel: Petri.
Scotto, Girolamo (Hg.) (1549), Primo libro de motetti a cinque voci, Venedig: Scotto.
Tinctoris, Johannes (1975), Liber de natura et proprietate tonorum [1476], in: ders., Opera theoretica, Bd. I (= Corpus Scriptorum de Musica 22-1), Neuedition hg. von Albert Seay, Rom: American Institute of Musicology, 65–104.
Zarlino, Gioseffo (1549), Musici quinque vocum moduli, Venedig: Gardano.
Zarlino, Gioseffo (1558), Le istitutioni harmoniche, Venedig: Senese.
Zarlino, Gioseffo (1566), Modulationes sex vocum, Venedig: Rampazetto.
Literatur
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Hermelink, Siegfried (1960), Dispositiones modorum. Die Tonarten in der Musik Palestrinas und seiner Zeitgenossen, Tutzing: Schneider.
Horn, Wolfgang (1995), »Est modus in rebus«. Gioseffo Zarlinos Musiktheorie und Kompositionslehre und das ›Tonarten‹-Problem in der Musikwissenschaft, Habil., Hochschule für Musik und Theater Hannover.
Horn, Wolfgang (2016), »Zarlino, Gioseffo« [2007], in: MGG Online, hg. von Laurenz Lütteken, Kassel: Bärenreiter. https://www.mgg-online.com/mgg/stable/13870 (30.6.2022)
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Lewis, Mary S. (1985), »Zarlino’s Theories of Text Underlay as Illustrated in his Motet Book of 1549«, Notes 42/2, 239–267.
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Schiltz, Katelijne (2008) »Gioseffo Zarlino and the miserere tradition. A Ferrarese connection?«, Early Music History 27, 181–216.
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Wiering, Frans (2001), The Language of the Modes. Studies in the History of Polyphonic Modality, Ph.D., New York: Routledge.
Noten
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Zarlino, Gioseffo (2006), Motets from 1549. Part 1. Motets based on the Song of Songs, hg. von Christle Collins Judd, Middleton: A-R Editions.
Zarlino, Gioseffo (2007), Motets from 1549. Part 2. 11 Motets from ›Musici quinque vocum moduli‹ (Venice 1549), hg. von Christle Collins Judd, Middleton: A-R Editions.
Zarlino, Gioseffo (2015), Motets from the 1560s. 17 Motets from ›Modulationes sex vocum‹ and ›Motetta D. Cipriani di Rore et aliorum auctorum‹, hg. von Christle Collins Judd und Katelijne Schiltz, Middleton: A-R Editions.
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg [Ruprecht Karl University of Heidelberg]
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